Neben ihm stand ein großer Tonkrug mit Honigwasser, in den er von Zeit zu Zeit den Kopf tauchte, um einen großen Schluck zu tun.
»Was nun?« fuhr Matho fort. »Wie könnte man abermals nach Karthago
hineinkommen?«
»Ich weiß es nicht!« antwortete Spendius. Diese Gleichgültigkeit erbitterte den Libyer.
»Ha!« schrie er. »An dir liegt die Schuld! Erst verlockst du mich, und dann läßt du mich im Stich! Feigling du! Warum soll ich dir gehorchen? Bildest du dir gar ein, du seist mein Herr? Du Kuppler, du Sklave, du Knechtskreatur!« Er knirschte mit den Zähnen und erhob seine breite Hand gegen Spendius.
Der Grieche antwortete nicht. Eine Tonlampe glimmte matt am Zeltmast, an dem der Zaimph über der aufgehängten Rüstung schimmerte.
Plötzlich legte Matho seine Stahlstiefel an, schnallte sich seinen Küraß um und nahm seinen Helm.
»Wohin willst du?« fragte Spendius.
»Wieder hin! Laß mich! Ich bringe sie her! Und wer mir entgegentritt, den zertret ich wie eine Viper! Ich töte sie, Spendius! Ja, ich töte sie, du sollst sehen, daß ich sie töte!«
Da horchte Spendius auf. Blitzschnell riß er den Zaimph herunter, warf ihn in eine Ecke und legte eine Schaffelldecke darüber. Draußen erhob sich Stimmengewirr. Fackeln leuchteten. Und Naravas trat ein, von etwa zwanzig Männern begleitet.
Sie trugen weißwollene Mäntel, lange Dolche, lederne Halsbänder, Ohrringe von Holz,
und Schuhe aus Hyänenfell. Sie blieben am Eingang stehen und stützten sich auf ihre Lanzen, wie ausruhende Schäfer auf ihre Hirtenstäbe. Naravas war der Schönste von allen.
Perlengeschmückte Riemen umschlangen seine hageren Arme. Von dem Goldreifen, der sein weites Gewand am Kopfe festhielt, wallte ihm eine Straußenfeder über die Schulter herab. Ein beständiges Lächeln ließ seine Zähne sehen. Seine Blicke waren rasch und scharf wie Pfeile, und aus seiner ganzen Erscheinung sprach Wachsamkeit und Gewandtheit.
Er erklärte, er sei gekommen, um sich mit den Söldnern zu verbünden. Die Republik bedrohe seit langem sein Reich. Es sei also sein eigner Vorteil, wenn er die Barbaren unterstütze; aber auch ihnen könne er von Nutzen sein.
»Ich werde euch Elefanten liefern – in meinen Wäldern sind ihrer eine Unmenge –
Wein, Öl, Gerste, Datteln, Pech und Schwefel für die Belagerungen, zwanzigtausend Mann Fußvolk und zehntausend Pferde. Wenn ich mich an dich wende, Matho, so tue ich
es deshalb, weil der Besitz des Zaimphs dich zum Ersten im Heere gemacht hat.
Überdies«, setzte er hinzu, »sind wir ja alte Freunde.«
Matho beobachtete Spendius, der auf dem Schaffelle sitzend zuhörte und durch ein leises Nicken mit dem Kopfe seine Zustimmung verriet. Naravas sprach weiter. Er rief die Götter zu Zeugen an und verfluchte Karthago. Bei seinen Verwünschungen zerbrach er einen Wurfspieß. Gleichzeitig stießen alle seine Leute ein lautes Geheul aus. Durch ihre Wut hingerissen, rief Matho laut aus, er nehme das Bündnis an.
Nun führte man einen weißen Stier und ein schwarzes Schaf herbei, Wahrzeichen von
Tag und Nacht, und schlachtete sie am Rand einer Grube. Als sie mit Blut gefüllt war, tauchten die beiden Männer ihre Arme hinein. Dann legte Naravas seine blutige Hand auf Mathos Brust, und dieser die seine auf die Brust des Naravas. Dasselbe Blutzeichen drückte man auf die Leinwand der Zelte. Man verbrachte alsdann die Nacht beim Schmause. Die Reste des Fleisches, die Haut, die Knochen, die Hörner und Hufe wurden
verbrannt.
Als Matho mit dem Mantel der Göttin zurückgekommen war, hatte ihn ungeheurer Beifall begrüßt. Selbst die nicht kanaanitischen Glaubens waren, merkten an ihrer vagen Begeisterung, daß ihnen ein Schutzgeist nahe war. Niemand dachte daran, sich des Zaimphs zu bemächtigen. Die geheimnisvolle Art seiner Eroberung genügte dem
Barbarensinn, Matho als rechtmäßigen Besitzer anzusehn. So dachten die Söldner afrikanischer Herkunft. Die andern, deren Haß gegen Karthago nicht so alt war, wußten nicht, wozu sie sich entschließen sollten. Hätten sie Schiffe gehabt, so wären sie ohne Verzug aufgebrochen, ihrer Heimat zu.
Spendius, Naravas und Matho sandten Boten an alle Stämme im punischen Gebiet.
Karthago sog diese Völker aus. Es bezog ungeheure Steuern von ihnen, und mit Ketten,
Beil oder Kreuz ward jede Verzögerung, jedes Murren bestraft. Sie mußten anpflanzen, was der Republik gefiel, und liefern, was sie forderte. Niemand hatte das Recht, eine Waffe zu besitzen. Empörten sich die Dörfer, so wurden ihre Bewohner als Sklaven verkauft. Die obersten Verwaltungsbeamten wurden nach den Summen geschätzt, die sie
herauspreßten. Jenseits des den Karthagern unmittelbar unterworfenen Gebiets lagen die Bundesstaaten, die nur einen mäßigen Tribut zahlten. Noch weiter dahinter schwärmten die Nomaden, die man nötigenfalls auf jene losließ. Durch dieses System waren die Ernten stets ertragreich, die Gestüte im besten Stande, die Plantagen geradezu mustergültig. Der alte Kato, ein Kenner in Dingen der Landwirtschaft und der Sklavenausnutzung, war noch zweiundneunzig Jahre später höchlichst erstaunt darüber, und der Vernichtungsruf, den er in Rom immerfort erschallen ließ, war nichts als ein Ausdruck habgierigster Eifersucht.
Währeud des letzten Krieges hatten sich die Erpressungen verdoppelt, so daß fast alle libyschen Städte dem Regulus ihre Tore geöffnet hatten. Zur Strafe hatte man ihnen tausend Talente – das sind über vier Millionen Mark – zwanzigtansend Ochsen, dreihundert Säcke Goldstaub und bedeutende Vorauslieferungen von Getreide auferlegt.
Die Häuptlinge der Stämme aber waren gekreuzigt oder den Löwen vorgeworfen worden.
Besonders Tunis verabscheute Karthago. Älter als die Hauptstadt, verzieh es ihr die
Überflügelung nicht. Angesichts ihrer Mauern lag es im Sumpf am Binnensee, zusammengekauert wie ein giftiges Tier, das starr nach ihr hinblickte. Die zwangsweisen Verschickungen, die Blutbäder und Seuchen hatten es nicht geschwächt. Es hatte Archagathos, den Sohn des Agathokles, unterstützt. Die Esser unreiner Speisen fanden hier sofort Wehr und Waffen.
Die Boten waren noch nicht fort, als in den Provinzen ein allgemeiner Freudenrausch ausbrach. Unverzüglich erdrosselte man in den Bädern die Vertreter und Beamten der Republik, holte die alten Waffen, die man versteckt hatte, aus den Höhlen und schmiedete Schwerter aus den Pflugscharen. Die Kinder schärften Pfeilspitzen an den Türschwellen, und die Weiber gaben ihre Halsbänder, Ringe und Ohrringe hin, und alles, was irgendwie zur Zerstörung Karthagos dienen konnte. Ein jeder wollte dazu beitragen. In den Ortschaften häuften sich die Lanzenbündel wie Maisgarben. Man schickte Schlachtvieh und Geld. Matho zahlte den Söldnern rasch den rückständigen Sold, und diese Tat, deren Vater Spendius war, erhob ihn zum Generalissimus, zum Schalischim der Barbaren.
Gleichzeitig strömten Hilfstruppen herbei: zuerst erschienen die Ureinwohner des Landes, dann die Feldsklaven. Negerkarawanen wurden aufgegriffen und bewaffnet, und
Kaufleute, die nach Karthago zogen, schlossen sich den Barbaren aus Gewinnsucht an.
Unaufhörlich stießen zahlreiche Banden zu ihnen. Von der Höhe der Akropolis konnte man sehen, wie das Heer anwuchs.
Auf der Plattform der Wasserleitung stand eine Kette von Posten der Garde und neben
ihnen in bestimmten Abständen eiserne Bottiche, in denen flüssiger Asphalt brodelte.
Drunten in der Ebene wogte die gewaltige Menge der Söldner lärmend durcheinander. Sie waren unschlüssig, voll von jener Ratlosigkeit, die Barbaren stets vor Festungen zu empfinden pflegen.
Utika und Hippo-Diarrhyt wiesen das angebotene Bündnis zurück. Als phönizische Kolonien – gleich Karthago – hatten sie ihre eignen Regierungen und ließen in die Verträge, die sie mit der Republik schloffen, immer von neuem die ausdrückliche Anerkennung ihrer Selbständigkeit aufnehmen. Gleichwohl achteten sie die stärkere Schwester, die sie beschirmte, und glaubten durchaus nicht, daß ein Barbarenhaufen imstande wäre, sie zu besiegen. Im Gegenteil: man war überzeugt, daß die Söldner mit Stumpf und Stiel vernichtet würden. Daher wünschte man, neutral zu bleiben und sich friedlich zu verhalten.