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»Hohle Nüsse!« antwortete Bastian leichthin. »Wo ist Xayíde?«

»Oben in ihrem Zaubersaal«, gab Atréju zurück.

»Kommt mit!« sagte Bastian. Er nahm den Silbermantel wieder um, den Atréju ihm hinhielt. Dann stiegen sie alle zusammen die breite Steintreppe in die oberen Stockwerke hinauf. Selbst Fuchur ging mit.

Als Bastian, gefolgt von seinen Leuten, in den großen Zaubersaal trat, erhob sich Xayíde von einem Thron, der aus roten Korallen bestand. Sie war viel größer als Bastian und sehr schön. Sie trug ein langes Gewand aus violetter Seide, ihre Haare waren rot wie Feuer und zu einer höchst wunderlichen Frisur aus Flechten und Zöpfen aufgetürmt. Ihr Gesicht war marmorblaß, ebenso ihre langen schmalen Hände. Ihr Blick war merkwürdig und verwirrend, und Bastian brauchte eine Weile, ehe er herausfand, woher das kam: Sie hatte zwei verschiedene Augen, eines war

grün und eines rot. Sie schien sich vor Bastian zu fürchten, denn sie zitterte.

Bastian trotzte ihrem Blick, und sie schlug ihre langen Wimpern nieder. Der Raum war angefüllt mit allerlei seltsamen Gegenständen, deren Zweck nicht zu erraten war, große Globen mit Bildern darauf, Sternenuhren und Pendel, die von der Decke hingen. Dazwischen standen kostbare Räucherbecken, denen schwere Wolken in verschiedenen Farben entquollen, die wie Nebel auf dem Boden dahinkrochen.

Bastian hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Und das schien Xayíde aus der Fassung zu bringen, denn plötzlich lief sie auf ihn zu und warf sich vor ihm auf den Boden. Dann nahm sie einen seiner Füße und setzte ihn sich selbst ins Genick.

»Mein Herr und mein Meister«, sagte sie mit einer Stimme, die tief und samten und auf unbestimmbare Art verschleiert klang, »dir kann niemand in Phantasien widerstehen. Du bist mächtiger als alle Mächtigen und gefährlicher als alle Dämonen. Wenn es dich danach gelüstet, dich an mir zu rächen, weil ich töricht genug war, deine Größe nicht zu kennen, dann magst du mich mit deinem Fuß zertreten. Ich habe deinen Zorn verdient.

Wenn du aber jene Großmütigkeit, für die du berühmt bist, auch mir Unwürdiger gegenüber beweisen willst, so dulde es, daß ich mich dir als gehorsame Sklavin unterwerfe und dir mit allem, was ich bin, was ich habe und was ich kann, zu dienen schwöre. Lehre mich, zu tun, was du für wünschenswert hältst, und ich will deine demütige Schülerin sein und jedem Wink deiner Augen Folge leisten. Ich bereue, was ich dir tun wollte, und erflehe deine Gnade.«

»Steh auf, Xayíde!« sagte Bastian. Er war zornig auf sie gewesen, aber die Rede der Magierin hatte ihm gefallen. Wenn sie wirklich nur aus Unkenntnis über ihn gehandelt hatte, und wenn sie es tatsächlich so bitter bereute, dann wäre es unter seiner Würde gewesen, sie jetzt noch zu bestrafen. Und da sie ja sogar willens war, von ihm zu lernen, was er für wünschenswert hielt, gab es eigentlich überhaupt keinen Grund, ihre Bitte zurückzuweisen.

Xayíde hatte sich erhoben und stand gesenkten Hauptes vor ihm. »Willst du mir bedingungslos gehorchen«, fragte er, »auch wenn es dir noch so schwer fällt, was ich dir befehle - ohne Widerrede und ohne zu murren?«

»Ich will es, Herr und Meister«, antwortete Xayíde, »und du sollst sehen, daß wir alles bewirken können, wenn wir meine Künste mit deiner Macht

vereinigen.«

»Gut«, erwiderte Bastian, »dann nehme ich dich in meinen Dienst. Du wirst dieses Schloß verlassen und mit mir zum Elfenbeinturm ziehen, wo ich mit Mondenkind

zusammenzutreffen gedenke.«

Xayídes Augen glommen für den Bruchteil einer Sekunde rot und grün auf, doch sogleich senkte sie wieder ihre langen Wimpern darüber und sagte:

»Ich gehorche, Herr und Meister.«

Alle gingen hinunter und traten vor das Schloß hinaus.

»Wir müssen zuerst unsere anderen Weggenossen wiederfinden«, entschied Bastian, »wer weiß, wo sie jetzt sind.«

»Nicht sehr weit von hier«, sagte Xayíde, »ich habe sie ein wenig in die Irre geführt.« »Zum letzten Mal«, erwiderte Bastian.

»Zum letzten Mal, Herr«, wiederholte sie, »aber wie wollen wir hinkommen? Soll ich zu Fuß gehen? Nachts und durch diesen Wald?«

»Fuchur wird uns tragen«, befahl Bastian, »er ist stark genug, mit uns allen zu fliegen.« Fuchur hob das Haupt und sah Bastian an. Seine rubinroten Augenbälle funkelten.»Stark genug bin ich, Bastian Balthasar Bux«, dröhnte seine Bronzestimme, »aber ich will dieses Weib nicht tragen.«

»Du wirst es dennoch tun«, sagte Bastian, »weil ich es dir befehle!«

Der Glücksdrache schaute Atréju an, und der nickte ihm unmerklich zu.

Bastian hatte es dennoch gesehen.

Alle setzten sich auf Fuchurs Rücken, der sogleich in die Lüfte emporstieg.

»Wohin?« fragte er.

»Einfach geradeaus!« sagte Xayíde.

»Wohin?« fragte Fuchur noch einmal, als habe er es nicht gehört.

»Geradeaus!« rief ihm Bastian zu, »du hast es gut verstanden!«

»Tu’s nur!« sagte Atréju leise, und Fuchur tat es.

Eine halbe Stunde später - der Morgen graute bereits - sahen sie unter sich viele Lagerfeuer, und der Glücksdrache landete. In der Zwischenzeit waren neue Phantásier dazugestoßen, und viele von ihnen hatten Zelte mitgebracht. Das Lager glich einer regelrechten Stadt aus Zelten, die sich da am Rande des Orchideenwaldes auf einer weiten, blumenbedeckten Wiese ausbreitete.

»Wie viele sind es denn jetzt schon?« wollte Bastian wissen, und Illuán, der blaue Dschinn, der inzwischen den Zug angeführt hatte, und nun zur Begrüßung erschienen war, erklärte ihm, genau habe man die Teilnehmer noch nicht zählen können, aber es seien gewiß schon an die tausend. Und übrigens gäbe es da noch etwas anderes, ziemlich Sonderbares: Kurz nachdem man das Lager aufgeschlagen habe, also noch vor Mitternacht, seien fünf von diesen Panzerriesen erschienen. Sie hätten sich jedoch friedlich verhalten und seien abseits geblieben. Niemand habe natürlich gewagt, sich ihnen zu nähern. Und sie hätten eine große Sänfte aus roten Korallen mit sich getragen, die jedoch leer sei.

»Es sind meine Träger«, sagte Xayíde in bittendem Ton zu Bastian, »ich habe sie gestern abend vorausgeschickt. Es ist die angenehmste Art, zu reisen. Wenn du es mir erlaubst, Herr.« »Das gefällt mir nicht«, fiel ihr jetzt Atréju ins Wort.

»Warum nicht?« fragte Bastian, »was hast du dagegen?«

»Sie kann reisen, wie sie will«, antwortete Atréju scharf, »aber daß sie die Sänfte bereits gestern abend losschickte, bedeutet, daß sie von vornherein wußte, daß sie hier herkommen würde. Das alles war ihr Plan, Ba

stian. Dein Sieg ist in Wahrheit eine Niederlage. Sie hat dich absichtlich siegen lassen, um dich auf ihre Art für sich zu gewinnen.«

»Hör auf!« schrie Bastian zornrot, »ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt! Deine ewigen Belehrungen machen mich noch krank!

Jetzt willst du mir auch noch meinen Sieg abstreiten und meine Großmut lächerlich machen!«

Atréju wollte etwas erwidern, aber Bastian schrie ihn an:

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