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Es war eine Weile still, dann hörte er die vogelzarte Stimme:

»Das ist schlimm.«

»Warum?«

»Weil es dann kein Phantasien mehr geben wird.«

Bastian schwieg verwirrt. Es störte ein wenig sein Gefühl schrankenloser Freiheit, daß alles von ihm abhängen sollte.

»Warum ist es so dunkel, Mondenkind?« fragte er.

»Der Anfang ist immer dunkel, mein Bastian.«

»Ich möchte dich gern noch einmal sehen, Mondenkind, weißt du, wie in dem Augenblick, als du mich angeschaut hast.«

Er hörte wieder das leise, singende Lachen.

»Warum lachst du?«

»Weil ich froh bin.«

»Worüber denn?«

»Du hast eben deinen ersten Wunsch gesagt.«

»Und wirst du ihn erfüllen?«

»Ja, streck deine Hand aus!«

Er tat es und fühlte, daß sie etwas auf seine flache Hand legte. Es war winzig, wog aber seltsam schwer. Kälte ging davon aus und es fühlte sich hart und tot an.

»Was ist das, Mondenkind?«

»Ein Sandkorn«, antwortete sie. »Es ist alles, was von meinem grenzenlosen Reich übriggeblieben ist. Ich schenke es dir.«

»Danke«, sagte Bastian verwundert. Er wußte wahrhaftig nicht, was er mit dieser Gabe anfangen sollte. Wenn es wenigstens etwas Lebendiges gewesen wäre!

Während er noch überlegte, was Mondenkind wohl von ihm erwartete, fühlte er plötzlich ein zartes Kribbeln auf seiner Hand. Er sah genauer hin.

»Schau mal, Mondenkind!« flüsterte er, »es fängt ja an zu glimmen und zu glitzern! Und da siehst du’s - da züngelt eine winzige Flamme heraus.

Nein, das ist ja ein Keim! Mondenkind, das ist ja gar kein Sandkorn! Das ist ein leuchtendes Samenkörnchen, das zu treiben anfängt!« »Gut gemacht, mein Bastian!« hörte er sie sagen. »Siehst du, es ist ganz leicht für dich.«

Von dem Pünktchen auf Bastians Handfläche ging jetzt ein kaum wahrnehmbarer Schein aus, der rasch zunahm und aus dem samtenen Dunkel die beiden so verschiedenartigen Kindergesichter aufleuchten ließ, die über das Wunder geneigt waren.

Bastian zog langsam seine Hand zurück und der leuchtende Punkt blieb wie ein kleiner Stern zwischen ihnen schweben.

Der Keim wuchs sehr rasch, man konnte ihm dabei zusehen. Er entfaltete Blätter und Stengel, trieb Knospen hervor, die zu wunderbaren, vielfarbig glimmenden und phosphoreszierenden Blüten aufsprangen. Schon bildeten sich kleine Früchte, die, sobald sie reif waren, explodierten wie Miniaturraketen und einen bunten Funkenregen von neuen Samenkörnern um sich sprühten.

Aus den neuen Samenkörnern wuchsen wieder Pflanzen, doch hatten sie andere Formen, glichen Farnwedeln oder kleinen Palmen, Kakteenkugeln, Schachtelhalmen oder knorrigen Bäumchen. Jede glomm und leuchtete in einer anderen Farbe.Bald war rund um Bastian und Mondenkind, über und unter ihnen und zu allen Seiten, das samtene Dunkel mit sprossenden und wuchernden Lichtpflanzen erfüllt. Ein farbenglühender Ball, eine neue, leuchtende Welt schwebte im Nirgendwo, wuchs und wuchs, und in ihrem innersten Inneren saßen Bastian und Mondenkind Hand in Hand und sahen mit staunenden Augen dem wunderbaren Schauspiel zu.

Die Pflanzen schienen unerschöpflich im Hervorbringen immer neuer Formen und Farben. Immer größere Blütenknospen taten sich auf, immer reichere Dolden sprühten hervor. Und dieses ganze Wachstum vollzog sich in völliger Stille.

Nach einer Weile hatten manche Pflanzen schon die Höhe von Sonnenblumen erreicht, ja, einige waren sogar schon groß wie Obstbäume.

Da gab es Fächer oder Pinsel aus langen, smaragdgrünen Blättern, oder Blüten wie Pfauenschweife voller regenbogenfarbener Augen. Andere Gewächse glichen Pagoden aus übereinanderstehenden, aufgespannten Regenschirmen von violetter Seide. Einige dickere Stämme waren zopfartig verschlungen. Da sie durchscheinend waren, sahen sie aus wie aus rosa Glas, das von innen erleuchtet ist. Und Blütenbüschel waren da, die großen Trauben blauer und gelber Lampions glichen. An manchen Stellen hingen Abertausende von kleinen Sternblumen hernieder wie silberglitzernde Wasserfälle, oder dunkelgoldene Vorhänge aus Glockenblumen mit langen, quastenartigen Staubgefäßen. Und immer noch üppiger und dichter wuchsen diese leuchtenden Nachtpflanzen und verwoben sich nach und nach untereinander zu einem herrlichen Geflecht aus mildem Licht.

»Du mußt ihm einen Namen geben!« flüsterte Mondenkind.

Bastian nickte.

»Perelin, der Nachtwald«, sagte er.

Er blickte der Kindlichen Kaiserin in die Augen - und nun geschah ihm noch einmal, was ihm bei ihrem ersten Blickwechsel geschehen war. Er saß da wie verzaubert und schaute sie an und konnte seine Augen nicht mehr von ihr abwenden. Bei jenem ersten Mal hatte er sie todkrank gesehen, aber jetzt war sie noch viel, viel schöner. Ihr zerrissenes Gewand war wieder wie neu und über das makellose Weiß der Seide und ihres langen Haars spielte der Widerschein des vielfarbigen, sanften Lichts. Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen. »Mondenkind«, stammelte Bastian benommen, »bist du jetzt wieder gesund?« Sie lächelte. »Kannst du das nicht sehen, mein Bastian?«

»Ich möchte, daß es ewig so bleibt wie jetzt«, sagte er.

»Ewig ist der Augenblick«, antwortete sie.

Bastian schwieg. Er verstand ihre Antwort nicht, aber ihm war jetzt nicht nach Grübeln zumut. Er wollte nichts, als vor ihr sitzen und sie anschauen.

Um die beiden herum hatte das wuchernde Dickicht der Lichtpflanzen nach und nach ein dichtes Gitterwerk gebildet, ein farbenglühendes Gewebe, das sie einschloß wie ein großes, rundes Zelt aus Zauberteppichen.

So achtete Bastian nicht darauf, was außerhalb geschah. Er wußte nicht, daß Perelin weiter-und weiterwuchs und die einzelnen Pflanzen immer größer wurden. Und noch immer regneten überall lichtfünkchenkleine Samenkörner herunter, aus denen neue Keime sproßten.

Er saß in Mondenkinds Anblick versunken.

Er hätte nicht sagen können, ob viel Zeit verstrichen war oder wenig, als Mondenkind ihm mit ihrer Hand die Augen verdeckte.

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