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»Und der Mantel?« fragte Spendius.

Er war nirgends zu erblicken. Wo war er? Wie sollte man ihn finden? Wenn ihn die Priester nun versteckt hatten? Matho empfand einen Stich durch das Herz. Er kam sich wie genarrt vor.

»Hierher!« flüsterte Spendius. Eine Eingebung leitete ihn. Er zog Matho hinter den Wagen der Tanit, wo eine Spalte, eine Elle breit, die Mauer von oben bis unten durchschnitt.

Sie drangen in einen kleinen kreisrunden Saal, der so hoch war, daß man das Gefühl hatte, sich im Innern einer Säule zu befinden. In der Mitte schimmerte ein großer schwarzer Stein, halbkreisförmig wie ein Sessel. Über ihm loderte ein Feuer. Hinter ihm ragte ein kegelartiges Stück Ebenholz empor, mit einem Kopf und zwei Armen.

Dahinter hing etwas wie eine Wolke, in der Sterne funkelten. Aus tiefen Falten leuchteten Figuren hervor: Eschmun mit den Erdgeistern, wiederum einige Ungeheuer, die heiligen Tiere der Babylonier und andre, die den beiden unbekannt waren. Das Ganze breitete sich wie ein Mantel unter dem Antlitz des Götzenbildes aus. Die langen Enden waren an der Wand hochgezogen und mit den Zipfeln daran befestigt. Es schillerte blau wie die Nacht, gelb wie das Morgenrot, purpurrot wie die Sonne. Es war über und über bestickt, durchsichtig, lichtfunkelnd und duftig. Das war der Mantel der Göttin, der heilige Zaimph, den kein Mensch anschauen durfte.

Sie erbleichten beide.

»Nimm ihn!« gebot Matho endlich.

Spendius zauderte nicht. Auf das Götzenbild gestützt, machte er den Mantel los, der zu Boden glitt. Matho hob ihn auf. Dann steckte er seinen Kopf durch den Halsausschnitt und breitete die Arme aus, um das Gewebe besser zu betrachten.

»Fort!« rief Spendius.

Matho blieb keuchend stehen und starrte auf den Boden.

Plötzlich rief er aus:

»Wenn ich jetzt zu ihr ginge? Ich habe keine Furcht mehr vor ihrer Schönheit! Was vermöchte sie gegen mich?

Jetzt bin ich mehr als ein Mensch! Ich könnte durch Flammen schreiten, über das Meer

wandeln! Begeisterung reißt mich fort! Salambo! Salambo! Ich bin dein Herr und Meister!«

Seine Stimme dröhnte. Er erschien Spendius höher von Gestalt und wie verwandelt.

Geräusch von Schritten ward hörbar. Eine Tür ging auf, und ein Mann erschien, ein Priester mit hoher Mütze. Er riß die Augen weit auf. Ehe er aber eine Bewegung gemacht, war Spendius auf ihn losgestürzt, hatte ihn mit beiden Armen umschlungen und ihm seine Dolche in die Seiten gestoßen. Dumpf schlug der Kopf des Ermordeten auf die Fliesen.

Dann standen sie eine Weile ebenso unbeweglich, wie der Tote dalag, und lauschten. Man vernahm nichts als des Windes Stimme durch die offene Tür.

Sie führte auf einen engen Gang. Spendius betrat ihn. Matho folgte. Sie befanden sich fast unmittelbar an der dritten Umwallung, zwischen den Seitenhallen, in denen die Priesterwohnungen waren.

Hinter den Zellen mußte ein kürzerer Weg zum Ausgange führen. Sie beschleunigten ihre Schritte.

Am Rande des Springbrunnens kniete Spendius nieder und wusch sich das Blut von den

Händen. Die Frauen schliefen noch. Der smaragdene Weinstock glänzte. Sie setzten ihren Weg fort.

Unter den Bäumen lief jemand hinter ihnen her, und Matho, der den Mantel trug, fühlte mehrmals, wie jemand von unten ganz sacht daran zupfte. Es war ein großer Pavian, einer von denen, die im Tempelbezirk frei herumliefen. Er zog an dem Mantel, als wüßte er, daß es sich um einen Raub handelte. Sie wagten nicht, ihn zu schlagen, aus Furcht, er möchte laut schreien. Plötzlich besänftigte sich sein Ärger, und er trabte wiegenden Ganges mit seinen langen herabhängenden Armen neben ihnen her. An der Umfriedung schwang er sich mit einem Satze in einen Palmbaum.

Als sie die letzte Mauer hinter sich hatten, lenkten sie ihre Schritte nach dem Schlosse Hamilkars. Spendius begriff, daß es erfolglos war, Matho davon abbringen zu wollen.

Sie gingen durch die Gerberstraße, über den Muthumbalplatz, den Gemüsemarkt und den Kreuzweg von Kynasyn. An einer Mauerecke fuhr ein Mann vor ihnen zurück, erschreckt durch den glänzenden Gegenstand, der die Finsternis durchstrahlte.

»Verdeck den Zaimph!« riet Spendius.

Andre Leute kreuzten ihren Weg, bemerkten sie aber nicht.

Endlich erkannten sie die Häuser von Megara.

Der Leuchtturm auf der äußersten Mole erhellte den Himmel weithin mit rotem Schein,

und der Schatten des Palastes mit seinen übereinander getürmten Terrassen fiel über die Gärten hin wie eine ungeheure Pyramide. Sie drangen durch die Judendornhecken, indem

sie sich mit ihren Dolchen einen Weg bahnten.

Überall sah man noch die Spuren vom Festmahle der Söldner. Zäune waren

niedergerissen, Wasserrinnen versiegt, Kerkertüren standen offen. In der Nähe der Küchen und Keller ließ sich kein Mensch blicken. Matho und Spendius wunderten sich über die Stille, die nichts unterbrach als hin und wieder das heisere Schnauben der Elefanten, die in ihren Gehegen auf und ab gingen, und das Prasseln des lohenden Aloefeuers auf dem Leuchtturm.

Matho wiederholte immer von neuem:

»Wo ist sie? Ich will sie sehen. Führe mich zu ihr!«

»Es ist Wahnsinn!« sagte Spendius. »Sie wird schreien. Ihre Sklaven werden

herbeieilen, und trotz deiner Kraft wird man dich niedermachen.«

So gelangten sie zur Galeerentreppe. Matho blickte empor und glaubte ganz oben einen

matten Lichtschimmer zu bemerken. Spendius wollte ihn zurückhalten, aber der Libyer stürmte die Stufen hinauf.

Als er den Ort wiedersah, an dem er Hamilkars Tochter zum ersten Male erblickt hatte, schwand die ganze inzwischen verflossene Zeit aus seinem Gedächtnisse. Noch eben hatte Salambo da zwischen den Tischen gesungen. Eben erst war sie weg … und seitdem hatte

er nichts getan, war nur die Treppe emporgestiegen… . Der Himmel zu seinen Häupten flammte in Feuer. Das Meer erfüllte den Horizont. Bei jedem Schritt weitete sich die Unendlichkeit um ihn herum. Er stieg immer höher, mit der seltsamen Leichtigkeit, die man im Traum empfindet.

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