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«Nein, es ist meine Stenographin.»

«Desto besser. Und nun steigen Sie bitte aus, oder lassen Sie sich von uns aus dem Wagen ziehen, denn der Wagen wird vernichtet.»

«Ich ziehe es vor, mit vernichtet zu werden.»

«Wie Sie wünschen. Erlauben Sie noch eine Frage! Sie sind Staatsanwalt. Es war mir immer unbegreiflich, wie ein Mensch Staatsanwalt sein kann. Sie leben davon, daß Sie andere Leute, zumeist arme Teufel, anklagen und zu Strafen verurteilen. Nicht?»

«Es ist so. Ich tat meine Pflicht. Es war mein Amt. Ebenso wie es das Amt des Henkers ist, die von mir Verurteilten zu töten. Sie selbst haben ja das gleiche Amt übernommen. Sie töten ja auch.»

«Richtig. Nur töten wir nicht aus Pflicht, sondern zum Vergnügen, oder vielmehr: aus Mißvergnügen, aus Verzweiflung an der Welt. Darum macht das Töten uns einen gewissen Spaß. Hat Ihnen das Töten nie Spaß gemacht?»

«Sie langweilen mich. Haben Sie die Güte, Ihre Arbeit zu Ende zu führen.

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Wenn der Begriff der Pflicht Ihnen unbekannt ist ...»

Er schwieg und verzog die Lippen, als wolle er ausspucken. Es kam aber nur ein wenig Blut, das an seinem Kinn kleben blieb.

«Warten Sie!» sagte Gustav höflich. «Den Begriff der Pflicht allerdings kenne ich nicht, nicht mehr. Früher hatte ich amtlich viel mit ihm zu tun, ich war Professor der Theologie. Außerdem war ich Soldat und habe den Krieg mitgemacht. Das, was mir Pflicht schien und was mir von Autoritäten und Vorgesetzten jeweils befohlen worden ist, war alles gar nicht gut, ich hätte stets lieber das Gegenteil getan. Aber wenn ich auch den Begriff der Pflicht nicht mehr kenne, so kenne ich doch den der Schuld — vielleicht sind sie beide dasselbe. Indem eine Mutter mich geboren hat, bin ich schuldig, bin ich verurteilt zu leben, bin verpflichtet, einem Staat anzugehören, Soldat zu sein, zu töten, Steuern für Rüstungen zu bezahlen. Und jetzt, in diesem Augenblick, hat die Lebensschuld mich wieder, wie einst im Kriege, dazu geführt, töten zu müssen. Und diesmal töte ich nicht mit Widerwillen, ich habe mich in die Schuld ergeben, ich habe nichts dagegen, daß diese dumme, verstopfte Welt in Scherben geht, ich helfe gerne mit und gehe selber gerne mit zugrunde.»

Der Staatsanwalt strengte sich sehr an, um mit seinen blutverklebten Lippen ein wenig zu lächeln. Es gelang ihm nicht glänzend, doch war die gute Absicht erkennbar. Es ist gut», sagte er. «Wir sind also Kollegen. Tun Sie nun bitte Ihre Pflicht, Herr Kollege.»

Das hübsche Mädchen hatte sich inzwischen am Straßenrande niedergelassen und war ohnmächtig.

In diesem Augenblick tutete wieder ein Wagen und kam in voller Fahrt dahergerannt. Wir zogen das Mädchen ein wenig beiseite, drückten uns an die Felsen und ließen den ankommenden Wagen in die Trümmer des 'ändern hineinfahren. Er bremste heftig und bäumte sich in die Höhe, blieb aber unbeschädigt stehen. Schnell nahmen wir unsere Büchsen zur Hand und legten auf die Neuen an.

«Aussteigen!» kommandierte Gustav. «Hände hoch!»

Es waren drei Männer, die aus dem Wagen stiegen und gehorsam die Hände hochhielten.

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«Ist einer von Ihnen Arzt?» fragte Gustav.

Sie verneinten.

«Dann haben Sie die Güte, den Herrn hier vorsichtig aus seinem Sitz zu befreien, er ist schwer verletzt. Und dann nehmen Sie ihn in Ihrem Wagen bis zur nächsten Stadt mit. Vorwärts, angefaßt!»

Bald war der alte Herr im ändern Wagen gebettet, Gustav kommandierte, und alle fuhren los.

Inzwischen war unsre Stenographin wieder zu sich gekommen und hatte den Vorgängen zugesehen. Es gefiel mir, daß wir diese hübsche Beute gemacht hatten.

«Fräulein», sagte Gustav, «Sie haben Ihren Arbeitgeber verloren. Hoffentlich stand der alte Herr Ihnen sonst nicht nahe. Sie sind von mir engagiert, seien Sie uns ein guter Kamerad! So, und nun pressiert es ein wenig. In Bälde wird es hier ungemütlich werden. Können Sie klettern, Fräulein? Ja? Also los, wir nehmen Sie zwischen uns und helfen Ihnen.»

Nun kletterten wir alle drei, so rasch es gehen wollte, in unsre Baumhütte hinauf. Dem Fräulein wurde oben schlecht, aber sie bekam einen Kognak, und bald war sie so weit erholt, daß sie die prachtvolle Aussicht auf See und Gebirge anerkennen und uns mitteilen konnte, daß sie Dora heiße.

Gleich darauf war unten schon wieder ein Wagen angekommen, der in vorsichtiger Fahrt an dem gestürzten Auto vorübersteuerte, ohne zu halten, und dann sein Tempo sofort beschleunigte.

«Drückeberger!» lachte Gustav und schoß den Lenker ab. Der Wagen tanzte ein wenig, machte einen Satz gegen die Mauer, drückte sie ein und blieb schräg überm Abgrund hängen.

«Dora», sagte ich, «können Sie mit Flinten umgehen?»

Sie konnte es nicht, aber sie lernte von uns, wie man ein Gewehr lädt. Zuerst war sie ungeschickt und riß sich einen Finger blutig, heulte und verlangte englisches Pflaster. Aber Gustav erklärte ihr, es sei Krieg und sie möge zeigen, daß sie ein braves, tapferes Mädel sei. Da ging es.

«Aber was soll aus uns werden?» fragte sie dann.

«Ich weiß nicht», sagte Gustav. «Mein Freund Harry hat hübsche Frauen gern, 163

er wird Ihr Freund sein.»

«Aber sie werden mit Polizei und Soldaten kommen und uns totmachen.»

«Polizei und dergleichen gibt es nicht mehr. Wir haben die Wahl, Dora.

Entweder bleiben wir ruhig hier oben und schießen alle Wagen zusammen, die vorbeiwollen. Oder wir nehmen selber einen Wagen, fahren davon und lassen andre auf uns schießen. Es ist einerlei, welche Partei wir ergreifen. Ich bin fürs Hierbleiben.»

Unten war wieder ein Wagen, hell tönte seine Hupe herauf. Er war bald erledigt und blieb, die Räder zu oberst, liegen.

«Komisch», sagte ich, «daß das Schießen so viel Spaß machen kann! Dabei war ich früher Kriegsgegner!»

Gustav lächelte. «Ja, es sind eben gar zu viele Menschen auf der Welt. Früher merkte man es nicht so. Aber jetzt, wo jeder nicht bloß Luft atmen, sondern auch ein Auto haben will, jetzt merkt man es eben. Natürlich ist das, was wir da tun, nicht vernünftig, es ist eine Kinderei, wie auch der Krieg eine riesige Kinderei war. Später einmal wird die Menschheit lernen müssen, ihre Vermehrung durch vernünftige Mittel im Zaum zu halten. Vorderhand reagieren wir auf die unerträglichen Zustände ziemlich unvernünftig, tun aber im Grunde doch das Richtige: wir reduzieren.»

«Ja», sagte ich, «was wir tun, ist wahrscheinlich verrückt, und wahrscheinlich ist es dennoch gut und notwendig. Es ist nicht gut, wenn die Menschheit den Verstand überanstrengt und Dinge mit Hilfe der Vernunft zu ordnen sucht, die der Vernunft noch gar nicht zugänglich sind. Dann entstehen solche Ideale wie das des Amerikaners oder das der Bolschewiken, die beide außerordentlich vernünftig sind, und die doch das Leben, weil sie es gar so naiv vereinfachen, furchtbar vergewaltigen und berauben. Das Bild des Menschen, einst ein hohes Ideal, ist im Begriff, zu einem Klischee zu werden. Wir Verrückten werden es vielleicht wieder adeln.»

Lachend gab Gustav Antwort: «Junge, du redest wunderbar klug, es ist eine Freude und bringt Gewinn, diesem Weisheitsborn zu lauschen. Und vielleicht hast du sogar ein bißchen recht. Aber sei so gut und lade jetzt deine Flinte wieder, du bist mir ein wenig zu träumerisch. Jeden Augenblick können wieder 164

ein paar Rehböckchen gelaufen kommen, die können wir nicht mit Philosophie tots chießen, es müssen immerhin Kugeln im Rohr sein.»

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