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von drei Königen aus fernem Lande, die ein leuchtender Stern durch das Dunkel geführt. Und da verließ wieder die lästige Schwere seine Seele, und der eilende Wanderschritt hallte sicher und fest auf dem harten Pfade.

Einige Stunden eilte er so dahin, dann ward es Morgen. Langsam hob sich der Nebel und zeigte das farbensatte Hügelland mit seinen fernen Bergen und hellen Gehöften, die zur Rast einluden. Er aber hielt nicht inne auf seiner Wanderung, sondern strebte unablässig weiter. Langsam stieg die Sonne höher und höher. Und es ward ein heißer Tag, der sich schwer über das Land legte.

Bald wurde sein Schritt langsamer. Lichte Schweißperlen tropften von seinem Körper, und das schwere Feiertagsgewand begann ihn zu drücken. Zuerst legte er es über die Schulter, um es zu bewahren, und ging in ärmlicher Gewandung dahin. Bald aber begann er die Schwere der Last zu fühlen und wußte nicht mehr, was er mit dem Kleide beginnen sollte. Er wollte es nicht weggeben, denn er war arm und hatte kein anderes Feiertagsgewand, so daß er schon daran dachte, es im nächsten Dorfe zu verkaufen oder als Pfand für Geld zu geben. Aber als ein Bettler mühselig des Weges daherkam, dachte er seines

fernen Meisters und schenkte das Gewand dem Armen.

Eine kurze Zeit ging er wieder rüstiger, doch dann verlangsamte sich von neuem sein Gang. Die Sonne stand schon hoch und heiß, und die Schatten der Bäume fielen nur als schmale Streifen über den staubigen Weg. Sehr selten kam ein schwacher Wind durch die stockende Mittagsschwüle, der aber trieb den breitkörnigen und schweren Staub der Straße mit sich, der sich an den schweißüberströmten Körper klebte. Und er fühlte ihn auch auf den vertrockneten

Lippen brennen, die lange nach einem Trunke lechzten. Aber die Gegend war gebirgig und öde, nirgends war ein frischer Quell zu sehen oder ein gastliches Haus.

Manchmal kam ihm der Gedanke, er sollte umkehren oder doch wenigstens im Schatten einige Stunden rasten. Aber eine immer wachsende Unruhe trieb ihn weiter mit schwankenden Knieen und lechzenden Lippen seinem Ziele entgegen.

Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne brannte heiß und stechend vom wolkenlosen Himmel herab, und die Straße glühte unter den Sandalen des Wanderers wie flüssiges Erz. Seine Augen waren rot und geschwollen vom Staube, der Gang wurde immer unsicherer, und die ausgetrocknete Zunge vermochte nicht mehr den seltenen Vorüberwandernden den frommen Willkommengruß zu erwidern. Längst hätten alle Kräfte versagt, aber es war, als triebe der Wille allein ihn noch vorwärts und die furchtbare Angst, er könnte sich verspäten und möchte das leuchtende Antlitz nicht mehr schauen, das seine Träume erhellte.

Und der höhnische Gedanke, daß er ihm schon nahe sei, nur mehr zwei armselige Stunden von der heiligen Stadt, drohte ihm das Gehirn zu zersprengen.

Bis zu einem Hause am Wege schleppte er sich noch fort. Mit letzter Kraft warf er den knorrigen Wanderstab gegen die Tür und bat die öffnende Frau mit trockener und fast unhörbarer Stimme um einen Trunk. Dann brach er ohnmächtig über der Schwelle zusammen.

Als er wieder zur Besinnung erwachte, fühlte er wieder sichere und frische Kraft in seinen Gliedern.

Er fand sich in einem kleinen Raum von wohltuender Kühle auf einem Ruhebette ausgestreckt. Und überall die Spuren einer

mildtätig-sorglichen Hand; sein glühender Körper war mit Essig gewaschen worden und sorgfältig gesalbt, und neben seinem Lager stand noch das Gefäß, aus dem man ihn gelabt.

Sein erster Gedanke galt der Zeit, und er sprang rasch vom Lager, um nach der Sonne zu sehen. Die stand noch hoch, denn es war erst früher Nachmittag, so daß er wenig Zeit versäumt hatte. In diesem Augenblicke trat die Frau ins Zimmer, die ihm früher das Tor geöffnet. Sie war noch jung und dem Aussehen nach eine Syrierin; wenigstens hatten ihre Augen jenen dunklen raubtierartigen Glanz der Frauen dieses Volkes, und ihre Hände und Ohrgehänge verrieten die kindliche Freude am Schmuck, die allen diesen Frauen eigen ist. Ihr Mund lächelte leise, als sie ihm Willkommen in ihrem Hause bot.

Er sagte ihr warmen Dank für ihre Gastfreundschaft, wagte es aber nicht, gleich vom Abschied zu sprechen, so sehr ihn auch sein Herz auf den Weg drängte. Und nur ungern folgte er ihr in das Speisegemach, wo sie ihm eine Mahlzeit vorbereitet. Dort hieß sie ihn mit einer Gebärde sich niederzulassen, fragte ihn dann nach seinem Namen und um das Ziel seiner Reise. Und bald kamen sie ins Gespräch. Sie begann von sich zu erzählen, daß sie die Frau eines römischen Centurio sei, der sie aus ihrem Heimatlande entführt hatte und hierhergebracht, wo ihr das Leben in seiner Eintönigkeit, fern von ihren Stammesgenossen, wenig behage. Heute bliebe er den ganzen Tag in der Stadt, denn Pontius Pilatus, der Statthalter, habe die Hinrichtung dreier Verbrecher angeordnet. Und so sprach sie noch allerlei gleichgültige Dinge mit viel Geschäftigkeit, ohne auf seine unruhige und ungeduldige Miene zu achten.

Und manchmal sah sie ihn mit einem eigentümlich lächelnden Blick an, denn er war ein schöner Jüngling.

Zuerst bemerkte er von alldem nichts, denn er achtete nicht auf sie und ließ ihre Worte wie ein sinnloses Geräusch an sich vorbeiströmen. Sein ganzes Denken verlor sich immer wieder in dem einzigen Gedanken, daß er weiterwandern müsse, um noch heute den Heiland zu sehen. Aber der schwere Wein, den er achtlos trank, gab seinen Gliedern Müdigkeit und Schwere, und mit der Sättigung überkam ihn auch

das sanfte Gefühl einer trägen Behaglichkeit. Und als die sinkende Willenskraft ihn nach dem Mahle zu einem matten Versuche zwang, Abschied zu nehmen, hielt sie ihn mit Hinblick auf die drückende Hitze des Nachmittags ohne viel Mühe zurück.

Und lächelnd verwies sie ihm seine Hast, die mit wenigen Stunden geize. Wenn er schon Monate gezögert, dürfe er doch nicht mit einem einzigen Tage rechnen. Und mit ihrem seltsamen Lächeln kam sie immer wieder darauf zurück, daß sie allein zu Hause sei, ganz allein. Dabei bohrte sich ihr Blick verlangend in den seinen. Und auch über ihn war eine seltsame Unruhe gekommen. Der Wein hatte in ihm dumpfe Begierden geweckt, und sein Blut, das in dem kochenden, verzehrenden Brande der Sonne geglüht, pochte in seinen Adern mit einer seltsamen Schwüle, die sein Denken immer mehr überwältigte.

Und als sie ihr Antlitz einmal nah zu dem seinen neigte und er den verlockenden Duft ihrer Haare einsog, riß er sie zu sich und küßte sie in stürmischem Überschwang. Und sie wehrte ihm nicht...

Und er vergaß seiner heiligen Sehnsucht und dachte nur derer, die er in seinen fiebernden Armen hielt, einen langen schwülen Sommernachmittag lang.

Erst die Dämmerung erweckte ihn wieder aus seinem Taumel. Jäh, fast feindselig riß er sich aus ihren Armen los, denn der Gedanke, er könnte den Messias versäumt haben um eines Weibes willen, machte ihn furchterfüllt und wild. In Hast nahm er seine Kleider, ergriff den Stab und verließ das Haus nur mit einer stummen Gebärde des Abschieds. Denn wie eine Ahnung war es in ihm, daß er dieser Frau nicht Dank sagen dürfe.

In unaufhörlicher Hast strebte er Jerusalem zu. Der Abend war schon gesunken, und in allen Ästen und Zweigen bebte ein Rauschen wie von einem dunklen Geheimnis, das die Welt erfüllte. Und ferne in der Richtung gegen die Stadt zu lagen ein paar dunkelschwere Wolken, die langsam im Abendrote zu glühen begannen. Und sein Herz erschrak in jäher und unverständlicher Angst, wie er dieses grelle Zeichen am Himmel erkannte.

Atemlos legte er den Rest des Weges zurück, und schon lag das Ziel vor seinen Augen. Er aber dachte immer wieder, daß er seiner Berufung untreu geworden sei, um einer flüchtigen Wollust willen, und die dumpfe Schwere in seinem Herzen wollte nicht leichter werden, ob er auch die hellen Mauern und blanken Türme der heiligen Stadt erblickte und die leuchtenden Zinnen des Tempels.

Nur einmal hielt er inne auf seiner Wanderung. Nahe der Stadt, auf einem niederen Hügel, sah er eine gewaltige Menge Menschen, die sich wirr durcheinander drängte und so laut lärmte, daß er die Stimmen selbst aus der Ferne vernahm. Und über ihnen sah er drei Kreuze ragen, die sich schwarz und scharf von der Himmelswand abhoben. Diese aber war überflutet von heller Glut, als sei die ganze Welt mit leuchtendem Flammenschein übergossen und

in drohenden Glanz getaucht. Und die blanken Speere der Söldner glühten, als seien sie mit Blut befleckt....

Ein Mann kam auf dem menschenleeren Weg daher, mit ziellosem, unruhigem Gang. Den fragte er, was hier geschehe, um im nächsten Augenblick maßlos zu erstaunen. Denn das Antlitz, das der Fremde vom Boden erhob, war so schreckverzerrt und erstarrt, wie von einem jähen Schlage gerührt, und ehe sich der Fragende fassen konnte, stürmte er in wilder Verzweiflung davon, wie von Dämonen verfolgt. Verwundert rief er ihm nach. Der Fremde wendete sich nicht um, sondern lief fort und fort, aber dem Weiterwandernden dünkte es, als hätte er in ihm einen Mann aus Kerijoth, namens Judas Ischariot, erkannt. Doch er verstand nicht sein seltsames Gebaren.

Den Nächsten, der des Weges vorüberzog, befragte er ebenfalls. Der aber war eilig und sagte nur, es seien drei Verbrecher gekreuzigt worden, die Pontius Pilatus verurteilt habe. Und ehe er ihn weiter fragen konnte, war er vorüber.

Und da ging er selbst weiter gegen Jerusalem zu. Einmal warf er noch einen Blick zurück auf den Hügel, der wie mit Blut umwölkt war, und sah zu den drei Gekreuzigten hin. Zum Rechten, zum Linken und zuletzt zu dem in der Mitte. Aber er konnte sein Angesicht nicht mehr erkennen.

Und er schritt achtlos vorüber und wanderte zur Stadt, um das Antlitz des Erlösers zu schauen....

25. Schwere Stunde

Er stand vom Schreibtisch auf, von seiner kleinen, gebrechlichen Schreibkommode, stand auf wie ein Verzweifelter und ging mit hängendem Kopfe in den entgegengesetzten Winkel des Zimmers zum Ofen, der lang und schlank war wie eine Säule. Er legte die Hände an die Kacheln, aber sie waren fast ganz erkaltet, denn Mitternacht war lange vorbei, und so lehnte er, ohne die kleine Wohltat empfangen zu haben, die er suchte, den Rücken daran, zog hustend die Schöße seines Schlafrockes zusammen, aus dessen Brustaufschlägen das verwaschene Spitzenjabot heraushing, und schnob mühsam durch die Nase, um sich ein wenig Luft zu verschaffen; denn er hatte den Schnupfen wie gewöhnlich.

Das war ein besonderer und unheimlicher Schnupfen, der ihn fast nie völlig verließ. Seine Augenlider waren entflammt und die Ränder seiner Nasenlöcher ganz wund davon, und in Kopf und Gliedern lag dieser Schnupfen ihm wie eine schwere, schmerzliche Trunkenheit. Oder war an all der Schlaffheit und Schwere das leidige Zimmergewahrsam schuld, das der Arzt nun schon wieder seit Wochen über ihn verhängt hielt? Gott wußte, ob er wohl daran tat. Der ewige Katarrh und die Krämpfe in Brust und Unterleib mochten es nötig machen, und schlechtes Wetter war über Jena, seit Wochen, seit Wochen, das war richtig, ein miserables und hassenswertes Wetter, das man in allen Nerven spürte, wüst, finster und kalt, und der Dezemberwind heulte im Ofenrohr, verwahrlost und gottverlassen, daß es klang nach nächtiger Heide im Sturm und Irrsal und heillosem Gram der Seele. Aber gut war sie nicht, diese enge Gefangenschaft, nicht gut für die Gedanken und den Rhythmus des Blutes, aus dem die Gedanken kamen…

Das sechseckige Zimmer, kahl, nüchtern und unbequem, mit seiner geweißten Decke, unter der Tabaksrauch schwebte, seiner schräg karierten Tapete, auf der oval gerahmte Silhouetten hingen, und seinen vier, fünf dünnbeinigen Möbeln, lag im Lichte der beiden Kerzen, die zu Häupten des Manuskripts auf der Schreibkommode brannten. Rote Vorhänge hingen über den oberen Rahmen der Fenster, Fähnchen nur, symmetrisch geraffte Kattune; aber sie waren rot, von einem warmen, sonoren Rot, und er liebte sie und wollte sie niemals missen, weil sie etwas von Üppigkeit und Wollust in die unsinnlich-enthaltsame Dürftigkeit seines Zimmers brachten…

Er stand am Ofen und blickte mit einem raschen und schmerzlich angestrengten Blinzeln hinüber zu dem Werk, von dem er geflohen war, dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend, sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte, es stand—schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein Katarrh und seine Müdigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die eine unglückselige und der Verzweiflung geweihte Empfängnis war?

Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen, denn so oft bewirkte die räumliche Entfernung vom Manuskript, daß man Übersicht gewann, einen weiteren Blick über den Stoff, und Verfügungen zu treffen vermochte. Ja, es gab Fälle, wo das Erleichterungsgefühl, wenn man sich abwendete von der Stätte des Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere Begeisterung, als wenn man Likör nahm oder schwarzen, starken Kaffee… Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen.

Wenn sie ihm über das Hemmnis hülfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam widerraten: der andere, der dort, in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wußte zu leben, zu schaffen; mißhandelte sich nicht; war voller Rücksicht gegen sich selbst…

Stille herrschte im Hause. Nur der Wind war hörbar, der die Schloßgasse hinuntersauste, und der Regen, wenn er prickelnd gegen die Fenster getrieben ward. Alles schlief, der Hauswirt und die Seinen,

Lotte und die Kinder. Und er stand einsam wach am erkalteten Ofen und blinzelte gequält zu dem Werk hinüber, an das seine kranke Ungenügsamkeit ihn glauben ließ… Sein weißer Hals ragte lang aus der Binde hervor, und zwischen den Schößen des Schlafrocks sah man seine nach innen gekrümmten Beine.

Sein rotes Haar war aus der hohen und zarten Stirn zurückgestrichen, ließ blaß geäderte Buchten über den Schläfen frei und bedeckte die Ohren in dünnen Locken. An der Wurzel der großen, gebogenen Nase, die unvermittelt in eine weißliche Spitze endete, traten die starken Brauen, dunkler als das Haupthaar, nahe zusammen, was dem Blick der tiefliegenden, wunden Augen etwas tragisch Schauendes gab. Gezwungen, durch den Mund zu atmen, öffnete er die dünnen Lippen, und seine Wangen, sommersprossig und von Stubenluft fahl, erschlafften und fielen ein…

Nein, es mißlang, und alles war vergebens! Die Armee! Die Armee hätte gezeigt werden müssen! Die Armee war die Basis von allem! Da sie nicht vors Auge gebracht werden konnte—war die ungeheure Kunst denkbar, sie der Einbildung aufzuzwingen? Und der Held war kein Held; er war unedel und kalt!

Die Anlage war falsch, und die Sprache war falsch, und es war ein trockenes und schwungloses Kolleg in Historie, breit, nüchtern und für die Schaubühne verloren!

Gut, es war also aus. Eine Niederlage. Ein verfehltes Unternehmen. Bankerott. Er wollte es Körnern schreiben, dem guten Körner, der an ihn glaubte, der in kindischem Vertrauen seinem Genius anhing. Er würde höhnen, flehen, poltern—der Freund; würde ihn an den Carlos gemahnen, der auch aus Zweifeln und Mühen und Wandlungen hervorgegangen und sich am Ende, nach aller Qual, als ein weithin Vortreffliches, eine ruhmvolle Tat erwiesen hat. Doch das war anders gewesen. Damals war er der Mann noch, eine Sache mit glücklicher Hand zu packen und sich den Sieg daraus zu gestalten. Skrupel und Kämpfe? O ja. Und krank war er gewesen, wohl kränker als jetzt, ein Darbender, Flüchtiger, mit der Welt Zerfallener, gedrückt und im Menschlichen bettelarm. Aber jung, ganz jung noch! Jedesmal, wie tief auch gebeugt, war sein Geist geschmeidig emporgeschnellt, und nach den Stunden des Harms waren die anderen des Glaubens und des inneren Triumphes gekommen. Die kamen nicht mehr, kamen kaum noch.

Eine Nacht der flammenden Stimmung, da man auf einmal in einem genialisch leidenschaftlichen Lichte sah, was werden könnte, wenn man immer solcher Gnade genießen dürfte, mußte bezahlt werden mit einer Woche der Finsternis und der Lähmung. Müde war er, siebenunddreißig erst alt und schon am Ende. Der Glaube lebte nicht mehr, der an die Zukunft, der im Elend sein Stern gewesen. Und so war es, dies war die verzweifelte Wahrheit: Die Jahre der Not und der Nichtigkeit, die er für Leidens-und Prüfungsjahre gehalten, sie eigentlich waren reiche und fruchtbare Jahre gewesen; und nun, da ein wenig Glück sich herniedergelassen, da er aus dem Freibeutertum des Geistes in einige Rechtlichkeit und bürgerliche Verbindung eingetreten war, Amt und Ehren trug, Weib und Kinder besaß, nun war er erschöpft und fertig.

Versagen und verzagen—das war's, was übrigblieb.

Er stöhnte, preßte die Hände vor die Augen und ging wie gehetzt durch das Zimmer. Was er da eben gedacht, war so furchtbar, daß er nicht an der Stelle zu bleiben vermochte, wo ihm der Gedanke gekommen war. Er setzte sich auf einen Stuhl an der Wand, ließ die gefalteten Hände zwischen den Knien hängen und starrte trüb auf die Diele nieder.

Das Gewissen… wie laut sein Gewissen schrie! Er hatte gesündigt, sich versündigt gegen sich selbst in all den Jahren, gegen das zarte Instrument seines Körpers. Die Ausschweifungen seines Jugendmutes, die durchwachten Nächte, die Tage in tabakrauchiger Stubenluft, übergeistig und des Leibes uneingedenk, die Rauschmittel, mit denen er sich zur Arbeit gestachelt—das rächte, rächte sich jetzt!

Und rächte es sich, so wollte er den Göttern trotzen, die Schuld schickten und dann Strafe verhängten.

Er hatte gelebt, wie er leben mußte, er hatte nicht Zeit gehabt, weise, nicht Zeit, bedächtig zu sein. Hier, an dieser Stelle der Brust, wenn er atmete, hustete, gähnte, immer am selben Punkt dieser Schmerz, diese kleine, teuflische, stechende, bohrende Mahnung, die nicht schwieg, seitdem vor fünf Jahren in Erfurt das Katarrhfieber, jene hitzige Brustkrankheit, ihn angefallen—was wollte sie sagen? In Wahrheit, er wußte es nur zu gut, was sie meinte—mochte der Arzt sich stellen wie er konnte und wollte. Er hatte nicht Zeit, sich

mit kluger Schonung zu begegnen, mit milder Sittlichkeit hauszuhalten. Was er tun wollte, mußte er bald tun, heute noch, schnell… Sittlichkeit? Aber wie kam es zuletzt, daß die Sünde gerade, die Hingabe an das Schädliche und Verzehrende ihn moralischer dünkte als alle Weisheit und kühle Zucht? Nicht sie, nicht die verächtliche Kunst des guten Gewissens waren das Sittliche, sondern der Kampf und die Not, die Leidenschaft und der Schmerz!

Are sens