Matho war an der Großen Syrte geboren. Sein Vater hatte ihn auf einer Pilgerfahrt zum Ammontempel mitgenommen. Dann hatte er in den Wäldern der Garamanten Elefanten gejagt. Später war er in karthagischen Söldnerdienst gegangen. Bei der Einnahme von Drepanum war er zum Offizier befördert worden. Die Republik schuldete ihm vier Pferde, zwölfhundert Liter Getreide und den Sold für einen Winter. Er war gottesfürchtig und wünschte, dermaleinst in seiner Heimat zu sterben.
Spendius erzählte ihm von seinen Reisen, von den Völkern und Tempeln, die er besucht
hatte. Er verstand sich auf viele Dinge. Er konnte Sandalen, Jagdgerät und Netze anfertigen, wilde Tiere zähmen und Gifte bereiten.
Bisweilen unterbrach er sich und stieß einen heisern Schrei aus. Daraufhin beschleunigte Mathos Maultier seinen Gang, und die andern beeilten sich zu folgen. Dann erzählte Spendius weiter, aber immer voll Angst und Furcht. Erst am Abend des vierten Tages ward er ruhiger.
Die beiden ritten nebeneinander her, seitwärts rechts vom Heer, auf dem Abhang eines
Hügelzuges. Drunten dehnte sich die weite Ebene, in den Nebeln der Nacht verloren. Die Reihen der tiefer dahinmarschierenden Soldaten sahen im Dunkeln wie Wellen aus. Von Zeit zu Zeit kamen sie über mondbeglänzte Anhöhen. Dann sprühten Sterne an den Spitzen der Lanzen, und das Mondlicht gleißte auf den Helmen. Ein paar Augenblicke lang, dann verschwand alles, und immer neue Trupps kamen. In der Ferne blökten aufgeschreckte Herden. Es war, als ob unendlicher Friede auf die Erde herabsänke.
Mit zurückgebogenem Kopfe und halbgeschlossenen Lidern sog Spendius in tiefen Zügen den frischen Wind ein. Er streckte die Arme aus und spreizte die Finger, um den kosenden Hauch, der seinen Körper umströmte, noch besser zu spüren. Seine Hoffnung auf Rache war wiedergekehrt und begeisterte ihn. Er preßte die Hand auf den Mund, um
ein Jauchzen zu ersticken, und halb bewußtlos in seinem Glücksrausch, überließ er die Zügel seinem Dromedar, das mit geräumigen gleichmäßigen Schritten vorwärts ging.
Matho war in seine Schwermut zurückgesunken. Seine Beine hingen bis zur Erde hinab,
und seine Panzerstiefel fegten mit stetem Geräusch das Gras.
Indessen zog sich der Weg in die Länge, als wolle er kein Ende nehmen. Hatte man ein
Stück Ebene durchschritten, so kam man jedesmal auf ein rundes Hochland, und dann ging es wieder in eine Niederung hinab. Die Berge, die den Horizont zu begrenzen schienen, wichen beim Näherkommen immer von neuem in die Ferne. Von Zeit zu Zeit blinkte ein Bach zwischen dem Grün von Tamarisken, aber schon hinter dem nächsten Hügel verkroch er sich wieder. Hier und da ragte ein Felsblock auf, der wie ein Schiffsbug aussah oder wie der Sockel eines verschwundenen Kolosses.
In regelmäßigen Abständen traf man auf kleine viereckige Kapellen: Raststätten für die Pilger, die gen Sikka wanderten. Die Libyer, die Einlaß begehrten, klopften mit starken Schlägen an die Pforten: doch niemand im Innern antwortete.
Dann wurden die bebauten Felder seltener. Unvermittelt folgten Sandstrecken, mit Dornengestrüpp bewachsen. Schafherden weideten zwischen großen Steinen. Eine Frau –
ein blaues Schurzfell um die Hüften – hütete sie. Sobald sie die Lanzen der Soldaten zwischen den Felsen erblickte, entfloh sie kreischend.
Der Marsch ging durch ein breites Tal, das von zwei rötlichen Hügelketten eingesäumt
wurde. Ein ekelhafter Geruch drang dem Heere entgegen, und an der Krone eines Johannisbrotbaumes hing etwas Seltsames: ein Löwenkopf, der über den Wipfel
hinausragte.
Sie liefen näher. Es war ein Löwe, den man an allen vieren wie einen Verbrecher ans Kreuz genagelt hatte. Der riesige Kopf hing auf die Brust herab, und die zwei Vordertatzen, die unter der üppigen Mähne zur Hälfte verschwanden, waren weit auseinandergespreizt wie die Flügel eines Vogels. Die Rippen traten unter der stark gespannten Haut einzeln hervor. Die Hinterbeine waren übereinander genagelt und ein wenig emporgezogen. Schwarzes Blut war am Fell herabgesickert und am Ende des
Schweifes, der senkrecht herabhing, zu dicken Klumpen geronnen. Die Söldner standen lachend rundherum, nannten den toten Löwen »Konsul« und »Römischer Bürger« und warfen Steine nach seinen Augen, um die Fliegen aufzuscheuchen.
Hundert Schritte weiter kamen zwei andre Kreuze. Und mit einem Male tauchte ihrer eine ganze Reihe auf. An jedem ein Löwe. Manche waren schon so lange tot, daß nur noch die Reste ihrer Gerippe am Holze hingen: andere, zur Hälfte zernagt, verzerrten den Rachen zu furchtbaren Grimassen. Etliche waren ungeheuer groß. Die Stämme der Kreuze
bogen sich unter ihnen. Sie schaukelten im Winde, während Rabenschwärme unablässig über ihren Köpfen kreisten. So rächten sich die karthagischen Bauern an den Raubtieren, die sie fingen. Sie hofften, die andern durch dieses Beispiel zu schrecken. Die Barbaren lachten nicht mehr. Tiefes Staunen ergriff sie. »Welch ein Volk,« dachten sie, »das zu seinem Vergnügen Löwen kreuzigt!«
Übrigens waren sie, besonders die Nordländer, eigentümlich nervös erregt und halbkrank. Ihre Hände waren wund von den Stacheln der Aloe. Große Stechmücken summten ihnen um die Ohren. Die Ruhr brach im Heere aus. Man war verdrossen, daß Sikka noch immer nicht sichtbar ward. Man bekam Angst, sich in die Wüste zu verirren, in die Regionen des Sandes und des Schreckens. Viele wollten nicht mehr weiter marschieren. Ein Teil machte sich auf den Rückweg nach Karthago.
Endlich am siebenten Tage, nachdem man lange am Fuße eines Berges hingewandert war, bog der Weg plötzlich scharf nach rechts ab, und ein Mauerstreifen, auf weißen Felsen ruhend und gleichsam eins geworden mit ihnen, tauchte auf. Alsbald grüßte die ganze Stadt. Blaue, gelbe, weiße Schleier wehten im Abendrot über den Mauern. Es waren die Priesterinnen der Tanit, die zum Empfange der Söldner herbeigeeilt kamen. Sie standen in langen Reihen auf dem Walle, schlugen Handtrommeln und Zithern und Kastagnetten. Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter den numidischen Bergen versank, spielten an den Harfensaiten und den nackten Armen. Von Zeit zu Zeit schwiegen die Instrumente plötzlich, und ein schriller, grausiger, wilder, langgezogener Schrei erklang, eine Art Geheul, das durch eine vibrierende Zungenbewegung hervorgebracht ward.
Etliche der Priesterinnen lagen mit aufgestützten Ellbogen, das Kinn in der Hand, unbeweglicher denn Sphinxe, und starrten aus großen schwarzen Augen das herannahende
Heer an.
Obgleich Sikka ein Wallfahrtsort war, vermochte es eine solche Menschenmenge nicht
zu bergen. Der Tempel allein mit seinen Nebengebäuden nahm die Hälfte der Stadt ein.
Die Barbaren lagerten sich daher ganz nach Belieben in der Ebene, die Disziplinierten in regelmäßigen Abteilungen, die andern nach Völkern oder wie es ihnen just gutdünkte.
Die Griechen schlugen ihre Zelte aus Fellen in gleichlaufenden Reihen auf. Die Iberer bauten ihre Leinendächer im Kreise. Die Gallier errichteten sich Bretterbuden, die Libyer Hütten aus Steinhaufen, und die Neger scharrten sich mit ihren Nägeln Gruben in den Sand, darin sie schliefen. Viele, die sich nicht unterzubringen wußten, trieben sich zwischen den Packwagen umher und verbrachten in ihren zerschlissenen Mänteln die Nächte auf dem Erdboden.
Die Ebene dehnte sich im weiten Kreise, rings von Bergzügen begrenzt. Hier und dort
neigte sich ein Palmbaum über einen Sandhügel. Fichten und Eichen sprenkelten die
Abhänge mit grünen Flecken. Bisweilen hing ein Gewitterregen in langen Fransen vom Himmel herab, der blau und klar über der Landschaft lachte. Dann wirbelte ein warmer Wind Staubwolken auf, und ein Gießbach stürzte in Kaskaden von Sikkas Felsenhöhe herab, auf der sich der Tempel der karthagischen Venus, der Herrin des Landes, mit seinen ehernen Säulen und seinem goldenen Dache erhob. Sie erfüllte die Landschaft mit ihrer Seele. Das Übermaß ihrer Kraft offenbarte sich in den Erschütterungen des Bodens, im jähen Wechsel von Wärme und Kälte, und die Schönheit ihres ewigen Lächelns im Spiele
der Beleuchtung. Die Berggipfel hatten die Form von Mondsicheln, oder sie glichen vollen Frauenbrüsten. Die Barbaren verspürten vor dieser Augenweide bei aller Ermüdung vom Marsche wonnevolles Wohlgefühl.
Spendius hatte sich für den Erlös seines Kamels einen Sklaven gekauft. Den ganzen Tag lang schlief er, vor Mathos Zelt ausgestreckt. Oft schreckte er empor. Er wähnte im Traume das Sausen der Peitsche zu hören. Dann strich er lächelnd mit der Hand über die Narben an seinen Beinen, an den Stellen, wo so lange die Eisen gedrückt hatten, und schlief wieder ein.
Matho duldete seine Gesellschaft. Wenn er ausging, begleitete ihn Spendius wie ein Trabant, mit einem langem Schwert an der Seite; oder Matho stützte nachlässig den Arm auf seine Schulter, denn Spendius war klein.
Eines Abends, als sie zusammen durch die Lagergassen gingen, erblickten sie Männer
in weißen Mänteln; unter ihnen Naravas, den numidischen Fürsten. Matho erbebte.
»Dein Schwert!« rief er. »Ich will ihn töten!«
»Noch nicht!« bat Spendius und hielt ihn zurück.