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Tschick schrie auf, aber eher vor Überraschung als vor Schmerzen. So schnell wie sie 258

aus dem Gebüsch gebrochen war, verschwand die Frau dort auch wieder. Ich rannte hinterher.

Hinter den Sträuchern parkte ein tarnfarbe-ner 5er BMW. Die Frau warf Tschick auf den Beifahrersitz. Ich konnte hinten einsteigen.

Als sie sich hinters Steuer setzte, sackte das Auto links einen halben Meter ab, und Tschick hopste auf seinem Sitz hoch. Wahnsinn, dachte ich noch, aber das Wort hätte ich mir besser für die nächsten Minuten aufges-part.

«Jetzt ist Eile geboten!», erklärte die Frau feierlich, und sie dachte dabei vermutlich nicht in erster Linie an eine Flucht vor der Polizei.

Ich war der Einzige, der sich die ganze Zeit immer wieder umgedreht und bemerkt hatte, dass das Polizeiauto auf Umwegen auch irgendwo den Steilhang runtergekommen sein musste. In sehr großer Entfernung kachelten sie mit Blaulicht unten an der Böschung entlang.

«Anschnallen», sagte die Frau und trat das Gaspedal durch, und der 5er BMW war in zwei Sekunden auf hundert. Als sie einen 259

Schlenker fuhr, rutschte ich wie ein Papier-flieger über die Rückbank. Tschick stöhnte.

«Anschnallen», wiederholte die Frau.

Ich schnallte mich an.

«Und Sie?», fragte Tschick.

Ich sah aus dem Heckfenster, wie der Verkehr hinter uns wegsackte. Irgendwo war ganz leise der Klang einer Polizeisirene zu hören, aber nicht lange. Und das war auch kein Wunder. Wir fuhren mittlerweile 250. Weder die Frau noch Tschick schienen die Sirene überhaupt gehört zu haben. Sie unterhielten sich über Sicherheitsgurte.

«Ist ja nicht mein Wagen», sagte die Frau.

«Ich brauche mindestens zwei Meter.» Sie kicherte. Sie redete mit ganz normaler Stimme, aber dieses Kichern von ihr war sehr piepsig, wie bei einem kleinen Mädchen, dem man den Bauch kitzelt.

Wenn Hindernisse vor uns auftauchten, hup-te die Frau oder blendete auf, und wenn das nichts half, raste sie in aller Seelenruhe auf der Standspur an den anderen vorbei, als würde sie gerade mit fünfzehn Stundenkilometern die Auffahrt zum McDonald's-Drive-in nehmen. Ihre fünf Schocks hatte sie eindeutig gut weggesteckt.

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«Im Notfall ist das erlaubt», erklärte sie.

Dann kicherte sie wieder.

«Und ihr seid also damit gefahren, ja?»

«Wir machen Urlaub», sagte Tschick.

«Und ihr habt das geklaut?»

«Geliehen eigentlich», sagte Tschick. «Mei-netwegen auch geklaut. Aber wir wollten's zurückbringen, ich schwör's.»

Der BMW schoss dahin. Die Frau sagte nichts dazu. Was hätte sie auch sagen sollen?

Wir hatten ein Auto geklaut, und sie hatte Tschick den Feuerlöscher auf den Fuß geworfen. Ich konnte im Rückspiegel nicht genau erkennen, was in ihrem Gesicht vorging, falls da was vorging. Hysterisch reagierte sie jedenfalls nicht gerade.

Sie umkurvte zwei Lastwagen, und dann sagte sie: «Ihr seid also Autoknacker.»

«Wenn Sie das sagen», sagte Tschick.

«Das sage ich.»

«Und was sind Sie? »

«Das Auto gehört meinem Mann.»

«Ich meine, was machen Sie? Und wissen Sie überhaupt, wo hier ein Krankenhaus ist?»

«Krankenhaus in fünf Kilometern. Und ich bin Sprachtherapeutin.»

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«Was therapiert man denn so als Sprachtherapeutin?», fragte Tschick. «Die Sprache?»

«Ich bringe Leuten Sprechen bei.»

«Säuglingen oder was? »

«Nein. Auch Kindern. Aber hauptsächlich Erwachsenen.»

«Sie bringen Erwachsenen das Sprechen bei?

Analphabeten oder was?» Tschick verzog das Gesicht und konzentrierte sich jetzt ganz auf die Frau. Ich glaube, er wollte sich hauptsächlich von den Schmerzen im Fuß ablenken, aber irgendwie schien ihn das Thema auch zu fesseln.

Während die beiden vorne sich unterhielten, schaute ich die ganze Zeit hinten raus und kriegte möglicherweise nicht alles mit von ihrem Gespräch. Und wie gesagt, ich stand vielleicht auch unter Schock. Aber was ich mitkriegte, war Folgendes:

«Stimmbildung», sagte die Frau. «Sänger oder Leute, die viel vortragen oder die nu-scheln. Die meisten Leute sprechen nicht richtig. Du sprichst auch nicht richtig.»

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