das Seil hinab. Der Balearier band einen Hammer und eine Hacke daran und kehrte in das Lager zurück. Die Trompeten waren verstummt. Alles war wieder ruhig. Spendius hatte eine der Steinplatten aufgehoben, war ins Wasser gestiegen und hatte den Gang über sich wieder geschlossen.
Indem er die Entfernung nach der Zahl seiner Schritte berechnete, gelangte er zu einer bestimmten Stelle, wo er ehedem einen kleinen senkrechten Spalt in der Mauer bemerkt hatte. Dort arbeitete er drei Stunden lang bis zum Morgen ununterbrochen und fanatisch, wobei er durch die Fugen der Deckplatten mühsam Luft schöpfte, öfters von Atemnot befallen ward und sich zwanzigmal dem Tode nahe wähnte. Endlich krachte es. Ein riesiger Steinblock stürzte, von Stockwerk zu Stockwerk fallend, hinab, und plötzlich ergoß sich ein Katarakt, ein voller Wasserstrom aus den Lüften hinab in die Ebene. Die durchbrochene Wasserleitung entleerte sich. Das war der Tod für die Stadt und der Sieg für die Barbaren!
Bald darauf waren die Karthager alarmiert und erschienen auf den Mauern, den Häusern, den Tempeln. Die Barbaren stürzten laut jubelnd herbei. Wie rasend umtanzten sie den großen Wasserfall und tauchten im Übermaß ihrer Freude die Köpfe in die Fluten.
Auf der Höhe des Aquädukts bemerkte man einen Mann in brauner, zerrissener Tunika.
Die Hände in die Hüften gestemmt, beugte er sich über den Rand und schaute hinab, wie erstaunt über sein eigen Werk.
Dann richtete er sich hoch auf und ließ seinen Blick stolz über den Horizont schweifen, als wolle er sagen:
alles ist jetzt mein!« Die Karthager, die ihr Unglück voll begriffen, heulten vor Verzweiflung. Da begann Spendius auf der Plattform von einem Rande zum andern zu laufen, und wie ein Wagenlenker, der bei den olympischen Spielen triumphiert, hob er im Rausche seines Stolzes die Arme gen Himmel.
13
Kapitel
Moloch
Nach dem Innern des Landes zu bedurften die Barbaren keines Walles. Das Hinterland war in ihrer Gewalt. Um aber leichter an die Mauern der Stadt heranzukommen, zerstörte man die vor dem Wallgraben angelegte Brustwehr. Die Stellungen seiner Truppen ordnete Matho in einem großen Halbkreise an und schloß damit Karthago an der Landseite vollständig ab. Das schwere Fußvolk der Söldner stellte er in das vorderste Treffen, weiter hinter die Schleuderer und die Reiterei und zuhinterst das Gepäck, die Wagen und die Pferde. Vor der ganzen Heeresmasse, dreihundert Schritte von den Türmen Karthagos entfernt, standen die Geschütze und Belagerungsmaschinen.
Bei der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Benennungen, die im Laufe der
Jahrhunderte mehrfach gewechselt hatten, konnte man die Geschütze immerhin noch in zwei Systeme gliedern: in Geschütze mit Horizontalspannung und in solche mit Winkelspannung. Die ersteren, die Katapulte oder Pfeilgeschütze, schossen lediglich Pfeile, auch Brandpfeile. Die andern, die Ballisten oder Steinböller, warfen Steinkugeln oder nach ihrem Gewicht genau abgemessene Steine, auch mächtige balkenartige Pfeile.
Die Katapulte hießen auch Skorpione.
Daneben gab es noch Schleudergeschütze, die Onager, so genannt nach den Wildeseln,
die mit ihren Hinterhüfen Steine werfen.
Die Erbauung aller dieser schweren Geschütze erforderte wissenschaftliche
Berechnungen. Das Holz mußte von den härtesten Sorten sein. Sämtliche feineren Teile waren aus Erz. Die größeren Kaliber wurden nicht mit der Hand gespannt, sondern durch Flaschenzüge und dergleichen. Die grobe Seitenrichtung der großen Geschütze wurde durch lange Richtbäume genommen. Die Fortbewegung erfolgte auf Walzen. Die größten,
die man stückweise herbeischaffte, wurden erst angesichts des Feindes zusammengesetzt.
Spendius richtete seine drei größten Steinböller gegen die drei Hauptvorsprünge der Mauer. Vor jedes Tor stellte er einen Widder, vor jeden Turm ein Pfeilgeschütz. Die Karroballisten, das waren die Geschütze auf fahrbaren Lafetten, fuhren weiter hinten auf.
Sie überschossen die vorderen. An den Stellen, wo man die Geschütze aus den Schanzen
herausschob, mußte man vorher den Graben zuschütten.
Alle diese Maschinen mußte man gegen das Feuer der Belagerten schützen. Man schob
Lauben aus Reisig und sogenannte Schildkröten aus Eichenholz vor, die riesigen Schilden glichen und auf drei Rädern liefen. Kleine, mit frischen Häuten überzogene und mit Seegras gepolsterte Hütten deckten die Bedienungsmannschaft. Die Katapulte und Ballisten schützte man durch Seilvorhänge, die in Essig getaucht waren, um sie unverbrennbar zu machen. Frauen und selbst Kinder halfen den Geschützbedienungen, indem sie die nötigen Steine suchten und herbeischleppten.
Die Karthager rüsteten sich gleichfalls.
Hamilkar hatte sie rasch beruhigt, indem er erklärte, daß in den Zisternen Wasser für hundertdreiundzwanzig Tage vorhanden sei. Diese Versicherung, seine Gegenwart und namentlich die des heiligen Mantels machten die Stadt guten Mutes. Sie erholte sich von ihrer Bestürzung, und auch die Einwohner nicht kanaanitischer Herkunft wurden durch den Eifer der andern mit fortgerissen.
Man bewaffnete die Sklaven. Man leerte die Zeughäuser. Jeder Bürger erhielt sein Amt
und seinen Posten. Von den Überläufern waren noch zwölfhundert da. Der Suffet ernannte sie sämtlich zu Unteroffizieren. Die Waffen-, Grob- und Goldschmiede wurden in den Geschützwerkstätten angestellt. Die Karthager besaßen noch einige schwere Geschütze, den Friedensbedingungen mit den Römern zuwider. Mau setzte sie wieder instand. Die Handwerker verstanden sich darauf.
Die Nord- uud Ostseite der Stadt, durch das Meer und den Golf geschützt, waren uneinnehmbar. Auf die von den Barbaren belagerte Mauer auf der Landenge schaffte man
Baumstämme, Mühlsteine, Bottiche mit Schwefel, und Fässer voll Öl. Man erbaute Ofen,
häufte Steine auf der Plattform der Türme und füllte die Häuser, die unmittelbar an den Wall stießen, mit Sand, um dadurch seine Widerstandsfähigkeit und Stärke zu zu vermehren.
Angesichts dieser Zurüstungen gerieten die Barbaren in Wut. Sie wollten den Kampf unverzüglich beginnen. Die Steine, mit denen sie ihre Ballisten luden, waren aber so ungeheuer schwer, daß die Geschütze defekt wurden. Der Sturm mußte aufgeschoben werden.
Endlich, am dreizehnten Tage des Monats Schebar, vernahm man in der Stadt bei Sonnenaufgang einen gewaltigen Stoß gegen das Khamontor.
Fünfundsiebzig Soldaten schoben an Seilen einen Widder heran. Das war ein mächtiger
Balken, der an Ketten wagrecht von einem Gerüste herabhing und vorn in einen ehernen
Widderkopf auslief. Man hatte den Balken mit Ochsenhäuten überzogen und in Abständen
mit eisernen Reifen umschmiedet. Er war dreimal so dick wie ein Mannskörper und siebzig Meter lang. Wenn ihn die Menge der nackten Arme vorstieß, schwebte er in regelmäßigen Schwingungen vor und wieder zurück.
Auch die Widder vor den andern Toren begannen ihre Tätigkeit. In den hohlen Treträdern sah man Menschen von Staffel zu Staffel springen. Die Flaschenzüge und Walzen knarrten und knirschten, die Seilvorhänge sanken herab, und ein Hagel von Steinen und Pfeilen sauste mit einem Male los. Die Schleuderer liefen sämtlich in ausgeschwärmter Ordnung vor. Einige, die Töpfe voll brennenden Harzes unter ihren Schilden versteckt trugen, näherten sich dem Walle. Dort schleuderten sie sie aus Leibeskräften hinüber. Der Pfeil-, Kugel- und Feuerregen überflog die oben Kämpfenden und fiel im Bogen hinter den Mauern nieder. Auf deren Kamm aber erhoben sich lange Kräne, wie sie zum Aufrichten der Schiffsmasten gebraucht wurden. Durch sie ließ man riesige Zangen herab, die in zwei innerlich gezahnte Halbkreise ausliefen. Diese packten je einen Widder. Die Söldner klammerten sich am Balken fest und zerrten ihn rückwärts.
Die Karthager dagegen zogen ihn empor. Dieses Ringen dauerte bis zum Abend.
Als die Söldner am nächsten Morgen den Angriff wieder aufnahmen, hingen von den Zinnen der Mauern überall Baumwollballen, Decken und Kissen herab, und die Scharten