Literatur, Diss. Köln 1965.
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Alphabet des Ben Sira
V. Eine fabelhafte Ethik
Die Erzählungen von Kalila und Dimna, zweier Füchse, stammen auch durch die unmittelbaren Vorbilder (Eltern, Lehrer) geprägt. Die ursprünglich aus Indien (3. Jh). Sie wurden im 7. Jahrhundert weiter Menschen lernen durch Nachahmung, daher sind gute Vorbilder un-ausgestaltet und überarbeitet, als sie Abdallah ibn al-Muqaffa aus entbehrlich. Problematisch wird es dann, wenn schlechte Vorbilder dem Persischen ins Arabische übersetzte. Die Geschichte handelt (Hund und Rabe in der Arche) gewählt werden.
von einem Arzt namens Barzoyeh, der im Auftrag des Königs von Die Frage, warum es im Meer zu jedem Lebewesen ein Gegenstück Persien Pflanzen säen soll, deren Säfte nicht nur Kranke heilen, son-gebe, außer zum Fuchs1, greift ein Bild aus bChul 127a auf.2 Dort dern sie auch unsterblich machen sollten. Der Arzt lernt schließlich, geht es zunächst darum, die Unreinheit von Maus und Wiesel zu de-dass solche Pflanzen ein Symbol für die Bücher der Weisheit sind, die den Menschen dazu verhelfen, ein immerwährendes Leben zu finieren. Dies geschieht mit Verweis auf Lv 11,29, wo es heißt, dass die dort aufgezählten Tiere unrein sind, da sie „auf der Erde wim-führen. Barzoyeh erzählte dem König von seiner Entdeckung, wo-meln“. Ein Schüler fragt daraufhin seinen Lehrer Raba, ob daraus raufhin der König befahl, alle diese Bücher zu sammeln. Es heißt, zu folgern sei, dass diese Tiere nur auf dem Festland verunreinigend dass „Kalila und Dimna“ aus diesen Büchern als Essenz von Weis-seien, nicht jedoch im Meer. Raba verneint dies. Danach verweist heit und Moralität zusammengestellt worden sei. Der Hauptteil des man auf R. Aqibas Auslegung zu diesem Vers: Buches besteht aus Fragen des Königs und Antworten Sindbars, eines Philosophen, der in der hebräischen Übersetzung des Jakob
„Wenn R. Aqiba zu diesem Schriftvers gelangte, sagte er: ben Eleasar „Liebhaber der Weisheit“ (d.h. Philosoph) genannt wird.
Wie groß sind deine Werke, Herr! (Ps 104,24) Interessanterweise ist bei Al-Muqaffa die Deutung der Fabel von Du hast Geschöpfe, die im Meer gedeihen.
Rabe und Rebhuhn beigegeben:1
Wenn die des Meeres auf das Festland heraufkämen, sie würden sofort verenden.
Diese Gleichnis […] habe ich dir gegeben, weil ich an dir bemerkte, dass du deine Sprache aufgeben und die hebräische erlernen wolltest, was dir gar nicht ansteht; und ich fürchte, du möchtest diese Sprache nicht erlernen und 1
Der Fuchs gilt als Kulturfolger; er zieht dorthin, wo Menschen sind, deine Muttersprache darüber verlernen und, wenn du zu heute vorzugsweise als Abfalljäger in die Städte. - J.E. Salisbury, Ani-deinen Landsleuten zurückkämest, am schlechtesten unter mals in the Middle Ages, 131. C. Zerling, W. Bauer, Lexikon der Tier-ihnen sprechen. Und es wird gesagt: „Für einen Toren ist zu symbolik,. 110: „Grundbedeutungen: Kreativität und Fruchtbarkeit des animalischen oder Unter-Bewußtseins, seine Zwielichtigkeit und halten, wer sich mit Sachen abmüht, die ihm nicht anstehen
– im Rohzustand – Morallosigkeit.“
und die nicht zu seinem Geschäft gehen und wozu ihn seine 2
Vgl. auch bBer 61a: Die Rabbanan lehrten: Einst [nach dem Bar-Väter und Vorfahren vorher nicht gebildet haben.“
Kochba Aufstand] hatte die böse [= römische] Regierung angeordnet, dass sich Israel nicht [mehr] mit der Tora beschäftigen dürfe. Es kam Diese Deutung ist auf die Erzählung von Rabe und Taube im Alpha-Papos ben Jehuda und fand Rabbi Akiba öffentliche Versammlungen bet des Ben Sira direkt übertragbar.
abhaltend und sich mit der Tora beschäftigend vor. Er sagte zu ihm: Nachdem Ben Sira eine Raben-Fabel aus der klassischen Weltli-Akiba, fürchtest du dich denn nicht vor der bösen Regierung? Die-teratur zitiert hat, greift er kontrastiv eine Raben-Geschichte aus der ser erwiderte: Ich will dir ein Gleichnis erzählen. Mit was ist diese rabbinischen Tradition2 auf. Hier wird der Rabe – als Aasfresser und Sache zu vergleichen? Mit einem Fuchs, der entlang des Flussufers spazierte und Fische sah, die sich von Ort zu Ort versammelten. Er damit unreines Tier – negativ bewertet. Der Rabe wird von Noah sagt zu ihnen: Wovor flieht Ihr? Sie erwiderten: Vor den Netzen, die damit „gestraft“, mit dem Schnabel, mit Worten, fruchtbar zu sein.
die Menschen auf uns legen. Daraufhin sagte er zu ihnen: Wenn Ihr Hier symbolisiert der Rabe die Gelehrsamkeit, die auf keinen frucht-wollt, kommt doch ans Festland, und wir, ich und Ihr, werden woh-baren Boden fällt.
nen wie meine Vorfahren zusammen mit den Euren gewohnt haben!
Als Gott den Menschen erschuf, gab er ihm die Fähigkeit, sich Sie erwiderten ihm: Bist Du das Tier, von dem man sagt, dass es das frei entscheiden zu können. Der Mensch kann selbst entscheiden, schlaueste sei? Du bist nicht schlau, sondern dumm! Wenn wir uns schon in der Stätte unseres Lebens fürchten müssen, um wie viel mehr ob er sich dem Guten oder dem Bösen zuwenden will, aber er wird in der Stätte unseres Todes! So auch wir. Wenn es jetzt so ist, während wir hier sitzen und uns mit der Tora beschäftigen, über die geschrie-1
Al-Muqaffa, Kalila und Dimna, 266-267.
ben steht: denn sie ist dein Leben und deiner Tage Verlängerung (Dtn 2
Vgl. bSanh 108a.
30,20). Um wie viel mehr, wenn wir gehen und sie abschaffen!
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Und wenn die des Festlandes ins Meer hinabstiegen, sie Fuchs davor rettet, getötet zu werden. Dass aber, wer selbst den To-würden sofort verenden.
desengel überlistet, auch „kleine Fische“1 überlisten kann, verdeut-Du hast Geschöpfe, die im Feuer gedeihen, und du hast licht die Geschichte im Alphabet des Ben Sira. Dass dieser kleine Geschöpfe, die in der Luft gedeihen. Wenn die des Feuers Fisch auch ein „großer Fisch“ – wie Leviatan oder gar Nebukad-in die Luft kämen, sie würden sofort verenden.
nezar – sein kann, zeigt sich am Ende der Erzählung: „Der“ König Wie groß sind deine Werke, Herr! (Ps 104,24) (Nebukadnezar) hört von der Weisheit des Fuchses (Ben Sira) und will das Herz des Fuchses fressen, um ebenso weise wie dieser zu Im Gegensatz zu Aqiba lehren die Rabbanan: werden. Der Fuchs (Ben Sira) ist aber klug genug, das Treiben des Alles, was sich auf dem Festland befindet, befindet sich Königs zu durchschauen. Er hat sich zwar darauf eingelassen, zu auch im Meer, ausgenommen das Wiesel.
ihm zu reisen, aber er hat inzwischen erkannt, dass es das Klügste R. Sera sagte: Hierauf deutet folgender Schriftvers: ist, so schnell wie möglich den Rückweg anzutreten, da er sich im Hört dies, alle Völker, merkt auf, alle Bewohner der Erde.
Bereich des Königs nicht „in seinem Element“ befindet. Der Fuchs (Ps 49,2)
macht deutlich, dass er „nicht ganz bei Verstand war“ (ich hatte mein Herz nicht bei mir), als er dem Angebot der Fische folgte, zu ihnen Im talmudischen Kontext findet sich keine weitere Erklärung zu die-zu kommen.
ser schwer einsehbaren Aussage der Rabbanan. Ben Siras Antwort Der König aber hat am Ende seinen Neid auf die Schlauheit des auf Nebukadnezars Frage scheint allerdings eine Erklärung dazu zu Fuchses überwunden. Er hat Mitleid mit den Fischen, die der Fuchs entwickeln. Dabei geht es zunächst nur am Rande um die Beson-verspottet hat. Und als böse bezeichnet er den Fuchs, weil er nicht derheit des Fuchses. In erster Linie geht es in der Erzählung um die mitfühlend gewesen ist. Der Fuchs handelte nur, um sich selbst zu Frage, wie und warum der Tod in die Welt gekommen ist, eine Frage, retten, nicht, weil ihm „die kleinen“ Fische leid getan hätten. In den die auch Psalm 49 anspricht, den R. Sera auf die kryptische Aussage Augen des Königs fehlt dem Fuchs bei aller Klugheit die Tugend der Rabbanan bezieht.
des Mitgefühls und der Barmherzigkeit. Und damit schließt sich der Der Todesengel begreift bald nach seiner Erschaffung, dass der Kreis zur kindlichen Gelehrsamkeit des Ben Sira.
Vermehrung der Geschöpfe eine Grenze gesetzt werden muss. Er bittet Gott, die Geschöpfe töten zu dürfen, weil es bereits zu viele Die Geschichten am Hofe Nebukadnezars finden ein vorläufiges davon gibt. Gott stimmte seinem Verlangen zu, schließt aber den Ende mit der Erzählung über die Sündlosigkeit des Vogels Phönix.2
Vogel Phönix aus dem Todesurteil aus, weil dieser sich nicht an der Vermehrung beteiligt. Von den übrigen Tieren soll jeweils ein Pär-1
C. Zerling, W. Bauer, Lexikon der Tiersymbolik, 97: „Fische boten chen unangetastet im Meer weiterleben. Damit hat Ben Sira narrativ ein Bild für Regeneration und damit Harmonie, aber auch allgemein eine Erklärung zu dem Satz der Rabbanan entwickelt: „Alles, was für die Masse der Untertanen.“ S. 100: „Grundbedeutungen: Reichtum sich auf dem Festland befindet, befindet sich auch im Meer, ausge-des Wassers; beständiges Fließen der Lebenskraft und ihre Gestaltung in immer geeigneteren Formen; Rückkehr zur göttlichen Urnatur nommen das Wiesel“. Das Wiesel aber verwandelt Ben Sira in einen durch Auflösung der alten Persönlichkeit, Erlösung.“