Krieg abermals zu beginnen.
Die Barbaren in Hippo-Diarrhyt bemerkten sein Heer, wie es aus den Bergen herabkam.
Wohin wollten die Karthager? Ohne Zweifel trieb sie der Hunger. Durch ihre Leiden von Sinnen, wollten sie trotz ihrer Schwäche eine Schlacht suchen… . Doch jetzt wandten sie sich nach rechts! Sie flohen also! Man konnte ihnen nachsetzen und sie allesamt vernichten. Die Barbaren machten sich schleunigst an die Verfolgung.
Die Karthager wurden durch den Makar aufgehalten. Er war diesmal breit, und kein Westwind hatte geweht. Die einen schwammen hindurch, die andern setzten auf ihren Schilden hinüber. Dann marschierten sie weiter. Die Nacht brach an. Man sah sie nicht mehr.
Die Barbaren machten nicht Halt, sondern zogen flußaufwärts, um eine Furt zu finden.
Bewaffnete Banden aus Tunis eilten herbei, auch von Utika kamen welche. Bei jedem Gehölz nahm ihre Zahl zu. Wenn sich die Karthager auf den Boden legten und lauschten, hörten sie Marschgeräusch durch die Dunkelheit. Um die Söldner aufzuhalten, ließ Barkas von Zeit zu Zeit einen Pfeilhagel hinter sich abschießen. Etliche Barbaren fielen. Als der Morgen dämmerte, war man in den arianischen Bergen, an einer Stelle, wo die Straße eine Biegung machte.
Da glaubte Matho, der bei der Vorhut ritt, am Horizont auf dem Gipfel einer Anhöhe
etwas Grünes zu erkennen. Der Boden fiel allmählich ab. Obelisken, Kuppeln, Häuser tauchten auf. Das war Karthago! Er mußte sich an einen Baum lehnen, um nicht umzusinken, so heftig pochte sein Herz.
Er dachte an alles zurück, was ihm widerfahren war, seit er das letztemal dort geweilt hatte! Er war tief verwundert, wie betäubt. Dann aber ergriff ihn maßlose Freude bei dem Gedanken, Salambo wiederzusehen. Er hatte wohl Anlaß, sie zu verabscheuen, und das kam ihm auch in den Sinn, doch er wies das schnell von sich. Bebend und mit starren Augen blickte er von der Kuppel des Eschmuntempels weg nach der hohen Terrasse des
Schlosses, das über Palmen glänzte. Ein verzücktes Lächeln sonnte sein Gesicht, als ob ihn ein Lichtmeer überflute. Er breitete seine Arme aus, warf Kußhände in den Wind und murmelte: »Komm! Komm!« Ein Seufzer hob seine Brust, und Tränen, lang wie Perlen, rannen in seinen Bart.
»Was hält dich auf?« rief Spendius. »Eile! Vorwärts! Der Marschall wird uns entrinnen!
Was? Deine Knie zittern? Du schaust mich an wie ein Trunkener!«
Er stampfte vor Ungeduld und trieb Matho an. Und indem er die Augen aufriß, als erblicke er plötzlich ein lang erstrebtes Ziel, setzte er hinzu:
»Ah! Da sind wir! Da sind wir! Wir haben sie!«
Spendius hatte ein so selbstbewußtes, triumphierendes Aussehn, daß Matho in aller seiner Herzensnot erstaunte und sich fortgerissen fühlte. Die Worte des Griechen trafen ihn im Augenblicke tiefster Trübsal, verwandelten seine Verzweiflung in Rachgier und zeigten seiner Wut eine Beute. Er rannte zu einem der Kamele, die bei der Bagage liefen, riß ihm die Halfter ab und schlug mit dem langen Riemen aus Leibeskräften auf die Nachzügler ein. Abwechselnd lief er rechts und links um die Nachhut herum, wie ein Schäferhund, der eine Herde vorwärts treibt.
Auf seine donnernden Zurufe schlossen sich die Reihen enger zusammen. Selbst die Lahmen beschleunigten ihren Schritt. Auf der Mitte der Landenge nahm der Abstand zwischen beiden Heeren immer mehr ab. Die Vorhut der Barbaren marschierte bereits im
Staube der Karthager. Bald waren sie einander ganz nahe und berührten sich beinahe.
Doch da taten sich das Malkaer Tor, das Tangaster Tor und das große Khamontor auf. Die punischen Massen teilten sich. In drei Kolonnen strömten sie hinein und drängten sich in die Gewölbe. Dabei wurde aber das Gewühl so groß, daß schließlich niemand mehr vorwärts kam. Die Lanzen stießen in der Luft aneinander, während die Pfeile der Barbaren gegen die Mauern prallten.
Am Khamontor erblickte man Hamilkar. Er wandte sich um und rief seinen Leuten zu,
Platz zu machen. Er selber saß ab und jagte sein Pferd, indem er es mit dem Schwert in die Kruppe stach, den Barbaren entgegen.
Es war ein oringischer Hengst, den man mit Mehlklößen fütterte und der in die Knie sank, wenn sein Herr aufsitzen wollte. Warum trieb ihn Hamilkar zurück? Wollte er damit ein Opfer bringen?
Das mächtige Tier galoppierte mitten in die feindlichen Lanzen hinein, riß Soldaten um, verwickelte sich mit den Füßen in seine Eingeweide, stürzte, sprang dann mit wütenden Sätzen wieder auf, und während die Soldaten beiseitesprangen, es aufzuhalten suchten
oder verblüfft zusahen, kamen die Karthager wieder in Ordnung und zogen durch das riesige Tor ein, das sich dröhnend hinter ihnen schloß.
Es gab nicht nach. Die Barbaren drängten dagegen an, und ein paar Minuten lang lief
durch das Heer vom Anfang bis zum Ende eine Wellenbewegung, die allmählich verebbte
und endlich ganz aufhörte.
Die Karthager hatten auf die Wasserleitung Soldaten gestellt, die Steine, Kugeln und Balken zu schleudern begannen. Spendius machte den Söldnern klar, daß sie nicht halsstarrig sein dürften. Sie lagerten sich nunmehr in größerer Entfernung, alle fest entschlossen, Karthago zu erobern.
Mittlerweile war das Gerücht von dem Kriege über die Grenzen des punischen Reiches
hinausgedrungen. Von den Säulen des Herkules bis über Kyrene hinaus träumten die Hirten davon, während sie ihre Herden weideten, und die Karawanen plauderten nachts darüber beim Sternenschein. Es gab also Menschen, die es wagten, das große Karthago anzugreifen, die Stadt, die so glänzend war wie die Sonne und furchtbar wie ein Gott! Die Königin der Meere! Man hatte schon mehrfach ihren Sturz verkündet, und alle hatten daran geglaubt, weil alle ihn wünschten: die unterworfenen Völkerschaften wie die zinspflichtigen Dörfer, die verbündeten Provinzen wie die unabhängigen kleinen Stämme, kurzum alle, die Karthagos Tyrannei haßten, es um seine Macht beneideten oder seine Schätze begehrten. Die Tapfersten hatten sich auf der Stelle den Söldnern angeschlossen.
Die Niederlage am Makar hatte dann allerdings die übrigen zurückgeschreckt, aber schließlich hatten sie wieder Mut gefaßt, waren allmählich vorgerückt und näher gekommen, und jetzt standen die Männer aus den östlichen Gegenden in den Dünen von
Klypea jenseits des Golfes. Sobald sie die Barbaren erblickten, kamen sie zum Vorschein.
Es waren nicht die Libyer aus der Umgegend Karthagos – diese bildeten schon lange das dritte Heer – , sondern Nomaden aus der Hochebene von Barka, die Banditen vom Kap Phiskus und vom Vorgebirge Derne, aus Phazzana und Marmarika. Sie hatten die Wüste durchzogen und aus den Brackwasserbrunnen getrunken, die aus Kamelsknochen aufgemauert sind. Die Zuaesen, mit Straußenfedern überladen, waren auf Viergespannen gekommen. Die Garamanten, einen schwarzen Schleier vor dem Gesicht, ritten rücklings
auf ihren angemalten Stuten. Andre kamen auf Eseln, Wildeseln, Zebras oder Büffeln herbei. Manche schleppten neben ihren Familien und Götzenbildern auch die Dächer ihrer bootförmigen Hütten mit. Man sah Ammoniter, deren Haut durch das Wasser der heißen
Quellen runzlig war, Ataranten, die die Sonne verfluchen, Troglodyten, die ihre Toten lachend unter Baumzweigen bestatten, ferner scheußliche Auseer, die Heuschrecken essen, Achyrmachiden, die Läuse verzehren, und Gysanten, die mit Zinnober bemalt sind und Affenfleisch essen.
Alle hatten sich am Meeresufer in einer langen Breitkolonne aufgestellt. Sie rückten nun näher wie Sandwolken im Wirbelwind. Auf der Mitte der Landenge machten die Scharen Halt, da die Söldner, die vor ihnen unter den Stadtmauern lagerten, sich nicht von der Stelle rührten.
Dann tauchten von Ariana her die Männer des Westens auf, Numidier. Naravas beherrschte nämlich nur die Massylier, und da ihnen überdies die Sitte gestattete, nach Mißerfolgen ihren Häuptling zu verlassen, so hatten sie sich am Zaineflusse versammelt
und ihn bei der ersten Rückwärtsbewegung Hamilkars überschritten. Zuerst kamen die Jäger vom Maleluth-Baal und den garaphischen Bergen, die Löwenfelle trugen und ihre kleinen, mageren, langmähnigen Pferde mit dem Schaft ihrer Lanzen lenkten. Hinter ihnen marschierten die Gätuler an, in Kollern aus Schlangenhaut, dann die Pharusier, mit hohen Kränzen aus Wachs und Harz auf den Köpfen, und endlich die Kauner, Makarer und Tillabaren, alle bewaffnet mit zwei Wurfspießen und einem runden Schild aus Flußpferdhaut. Sie machten am Fuße der Totenstadt an der Lagune Halt.
Als die Libyer vorgerückt waren, erblickte man an der Stelle, wo sie gestanden hatten, eine Masse Neger, die wie eine schwarze sich am Boden hinwälzende Wolke aussahen.
Sie waren aus dem weißen und schwarzen Harudsch, der augylischen Wüste, ja selbst aus dem fernen Agazymba gekommen, einem großen Reiche, das hundertundzwanzig
Tagereisen und noch weiter südlich von den Garamanten lag. Mit ihren Schmuckstücken