Naravas trat bereits an Matho heran.
Er küßte seine beiden Daumen zum Zeichen seiner kameradschaftlichen Gesinnung und
entschuldigte seinen neulichen Zorn mit der trunkenen Feststimmung. Sodann sagte er allerhand Feindseliges gegen Karthago, doch verriet er nicht, was ihn eigentlich zu den Barbaren geführt hatte.
»Will er uns verraten oder die Republik?« fragte sich Spendius. Da er aber aus allem Bösen Vorteil zu ziehen gedachte, so war ihm jedwede zukünftige Verräterei des Naravas nur angenehm.
Der numidische Häuptling blieb bei den Söldnern. Er schien sich mit Matho befreunden
zu wollen, sandte ihm gemästete Ziegen, Goldstaub und Straußenfedern. Der Libyer, über diese Aufmerksamkeiten erstaunt, schwankte, ob er sie erwidern oder darüber in Zorn geraten sollte. Doch Spendius besänftigte ihn, und Matho ließ sich von dem Sklaven leiten. Er war ein Mensch, der nie wußte, was er wollte, und jetzt zumal in einem Zustande unbezwinglicher Teilnahmlosigkeit wie jemand, der einen Trank genommen hat,
an dem er sterben muß.
Eines Morgens, als alle drei zur Löwenjagd aufbrachen, verbarg Naravas einen Dolch in seinem Mantel. Spendius blieb ihm beständig auf den Fersen, und sie kehrten zurück, ohne daß der Numidier seinen Dolch gezückt hatte.
Ein andermal lockte Naravas die beiden weit fort, bis an die Grenzen seines Reiches.
Sie kamen in eine enge Schlucht. Da erklärte Naravas lächelnd, er wisse den Weg nicht mehr. Spendius fand ihn wieder.
Meistens jedoch brach Matho, tiefsinnig wie ein Augur, schon bei Sonnenaufgang auf,
um in der Gegend umherzustreifen. Er streckte sich auf den Sand hin und blieb bis zum Abend unbeweglich liegen.
Er befragte nacheinander alle Wahrsager des Heeres: die den Lauf der Schlangen beobachteten, die in den Sternen lasen und die auf die Asche der Toten bliesen.
Er nahm Galbanum, Sesel und herzversteinerndes Viperngift ein. Negerweiber, die im
Mondschein barbarische Lieder sangen, ritzten ihm die Stirnhaut mit goldnen Dolchen. Er behängte sich mit Halsbändern und Amuletten. Abwechselnd rief er Khamon, Moloch, die
sieben Kabiren, Tanit und die Aphrodite der Griechen an. Er grub einen Namen in eine Kupferplatte und verscharrte sie im Sande an der Schwelle seines Zeltes. Spendius hörte ihn seufzen und mit sich selbst reden.
Eines Nachts trat er in sein Zelt.
Matho lag auf einer Löwenhaut hingestreckt, nackt wie ein Leichnam, das Gesicht in beide Hände vergraben. Eine Hängelampe beleuchtete seine Waffen, die ihm zu Häupten
am Zeltmaste hingen.
»Hast du Schmerzen?« fragte der Sklave. »Was fehlt dir? Antworte mir!« Dabei schüttelte er ihn an der Schulter und rief immer wieder: »Herr, Herr!« Endlich schaute Matho mit großen verstörten Augen zu ihm auf.
»Weißt du?« flüsterte er, einen Finger auf die Lippen legend. »Es ist die Rache der Götter. Hamilkars Tochter verfolgt mich! Ich fürchte mich vor ihr, Spendius!« Er drückte die Fäuste gegen die Augen, wie ein Kind, dem vor einem Gespenste graust. »Rede mit mir! Ich bin krank! Ich will gesund werden! Alles habe ich versucht! Doch du, du kennst vielleicht mächtigere Götter oder irgend eine Beschwörung, die wirklich hilft.«
»Wogegen?« fragte Spendius.
Matho schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. »Um mich aus Salambos Bann
zu erlösen!« Und wie zu sich selber sagte er in abgebrochenen Sätzen:
»Gewiß bin ich das Opfer einer Sühne, die sie den Göttern gelobt hat… . Sie hält mich gefesselt … mit einer unsichtbaren Kette… . Gehe ich, so schreitet sie voran … bleibe ich stehen, so verweilt sie… . Ihre Augen verzehren mich … ich höre ihre Stimme … sie umgibt mich und durchdringt mich… . Mir ist, als ob sie meine Seele geworden sei… .
Und doch droht etwas zwischen uns wie die unsichtbaren Fluten eines grenzenlosen Meeres… . Sie ist mir fern und ganz unerreichbar… . Der Schimmer ihrer Schönheit umfließt sie mit Strömen von Licht, und bisweilen ist mir’s, als hätt ich sie nie gesehen …
als lebte sie nicht … als sei alles nur ein Traum!… “
So durchjammerte Matho die Nacht.
Alles schlief. Spendius betrachtete ihn, und er erinnerte sich an jene Jünglinge, die ihn ehemals mit goldenen Gefäßen in den Händen angefleht hatten, wenn er seine Buhlerinnen durch die Städte geführt hatte. Mitleid ergriff ihn, und er sprach:
»Sei stark, Herr! Wende dich an deinen eigenen Willen und flehe nicht mehr zu den Göttern, denn die Gebete der Menschen rühren sie nicht. Du weinst wie ein Feigling!
Demütigt es dich nicht, daß du um ein Weib so leidest?«
»Bin ich ein Kind?« gab Matho zur Antwort. »Glaubst du, daß mich das Gesicht und der Gesang eines Weibes noch rühren? Wir hatten in Drepanum ihrer genug. Sie fegten die Ställe. Ich hab ihrer besessen während des Sturmes auf Städte, unter stürzenden Dächern, und wenn die Geschütze vom Rückschlag noch zitterten!… Doch dieses Weib, dieses Weib!«
Der Sklave unterbrach ihn:
»Wenn sie nicht Hamilkars Tochter wäre… .«
»Nein!« schrie Matho. »Sie hat nichts mit den andern Töchtern der Menschen gemein!
Hast du ihre großen Augen unter den großen Brauen gesehen? So leuchten Sonnen unter
Triumphbögen. Erinnere dich: als sie erschien, verloren alle Fackeln ihren Glanz.
Zwischen den Diamanten ihrer Halskette schimmerten Stellen ihres blanken Busens. Wo
sie gegangen, duftete es wie nach dem Weihrauch eines Tempels, und ihrem ganzen Wesen entströmte etwas, süßer als Wein und schrecklicher als der Tod. So schritt sie hin, und dann blieb sie stehen… .«
Offnen Mundes und gesenkten Hauptes stand Matho da und starrte vor sich hin.