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Die Schachnovelle

Stefan Zweig


Erste Auflage, 2018

Cover: Verändert nach Sjakkspillet by Eivind Barstad Waaler under CC

BY 2.0 https://www.flickr.com/people/11383955@N06

Der Text von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ ist gemeinfrei.

Layout und Gestaltung: Benjamin Riedl, www.lugiland.de Der Text ist behutsam an die neue Rechtschreibung angepasst worden.

Dieses Werk ist lizensiert unter eine Free-Culture-Lizenz: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International

Die Schachnovelle

Inhalt

Die Schachnovelle .........................................................................4

Zeittafel zum Dritten Reich ........................................................ 64

Grundstellung beim Schach ........................................................ 66

Biographie von Stefan Zweig...................................................... 67

1881 bis 1918 – Frühe Jahre ..................................................... 67

Stefan Zweig um 1900 ............................................................ 67

1919 bis 1933 – Salzburger Jahre ............................................. 69

1934 bis 1942 – Exiljahre ......................................................... 70

Tod .......................................................................................... 73

Abbildungsverzeichnis ................................................................ 75

Links zu den verwendeten Creative Commons-Lizenzen ......... 75

Zu unterstrichenen Begriffen können über die QR-Codes die zu-gehörigen Wikipediaartikel aufgerufen werden.

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Die Schachnovelle

Die Schachnovelle

Auf dem großen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die übliche Ge-schäftigkeit und Bewegung der letzten Stunde. Gäste vom Land drängten durcheinander, um ihren Freunden das Geleit zu geben, Telegraphenboys mit schiefen Mützen schossen Namen ausru-fend durch die Gesellschaftsräume, Koffer und Blumen wurden geschleppt, Kinder liefen neugierig treppauf und treppab, während das Orchester unerschütterlich zur Deckshow spielte. Ich stand im Gespräch mit einem Bekannten etwas abseits von diesem Getümmel auf dem Promenadendeck, als neben uns zwei-oder dreimal Blitzlicht scharf aufsprühte – anscheinend war irgendein Prominenter knapp vor der Abfahrt noch rasch von Re-portern interviewt und photographiert worden. Mein Freund blickte hin und lächelte. »Sie haben da einen raren Vogel an Bord, den Czentovic.« Und da ich offenbar ein ziemlich verständnisloses Gesicht zu dieser Mitteilung machte, fügte er erklärend bei:

»Mirko Czentovic, der Weltschachmeister. Er hat ganz Amerika von Ost nach West mit Turnierspielen abgeklappert und fährt jetzt zu neuen Triumphen nach Argentinien.«

In der Tat erinnerte ich mich nun dieses jungen Weltmeisters und sogar einiger Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner raketen-haften Karriere –, mein Freund, ein aufmerksamerer Zeitungsle-ser als ich, konnte sie mit einer ganzen Reihe von Anekdoten1 er-gänzen. Czentovic hatte sich vor etwa einem Jahr mit einem Schlage neben die bewährtesten Altmeister der Schachkunst, wie Aljechin, Capablanca, Tartakower, Lasker, Bogoljubow, gestellt; seit dem Auftreten des siebenjährigen Wunderkindes Rzecewski bei dem Schachturnier 1922 in New York hatte noch nie der Ein-bruch eines völlig Unbekannten in die ruhmreiche Gilde derart allgemeines Aufsehen erregt. Denn Czentovics intellektuelle 2

1 Geschichten aus seinem Leben

2 Die Intelligenz betreffend

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Die Schachnovelle

Eigenschaften schienen ihm keineswegs solch eine blendende Karriere von vornherein zu weissagen. Bald sickerte das Geheimnis durch, dass dieser Schachmeister in seinem Privatleben außer-stande war, in irgendeiner Sprache einen Satz ohne orthographi-schen Fehler zu schreiben, und wie einer seiner verärgerten Kollegen ingrimmig spottete, »seine Unbildung war auf allen Ge-bieten gleich universell«. Sohn eines blutarmen südslawischen Donauschiffers, dessen winzige Barke eines Nachts von einem Getreidedampfer Überrannt wurde, war der damals Zwölfjährige nach dem Tode seines Vaters vom Pfarrer des abgelegenen Ortes aus Mitleid aufgenommen worden, und der gute Pater bemühte sich redlich, durch häusliche Nachhilfe wettzumachen, was das maulfaule, dumpfe, breitstirnige Kind in der Dorfschule nicht zu erlernen vermochte.

Aber die Anstrengungen blieben vergeblich. Mirko starrte die schon hundertmal ihm erklärten Schriftzeichen immer wieder fremd an; auch für die simpelsten Unterrichtsgegenstände fehlte seinem schwerfällig arbeitenden Gehirn jede festhaltende Kraft.

Wenn er rechnen sollte, mußte er noch mit vierzehn Jahren jedesmal die Finger zu Hilfe nehmen, und ein Buch oder eine Zeitung zu lesen bedeutete für den schon halbwüchsigen Jungen noch besondere Anstrengung. Dabei konnte man Mirko keineswegs un-willig oder widerspenstig nennen. Er tat gehorsam, was man ihm gebot, holte Wasser, spaltete Holz, arbeitete mit auf dem Felde, räumte die Küche auf und erledigte verläßlich, wenn auch mit verärgernder Langsamkeit, jeden geforderten Dienst. Was den guten Pfarrer aber an dem querköpfigen Knaben am meisten ver-droß, war seine totale Teilnahmslosigkeit. Er tat nichts ohne besondere Aufforderung, stellte nie eine Frage, spielte nicht mit anderen Burschen und suchte von selbst keine Beschäftigung, sofern man sie nicht ausdrücklich anordnete; sobald Mirko die Verrich-tungen des Haushalts erledigt hatte, saß er stur im Zimmer herum mit jenem leeren Blick, wie ihn Schafe auf der Weide haben, ohne an den Geschehnissen rings um ihn den geringsten Anteil zu nehmen. Während der Pfarrer abends, die lange Bauernpfeife 5

Die Schachnovelle

schmauchend3, mit dem Gendarmeriewachtmeister4 seine üblichen drei Schachpartien spielte, hockte der blondsträhnige Bursche stumm daneben und starrte unter seinen schweren Lidern anscheinend schläfrig und gleichgültig auf das karierte Brett.

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