»Ich liebe dich!« schrie Matho.
»Gib her!« stammelte sie.
Sie näherten sich.
Sie schritt auf ihn zu in ihrem weißen schleppenden Gewande. Ihre großen Augen starrten auf den Mantel. Matho betrachtete sie einen Augenblick, vom Glanz ihres Hauptes geblendet. Dann streckte er ihr den Zaimph entgegen und wollte sie umschlingen.
Sie breitete die Arme aus. Plötzlich stand sie still, und beide schauten einander eine Weile fest in die Augen.
Ohne zu verstehen, was er begehrte, durchzuckte sie ein Schauder. Ihre feinen Augenbrauen zogen sich empor, ihre Lippen öffneten sich. Sie zitterte. Dann aber schlug sie auf eine der Metallscheiben, die an den Zipfeln der roten Matratze herabhingen, und rief:
»Zu Hilfe! Zu Hilfe! Zurück! Tempelräuber! Ruchloser! Verfluchter! Her zu mir, Taanach! Krohum! Eva! Mizipsa! Schahul!«
Spendius, dessen erschrockenes Gesicht in der Luke zwischen den Tonkrügen
auftauchte, zischelte:
»Flieh! Sie kommen!«
Lauter Lärm erscholl und kam näher. Die Treppen hallten. Ein Strom von Menschen: Frauen, Lakaien und Sklaven stürzte in das Gemach mit Spießen, Keulen, Messern und Dolchen. Sie waren vor Entrüstung wie gelähmt, als sie einen Mann erblickten. Die Mägde stießen ein Klagegeschrei aus wie bei einem Begräbnis, und die Eunuchen erbleichten unter ihrer schwarzen Haut.
Matho stand hinter dem Geländer. In den Zaimph eingehüllt, sah er aus wie ein Sternengott im Firmament. Die Sklaven wollten sich auf ihn stürzen. Salambo hielt sie zurück.
»Rührt ihn nicht an! Es ist der Mantel der Göttin!«
Sie war in einen Winkel des Gemaches gewichen. Jetzt tat sie einen Schritt auf den Libyer zu, streckte den bloßen Arm gegen ihn aus und rief:
»Fluch über dich, der du Tanit beraubt hast! Haß, Rache, Mord und Qual! Möge Gurzil,
der Gott der Schlachten, dich zerreißen, Matisman, der Gott der Toten, dich erwürgen, und der andere, dessen Namen man nicht nennen darf, dich mit Feuer vernichten!«
Matho stieß einen Schrei aus, als hätte ihn ein Schwert durchbohrt.
Sie wiederholte mehrmals: »Fort! Fort!«
Die Dienerschar trat zur Seite, und Matho schritt mit gesenktem Haupte langsam mitten hindurch. An der Tür konnte er nicht weiter, weil sich der Zaimph an einem der Goldsterne auf den Fliesen festgehakt hatte. Mit einem Ruck der Schulter riß er ihn gewaltsam los und eilte die Treppen hinab.
Spendius rannte von Terrasse zu Terrasse, sprang über die Hecken und Wassergräben und entkam aus den Gärten. Er gelangte an den Unterbau des Leuchtturms. Die Mauer war an dieser Stelle menschenleer, weil das Ufer hier unzugänglich war. Er trat an den Rand, legte sich auf den Rücken und rutschte, die Füße voran, die ganze Höhe hinunter. Dann erreichte er schwimmend das Vorgebirge der Gräber, machte einen weiten Bogen um die
Salzlagune herum und kam am Abend in das Lager der Barbaren zurück.
Die Sonne war indes aufgegangen. Wie ein Löwe auf dem Rückzuge schritt Matho dahin, furchtbare Blicke um sich werfend.
Ein undeutliches Geräusch drang an sein Ohr. Es war vom Palast ausgegangen und wiederholte sich in der Ferne, wo die Akropolis lag. Die einen sagten, der Schatz der Republik sei aus dem Molochtempel geraubt. Andre munkelten von einem Priestermorde.
Anderswo wähnte man, die Barbaren seien in die Stadt gedrungen.
Matho, der nicht wußte, wie er aus den Stadtmauern hinauskommen sollte, ging geradeaus weiter. Man bemerkte ihn. Alsbald erhob sich lautes Geschrei. Der Vorfall ward allgemein bekannt. Zuerst entstand eine große Bestürzung, dann aber brach eine Wut ohnegleichen aus.
Aus der Tiefe der Mappalierstraße, von der Höhe der Burg, von der Gräberstadt und vom Meeresgestade eilte die Menge herbei. Die Patrizier verließen ihre Häuser, die Händler ihre Läden, die Mütter ihre Kinder. Man griff zu Schwertern, Äxten, Stöcken.
Doch das Hindernis, das Salambo geschreckt hatte, hielt sie alle zurück. Wie sollte man den Mantel zurückholen? Sein bloßer Anblick war schon Frevel! Er war göttlicher Natur, und seine Berührung brachte den Tod.
In den Vorhallen der Tempel rangen die Priester verzweifelt die Arme. Patrouillen der Garde sprengten ziellos umher. Man stieg auf die Häuser, auf die Terrassen, auf die Schultern der Kolosse und in das Mastwerk der Schiffe. Matho lief inzwischen weiter. Bei jedem seiner Schritte wuchs die Wut, aber auch der Schrecken. Die Straßen wurden bei seinem Erscheinen leer, und der Strom der Fliehenden brandete auf beiden Seiten zurück, bis in die hohen Häuser hinauf. Überall erblickte Matho weit aufgerissene Augen, die ihn am liebsten verschlungen hätten, knirschende Zähne und geballte Fäuste.
Salambos Verwünschungen hallten aus immer zahlreicheren Kehlen wider.
Plötzlich schwirrte ein langer Pfeil, dann noch einer. Steine sausten. Aber alle diese Geschosse waren schlecht gezielt, aus Furcht, den Zaimph zu treffen, und so flogen sie über Mathos Kopf hinweg. Zudem gebrauchte er den Mantel als Schild. Er hielt ihn bald nach rechts, bald nach links, bald vor sich, bald hinter sich. Die Verfolger wußten nicht, was sie tun sollten. Er ging immer schneller und lief in die offenen Straßen hinein. Sie waren mit Seilen, Karren und Schlingen gesperrt, so daß er bei jeder Straßenbiegung umkehren mußte. Endlich erreichte er den Khamonplatz, wo die Balearier ermordet worden waren. Hier blieb Matho stehen, bleich wie ein dem Tode Verfallener. Jetzt war er verloren. Die Menge klatschte in die Hände.
Er lief bis zu dem großen geschlossenen Tor. Es war riesenhoch, ganz aus eichenem Kernholz, mit Eisennägeln und ehernen Platten beschlagen. Matho warf sich dagegen. Das Volk stampfte vor Freude mit den Füßen, als es seine ohnmächtige Wut sah. Da nahm er
seine Sandale, spie darauf und schlug damit gegen die unbeweglichen Torflügel. Die ganze Stadt stieß ein Wutgeheul aus. Jetzt vergaß man den Mantel und wollte Matho zermalmen. Der blickte die Menge mit großen wirren Augen an. Seine Schläfen pochten
wild, er war halbtot, betäubt wie ein Trunkener. Plötzlich gewahrte er die lange Kette, die zur Handhabung des Hebebaums diente. Sofort sprang er an ihr hoch, packte sie und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht daran. Da sprangen die riesigen Torflügel endlich auf.
Als er draußen war, zog er den Zaimph von den Schultern und hielt ihn hoch über seinen Kopf. Vom Seewind gebläht, schillerte und schimmerte das Gewebe in der Sonne
mit seinen Farben, seinen Edelsteinen und Götterbildern. So durchschritt Matho die ganze Ebene bis zu den Zelten der Söldner.
Das Volk auf den Mauern sah zu, wie Karthagos Glück entschwand.
Kapitel 6
Hanno
Ich hätte sie entführen sollen!« sagte Matho am Abend zu Spendius. »Hätte sie erfassen sollen und aus ihrem Hause reißen! Niemand hätte mir entgegenzutreten gewagt.«
Spendius hörte nicht auf ihn. Behaglich lag er auf dem Rücken und ruhte sich aus.