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»Halt den Mund und laß mich in Ruhe! Wenn es euch beiden nicht paßt, was ich tue und wie ich bin, dann geht doch eurer Wege! Ich halte euch nicht! Geht, wohin ihr wollt! Ich bin euch leid!«

Bastian verschränkte die Arme über der Brust und drehte Atréju den Rücken zu. Die Menge, die umherstand, hielt den Atem an. Atréju stand eine Weile hoch aufgerichtet und schweigend da. Bis zu diesem Augenblick hatte Bastian ihn noch nie vor anderen zurecht gewiesen. Die Kehle war ihm so eng, daß er nur mit Mühe Luft holen konnte. Er wartete eine Weile, doch da Bastian sich ihm nicht wieder zuwandte, drehte er sich langsam um und ging fort. Fuchur folgte ihm.

Xayíde lächelte. Es war kein gutes Lächeln.

In Bastian aber war in diesem Augenblick die Erinnerung erloschen, daß er in seiner Welt ein Kind gewesen war.

21. Das Sternenkloster

Ununterbrochen stießen neue Abgesandte aus allen Ländern Phantásiens zur Menge derer, die Bastian auf seinem Zug zum Elfenbeinturm begleiteten. Zählungen erwiesen sich als vergeblich, denn kaum war man damit

fertig,

waren

schon

wieder

neue

eingetroffen.

Ein

vieltausendköpfiges Heer setzte sich allmorgendlich in Bewegung, und wenn gerastet wurde, war das Lager die allersonderbarste Zeltstadt, die sich nur denken läßt. Da die Weggenossen Bastians sich nicht nur an Gestalt, sondern auch an Körpergröße sehr voneinander unterschieden, gab es Zelte von den Ausmaßen einer Zirkusarena bis herab zu solchen, die nicht größer waren als ein Fingerhut. Auch die Wagen und Fahrzeuge, mit denen die Abgesandten reisten, waren vielgestaltiger, als es sich beschreiben läßt, angefangen von ganz gewöhnlichen Planwagen und Kutschen, bis zu höchst absonderlichen rollenden Tonnen, hüpfenden Kugeln oder selbständig krabbelnden Behältern mit Beinen.

Für Bastian hatte man inzwischen ebenfalls ein Zelt beschafft, und es war das prächtigste von allen. Es hatte die Gestalt eines kleinen Hauses, war aus glänzender, farbenprächtiger Seide und über und über mit goldenen und silbernen Bildern bestickt. Auf dem Dach wehte eine Fahne, die einen siebenarmigen Leuchter als Wappenzier zeigte. Das Innere war mit Decken und Kissen weich gepolstert. Wo auch immer das Heerlager aufgeschlagen wurde - dieses Zelt stand im Zentrum. Und der blaue Dschinn, der inzwischen so etwas wie Bastians Kammerdiener und Leibwächter geworden war, stand vor seinem Eingang Posten. Atreju und Fuchur befanden sich noch unter der Schar von Bastians Begleitern, aber seit des öffentlichen Tadels hatte er kein Wort mehr mit ihnen geredet. Bastian wartete insgeheim darauf, daß Atréju nachgeben und um Verzeihung bitten würde. Aber Atréju tat nichts dergleichen. Auch Fuchur schien nicht bereit zu sein, Bastian zu respektieren. Und gerade das, sagte sich Bastian, mußten sie nun einmal lernen! Wenn es darauf ankam, wer es so länger aushaken konnte, dann würden die beiden schließlich einsehen müssen, daß sein Wille unbeugsam war. Aber wenn sie nachgeben würden, dann wollte er

ihnen mit offenen Armen entgegenkommen. Wenn Atréju vor ihm niederkniete, so wollte er ihn aufheben und sagen: Du sollst nicht vor mir niederknien, Atréju, denn du bist und bleibst mein Freund… Aber vorerst zogen die beiden als letzte im Zuge mit. Fuchur schien das Fliegen verlernt zu haben und lief zu Fuß, und Atréju ging neben ihm her, meistens gesenkten Hauptes. Wenn sie früher als Vorhut dem Zug in den Lüften vorausgeeilt waren, um die Gegend zu erkunden, so marschierten sie jetzt als Nachhut hinterdrein. Bastian war darüber nicht froh, aber er konnte es nicht ändern.

Wenn der Heerzug unterwegs war, ritt Bastian meistens an der Spitze auf der Mauleselin Jicha. Immer öfter kam es allerdings vor, daß er dazu keine Lust hatte und statt dessen Xayíde in ihrer Sänfte besuchte. Sie empfing ihn stets mit großer Ehrerbietung, überließ ihm den bequemsten Platz und setzte sich zu seinen Füßen. Sie wußte immer ein interessantes Gesprächsthema und vermied es, ihn über seine Vergangenheit in der Menschenwelt zu befragen, nachdem sie bemerkt hatte, daß ihm das Reden darüber unangenehm war. Sie rauchte fast ununterbrochen aus einer orientalischen Wasserpfeife, die neben ihr stand. Der Schlauch daran sah aus wie eine smaragdgrüne Viper, und das Mundstück, das sie zwischen ihren langen, marmorweißen Fingern hielt, glich einem Schlangenkopf. Wenn sie daran sog, schien es, als ob sie ihn küßte. Die Rauchwölkchen, die sie genießerisch aus Mund und Nase quellen ließ, hatten bei jedem Zug eine andere Farbe, mal blau, mal gelb, rosarot, grün oder lila.

»Eines wollte ich dich schon längst fragen, Xayíde«, sagte Bastian bei einem solchen Besuch, wobei er nachdenklich auf die riesigen Kerle in den schwarzen Insektenpanzern blickte, welche im völligen Gleichschritt die Sänfte trugen.

»Deine Sklavin hört«, antwortete Xayíde.

»Als ich mit deinen Panzerriesen gekämpft habe«, fuhr Bastian fort, »hat sich herausgestellt, daß sie nur aus Rüstungen bestehen und innen hohl sind.

Wodurch bewegen sie sich eigentlich?«

»Durch meinen Willen«, erwiderte Xayíde lächelnd. »Gerade weil sie hohl sind, gehorchen sie meinem Willen. Alles, was leer ist, kann mein Wille lenken.«

Sie musterte Bastian mit ihren zweifarbigen Augen.

Bastian fühlte sich auf undeutliche Weise durch diesen Blick beunruhigt, aber schon hatte sie die Wimpern wieder niedergeschlagen.

»Könnte ich sie auch mit meinem Willen lenken?« fragte er.

»Gewiß, mein Herr und Meister«, gab sie zur Antwort, »und hundertmal besser als ich, die ich im Vergleich zu dir ein Nichts bin. Willst du es versuchen?«

»Jetzt nicht«, entgegnete Bastian, dem die Sache unbehaglich war,

»vielleicht ein andermal.« »Findest du es wirklich schöner«, fuhr Xayíde fort, »auf einer alten Mauleselin zu reiten, als von Gebilden getragen zu werden, die dein eigener Wille bewegt?«

»Jicha trägt mich gern«, sagte Bastian ein wenig mürrisch, »sie freut sich darüber, daß sie mich tragen darf.«

»Dann tust du es also um ihretwillen?«

»Warum nicht?« erwiderte Bastian. »Was ist schlecht daran?«

Xayíde ließ grünen Rauch aus ihrem Mund steigen.

»Oh, nichts, Herr. Wie könnte etwas schlecht sein, was du tust.«

»Worauf willst du hinaus, Xayíde?«

Sie neigte den Kopf mit dem feuerfarbenen Haar.

»Du denkst viel zuviel an andere, Herr und Meister«, flüsterte sie. »Aber niemand ist es wert, deine Aufmerksamkeit von deiner eigenen wichtigen Entwicklung abzuziehen. Wenn du mir nicht dafür zürnst, o Herr, so wage ich es, dir den Rat zu geben: Denke mehr an deine Vollkommenheit!«

»Was hat das mit der alten Jicha zu tun?«

»Nicht viel, Herr, fast gar nichts. Nur - sie ist kein würdiges Reittier für einen wie dich. Es kränkt mich, dich auf dem Rücken eines so -

gewöhnlichen Tieres zu sehen. Alle deine Weggenossen wundern sich darüber. Nur du, Herr und Meister, weißt als einziger nicht, was du dir schuldig bist.«

Bastian sagte nichts, aber Xayídes Worte hatten ihm Eindruck gemacht.

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