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«Was siehst du denn?»

«Ich weiß es nicht.»

«Na komm!»

«Guck's dir an.»

«Einen Scheiß guck ich mir an», sagte Tschick. Und nach einer Weile: «Was siehst du denn?»

«Das musst du dir schon selbst ansehen.»

Er stöhnte. Ich hörte, wie er mit den Krücken klapperte. Dann presste er sein Gesicht neben mir auf die Scheibe.

«Das ist doch nicht wahr», sagte er.

«Keine Ahnung», sagte ich.

Wir starrten über den umgepflügten Acker hinaus, den wir vor wenigen Stunden noch von der anderen Seite gesehen hatten, mit dem weißen Klotz gegenüber. Jetzt standen wir in dem weißen Klotz. Die Sprachtherapeu-271

tin war eine fünf Kilometer große Schleife gefahren.

Die Sonne hatte es noch immer nicht über den Horizont geschafft, aber man konnte den schwarzlackierten Lada schon gut erkennen, in der Parkbucht neben der Autobahn. Er stand auf den Rädern. Jemand musste ihn umgedreht haben. Die Kofferraumklappe war offen. Drei Männer liefen um das Auto rum, standen beisammen, liefen wieder rum. Einer in Uniform, zwei im Blaumann, wenn ich das richtig erkennen konnte. Der Kran wurde über den Lada geschwenkt, einer befestigte Ketten an den Rädern. Die Uniform schloss den Kofferraum, öffnete ihn wieder und schloss ihn dann, um zum Kranlaster zu gehen. Dann gingen zwei wieder zum Lada.

Dann ging einer wieder zum Laster.

«Was machen die denn da?», fragte Tschick.

«Siehst du das nicht?»

«Das mein ich nicht. Ich meine - was machen die denn da?»

Er hatte recht. Sie liefen immer hin und her und machten alles dreimal, und eigentlich machten sie gar nichts. Vielleicht Spurensu-che oder so. Wir schauten uns das noch eine Weile an, und dann legte Tschick sich wieder 272

stöhnend ins Bett und sagte: «Weck mich, wenn was passiert.» Aber es passierte nichts.

Einer machte sich an den Ketten zu schaffen, einer ging zum Kran, einer rauchte.

Plötzlich verschwand das Bild, weil im Zimmer das Licht anging. In der Tür stand schnaufend der Arzt. Er sah völlig übermüdet aus. In seinem einen Nasenloch hing ein röt-lich weißer Wattepfropfen bis fast zur Oberlippe. Langsam schlurfte er zu Tschicks Bett.

«Ma Bein da hoch», sagte er. Eine Stimme wie Zweiter Weltkrieg.

Tschick hielt ihm seinen Gips hin. Der Arzt rüttelte mit einer Hand am Gips, mit der anderen hielt er den Stopfen in seinem Nasenloch fest. Er grapschte ein Röntgenbild aus dem Umschlag, hielt es gegen das Licht, warf es neben Tschick aufs Bett und schlurfte wieder raus. In der Tür drehte er sich nochmal um. «Quetschung. Haarriss. Vierzehn Tage», sagte er. Dann verdrehte er plötzlich die Augen. Wie um Gleichgewicht bemüht, suchte seine Hüfte Halt am Türrahmen. Er atmete tief durch und sagte: «Nicht so schlimm. Vierzehn Tage Ruhe. Zu Hause Arzt konsultie-ren.» Er sah Tschick an, ob der ihn verstanden hätte, und Tschick nickte.

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Der Arzt machte die Tür hinter sich zu - und riss sie zwei Sekunden später wieder auf, jetzt vergleichsweise hellwach. «Witz!», rief er, und sah uns freudig an. Erst Tschick, dann mich. «Was ist der Unterschied zwischen einem Arzt und einem Architekten oder so?»

Keiner wusste es. Er gab sich selbst die Antwort: «Der Arzt begräbt seine Fehler.»

«Hä?», sagte Tschick.

Der Mann winkte ab. «Wenn ihr geht, ich meine, wenn ihr müde seid, im Schwesternzimmer gibt's Kaffee, könnt ihr euch holen.

Mit dem guten Koffein.»

Er schloss erneut die Tür. Aber ich hatte keine Zeit, mich über den Mann zu wundern, weil ich sofort wieder ans Fenster stürzte.

Tschick schaltete mit der Krücke das Licht aus, und ich kriegte gerade noch mit, wie das Polizeiauto auf die Autobahn fuhr. Der Ab-schleppkran war schon weg. Allein der Lada stand noch auf dem Parkplatz. Tschick wollte es nicht glauben.

«Kran kaputt oder was? »

«Keine Ahnung.»

«Dann jetzt oder nie.»

«Was?»

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«Na, was?» Er rammte die Krücke gegen die Scheibe.

«Der fährt doch nicht mehr», sagte ich.

«Wieso denn nicht? Und wenn nicht, ist auch egal. Wir müssen wenigstens unsere Sachen rausholen. Wenn er nicht mehr fährt-»

«Der fährt nicht mehr.»

«Wenn wer nicht mehr fährt?», fragte die Krankenschwester und knipste das Licht wieder an. Sie hatte Tschicks oder Andres Kartei-karte in der einen und zwei Becher Kaffee in der anderen Hand.

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