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Einige, die anfangs ohnmächtig geworden waren, kamen im frischen Winde wieder zu

sich. Doch ihr Kinn blieb auf der Brust liegen, und ihr Körper sank ein wenig herab, trotzdem ihre Arme etwas höher als der Kopf angenagelt waren. Von ihren Fersen und Händen rann das Blut in dicken Tropfen hernieder, langsam, wie reife Früchte von den Zweigen eines Baumes fallen. Karthago, der Golf, die Berge und die Ebenen, alles schien sich um sie zu drehen wie ein ungeheures Rad. Bisweilen wirbelte eine Staubwolke vom

Boden auf und hüllte sie ein. Fürchterlicher Durst verzehrte sie. Die Zunge klebte ihnen am Gaumen, und sie fühlten einen eisigen Schweiß über ihre Glieder rinnen, während das Leben langsam entfloh.

Unter sich, wie in unendlicher Tiefe, erblickten sie Straßen, marschierende Soldaten, blitzende Schwerter. Schlachtenlärm drang verworren zu ihnen heraus wie das

Meeresbrausen zu Schiffbrüchigen, die in den Masten eines Schiffes verschmachten. Die Italiker, kräftiger als die andern, schrien noch laut. Die Spartiaten blieben stumm und hielten die Augen geschlossen. Zarzas, einst so kraftvoll, neigte sich wie ein geknicktes Rohr. Der Äthiopier neben ihm hatte den Kopf rückwärts über den Querbalken des Kreuzes geworfen. Autarit hing unbeweglich und rollte nur die Augen. Sein langes Haar, das sich an einem Spane des Holzes über seinem Haupte festgeklemmt hatte, stand auf feiner Stirn hoch, und das Röcheln, das er ausstieß, klang fast wie Wutgebrüll. Über Spendius war ein seltsamer Mut gekommen. Jetzt verachtete er das Leben, in der Gewißheit, bald für immer erlöst zu sein, und gleichgültig erwartete er den Tod.

Inmitten ihrer Ohnmacht aber erbebten die Zehn bisweilen bei der Berührung von Federn, die ihre Gesichter streiften. Große Fittiche warfen schwankende Schatten über sie.

Krächzen ertönte in der Luft, und da Spendius am höchsten Kreuze hing, stieß der erste Geier auf ihn hernieder. Da wandte er sein Antlitz Autarit zu und sagte langsam, mit unbeschreiblichem Lächeln:

»Entsinnst du dich der Löwen am Wege nach Sikka!«

»Das waren unsre Brüder!« erwiderte der Gallier und verschied.

Der Suffet hatte von allen diesen Vorgängen nichts bemerkt. Die Stadt vor ihm verdeckte das jenseitige Gelände. Im übrigen war er von Hannos Abteilung nördlich von Tunis durch das Haff und im Westen durch die vor der Stadt sich langhin dehnende Lagune völlig getrennt. Die Offiziere, die er nach und nach an die beiden andern

Feldherren abgesandt hatte, waren nicht zurückgekehrt. Jetzt aber kamen Flüchtlinge an, die von Hannos Niederlage berichteten.

Hamilkar begab sich unverzüglich auf einen erhöhten Punkt, um sich über die neue Lage zu vergewissern. Er sah Hannos Lager in Brand, aber ein Windstoß trieb den Rauch auseinander und machte ihm den Blick frei bis zu den Mauern von Karthago. Er glaubte

sogar Leute zu erkennen, die auf der Plattform des Eschmuntempels Ausschau hielten.

Dann wandte er den Blick mehr nach links und erkannte am Ufer des Haffs die dreißig riesigen Kreuze.

Die Barbaren hatten sie nämlich, um den grausigen Eindruck zu erhöhen, aus aneinandergesetzten Zeltmasten errichtet, und so ragten die dreißig Leichen der Alten hoch in den Himmel. Auf ihrer Brust schimmerte etwas wie weiße Schmetterlinge. Es war das Gefieder der Pfeile, die man von unten auf sie abgeschossen hatte.

An der Spitze des höchsten Kreuzes glänzte ein breites goldenes Band. Es hing auf die Schulter des Gekreuzigten hinab. Der Arm fehlte der Leiche auf dieser Seite. Hamilkar hatte Mühe, Hanno zu erkennen. Die schwammigen Knochen des Gerichteten waren an den Eisennägeln nicht fest hängen geblieben. Teile seiner Gliedmaßen hatten sich losgelöst, und so hingen am Kreuze nur unförmige Bruchstücke, Tierresten ähnlich, die sich Jäger an ihre Türen zu nageln pflegen.

Das Heer Hamilkars war angesichts dieses unerwarteten Unglücks wie betäubt. Es hörte

nicht auf Hamilkars Befehle.

Matho benutzte diese Untätigkeit, sich nunmehr gegen die Numidier zu wenden.

Naravas hatte den Ausfall Mathos rechtzeitig bemerkt. Wohl war er mit seinen Reitern und Elefanten nach Südwesten vorgerückt, um Halmikar den Rücken zu decken. Mehr aber tat

er nicht. War es aus Hinterlist gegen Hanno oder aus Beschränktheit? Man hat es nie erfahren.

Jetzt geriet er mit Matho ins Gefecht. Die numidischen Elefanten rückten an. Aber die Söldner machten sich Fackeln und rückten, sie schwenkend, in die Ebene vor. Die mächtigen Tiere scheuten und rannten nach rückwärts in den Golf, wo sie um sich schlugen und sich gegenseitig töteten oder unter der Last ihrer Panzer ertranken. Auch seine Reiterei setzte Naravas in Bewegung. Die Söldner warfen sich jedoch mit den Gesichtern auf den Boden, und als die Pferde auf drei Schritt heran waren, sprangen sie ihnen unter die Bäuche und schlitzten sie mit Dolchstoßen auf. Als Barkas endlich herbeikam, war bereits die Hälfte der Numidier gefallen.

Erschöpft, wie sie waren, vermochten die Söldner Hamilkars Truppen nicht Widerstand

zu leisten. Sie zogen sich daher in guter Orduuug nach dem Berge der Heißen Wasser zurück. Der Suffet war so klug, sie nicht zu verfolgen. Er gab die Belagerung von Tunis auf und wandte sich nach der Makarmünduug.

Die Kadaver der numidischen Elefanten trieben, vom Winde geführt, am Gestade des Golfes hin, wie schwarze schwimmende Inseln. Um den Krieg mit Nachdruck zu unterstützen, hatte Naravas seine Wälder erschöpft. Er hatte die jungen und die alten Tiere, die Männchen und die Weibchen genommen. Diese kriegerische Kraft seines Reiches erholte sich nie wieder.

Das karthagische Volk hatte die Elefanten von weitem umkommen sehn und war untröstlich darüber. Männer jammerten auf den Straßen und riefen ihre Namen wie die verstorbener Freunde: »Ach, der Unbesiegliche! Der Sieg! Der Blitz! Die Schwalbe!« Am ersten Tag sprach man von ihnen mehr als von den gefallenen Bürgern. Doch am nächsten Tage erblickte man die Zelte der Söldner am Berge der Heißen Wasser. Da ward die allgemeine Verzweiflung so groß, daß sich viele, namentlich Frauen, kopfüber vou der Akropolis hinabstürzten.

Hamilkars Pläne kannte keiner. Er lebte einsam in seinem Zelte. Nur ein kleiner Knabe war um ihn. Niemand aß mit den beiden, nicht einmal Naravas. Gleichwohl bezeigte ihm

der Feldherr seit Hannos Niederlage ungewöhnliche Höflichkeit. Der Numidierfürst begehrte zwar nichts sehnlicher denn Hamilkars Schwiegersohn zu werden, aber er war trotzdem mißtrauisch.

Des Marschalls scheinbare Untätigkeit verdeckte in der Tat schlaue Machenschaften und Absichten. Durch allerhand Kunstkniffe gewann er die Dorfältesten und die Söldner wurden gejagt, vertrieben und umstellt wie wilde Tiere. Wenn sie in ein Gehölz kamen, begann es zu brennen, wenn sie aus einer Quelle tranken, war sie vergiftet. Man vermauerte die Höhlen, in denen sie nachts lagerten. Die Nomadenstämme, ihre früheren Mitschuldigen, die bisher auf ihrer Seite gestanden hatten, wurden jetzt die Verfolger der Söldner. Man bemerkte bei diesen Banden stets karthagische Rüstungen.

Viele Barbaren hatten im Gesicht rote Flechten. Man munkelte, das sei durch die Berührung von Hannos Leib entstanden. Andre bildeten sich ein, es wäre die Strafe dafür, daß sie Salambos Fische gegessen hätten. Doch weit entfernt, Reue darüber zu empfinden, sannen sie auf noch abscheulichere Frevel, um die punischen Götter noch mehr zu beschimpfen. Man hätte sie am liebsten ausgerottet.

So zogen die Barbaren drei Monate lang an der Ostküste hin und dann über die Sellumer Berge hinaus bis zum Rande der Wüste. Man suchte einen Zufluchtsort, gleichviel wo. Nur Utika und Hippo-Diarrhyt waren treu geblieben. Doch beide Städte wurden von Hamilkar belagert. Deshalb zog man schließlich auf gut Glück wieder gen Norden, ohne die Straßen zu kennen.

Das lange Elend hatte die Köpfe schwachsinnig gemacht.

Man empfand nichts mehr als eine immer wachsende Erbitterung. Eines Tages waren die Söldner wieder in den Schluchten von Kobus, abermals vor Karthago.

Nun wurden die Treffen häufiger. Das Kriegsglück war wechselnd. Doch Freund wie Feind war derart erschöpft, daß man auf beiden Seiten anstatt dieser kleinen Scharmützel eine große Schlacht herbeiwünschte. Man sehnte sich nach der letzten Entscheidung.

Matho hatte Lust, diesen Vorschlag dem Marschall persönlich zu überbringen. Aber einer seiner Libyer übernahm das Wagnis. Als man ihn abziehen sah, waren alle überzeugt, daß er nie wiederkäme.

Er kehrte noch am selben Abend zurück.

Hamilkar nahm die Herausforderung an. Man sollte sich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang in der Ebene von Rades treffen.

Die Söldner wollten wissen, ob Hamilkar noch etwas gesagt hätte, und der Libyer berichtete weiter:

»Als ich vor ihm stehen blieb, fragte er mich, worauf ich noch wartete. Ich antwortete:

»Daß man mich töte!« Da erwiderte er: »Nein! Geh! Du stirbst morgen mit den andern!««

Diese Großmut verwunderte die Barbaren. Viele waren entsetzt darüber, und Matho bedauerte, daß der Bote nicht getötet worden war.

Matho hatte noch dreitausend Afrikaner, zwölfhundert Griechen, fünfzehnhundert Kampaner, zweihundert Iberer, vierhundert Etrusker, fünfhundert Samniter, vierzig Gallier und eine Schar Nassurs, das waren heimatlose Banditen, die er im Dattellande aufgetrieben hatte, insgesamt siebentausend zweihundert und neunzehn Soldaten, aber darunter keine einzige vollständige Kompagnie. Die Truppen hatten die Löcher ihrer Harnische mit den Schulterblättern von Vierfüßlern geflickt und ihre Panzerstiefel durch Sandalen aus Lumpen ersetzt. Kupfer- und Eisenstücke beschwerten ihre Röcke. Ihre Panzerhemden hingen in Fetzen herab, und zwischen den Haaren ihrer Arme und Gesichter liefen die Narben wie Purpurfäden.

Der Zorn ihrer toten Gefährten beseelte sie und vermehrte ihre Kräfte. Sie fühlten dunkel, daß sie Diener eines Gottes waren, der in den Herzen der Unterdrückten waltete, und hielten sich für die heiligen Werkzeuge der allgemeinen Rache. Auch versetzte sie die maßlose Perfidie der Punier in Schmerz und Wut, und ganz besonders der Umriß Karthagos am Horizonte. Man schwur sich zu, bis in den Tod füreinander zu kämpfen.

Man tötete Lasttiere und aß soviel wie möglich, um sich zu stärken. Dann schlief man

ein. Manche beteten zu irgend einem Sternenbilde.

Die Karthager langten vor den Barbaren in der Ebene an. Sie hatten die Schildränder mit Öl bestrichen, damit die Pfeile besser abglitten. Die Infanterie, die langes Haar trug, schnitt es sich aus Vorsicht über der Stirn ab. Hamilkar ließ um die fünfte Stunde alle Feldkessel umwerfen, denn er wußte, daß es sich mit überfülltem Magen nicht gut fechten läßt. Sein Heer zählte vierzehntausend Mann, das Doppelte des Barbarenheeres. Trotzdem hatte er nie eine gleiche Unruhe empfunden. Wenn er unterlag, so war die Republik verloren, und er selbst mußte am Kreuze sterben. Siegte er hingegen, so konnte er über die Pyrenäen, Gallien und die Alpen nach Italien gelangen, und das Reich der Barkiden war von ewiger Dauer! Zwanzigmal erhob er sich in der Nacht, um alles bis auf die geringsten Einzelheiten persönlich zu überwachen. Was seine Truppen betraf, so waren sie durch die lange Schreckenszeit arg erbittert. Naravas zweifelte an der Treue seiner Numidier. Zudem konnten die Barbaren siegen. Eine seltsame Schwäche hatte ihn ergriffen. Aller Augenblicke trank er einen großen Becher Wasser.

Da öffnete ein ihm Unbekannter sein Zelt und legte auf den Boden eine Krone aus Steinsalz mit symbolischem Zierat aus Schwefelkristallen und Perlmuttervierecken. Man sandte bisweilen dem Bräutigam solch eine Hochzeitskrone. Das war ein Liebespfand, eine Art Aufforderung.

Dennoch empfand Hamilkars Tochter keine Zärtlichkeit für Naravas. Die Erinnerung an

Matho beunruhigte sie in unerträglicher Weise. Es dünkte ihr, als ob der Tod dieses Mannes einen Bann von ihrer Seele nehmen müsse, wie man den Biß einer Giftschlange

heilt, indem man sie auf der Wunde zerquetscht. Der Numidierfürst schmachtete nach ihr.

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