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Das eigentliche Leben Wagner's, das heisst die allmähliche Offenbarung des dithyrambischen Dramatikers war zugleich ein unausgesetzter Kampf mit sich selbst, soweit er nicht nur dieser dithyrambische Dramatiker war: der Kampf mit der widerstrebenden Welt wurde für ihn nur deshalb so grimmig und unheimlich, weil er diese "Welt," diese verlockende Feindin, aus sich selber reden hörte und weil er einen gewaltigen Dämon des Widerstrebens in sich beherbergte. Als der herrschende Gedanke seines Lebens in ihm aufstieg, dass vom Theater aus eine unvergleichliche Wirkung, die grösste Wirkung aller Kunst ausgeübt werden könne, riss er sein Wesen in die heftigste Gärung. Es war damit nicht sofort eine klare, lichte Entscheidung über sein weiteres Begehren und Handeln gegeben; dieser Gedanke erschien zuerst fast nur in versucherischer Gestalt, als Ausdruck jenes finsteren, nach Macht und Glanz unersättlich verlangenden persönlichen Willens. Wirkung, unvergleichliche Wirkung—wodurch? auf wen?—das war von da an das rastlose Fragen und Suchen seines Kopfes und Herzens. Er wollte siegen und erobern, wie noch kein Künstler und womöglich mit Einem Schlage zu jener tyrannischen Allmacht kommen, zu welcher es ihn so dunkel trieb. Mit eifersüchtigem, tief spähendem Blicke mass er Alles, was Erfolg hatte, noch mehr sah er sich Den an, auf welchen gewirkt werden musste. Durch das zauberhafte Auge des Dramatikers, der in den Seelen wie in der ihm geläufigsten Schrift liest, ergründete er den Zuschauer und Zuhörer, und ob er auch oft bei diesem Verständniss unruhig wurde, griff er doch sofort nach den Mitteln, ihn zu bezwingen. Diese Mittel waren ihm zur Hand; was auf ihn stark wirkte, das wollte und konnte er auch machen; von seinen Vorbildern verstand er auf jeder Stufe ebensoviel als er auch selber bilden konnte, er zweifelte nie daran, Das auch zu können, was ihm gefiel. Vielleicht ist er hierin eine noch "praesumptuösere" Natur als Goethe, der von sich sagte: "immer dachte ich, ich hätte es schon; man hätte mir eine Krone aufsetzen können und ich hätte gedacht, Das verstehe sich von selbst." Wagner's Können und sein "Geschmack" und ebenso seine Absicht—alles diess passte zu allen Zeiten so eng in einander, wie ein Schlüssel in ein Schloss:—es wurde mit einander gross und frei—aber damals war es diess nicht. Was gieng ihn die schwächliche, aber edlere und doch selbstisch—einsame Empfindung an, welche der oder jener litterarisch und ästhetisch erzogene Kunstfreund abseits von der grossen Menge hatte! Aber jene gewaltsamen Stürme der Seelen, welche von der grossen Menge bei einzelnen Steigerungen des dramatischen Gesanges erzeugt werden, jener plötzlich um sich greifende Rausch der Gemüther, ehrlich durch und durch und selbstlos—Das war der Wiederhall seines eigenen Erfahrens und Fühlens, dabei durchdrang ihn eine glühende Hoffnung auf höchste Macht und Wirkung! So verstand er denn die grosse Oper als sein Mittel, durch welches er seinen herrschenden Gedanken ausdrücken könnte; nach ihr drängte ihn seine Begierde, nach ihrer Heimath richtete sich sein Ausblick. Ein längerer Zeitraum seines Lebens, sammt den verwegensten Wandlungen seiner Pläne, Studien, Aufenthalte, Bekanntschaften, erklärt sich allein aus dieser Begierde und den äusseren Widerständen, denen der dürftige, unruhige, leidenschaftlich-naive deutsche Künstler begegnen musste. Wie man auf diesem Gebiete zum Herren werde, verstand ein anderer Künstler besser; und jetzt, da es allmählich bekannt geworden ist, durch welches überaus künstlich gesponnene Gewebe von Beeinflussungen aller Art Meyerbeer jeden seiner grossen Siege vorzubereiten und zu erreichen wusste und wie ängstlich die Abfolge der "Effecte" in der Oper selbst erwogen wurde, wird man auch den Grad von beschämter Erbitterung verstehen, welche über Wagner kam, als ihm über diese beinahe nothwendigen "Kunstmittel," dem Publikum einen Erfolg abzuringen, die Augen geöffnet wurden. Ich zweifle, ob es einen grossen Künstler in der Geschichte gegeben hat, der mit einem so ungeheuren Irrthume anhob und so unbedenklich und treuherzig sich mit der empörendsten Gestaltung einer Kunst einliess: und doch war die Art, wie er es that, von Grösse und deshalb von erstaunlicher Fruchtbarkeit. Denn er begriff, aus der Verzweifelung des erkannten Irrthums heraus, den modernen Erfolg, das moderne Publikum und das ganze moderne Kunst-Lügenwesen. Indem er zum Kritiker des "Effectes" wurde, durchzitterten ihn die Ahnungen einer eigenen Läuterung. Es war, als ob von jetzt ab der Geist der Musik mit einem ganz neuen seelischen Zauber zu ihm redete. Wie wenn er aus einer langen Krankheit wieder an's Licht käme, traute er kaum mehr Hand und Auge, er schlich seines Wegs dahin; und so empfand er es als eine wundervolle Entdeckung, dass er noch Musiker, noch Künstler sei, ja dass er es jetzt erst geworden sei.
Jede weitere Stufe im Werden Wagner's wird dadurch bezeichnet, dass die beiden Grundkräfte seines Wesens sich immer enger zusammenschliessen: die Scheu der einen vor der anderen lässt nach, das höhere Selbst begnadet von da an den gewaltsamen irdischeren Bruder nicht mehr mit seinem Dienste, es liebt ihn und muss ihm dienen. Das Zarteste und Reinste ist endlich, am Ziele der Entwickelung, auch im Mächtigsten enthalten, der ungestüme Trieb geht seinen Lauf wie vordem, aber auf anderen Bahnen, dorthin, wo das höhere Selbst heimisch ist; und wiederum steigt dieses zur Erde herab und erkennt in allem Irdischen sein Gleichniss. Wenn es möglich wäre, in dieser Art vom letzten Ziele und Ausgange jener Entwickelung zu reden und noch verständlich zu bleiben, so dürfte auch die bildhafte Wendung zu finden sein, durch welche eine lange Zwischenstufe jener Entwickelung bezeichnet werden könnte; aber ich zweifle an jenem und versuche deshalb auch dieses nicht. Diese Zwischenstufe wird historisch durch zwei Worte gegen die frühere und spätere abgegränzt: Wagner wird zum Revolutionär der Gesellschaft, Wagner erkennt den einzigen bisherigen Künstler, das dichtende Volk. Der herrschende Gedanke, welcher nach jener grossen Verzweifelung und Busse in neuer Gestalt und mächtiger als je vor ihm erschien, führte ihn zu beidem. Wirkung, unvergleichliche Wirkung vom Theater aus!- aber auf wen? Ihm schauderte bei der Erinnerung, auf wen er bisher hatte wirken wollen. Von seinem Erlebniss aus verstand er die ganze schmachvolle Stellung, in welcher die Kunst und die Künstler sich befinden: wie eine seelenlose oder seelenharte Gesellschaft, welche sich die gute nennt und die eigentlich böse ist, Kunst und Künstler zu ihrem sclavischen Gefolge zählt, zur Befriedigung von Scheinbedürfnissen. Die moderne Kunst ist Luxus: Das begriff er ebenso wie das andere, dass sie mit dem Rechte einer Luxus-Gesellschaft stehe und falle. Nicht anders als diese durch die hartherzigste und klügste Benutzung ihrer Macht die Unmächtigen, das Volk, immer dienstbarer, niedriger und unvolksthümlicher zu machen und aus ihm den modernen "Arbeiter" zu schaffen wusste, hat sie auch dem Volke das Grösste und Reinste, was es aus tiefster Nöthigung sich erzeugte und worin es als der wahre und einzige Künstler seine Seele mildherzig mittheilte, seinen Mythus, seine Liedweise, seinen Tanz, seine Spracherfindung entzogen, um daraus ein wollüstiges Mittel gegen die Erschöpfung und die Langeweile ihres Daseins zu destilliren—die modernen Künste. Wie diese Gesellschaft entstand, wie sie aus den scheinbar entgegengesetzten Machtsphären sich neue Kräfte anzusaugen wusste, wie zum Beispiel das in Heuchelei und Halbheiten verkommene Christenthum sich zum Schutze gegen das Volk, als Befestigung jener Gesellschaft und ihres Besitzes, gebrauchen liess und wie Wissenschaft und Gelehrte sich nur zu geschmeidig in diesen Frohndienst begaben, Das alles verfolgte Wagner durch die Zeiten hin, um am Schlusse seiner Betrachtungen vor Ekel und Wuth aufzuspringen: er war aus Mitleid mit dem Volke zum Revolutionär geworden. Von jetzt ab liebte er es und sehnte sich nach ihm, wie er sich nach seiner Kunst sehnte, denn ach! nur in ihm, nur im entschwundenen, kaum mehr zu ahnenden, künstlich entrückten Volke sah er jetzt den einzigen Zuschauer und Zuhörer, welcher der Macht seines Kunstwerkes, wie er es sich träumte, würdig und gewachsen sein möchte. So sammelte sich sein Nachdenken um die Frage: Wie entsteht das Volk? Wie ersteht es wieder?.
Er fand immer nur eine Antwort:—wenn eine Vielheit dieselbe Noth litte, wie er sie leidet, Das wäre das Volk, sagte er sich. Und wo die gleiche Noth zum gleichen Drange und Begehren führen würde, müsste auch dieselbe Art der Befriedigung gesucht, das gleiche Glück in dieser Befriedigung gefunden werden. Sah er sich nun darnach um, was ihn selber in seiner Noth am tiefsten tröstete und aufrichtete, was seiner Noth am seelenvollsten entgegenkäme, so war er sich mit beseligender Gewissheit bewusst, dass diess nur der Mythus und die Musik seien, der Mythus, den er als Erzeugniss und Sprache der Noth des Volkes kannte, die Musik, ähnlichen obschon noch räthselvolleren Ursprungs. In diesen beiden Elementen badet und heilt er seine Seele, ihrer bedarf er am brünstigsten:—von da aus darf er zurückschliessen, wie verwandt seine Noth mit der des Volkes sei, als es entstand, und wie das Volk dann wieder erstehen müsse, wenn es viele Wagner geben werde. Wie lebten nun Mythus und Musik in unserer modernen Gesellschaft, soweit sie derselben nicht zum Opfer gefallen waren? Ein ähnliches Loos war ihnen zu Theil geworden, zum Zeugniss ihrer geheimnissvollen Zusammengehörigkeit: der Mythus war tief erniedrigt und entstellt, zum "Märchen," zum spielerisch beglückenden Besitz der Kinder und Frauen des verkümmerten Volkes umgeartet, seiner wundervollen, ernst-heiligen Mannes-Natur gänzlich entkleidet; die Musik hatte sich unter den Armen und Schlichten, unter den Einsamen erhalten, dem deutschen Musiker war es nicht gelungen, sich mit Glück in den Luxus-Betrieb der Künste einzuordnen, er war selber zum ungethümlichen verschlossenen Märchen geworden, voll der rührendsten Laute und Anzeichen ein unbehülflicher Frager, etwas ganz Verzaubertes und Erlösungsbedürftiges. Hier hörte der Künstler deutlich den Befehl, der an ihn allein ergieng—den Mythus in's Männliche zurückzuschaffen und die Musik zu entzaubern, zum Reden zu bringen: er fühlte seine Kraft zum Drama mit einem Male entfesselt, seine Herrschaft über ein noch unentdecktes Mittelreich zwischen Mythus und Musik begründet. Sein neues Kunstwerk, in welchem er alles Mächtige, Wirkungsvolle, Beseligende, was er kannte, zusammenschloss, stellte er jetzt mit seiner grossen schmerzlich einschneidenden Frage vor die Menschen hin: "Wo seid ihr, welche ihr gleich leidet und bedürft wie ich? Wo ist die Vielheit welche ich als Volk ersehne? Ich will euch daran erkennen, dass ihr das gleiche Glück, den gleichen Trost mit mir gemein haben sollt: an eurer Freude soll sich mir euer Leiden offenbaren!" Mit dem Tannhäuser und dem Lohengrin fragte er also, sah er sich also nach Seinesgleichen um; der Einsame dürstete nach der Vielheit.
Aber wie wurde ihm zu Muthe? Niemand gab eine Antwort Niemand hatte die Frage verstanden. Nicht dass man überhaupt stille geblieben wäre, im Gegentheil, man antwortete auf tausend Fragen, die er gar nicht gestellt hatte, man zwitscherte über die neuen Kunstwerke, als ob sie ganz eigentlich zum Zerredetwerden geschaffen wären. Die ganze ästhetische Schreib- und Schwatzseligkeit brach wie ein Fieber unter den Deutschen aus, man mass und fingerte an den Kunstwerken, an der Person des Künstlers herum, mit jenem Mangel an Scham, welcher den deutschen Gelehrten nicht weniger, als den deutschen Zeitungsschreibern zu eigen ist. Wagner versuchte dem Verständniss seiner Frage durch Schriften nachzuhelfen: neue Verwirrung, neues Gesumme—ein Musiker, der schreibt und denkt, war aller Welt damals ein Unding; nun schrie man, es ist ein Theoretiker, welcher aus erklügelten Begriffen die Kunst umgestalten will, steinigt ihn!— Wagner war wie betäubt; seine Frage wurde nicht verstanden, seine Noth nicht empfunden, sein Kunstwerk sah einer Mittheilung an Taube und Blinde, sein—Volk einem Hirngespinste ähnlich; er taumelte und gerieth in's Schwanken. Die Möglichkeit eines völligen Umsturzes aller Dinge taucht vor seinen Blicken auf, er erschrickt nicht mehr über diese Möglichkeit: vielleicht ist jenseits der Umwälzung und Verwüstung eine neue Hoffnung aufzurichten, vielleicht auch nicht—und jedenfalls ist das Nichts besser, als das widerliche Etwas. In Kürze war er politischer Flüchtling und im Elend.
Und jetzt erst, gerade mit dieser furchtbaren Wendung seines äusseren und inneren Schicksals, beginnt der Abschnitt im Leben des grossen Menschen, auf dem das Leuchten höchster Meisterschaft wie der Glanz flüssigen Goldes liegt! Jetzt erst wirft der Genius der dithyrambischen Dramatik die letzte Hülle von sich! Er ist vereinsamt, die Zeit erscheint ihm nichtig, er hofft nicht mehr: so steigt sein Weltblick in die Tiefe, nochmals, und jetzt hinab bis zum Grunde: dort sieht er das Leiden im Wesen der Dinge und nimmt von jetzt ab, gleichsam unpersönlicher geworden, seinen Theil von Leiden stiller hin. Das Begehren nach höchster Macht, das Erbgut früherer Zustände, tritt ganz in's künstlerische Schaffen über; er spricht durch seine Kunst nur noch mit sich, nicht mehr mit einem Publicum oder Volke und ringt darnach, ihr die grösste Deutlichkeit und Befähigung für ein solches mächtigstes Zwiegespräch zu geben. Es war auch im Kunstwerke der vorhergehenden Periode noch anders: auch in ihm hatte er eine, wenngleich zarte und veredelte, Rücksicht auf sofortige Wirkung genommen: als Frage war jenes Kunstwerk ja gemeint, es sollte eine sofortige Antwort hervorrufen; und wie oft wollte Wagner es Denen, welche er fragte, erleichtern, ihn zu verstehen—so dass er ihnen und ihrer Ungeübtheit im Gefragtwerden entgegenkam und an ältere Formen und Ausdrucksmittel der Kunst sich anschmiegte; wo er fürchten musste, mit seiner eigensten Sprache nicht zu überzeugen und verständlich zu werden, hatte er versucht zu überreden und in einer halb fremden, seinen Zuhörern aber bekannteren Zunge seine Frage kund zu thun. Jetzt gab es nichts mehr, was ihn zu einer solchen Rücksicht hätte bestimmen können, er wollte jetzt nur noch Eins: sich mit sich verständigen, über das Wesen der Welt in Vorgängen denken, in Tönen philosophiren; der Rest des Absichtlichen in ihm geht auf die letzten Einsichten aus. Wer würdig ist zu wissen, was damals in ihm vorgieng, worüber er in dem heiligsten Dunkel seiner Seele mit sich Zwiesprache pflog—es sind nicht viele dessen würdig: der höre, schaue und erlebe Tristan und Isolde, das eigentliche opus metaphysicum aller Kunst, ein Werk, auf dem der gebrochene Blick eines Sterbenden liegt, mit seiner unersättlichen süssesten Sehnsucht nach den Geheimnissen der Nacht und des Todes, fern weg von dem Leben, welches als das Böse, Trügerische, Trennende in einer grausenhaften, gespenstischen Morgenhelle und Schärfe leuchtet: dabei ein Drama von der herbsten Strenge der Form, überwältigend in seiner schlichten Grösse und gerade nur so dem Geheimniss gemäss, von dem es redet, dem Todt-sein bei lebendigem Leibe, dem Eins-sein in der Zweiheit. Und doch ist noch Etwas wunderbarer als diess Werk: der Künstler selber, der nach ihm in einer kurzer Spanne Zeit ein Weltbild der verschiedensten Färbung, die Meistersinger von Nürnberg, schaffen konnte, ja der in beiden Werken gleichsam nur ausruhte und sich erquickte, um den vor ihnen entworfenen und begonnenen viertheiligen Riesenbau mit gemessener Eile zu Ende zu thürmen, sein Sinnen und Dichten durch zwanzig Jahre hindurch, sein Bayreuther Kunstwerk, den Ring des Nibelungen! Wer sich über die Nachbarschaft des Tristan und der Meistersinger befremdet fühlen kann, hat das Leben und Wesen aller wahrhaft grossen Deutschen in einem wichtigen Puncte nicht verstanden: er weiss nicht, auf welchem Grunde allein jene eigentlich und einzig deutsche Heiterkeit Luther's, Beethoven's und Wagner's erwachsen kann, die von anderen Völkern gar nicht verstanden wird und den jetzigen Deutschen selber abhanden gekommen scheint—jene goldhelle durchgegohrene Mischung von Einfalt, Tiefblick der Liebe, betrachtendem Sinne und Schalkhaftigkeit, wie sie Wagner als den köstlichsten Trank allen Denen eingeschenkt hat, welche tief am Leben gelitten haben und sich ihm gleichsam mit dem Lächeln der Genesenden wieder zukehren. Und wie er selber so versöhnter in die Welt blickte, seltener von Grimm und Ekel erfasst wurde, mehr in Trauer und Liebe auf Macht verzichtend als vor ihr zurückschaudernd, wie er so in Stille sein grösstes Werk förderte und Partitur neben Partitur legte, geschah Einiges, was ihn aufhorchen liess: die Freunde kamen, eine unterirdische Bewegung vieler Gemüther ihm anzukündigen—es war noch lange nicht das "Volk," das sich bewegte und hier ankündigte, aber vielleicht der Keim und erste Lebensquell einer in ferner Zukunft vollendeten, wahrhaft menschlichen Gesellschaft; zunächst nur die Bürgschaft, dass sein grosses Werk einmal in Hand und Hut treuer Menschen gelegt werden könne, welche über dieses herrlichste Vermächtniss an die Nachwelt zu wachen hätten und zu wachen würdig wären; in der Liebe der Freunde wurden die Farben am Tage seines Lebens leuchtender und wärmer; seine edelste Sorge, gleichsam noch vor Abend mit seinem Werke an's Ziel zu kommen und für dasselbe eine Herberge zu finden, wurde nicht mehr von ihm allein gehegt. Und da begab sich ein Ereigniss, welches von ihm nur symbolisch verstanden werden konnte und für ihn einen neuen Trost, ein glückliches Wahrzeichen bedeutete. Ein grosser Krieg der Deutschen liess ihn aufblicken, derselben Deutschen, welche er so tief entartet, so abgefallen von dem hohen deutschen Sinne wusste, wie er ihn in sich und den anderen grossen Deutschen der Geschichte mit tiefstem Bewusstsein erforscht und erkannt hatte—er sah, dass diese Deutschen in einer ganz ungeheuren Lage zwei ächte Tugenden: schlichte Tapferkeit und Besonnenheit zeigten und begann mit innerstem Glücke zu glauben, dass er vielleicht doch nicht der letzte Deutsche sei und dass seinem Werke einmal noch eine gewaltigere Macht zur Seite stehen werde als die aufopfernde, aber geringe Kraft der wenigen Freunde, für jene lange Dauer, wo es seiner ihm vorherbestimmten Zukunft, als das Kunstwerk dieser Zukunft entgegenharren soll. Vielleicht, dass dieser Glaube sich nicht dauernd vor dem Zweifel schützen konnte, je mehr er sich besonders zu sofortigen Hoffnungen zu steigern suchte: genug, er empfand einen mächtigen Anstoss, um sich an eine noch unerfüllte hohe Pflicht erinnert zu fühlen.
Sein Werk wäre nicht fertig, nicht zu Ende gethan gewesen, wenn er es nur als schweigende Partitur der Nachwelt anvertraut hätte: er musste das Unerrathbarste, ihm Vorbehaltenste, den neuen Styl für seinen Vortrag, seine Darstellung öffentlich zeigen und lehren, um das Beispiel zu geben, welches kein Anderer geben konnte und so eine Styl-Ueberlieferung zu begründen, die nicht in Zeichen auf Papier, sondern in Wirkungen auf menschliche Seelen eingeschrieben ist. Diess war um so mehr für ihn zur ernstesten Pflicht geworden, als seine anderen Werke inzwischen, gerade in Beziehung auf Styl des Vortrags, das unleidlichste und absurdeste Schicksal gehabt hatten: sie waren berühmt, bewundert und wurden—gemisshandelt, und Niemand schien sich zu empören. Denn so seltsam die Thatsache klingen mag: während er auf Erfolg bei seinen Zeitgenossen, in einsichtigster Schätzung derselben, immer grundsätzlicher verzichtete und dem Gedanken der Macht entsagte, kam ihm der "Erfolg" und die "Macht"; wenigstens erzählte ihm alle Welt davon. Es half Nichts, dass er auf das Entschiedenste das durchaus Missverständliche, ja für ihn Beschämende jener "Erfolge" immer wieder an's Licht stellte; man war so wenig daran gewöhnt, einen Künstler in der Art seiner Wirkungen streng unterscheiden zu sehen, dass man selbst seinen feierlichsten Verwahrungen nicht einmal recht traute. Nachdem ihm der Zusammenhang unseres heutigen Theaterwesens und Theatererfolges mit dem Charakter des heutigen Menschen aufgegangen war, hatte seine Seele Nichts mehr mit diesem Theater zu schaffen; um ästhetische Schwärmerei und den Jubel aufgeregter Massen war es ihm nicht mehr zu thun, ja es musste ihn ergrimmen, seine Kunst so unterschiedlos in den gähnenden Rachen der unersättlichen Langenweile und Zerstreuungs-Gier eingehen zu sehen. Wie flach und gedanken-bar hier jede Wirkung sein musste, wie es hier wirklich mehr auf die Füllung eines Nimmersatten, als auf die Ernährung eines Hungernden ankäme, schloss er zumal aus einer regelmässigen Erscheinung: man nahm überall auch von Seiten der Aufführenden und Vortragenden seine Kunst wie jede andere Bühnenmusik hin, nach dem widerlichen Receptir-Buche des Opernstyles, ja man schnitt und hackte sich seine Werke, Dank den gebildeten Kapellmeistern, geradewegs zur Oper zurecht, wie der Sänger ihnen erst nach sorgfältiger Entgeistung beizukommen glaubte; und wenn man es recht gut machen wollte, gieng man mit einer Ungeschicklichkeit und einer prüden Beklemmung auf Wagner's Vorschriften ein, ungefähr so, als ob man den nächtlichen Volks-Auflauf in den Strassen Nürnberg's, wie er im zweiten Acte der Meistersinger vorgeschrieben ist, durch künstlich figurirende Ballettänzer darstellen wollte:—und bei alledem schien man im guten Glauben, ohne böse Nebenabsichten zu handeln. Wagner's aufopfernde Versuche, durch die That und das Beispiel nur wenigstens auf schlichte Correctheit und Vollständigkeit der Aufführung hinzuweisen und einzelne Sänger in den ganz neuen Styl des Vortrags einzuführen, waren immer wieder vom Schlamm der herrschenden Gedankenlosigkeit und Gewohnheit weggeschwemmt worden; sie hatten ihn überdiess immer zu einem Befassen mit eben dem Theater genöthigt, dessen ganzes Wesen ihm zum Ekel geworden war. Hatte doch selbst Goethe die Lust verloren, den Aufführungen seiner Iphigenie beizuwohnen, "ich leide entsetzlich, hatte er zur Erklärung gesagt, wenn ich mich mit diesen Gespenstern herumschlagen muss, die nicht so zur Erscheinung kommen wie sie sollten." Dabei nahm der "Erfolg" an diesem ihm widerlich gewordenen Theater immer zu; endlich kam es dahin, dass gerade die grossen Theater fast zumeist von den fetten Einnahmen lebten, welche die Wagnerische Kunst in ihrer Verunstaltung als Opernkunst ihnen eintrug. Die Verwirrung über diese wachsende Leidenschaft des Theater-Publikums ergriff selbst manche Freunde Wagner's: er musste das Herbste erdulden—der grosse Dulder!—und seine Freunde von "Erfolgen" und "Siegen" berauscht sehen, wo sein einzig-hoher Gedanke gerade mitten hindurch zerknickt und verleugnet war. Fast schien es, als ob ein in vielen Stücken ernsthaftes und schweres Volk sich in Bezug auf seinen ernstesten Künstler eine grundsätzliche Leichtfertigkeit nicht verkümmern lassen wollte, als ob sich gerade deshalb an ihm alles Gemeine, Gedankenlose, Ungeschickte und Boshafte des deutschen Wesens auslassen müsste.— Als sich nun während des deutschen Krieges eine grossartigere, freiere Strömung der Gemüther zu bemächtigen schien, erinnerte sich Wagner seiner Pflicht der Treue, um wenigstens sein grösstes Werk vor diesen missverständlichen Erfolgen und Beschimpfungen zu retten und es in seinem eigensten Rhythmus, zum Beispiel für alle Zeiten hinzustellen: so erfand er den Gedanken von Bayreuth. Im Gefolge jener Strömung der Gemüther glaubte er auch auf der Seite Derer, welchen er seinen kostbarsten Besitz anvertrauen wollte, ein erhöhteres Gefühl von Pflicht erwachen zu sehen:—aus dieser Doppelseitigkeit von Pflichten erwuchs das Ereigniss, welches wie ein fremdartiger Sonnenglanz auf der letzten und nächsten Reihe von Jahren liegt: zum Heile einer fernen, einer nur möglichen, aber unbeweisbaren Zukunft ausgedacht, für die Gegenwart und die nur gegenwärtigen Menschen nicht viel mehr, als ein Räthsel oder ein Greuel, für die Wenigen, die an ihm helfen durften, ein Vorgenuss, ein Vorausleben der höchsten Art, durch welches sie weit über ihre Spanne Zeit sich beseligt, beseligend und fruchtbar wissen, für Wagner selbst eine Verfinsterung von Mühsal, Sorge, Nachdenken, Gram, eine erneutes Wüthen der feindseligen Elemente, aber Alles überstrahlt von dem Sterne der selbstlosen Treue, und, in diesem Lichte, zu einem unsäglichen Glücke umgewandelt!
Man braucht es kaum auszusprechen: es liegt der Hauch des Tragischen auf diesem Leben. Und Jeder, der aus seiner eigenen Seele Etwas davon ahnen kann, Jeder, für den der Zwang einer tragischen Täuschung über das Lebensziel, das Umbiegen und Brechen der Absichten, das Verzichten und Gereinigt-werden durch Liebe keine ganz fremden Dinge sind, muss in Dem, was Wagner uns jetzt im Kunstwerke zeigt, ein traumhaftes Zurückerinnern an das eigene heldenhafte Dasein des grossen Menschen fühlen. Ganz von ferne her wird uns zu Muthe sein, als ob Siegfried von seinen Thaten erzählte: im rührendsten Glück des Gedenkens webt die tiefe Trauer des Spätsommers, und alle Natur liegt still in gelbem Abendlichte. —
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Darüber nachzudenken, was Wagner, der Künstler, ist und an dem Schauspiele eines wahrhaft frei gewordenen Könnens und Dürfens betrachtend vorüberzugehen: Das wird Jeder zu seiner Heilung und Erholung nöthig haben, der darüber, wie Wagner, der Mensch, wurde, gedacht und gelitten hat. Ist die Kunst überhaupt eben nur das Vermögen, Das an Andere mitzutheilen, was man erlebt hat, widerspricht jedes Kunstwerk sich selbst, wenn es sich nicht zu verstehen geben kann: so muss die Grösse Wagner's, des Künstlers, gerade in jener dämonischen Mittheilbarkeit seiner Natur bestehen, welche gleichsam in allen Sprachen von sich redet und das innere, eigenste Erlebniss mit der höchsten Deutlichkeit erkennen lässt; sein Auftreten in der Geschichte der Künste gleicht einem vulcanischen Ausbruche des gesammten ungetheilten Kunstvermögens der Natur selber, nachdem die Menschheit sich an den Anblick der Vereinzelung der Künste wie an eine Regel gewöhnt hatte. Man kann deshalb schwanken, welchen Namen man ihm beilegen solle, ob er Dichter oder Bildner oder Musiker zu nennen sei, jedes Wort in einer ausserordentlichen Erweiterung seines Begriffs genommen, oder ob erst ein neues Wort für ihn geschaffen werden müsse.
Das Dichterische in Wagner zeigt sich darin, dass er in sichtbaren und fühlbaren Vorgängen, nicht in Begriffen denkt, das heisst, dass er mythisch denkt, so wie immer das Volk gedacht hat. Dem Mythus liegt nicht ein Gedanke zu Grunde, wie die Kinder einer verkünstelten Cultur vermeinen, sondern er selber ist ein Denken; er theilt eine Vorstellung von der Welt mit, aber in der Abfolge von Vorgängen, Handlungen und Leiden. Der Ring des Nibelungen ist ein ungeheures Gedankensystem ohne die begriffliche Form des Gedankens. Vielleicht könnte ein Philosoph etwas ganz Entsprechendes ihm zur Seite stellen, das ganz ohne Bild und Handlung wäre und blos in Begriffen zu uns spräche: dann hätte man das Gleiche in zwei disparaten Sphären dargestellt: einmal für das Volk und einmal für den Gegensatz des Volkes, den theoretischen Menschen. An diesen wendet sich also Wagner nicht; denn der theoretische Mensch versteht von dem eigentlich Dichterischen, dem Mythus, gerade soviel, als ein Tauber von der Musik, das heisst, Beide sehen eine ihnen sinnlos scheinende Bewegung. Aus der einen von jenen disparaten Sphären kann man in die andere nicht hineinblicken: so lange man im Banne des Dichters ist, denkt man mit ihm, als sei man nur ein fühlendes, sehendes und hörendes Wesen; die Schlüsse, welche man macht, sind die Verknüpfungen der Vorgänge, die man sieht, also thatsächliche Causalitäten, keine logischen.
Wenn die Helden und Götter solcher mythischen Dramen, wie Wagner sie dichtet, nun auch in Worten sich deutlich machen sollen, so liegt keine Gefahr näher, als dass diese Wortsprache in uns den theoretischen Menschen aufweckt und dadurch uns in eine andere, unmythische Sphäre hinüberhebt: so dass wir zuletzt durch das Wort nicht etwan deutlicher verstanden hätten, was vor uns vorgieng, sondern gar Nichts verstanden hätten. Wagner zwang deshalb die Sprache in einen Urzustand zurück, wo sie fast noch Nichts in Begriffen denkt, wo sie noch selber Dichtung, Bild und Gefühl ist; die Furchtlosigkeit, mit der Wagner an diese ganz erschreckende Aufgabe gieng, zeigt, wie gewaltsam er von dem dichterischen Geiste geführt wurde, als Einer, der folgen muss, wohin auch sein gespenstischer Führer den Weg nimmt. Man sollte jedes Wort dieser Dramen singen können, und Götter und Helden sollten es in den Mund nehmen: Das war die ausserordentliche Anforderung, welche Wagner an seine sprachliche Phantasie stellte. Jeder Andere hätte dabei verzagen müssen; denn unsere Sprache scheint fast zu alt und zu verwüstet zu sein, als dass man von ihr hätte verlangen dürfen, was Wagner verlangte: und doch rief sein Schlag gegen den Felsen eine reichliche Quelle hervor. Gerade Wagner hat, weil er diese Sprache mehr liebte und mehr von ihr forderte, auch mehr als ein anderer Deutscher an ihrer Entartung und Schwächung gelitten, also an den vielfältigen Verlusten und Verstümmelungen der Formen, an dem schwerfälligen Partikelwesen unserer Satzfügung, an den unsingbaren Hülfszeitwörtern:—alles Dieses sind ja Dinge, welche durch Sünden und Verlotterungen in die Sprache hineingekommen sind. Dagegen empfand er mit tiefem Stolze die auch jetzt noch vorhandene Ursprünglichkeit und Unerschöpflichkeit dieser Sprache, die tonvolle Kraft ihrer Wurzeln, in welchen er, im Gegensatz zu den höchst abgeleiteten, künstlich rhetorischen Sprachen der romanischen Stämme, eine wunderbare Neigung und Vorbereitung zur Musik, zur wahren Musik ahnte. Es geht eine Lust an dem Deutschen durch Wagner's Dichtung, eine Herzlichkeit und Freimüthigkeit im Verkehre mit ihm, wie so Etwas, ausser bei Goethe, bei keinem Deutschen sich nachfühlen lässt. Leiblichkeit des Ausdruckes, verwegene Gedrängtheit, Gewalt und rhythmische Vielartigkeit, ein merkwürdiger Reichthum an starken und bedeutenden Wörtern, Vereinfachung der Satzgliederung, eine fast einzige Erfindsamkeit in der Sprache des wogenden Gefühls und der Ahnung, eine mitunter ganz rein sprudelnde Volksthümlichkeit und Sprüchwörtlichkeit—solche Eigenschaften würden aufzuzählen sein, und doch wäre dann immer noch die mächtigste und bewunderungswürdigste vergessen. Wer hinter einander zwei solche Dichtungen wie Tristan und die Meistersinger liest, wird in Hinsicht auf die Wortsprache ein ähnliches Erstaunen und Zweifeln empfinden, wie in Hinsicht auf die Musik: wie es nämlich möglich war, über zwei Welten, so verschieden an Form, Farbe, Fügung, als an Seele, schöpferisch zu gebieten. Diess ist das Mächtigste an der Wagnerischen Begabung, Etwas, das—allein dem grossen Meister gelingen wird: für jedes Werk eine neue Sprache auszuprägen und der neuen Innerlichkeit auch einen neuen Leib, einen neuen Klang zu geben. Wo eine solche allerseltenste Macht sich äussert, wird der Tadel immer nur kleinlich und unfruchtbar bleiben, welcher sich auf einzelnes Uebermüthige und Absonderliche, oder auf die häufigeren Dunkelheiten des Ausdrukkes und Umschleierungen des Gedankens bezieht. Ueberdiess war Denen, welche bisher am lautesten getadelt haben, im Grunde nicht sowohl die Sprache als die Seele, die ganze Art zu leiden und zu empfinden, anstössig und unerhört. Wir wollen warten, bis Diese selber eine andere Seele haben, dann werden sie selber auch eine andere Sprache sprechen: und dann wird es, wie mir scheint, auch mit der deutschen Sprache im Ganzen besser stehen, als es jetzt steht.
Vor Allem aber sollte Niemand, der über Wagner, den Dichter und Sprachbildner, nachdenkt, vergessen, dass keines der Wagnerischen Dramen bestimmt ist gelesen zu werden und also nicht mit den Forderungen behelligt werden darf, welche an das Wortdrama gestellt werden. Dieses will allein durch Begriffe und Worte auf das Gefühl wirken; mit dieser Absicht gehört es unter die Botmässigkeit der Rhetorik. Aber die Leidenschaft im Leben ist selten beredt: im Wortdrama muss sie es sein, um überhaupt sich auf irgend eine Art mitzutheilen. Wenn aber die Sprache eines Volkes sich schon im Zustande des Verfalls und der Abnutzung befindet, so kommt der Wortdramatiker in die Versuchung, Sprache und Gedanken ungewöhnlich aufzufärben und umzubilden; er will die Sprache heben, damit sie wieder das gehobene Gefühl hervorklingen lasse, und geräth dabei in die Gefahr, gar nicht verstanden zu werden. Ebenso sucht er der Leidenschaft durch erhabene Sinnsprüche und Einfälle Etwas von Höhe mitzutheilen und verfällt dadurch wieder in eine andere Gefahr: er erscheint unwahr und künstlich. Denn die wirkliche Leidenschaft des Lebens spricht nicht in Sentenzen und die dichterische erweckt leicht Misstrauen gegen ihre Ehrlichkeit, wenn sie sich wesentlich von dieser Wirklichkeit unterscheidet. Dagegen giebt Wagner, der Erste, welcher die inneren Mängel des Wortdrama's erkannt hat, jeden dramatischen Vorgang in einer dreifachen Verdeutlichung, durch Wort, Gebärde und Musik; und zwar überträgt die Musik die Grundregungen im Innern der darstellenden Personen des Drama's unmittelbar auf die Seelen der Zuhörer, welche jetzt in den Gebärden derselben Personen die erste Sichtbarkeit jener inneren Vorgänge und in der Wortsprache noch eine zweite abgeblasstere Erscheinung derselben, übersetzt in das bewusstere Wollen, wahrnehmen. Alle diese Wirkungen erfolgen gleichzeitig und durchaus ohne sich zu stören, und zwingen Den, welchem ein solches Drama vorgeführt wird, zu einem ganz neuen Verstehen und Miterleben, gleich als ob seine Sinne auf ein Mal vergeistigter und sein Geist versinnlichter geworden wäre, und als ob Alles, was aus dem Menschen heraus will und nach Erkenntniss dürstet, sich jetzt in einem Jubel des Erkennens frei und selig: befände. Weil jeder Vorgang eines Wagnerischen Drama's sich mit der höchsten Verständlichkeit dem Zuschauer mittheilt, und zwar durch die Musik von Innen heraus erleuchtet und durchglüht, konnte sein Urheber aller der Mittel entrathen, welche der Wortdichter nöthig hat, um seinen Vorgängen Wärme und Leuchtkraft zu geben. Der ganze Haushalt des Drama's durfte einfacher sein, der rhythmische Sinn des Baumeisters konnte es wieder wagen, sich in den grossen Gesammtverhältnissen des Baues zu zeigen; denn es fehlte zu jener absichtlichen Verwickelung und verwirrenden Vielgestaltigkeit des Baustyls jetzt jede Veranlassung, durch welche der Wortdichter zu Gunsten seines Werkes das Gefühl der Verwunderung und des angespannten Interesses zu erreichen strebt, um diess dann zu dem Gefühl des beglückten Staunens zu steigern. Der Eindruck der idealisirenden Ferne und Höhe war nicht erst durch Kunstgriffe herbeizuschaffen. Die Sprache zog sich aus einer rhetorischen Breite in die Geschlossenheit und Kraft einer Gefühlsrede zurück; und trotzdem, dass der darstellende Künstler viel weniger, als früher, über Das sprach, was er im Schauspiel that und empfand, zwangen jetzt innerliche Vorgänge, welche die Angst des Wortdramatikers vor dem angeblich Undramatischen bisher von der Bühne fern gehalten hat, den Zuhörer zum leidenschaftlichen Miterleben, während die begleitende Gebärdensprache nur in der zartesten Modulation sich zu äussern brauchte. Nun ist überhaupt die gesungene Leidenschaft in der Zeitdauer um Etwas länger, als die gesprochene; die Musik streckt gleichsam die Empfindung aus: daraus folgt im Allgemeinen, dass der darstellende Künstler, welcher zugleich Sänger ist, die allzu grosse unplastische Aufgeregtheit der Bewegung, an welcher das aufgeführte Wortdrama leidet, überwinden muss. Er sieht sich zu einer Veredelung der Gebärde hingezogen, um so mehr, als die Musik seine Empfindung in das Bad eines reineren Aethers eingetaucht und dadurch unwillkürlich der Schönheit näher gebracht hat.
Die ausserordentlichen Aufgaben, welche Wagner den Schauspielern und Sängern gestellt hat, werden auf ganze Menschenalter hin einen Wetteifer unter ihnen entzünden, um endlich das Bild jedes Wagnerischen Helden in der leiblichsten Sichtbarkeit und Vollendung zur Darstellung zu bringen: so wie diese vollendete Leiblichkeit in der Musik des Drama's schon vorgebildet liegt. Diesem Führer folgend, wird zuletzt das Auge des plastischen Künstlers die Wunder einer neuen Schauwelt sehen, welche vor ihm allein der Schöpfer solcher Werke, wie der Ring des Nibelungen ist, zum ersten Mal erblickt hat: als ein Bildner höchster Art, welcher wie Aeschylus einer kommenden Kunst den Weg zeigt. Müssen nicht schon durch die Eifersucht grosse Begabungen geweckt werden, wenn die Kunst des Plastikers ihre Wirkung mit der einer Musik vergleicht, wie die Wagnerische ist: in welcher es reinstes, sonnenhellstes Glück giebt; so dass Dem, welcher sie hört, zu Muthe wird, als ob fast alle frühere Musik eine veräusserlichte, befangene, unfreie Sprache geredet hätte, als ob man mit ihr bisher hätte ein Spiel spielen wollen, vor Solchen, welche des Ernstes nicht würdig waren, oder als ob mit ihr gelehrt und demonstrirt werden sollte, vor Solchen, welche nicht einmal des Spieles würdig sind. Durch diese frühere Musik dringt nur auf kurze Stunden jenes Glück in uns ein, welches wir immer bei Wagnerischer Musik empfinden: es scheinen seltene Augenblicke der Vergessenheit, welche sie gleichsam überfallen, wo sie mit sich allein redet und den Blick aufwärts richtet, wie Rafael's Caecilia, weg von den Hörern, welche Zerstreuung, Lustbarkeit oder Gelehrsamkeit von ihr fordern.
Von Wagner, dem Musiker, wäre im Allgemeinen zu sagen, dass er Allem in der Natur, was bis jetzt nicht reden wollte, eine Sprache gegeben hat: er glaubt nicht daran, dass es etwas Stummes geben müsse. Er taucht auch in Morgenröthe, Wald, Nebel, Kluft, Bergeshöhe, Nachtschauer, Mondesglanz hinein und merkt ihnen ein heimliches Begehren ab: sie wollen auch tönen. Wenn der Philosoph sagt, es ist Ein Wille, der in der belebten und unbelebten Natur nach Dasein dürstet, so fügt der Musiker hinzu: und dieser Wille will, auf allen Stufen, ein tönendes Dasein.
Die Musik hatte vor Wagner im Ganzen enge Gränzen; sie bezog sich auf bleibende Zustände des Menschen, auf Das, was die Griechen Ethos nennen, und hatte mit Beethoven eben erst begonnen, die Sprache des Pathos, des leidenschaftlichen Wollens, der dramatischen Vorgänge im Innern des Menschen, zu finden. Ehedem sollte eine Stimmung, ein gefasster oder heiterer oder andächtiger oder bussfertiger Zustand sich durch Töne zu erkennen geben, man wollte durch eine gewisse auffallende Gleichartigkeit der Form und durch die längere Andauer dieser Gleichartigkeit den Zuhörer zur Deutung dieser Musik nöthigen und endlich in die gleiche Stimmung versetzen. Allen solchen Bildern von Stimmungen und Zuständen waren einzelne Formen nothwendig; andere wurden durch Convention in ihnen üblich. Ueber die Länge entschied die Vorsicht des Musikers, welcher den Zuhörer wohl in eine Stimmung bringen, aber nicht durch allzu lange Andauer derselben langweilen wollte. Man gieng einen Schritt weiter, als man die Bilder entgegengesetzter Stimmungen nach einander entwarf und den Reiz des Contrastes entdeckte, und noch einen Schritt, als dasselbe Tonstück in sich einen Gegensatz des Ethos', zum Beispiel durch das Widerstreben eines männlichen und eines weiblichen Thema's, aufnahm. Diess alles sind noch rohe und uranfängliche Stufen der Musik. Die Furcht vor der Leidenschaft giebt die einen, die vor der Langenweile die anderen Gesetze; alle Vertiefungen und Ausschreitungen des Gefühls wurden als "unethisch" empfunden. Nachdem aber die Kunst des Ethos, dieselben gewöhnlichen Zustände und Stimmungen in hundertfacher Wiederholung dargestellt hatte, gerieth sie, trotz der wunderbarsten Erfindsamkeit ihrer Meister, endlich in Erschöpfung. Beethoven zuerst liess die Musik eine neue Sprache, die bisher verbotene Sprache der Leidenschaft, reden: weil aber seine Kunst aus den Gesetzen und Conventionen der Kunst des Ethos, herauswachsen und versuchen musste, sich gleichsam vor jener zu rechtfertigen, so hatte sein künstlerisches Werden eine eigenthümliche Schwierigkeit und Undeutlichkeit an sich. Ein innerer, dramatischer Vorgang—denn jede Leidenschaft hat einen dramatischen Verlauf—wollte sich zu einer neuen Form hindurchringen, aber das überlieferte Schema der Stimmungsmusik widersetzte sich und redete beinah mit der Miene der Moralität wider ein Aufkommen der Unmoralität. Es scheint mitunter so, als ob Beethoven sich die widerspruchsvolle Aufgabe gestellt habe, das Pathos mit den Mitteln des Ethos' sich aussprechen zu lassen. Für die grössten und spätesten Werke Beethoven's reicht aber diese Vorstellung nicht aus. Um den grossen geschwungenen Bogen einer Leidenschaft wiederzugeben, fand er wirklich ein neues Mittel: er nahm einzelne Puncte ihrer Flugbahn heraus und deutete sie mit der grössten Bestimmtheit an, um aus ihnen dann die ganze Linie durch den Zuhörer errathen zu lassen. Aeusserlich betrachtet, nahm sich die neue Form aus, wie die Zusammenstellung mehrerer Tonstücke, von denen jedes einzelne scheinbar einen beharrenden Zustand, in Wahrheit aber einen Augenblick im dramatischen Verlauf der Leidenschaft darstellte. Der Zuhörer konnte meinen, die alte Musik der Stimmung zu hören, nur dass das Verhältniss der einzelnen Theile zu einander ihm unfasslich geworden war und sich nicht mehr nach dem Kanon des Gegensatzes deuten liess. Selbst bei Musikern stellte sich eine Geringschätzung gegen die Forderung eines künstlerischen Gesammtbaues ein; die Folge der Theile in ihren Werken wurde willkürlich. Die Erfindung der grossen Form der Leidenschaft führte durch ein Missverständniss auf den Einzelsatz mit beliebigem Inhalte zurück, und die Spannung der Theile gegen einander hörte ganz auf. Deshalb ist die Symphonie nach Beethoven ein so wunderlich undeutliches Gebilde, namentlich wenn sie im Einzelnen noch die Sprache des Beethoven'schen Pathos' stammelt. Die Mittel passen nicht zur Absicht und die Absicht im Ganzen wird dem Zuhörer überhaupt nicht klar, weil sie auch im Kopfe des Urhebers niemals klar gewesen ist. Gerade aber die Forderung, dass man etwas ganz Bestimmtes zu sagen habe und dass man es auf das Deutlichste sage, wird um so unerlässlicher, je höher, schwieriger und anspruchsvoller eine Gattung ist.
Deshalb war Wagner's ganzes Ringen darauf aus, alle Mittel zu finden, welche der Deutlichkeit dienen; vor Allem hatte er dazu nöthig, sich von allen Befangenheiten und Ansprüchen der älteren Musik der Zustände loszubinden und seiner Musik, dem tönenden Processe des Gefühls und der Leidenschaft, eine gänzlich unzweideutige Rede in den Mund zu legen. Schauen wir auf Das hin, was er erreicht hat, so ist uns, als ob er im Bereiche der Musik das Gleiche gethan habe, was im Bereiche der Plastik der Erfinder der Freigruppe that. Alle frühere Musik scheint, an der Wagnerischen gemessen, steif oder ängstlich, als ob man sie nicht von allen Seiten ansehen dürfe und sie sich schäme. Wagner ergreift jeden Grad und jede Farbe des Gefühls mit der grössten Festigkeit und Bestimmtheit; er nimmt die zarteste, entlegenste und wildeste Regung, ohne Angst sie zu verlieren, in die Hand, und hält sie wie etwas Hart- und Festgewordenes, wenn auch Jedermann sonst in ihr einen unangreifbaren Schmetterling sehen sollte. Seine Musik ist niemals unbestimmt, stimmungshaft; Alles, was durch sie redet, Mensch oder Natur, hat eine streng individualisirte Leidenschaft; Sturm und Feuer nehmen bei ihm die zwingende Gewalt eines persönlichen Willens an. Ueber allen den tönenden Individuen und dem Kampfe ihrer Leidenschaften, über dem ganzen Strudel von Gegensätzen, schwebt, mit höchster Besonnenheit, ein übermächtiger symphonischer Verstand, welcher aus dem Kriege fortwährend die Eintracht gebiert: Wagner's Musik als Ganzes ist ein Abbild der Welt, sowie diese von dem grossen ephesischen Philosophen [Heraclitus.] verstanden wurde, als eine Harmonie, welche der Streit aus sich zeugt, als die Einheit von Gerechtigkeit und Feindschaft. Ich bewundere die Möglichkeit, aus einer Mehrzahl von Leidenschaften, welche nach verschiedenen Richtungen hin laufen, die grosse Linie einer Gesammtleidenschaft zu berechnen: dass so Etwas möglich ist, sehe ich durch jeden einzelnen Act eines Wagnerischen Drama's bewiesen, welcher neben einander die Einzelgeschichte verschiedener Individuen und eine Gesammtgeschichte aller erzählt. Wir spüren es schon zu Anfang, dass wir widerstrebende einzelne Strömungen, aber auch über alle mächtig, einen Strom mit Einer gewaltigen Richtung vor uns haben: dieser Strom bewegt sich zuerst unruhig, über verborgene Felsenzacken hinweg, die Fluth scheint mitunter aus einander zu reissen, nach verschiedenen Richtungen hin zu wollen. Allmählich bemerken wir, dass die innere Gesammtbewegung gewaltiger, fortreissender geworden ist; die zuckende Unruhe ist in die Ruhe der breiten furchtbaren Bewegung nach einem noch unbekannten Ziele übergegangen; und plötzlich, am Schluss, stürzt der Strom hinunter in die Tiefe, in seiner ganzen Breite, mit einer dämonischen Lust an Abgrund und Brandung. Nie ist Wagner mehr Wagner, als wenn die Schwierigkeiten sich verzehnfachen und er in ganz grossen Verhältnissen mit der Lust des Gesetzgebers walten kann. Ungestüme, widerstrebende Massen zu einfachen Rhythmen bändigen, durch eine verwirrende Mannichfaltigkeit von Ansprüchen und Begehrungen, Einen Willen durchführen—Das sind die Aufgaben, zu welchen er sich geboren, in welchen er seine Freiheit fühlt. Nie verliert er dabei den Athem, nie kommt er keuchend an sein Ziel. Er hat ebenso unablässig darnach gestrebt, sich die schwersten Gesetze aufzuerlegen, als Andere nach Erleichterung ihrer Last trachten; das Leben und die Kunst drücken ihn, wenn er nicht mit ihren schwierigsten Problemen spielen kann. Man erwäge nur einmal das Verhältniss der gesungenen Melodie zur Melodie der ungesungenen Rede—wie er die Höhe, die Stärke und das Zeitmaass des leidenschaftlich sprechenden Menschen als Naturvorbild behandelt, das er in Kunst umzuwandeln hat:—man erwäge dann wiederum die Einordnung einer solchen singenden Leidenschaft in den ganzen symphonischen Zusammenhang der Musik, um ein Wunderding von überwundenen Schwierigkeiten kennen zu lernen; seine Erfindsamkeit hierbei, im Kleinen und Grossen, die Allgegenwart seines Geistes und seines Fleisses ist der Art, dass man beim Anblick einer Wagnerischen Partitur glauben möchte, es habe vor ihm gar keine rechte Arbeit und Anstrengung gegeben. Es scheint, dass er auch in Bezug auf die Mühsal der Kunst hätte sagen können, die eigentliche Tugend des Dramatikers bestehe in der Selbstentäusserung, aber er würde wahrscheinlich entgegnen: es giebt nur Eine Mühsal, die des noch nicht Freigewordenen; die Tugend und das Gute sind leicht.
Als Künstler im Ganzen betrachtet, so hat Wagner, um an einen bekannteren Typus zu erinnern, Etwas von Demosthenes an sich: den furchtbaren Ernst um die Sache und die Gewalt des Griffs, so dass er jedesmal die Sache fasst; er schlägt seine Hand darum, im Augenblick, und sie hält fest, als ob sie aus Erz wäre. Er verbirgt wie Jener seine Kunst oder macht sie vergessen, indem er zwingt, an die Sache zu denken; und doch ist er, gleich Demosthenes, die letzte und höchste Erscheinung hinter einer ganzen Reihe von gewaltigen Kunstgeistern, und hat folglich mehr zu verbergen, als die Ersten der Reihe; seine Kunst wirkt als Natur, als hergestellte, wiedergefundene Natur. Er trägt nichts Epideiktisches an sich, was alle früheren Musiker haben, welche gelegentlich mit ihrer Kunst auch ein Spiel treiben und ihre Meisterschaft zur Schau stellen. Man denkt bei dem Wagnerischen Kunstwerke weder an das Interessante, noch das Ergötzliche, noch an Wagner selbst, noch an die Kunst überhaupt: man fühlt allein das Nothwendige. Welche Strenge und Gleichmässigkeit des Willens, welche Selbstüberwindung der Künstler in der Zeit seines Werdens nöthig hatte, um zuletzt, in der Reife, mit freudiger Freiheit in jedem Augenblick des Schaffens das Nothwendige zu thun, Das wird ihm niemals Jemand nachrechnen können: genug, wenn wir es an einzelnen Fällen spüren, wie seine Musik sich mit einer gewissen Grausamkeit des Entschlusses dem Gange des Drama's, der wie das Schicksal unerbittlich ist, unterwirft, während die feurige Seele dieser Kunst darnach lechzt, einmal ohne alle Zügel in der Freiheit und Wildniss umherzuschweifen.
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Ein Künstler, welcher diese Gewalt über sich hat, unterwirft sich, selbst ohne es zu wollen, alle anderen Künstler. Ihm allein wiederum werden die Unterworfenen, seine Freunde und Anhänger nicht zur Gefahr, zur Schranke: während die geringeren Charaktere, weil sie sich auf die Freunde zu stützen suchen, durch sie ihre Freiheit einzubüssen pflegen. Es ist höchst wunderbar anzusehen, wie Wagner sein Leben lang jeder Gestaltung von Parteien ausgewichen ist, wie sich aber hinter jeder Phase seiner Kunst ein Kreis von Anhängern zusammenschloss, scheinbar, um ihn nun auf dieser Phase festzuhalten. Er gieng immer mitten durch sie hindurch und liess sich nicht binden; sein Weg ist überdiess zu lang gewesen, als dass ein Einzelner so leicht ihn von Anfang an hätte mitgehen können: und so ungewöhnlich und steil, dass auch dem Treuesten wohl einmal der Athem ausgieng. Fast zu allen Lebenszeiten Wagner's hätten ihn seine Freunde gern dogmatisiren mögen; und ebenfalls, obwohl aus anderen Gründen, seine Feinde. Wäre die Reinheit seines künstlerischen Charakters nur um einen Grad weniger entschieden gewesen, so hätte er viel zeitiger zum entscheidenden Herrn der gegenwärtigen Kunst- und Musikzustände werden können:—was er jetzt endlich auch geworden ist, aber in dem viel höheren Sinne, dass Alles, was auf irgend einem Gebiete der Kunst vorgeht, sich unwillkürlich vor den Richterstuhl seiner Kunst und seines künstlerischen Charakters gestellt sieht. Er hat sich die Widerwilligsten unterjocht: es giebt keinen begabten Musiker mehr, welcher nicht innerlich auf ihn hörte und ihn hörenswerther, als sich und die übrige Musik zusammen, fände. Manche, welche durchaus Etwas bedeuten wollen, ringen geradezu mit diesem sie überwältigenden inneren Reize, bannen sich mit ängstlicher Beflissenheit in den Kreis der älteren Meister und wollen lieber ihre "Selbstständigkeit" an Schubert oder Händel anlehnen, als an Wagner. Umsonst! Indem sie gegen ihr besseres Gewissen kämpfen, werden sie als Künstler selber geringer und kleinlicher; sie verderben ihren Charakter dadurch, dass sie schlechte Bundesgenossen und Freunde dulden müssen: und nach allen diesen Aufopferungen begegnet es ihnen doch, vielleicht in einem Traume, dass ihr Ohr nach Wagner hinhorcht. Diese Gegner sind bedauernswürdig: sie glauben viel zu verlieren, wenn sie sich verlieren und irren sich dabei.
Nun liegt ersichtlich Wagner nicht viel daran, ob die Musiker von jetzt ab Wagnerisch componiren und ob sie überhaupt componiren; ja er thut, was er kann, um jenen unseligen Glauben zu zerstören, dass sich nun wieder an ihn eine Schule von Componisten anschliessen müsse. So weit er unmittelbaren Einfluss auf Musiker hat, sucht er sie über die Kunst des grossen Vortrags zu belehren; es scheint ihm ein Zeitpunct in der Entwickelung der Kunst gekommen, in welchem der gute Wille, ein tüchtiger Meister der Darstellung und Ausübung zu werden, viel schätzenswerther ist, als das Gelüst, um jeden Preis selber zu "schaffen." Denn dieses Schaffen, auf der jetzt erreichten Stufe der Kunst, hat die verhängnissvolle Folge, das wahrhaft Grosse in seinen Wirkungen zu verflachen, dadurch, dass man es, so gut es geht, vervielfältigt und die Mittel und Kunstgriffe des Genies durch alltäglichen Gebrauch abnützt. Selbst das Gute in der Kunst ist überflüssig und schädlich, wenn es aus der Nachahmung des Besten entstand. Die Wagnerischen Zwecke und Mittel gehören zusammen: es braucht Nichts weiter dazu, als künstlerische Ehrlichkeit, diess zu fühlen, und es ist Unehrlichkeit, die Mittel ihm abzumerken und zu ganz anderen, kleineren Zwecken zu verwenden.
Wenn also Wagner es ablehnt, in einer Schaar von Wagnerisch componirenden Musikern fortzuleben, so stellt er um so eindringlicher allen Begabungen die neue Aufgabe, mit ihm zusammen die Gesetze des Styls für den dramatischen Vortrag zu finden. Das tiefste Bedürfniss treibt ihn, für seine Kunst die Tradition eines Styls zu begründen, durch welche sein Werk, in reiner Gestalt, von einer Zeit zur anderen fortleben könne, bis es jene Zukunft erreicht, für welche es von seinem Schöpfer vorausbestimmt war.
Wagner besitzt einen unersättlichen Trieb, Alles, was sich auf jene Begründung des Styls und, solchermaassen, auf die Fortdauer seiner Kunst bezieht, mitzutheilen. Sein Werk, um mit Schopenhauer zu reden, als ein heiliges Depositum und die wahre Frucht seines Daseins, zum Eigenthum der Menschheit zu machen, es niederlegend für eine besser urtheilende Nachwelt, diess wurde ihm zum Zweck, der allen anderen Zwecken vorgeht, und für den er die Dornenkrone trägt, welche einst zum Lorbeerkranze ausschlagen soll: auf die Sicherstellung seines Werkes concentrirte sein Streben sich eben so entschieden, wie das des Insects, in seiner letzten Gestalt, auf die Sicherstellung seiner Eier und Vorsorge für die Brut, deren Dasein es nie erlebt: es deponirt die Eier da, wo sie, wie es sicher weiss, einst Leben und Nahrung finden werden, und stirbt getrost.
Dieser Zweck, der allen anderen Zwecken vorgeht, treibt ihn zu immer neuen Erfindungen; er schöpft deren aus dem Borne seiner dämonischen Mittheilbarkeit immer mehr, je deutlicher er sich im Ringen mit dem abgeneigtesten Zeitalter fühlt, das zum Hören den schlechtesten Willen mitgebracht hat. Allmählich aber beginnt selbst dieses Zeitalter, seinen unermüdlichen Versuchen, seinem biegsamen Andringen nachzugeben und das Ohr hinzuhalten. Wo eine kleine oder bedeutende Gelegenheit sich von ferne zeigte, seine Gedanken durch ein Beispiel zu erklären, war Wagner dazu bereit: er dachte seine Gedanken in die jedesmaligen Umstände hinein und brachte sie aus der dürftigsten Verkörperung heraus noch zum Reden. Wo eine halbwegs empfängliche Seele sich ihm aufthat, warf er seinen Saamen hinein. Er knüpft dort Hoffnungen an, wo der kalte Beobachter mit den Achseln zuckt; er täuscht sich hundertfach, um einmal gegen diesen Beobachter Recht zu behalten. Wie der Weise im Grunde mit lebenden Menschen nur so weit verkehrt, als er durch sie den Schatz seiner Erkenntniss zu mehren weiss, so scheint es fast, als ob der Künstler keinen Verkehr mehr mit den Menschen seiner Zeit haben könne, durch welchen er nicht die Verewigung seiner Kunst fördert: man liebt ihn nicht anders, als wenn man diese Verewigung liebt, und ebenso empfindet er nur Eine Art des gegen ihn gerichteten Hasses, den Hass nämlich, welcher die Brücken zu jener Zukunft seiner Kunst ihm abbrechen will. Die Schüler, welche Wagner sich erzog, die einzelnen Musiker und Schauspieler, denen er ein Wort sagte, eine Gebärde vormachte, die kleinen und grossen Orchester, die er führte, die Städte, welche ihn im Ernste seiner Thätigkeit sahen, die Fürsten und Frauen, welche halb mit Scheu, halb mit Liebe an seinen Plänen Theil nahmen, die verschiedenen europäischen Länder, denen er zeitweilig als der Richter und das böse Gewissen ihrer Künste angehörte: Alles wurde allmählich zum Echo seines Gedankens, seines unersättlichen Strebens nach einer zukünftigen Fruchtbarkeit; kam dieses Echo auch oft entstellt und verwirrt zu ihm zurück, so muss doch zuletzt der Uebermacht des gewaltigen Tones, welchen er hundertfältig in die Welt hineinrief, auch ein übermächtiger Nachklang entsprechen; und es wird bald nicht mehr möglich sein, ihn nicht zu hören, ihn falsch zu verstehen. Dieser Nachklang ist es schon jetzt, welcher die Kunststätten der modernen Menschen erzittern macht; jedesmal, wenn der Hauch seines Geistes in diese Gärten hineinblies, bewegte sich Alles, was darin windfällig und wipfeldürr war; und in noch beredterer Weise, als dieses Erzittern, spricht ein überall auftauchender Zweifel: Niemand weiss mehr zu sagen, wo nur immer noch die Wirkung Wagner's unvermuthet herausbrechen werde. Er ist ganz und gar ausser Stand, das Heil der Kunst losgetrennt von irgend welchem anderen Heil und Unheil zu betrachten: wo nur immer der moderne Geist Gefahren in sich birgt, da spürt er mit dem Auge des spähendsten Misstrauens auch die Gefahr der Kunst. Er nimmt in seiner Vorstellung das Gebäude unserer Civilisation aus einander und lässt sich nichts Morsches, nichts Leichtfertig-Gezimmertes entgehen: wenn er dabei auf wetterfeste Mauern und überhaupt auf dauerhaftere Fundamente stösst, so sinnt er sofort auf ein Mittel, daraus für seine Kunst Bollwerke und schützende Dächer zu gewinnen. Er lebt wie ein Flüchtling, der nicht sich, sondern ein Geheimniss zu bewahren trachtet; wie ein unglückliches Weib, welches das Leben des Kindes, das sie im Schoosse trägt, nicht ihr eigenes retten will: er lebt wie Sieglinde "um der Liebe willen."
Denn freilich ist es ein Leben voll mannichfacher Qual und Scham, in einer Welt unstät und unheimisch zu sein und doch zu ihr reden, von ihr fordern zu müssen, sie verachten und doch die Verachtete nicht entbehren zu können,—es ist die eigentliche Noth des Künstlers der Zukunft; als welcher nicht, gleich dem Philosophen, in einem dunklen Winkel für sich der Erkenntniss nachjagen kann: denn er braucht menschliche Seelen als Vermittler an die Zukunft, öffentliche Einrichtungen als Gewährleistung dieser Zukunft, als Brücken zwischen jetzt und einstmals. Seine Kunst ist auf dem Kahne der schriftlichen Aufzeichnung nicht einzuschiffen, wie diess der Philosoph vermag: die Kunst will Könnende als Ueberlieferer, nicht Buchstaben und Noten. Ueber ganze Strecken im Leben Wagner's hinweg klingt der Ton der Angst, diesen Könnenden nicht mehr nahe zu kommen und an Stelle des Beispiels, das er ihnen zu geben hat, gewaltsam auf die schriftliche Andeutung sich eingeschränkt zu sehen, und anstatt die That vorzuthun, den blassesten Schimmer der That Solchen zu zeigen, welche Bücher lesen, das heisst im Ganzen so viel als: welche keine Künstler sind.
Wagner als Schriftsteller zeigt den Zwang eines tapferen Menschen, dem man die rechte Hand zerschlagen hat und der mit der linken ficht: er ist immer ein Leidender, wenn er schreibt, weil er der rechten Mittheilung auf seine Weise, in Gestalt eines leuchtenden und siegreichen Beispiels, durch eine zeitweilig unüberwindliche Nothwendigkeit beraubt ist. Seine Schriften haben gar nichts Kanonisches, Strenges: sondern der Kanon liegt in den Werken. Es sind Versuche, den Instinct zu begreifen, welcher ihn zu seinen Werken trieb und gleichsam sich selber in's Auge zu sehen; hat er es erst erreicht, seinen Instinct in Erkenntniss umzuwandeln, so hofft er, dass in den Seelen seiner Leser der umgekehrte Process sich einstellen werde: mit dieser Aussicht schreibt er. Wenn sich vielleicht ergeben sollte, dass hierbei irgend etwas Unmögliches versucht worden ist, so hätte Wagner doch nur dasselbe Schicksal mit allen Denen gemein, welche über die Kunst nachdachten; und vor den Meisten von ihnen hat er voraus, dass in ihm der gewaltigste Gesammtinstinct der Kunst Herberge genommen hat. Ich kenne keine ästhetischen Schriften, welche so viel Licht brächten, wie die Wagnerischen; was über die Geburt des Kunstwerkes überhaupt zu erfahren ist, das ist aus ihnen zu erfahren. Es ist Einer der ganz Grossen, der hier als Zeuge auftritt und sein Zeugniss durch eine lange Reihe von Jahren immer mehr verbessert, befreit, verdeutlicht und aus dem Unbestimmten heraushebt; auch wenn er, als Erkennender, stolpert, schlägt er Feuer heraus. Gewisse Schriften, wie "Beethoven," "über das Dirigiren," "über Schauspieler und Sänger," "Staat und Religion," machen jedes Gelüst zum Widersprechen verstummen und erzwingen sich ein stilles innerliches, andächtiges Zuschauen, wie es sich beim Aufthun kostbarer Schreine geziemt. Andere, namentlich die aus der früheren Zeit, "Oper und Drama" mit eingerechnet, regen auf, machen Unruhe: es ist eine Ungleichmässigkeit des Rhythmus in ihnen, wodurch sie, als Prosa, in Verwirrung setzen. Die Dialektik in ihnen ist vielfältig gebrochen, der Gang durch Sprünge des Gefühls mehr gehemmt, als beschleunigt; eine Art von Widerwilligkeit des Schreibenden liegt wie ein Schatten auf ihnen, gleich als ob der Künstler des begrifflichen Demonstrirens sich schämte. Am meisten beschwert vielleicht den nicht ganz Vertrauten ein Ausdruck von autoritativer Würde, welcher ganz ihm eigen und schwer zu beschreiben ist: mir kommt es so vor, als ob Wagner häufig wie vor Feinden spreche—denn alle diese Schriften sind im Sprechstyl, nicht im Schreibstyl geschrieben, und man wird sie viel deutlicher finden, wenn man sie gut vorgetragen hört—vor Feinden, mit denen er keine Vertraulichkeit haben mag, weshalb er sich abhaltend, zurückhaltend zeigt. Nun bricht nicht selten die fortreissende Leidenschaft seines Gefühls durch diesen absichtlichen Faltenwurf hindurch; dann verschwindet die künstliche, schwere und mit Nebenworten reich geschwellte Periode, und es entschlüpfen ihm Sätze und ganze Seiten, welche zu dem Schönsten gehören, was die deutsche Prosa hat. Aber selbst angenommen, dass er in solchen Theilen seiner Schriften zu Freunden redet und das Gespenst seines Gegners dabei nicht mehr neben seinem Stuhle steht: alle die Freunde und Feinde, mit welchen Wagner als Schriftsteller sich einlässt, haben etwas Gemeinsames, was sie gründlich von jenem Volke abtrennt, für welches er als Künstler schafft. Sie sind in der Verfeinerung und Unfruchtbarkeit ihrer Bildung durchaus unvolksthümlich und Der, welcher von ihnen verstanden werden will, muss unvolksthümlich reden: so wie diess unsere besten Prosa-Schriftsteller gethan haben, so wie es auch Wagner thut. Mit welchem Zwange, das lässt sich errathen. Aber die Gewalt jenes vorsorglichen, gleichsam mütterlichen Triebes, welchem er jedes Opfer bringt, zieht ihn selber in den Dunstkreis der Gelehrten und Gebildeten zurück, dem er als Schaffender auf immer Lebewohl gesagt hat. Er unterwirft sich der Sprache der Bildung und allen Gesetzen ihrer Mittheilung, ob er schon der Erste gewesen ist, welcher das tiefe Ungenügen dieser Mittheilung empfunden hat.
Denn, wenn irgend Etwas seine Kunst gegen alle Kunst der neueren Zeiten abhebt, so ist es Diess: sie redet nicht mehr die Sprache der Bildung einer Kaste, und kennt überhaupt den Gegensatz von Gebildeten und Ungebildeten nicht mehr. Damit stellt sie sich in Gegensatz zu aller Cultur der Renaissance, welche bisher uns neuere Menschen in ihr Licht und ihren Schatten eingehüllt hatte. Indem die Kunst Wagner's uns auf Augenblicke aus ihr hinausträgt, vermögen wir ihren gleichartigen Charakter überhaupt erst zu überschauen: da erscheinen uns Goethe und Leopardi als die letzten grossen Nachzügler der italienischen Philologen-Poeten, der Faust als die Darstellung des unvolksthümlichsten Räthsels, welches sich die neueren Zeiten, in der Gestalt des nach Leben dürstenden theoretischen Menschen, aufgegeben haben; selbst das Goethische Lied ist dem Volksliede nachgesungen, nicht vorgesungen, und sein Dichter wusste, weshalb er mit so vielem Ernste einem Anhänger den Gedanken an's Herz legte: "meine Sachen können nicht populär werden; wer daran denkt und dafür strebt, ist im Irrthum."
Dass es überhaupt eine Kunst geben könne, so sonnenhaft hell und warm, um ebenso die Niedrigen und Armen im Geiste mit ihrem Strahle zu erleuchten, als den Hochmuth der Wissenden zu schmelzen: Das musste erfahren werden und war nicht zu errathen. Aber im Geiste eines Jeden, der es jetzt erfährt, muss es alle Begriffe über Erziehung und Cultur umwenden; ihm wird der Vorhang vor einer Zukunft aufgezogen scheinen, in welcher es keine höchsten Güter und Beglückungen mehr giebt, die nicht den Herzen Aller gemein sind. Der Schimpf, welcher bisher dem Worte "gemein" anklebte, wird dann von ihm hinweggenommen sein.
Wenn sich solchermaassen die Ahnung in die Ferne wagt, wird die bewusste Einsicht die unheimliche sociale Unsicherheit unserer Gegenwart in's Auge fassen und sich die Gefährdung einer Kunst nicht verbergen, welche gar keine Wurzeln zu haben scheint, wenn nicht in jener Ferne und Zukunft und die ihre blühenden Zweige uns eher zu Gesicht kommen lässt, als das Fundament, aus dem sie hervorwächst. Wie retten wir diese heimathlose Kunst hindurch bis zu jener Zukunft, wie dämmen wir die Fluth der überall unvermeidlich scheinenden Revolution so ein, dass mit dem Vielen, was dem Untergange geweiht ist und ihn verdient, nicht auch die beseligende Anticipation und Bürgschaft einer besseren Zukunft, einer freieren Menschheit weggeschwemmt wird?
Wer so sich fragt und sorgt, hat an Wagner's Sorge Antheil genommen; er wird mit ihm sich getrieben fühlen, nach jenen bestehenden Mächten zu suchen, welche den guten Willen haben, in den Zeiten der Erdbeben und Umstürze die Schutzgeister der edelsten Besitzthümer der Menschheit zu sein. Einzig in diesem Sinne frägt Wagner durch seine Schriften bei den Gebildeten an, ob sie sein Vermächtniss, den kostbaren Ring seiner Kunst mit in ihren Schatzhäusern bergen wollen; und selbst das grossartige Vertrauen, welches Wagner dem deutschen Geiste auch in seinen politischen Zielen geschenkt hat, scheint mir darin seinen Ursprung zu haben, dass er dem Volke der Reformation jene Kraft, Milde und Tapferkeit zutraut, welche nöthig ist, um "das Meer der Revolution in das Bette des ruhig fliessenden Stromes der Menschheit einzudämmen": und fast möchte ich meinen, dass er Diess und nichts Anderes durch die Symbolik seines Kaisermarsches ausdrücken wollte.
Im Allgemeinen ist aber der hülfreiche Drang des schaffenden Künstlers zu gross, der Horizont seiner Menschenliebe zu umfänglich, als dass sein Blick an den Umzäunungen des nationalen Wesens hängen bleiben sollte. Seine Gedanken sind wie die jedes guten und grossen Deutschen überdeutsch und die Sprache seiner Kunst redet nicht zu Völkern, sondern zu Menschen.
Aber zu Menschen der Zukunft.
Das ist der ihm eigenthümliche Glaube, seine Qual und seine Auszeichnung. Kein Künstler irgend welcher Vergangenheit hat eine so merkwürdige Mitgift von seinem Genius erhalten, Niemand hat ausser ihm diesen Tropfen herbster Bitterkeit mit jedem nektarischen Tranke, welchen die Begeisterung ihm reichte, trinken müssen. Es ist nicht, wie man glauben möchte, der verkannte, der gemisshandelte, der in seiner Zeit gleichsam flüchtige Künstler, welcher sich diesen Glauben, zur Nothwehr, gewann: Erfolg und Misserfolg bei den Zeitgenossen konnten ihn nicht aufheben und nicht begründen. Er gehört nicht zu diesem Geschlecht, mag es ihn preisen oder verwerfen:—das ist das Urtheil seines Instinctes; und ob je ein Geschlecht zu ihm gehören werde, das kann Dem, welcher daran nicht glauben mag, auch nicht bewiesen werden. Aber wohl kann auch dieser Ungläubige die Frage stellen, welcher Art ein Geschlecht sein müsse, in dem Wagner sein "Volk" wiedererkennen würde, als den Inbegriff aller Derjenigen, welche eine gemeinsame Noth empfinden und sich von ihr durch eine gemeinsame Kunst erlösen wollen. Schiller freilich ist gläubiger und hoffnungsvoller gewesen: er hat nicht gefragt, wie wohl eine Zukunft aussehen werde, wenn der Instinct des Künstlers, der von ihr wahrsagt, Recht behalten sollte, vielmehr von den Künstlern gefordert:
Erhebet euch mit kühnem Flügel
hoch über euren Zeitenlauf!
Fern dämm're schon in eurem Spiegel
das kommende Jahrhundert auf!
11
Die gute Vernunft bewahre uns vor dem Glauben, dass die Menschheit irgend wann einmal endgültige ideale Ordnungen finden werde und dass dann das Glück mit immer gleichem Strahle, gleich der Sonne der Tropenländer, auf die solchermaassen Geordneten niederbrennen müsse: mit einem solchen Glauben hat Wagner Nichts zu thun, er ist kein Utopist. Wenn er des Glaubens an die Zukunft nicht entrathen kann, so heisst diess gerade nur so viel, dass er an den jetzigen Menschen Eigenschaften wahrnimmt, welche nicht zum unveränderlichen Charakter und Knochenbau des menschlichen Wesens gehören, sondern wandelbar, ja vergänglich sind, und dass gerade dieser Eigenschaften wegen die Kunst unter ihnen ohne Heimath und er selber der vorausgesendete Bote einer anderen Zeit sein müsse. Kein goldenes Zeitalter, kein unbewölkter Himmel ist diesen kommenden Geschlechtern beschieden, auf welche ihn sein Instinct anweist und deren ungefähre Züge aus der Geheimschrift seiner Kunst so weit zu errathen sind, als es möglich ist, von der Art der Befriedigung auf die Art der Noth zu schliessen. Auch die übermenschliche Güte und Gerechtigkeit wird nicht wie ein unbeweglicher Regenbogen über das Gefilde dieser Zukunft gespannt sein. Vielleicht wird jenes Geschlecht im Ganzen sogar böser erscheinen, als das jetzige,—denn es wird, im Schlimmen wie im Guten, offener sein; ja es wäre möglich, dass seine Seele, wenn sie einmal in vollem, freiem Klange sich ausspräche, unsere Seelen in ähnlicher Weise erschüttern und erschrecken würde, wie wenn die Stimme irgend eines bisher versteckten bösen Naturgeistes laut geworden wäre. Oder wie klingen diese Sätze an unser Ohr: dass die Leidenschaft besser ist, als der Stoicismus und die Heuchelei, dass Ehrlich-sein, selbst im Bösen, besser ist, als sich selber an die Sittlichkeit des Herkommens verlieren, dass der freie Mensch sowohl gut, als böse sein kann, dass aber der unfreie Mensch eine Schande der Natur ist, und an keinem himmlischen, noch irdischen Troste Antheil hat; endlich, dass Jeder, der frei werden will, es durch sich selber werden muss, und dass Niemandem die Freiheit als ein Wundergeschenk in den Schooss fällt. Wie schrill und unheimlich diess auch klingen möge: es sind Töne aus jener zukünftigen Welt, welche der Kunst wahrhaft bedürftig ist und von ihr auch wahrhafte Befriedigungen erwarten kann; es ist die Sprache der auch im Menschlichen wiederhergestellten Natur, es ist genau Das, was ich früher richtige Empfindung im Gegensatz zu der jetzt herrschenden unrichtigen Empfindung nannte.
Nun aber giebt es allein für die Natur, nicht für die Unnatur und die unrichtige Empfindung, wahre Befriedigungen und Erlösungen. Der Unnatur, wenn sie einmal zum Bewusstsein über sich gekommen ist; bleibt nur die Sehnsucht in's Nichts übrig, die Natur dagegen begehrt nach Verwandelung durch Liebe: jene will nicht sein, diese will anders sein. Wer diess begriffen hat, führe sich jetzt in aller Stille der Seele die schlichten Motive der Wagnerischen Kunst vorüber, um sich zu fragen, ob mit ihnen die Natur oder die Unnatur ihre Ziele, wie diese eben bezeichnet wurden, verfolgt.