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Das Fest sollte die ganze Nacht hindurch währen. Vielarmige Lampenträger standen wie Bäume auf den Decken aus bunter Wolle, mit denen die niedrigen Tische bedeckt waren. Große Bernsteinkrüge, Amphoren aus blauem Glas, Schildpattlöffel und kleine runde Brote umgaben die doppelte Reihe der perlenbesetzten Schüsseln. Trauben waren mit ihrem Laub um elfenbeinerne Weinstöcke geschlungen wie um Thyrsusstäbe.

Eisblöcke schmolzen auf Schüsseln aus Ebenholz. Zitronen, Granatäpfel, Kürbisse und Melonen türmten sich über breiten Silberplatten. Wildschweine mit offenem Rachen starrten aus Bergen von Gewürz. Hasen im Fell waren so aufgestellt, daß es aussah, als sprängen sie aus Blumen heraus. Daneben lagen Muschelschalen, mit Fleischragout gefüllt. Das Backwerk hatte symbolische Formen, und wenn man die Glocken von den Schüsseln nahm, flogen Tauben heraus.

Währenddem liesen zahllose Sklaven mit aufgeschürzter Tunika auf den Fußspitzen hin und her. Von Zeit zu Zeit spielten Leiern eine Hymne, oder es erhob sich ein Chorgesang.

Der Lärm des Volkes, anhaltend wie Meeresrauschen, umbrauste verworren das Festmahl,

wie um die Harmonie der Stimmung zu erhöhen. Wenige nur gedachten des Gelages der

Söldner. Man überließ sich glückseligen Träumen. Die Sonne begann zu sinken, und auf

der andern Seite des Himmels kam bereits der Mond empor.

Plötzlich wandte Salambo den Kopf, als hätte jemand sie gerufen. Das Volk, das zu ihr aufschaute, folgte der Richtung ihres Blickes.

Auf der Höhe der Akropolis hatte sich die Tür des Kerkers, der zu Füßen des Eschmuntempels in den Fels gehauen war, soeben geöffnet. Ein Mann stand auf der Schwelle der schwarzen Offnung.

Tiefgebückt trat er heraus, mit der verstörten Miene eines wilden Tieres, das man plötzlich freigelassen hat. Das Licht blendete ihn. Eine Weile blieb er unbeweglich stehen.

Man hatte ihn allgemein erkannt und hielt den Atem an.

Der Körper dieses Opfers war für alle etwas Besonderes, fast von einem Heiligenschein umstrahlt. Man beugte sich vor, um ihn zu sehn, vornehmlich die Weiber. Sie waren darauf erpicht, den zu betrachten, der ihre Kinder und Gatten getötet hatte. Im Grunde ihrer Seele erhob sich eine schmähliche Neugier, das Verlangen, ihn vollständig kennen zu lernen, ein Gelüst, das sich mit Reue paarte und in ein Übermaß von Haß umschlug.

Schließlich schritt er vorwärts. Da wich die Betäubung der ersten Überraschung.

Tausend Arme streckten sich empor, aber man sah ihn nicht mehr.

Die Treppe zur Burg hatte sechzig Stufen. Matho stürzte sie hinab, wie in einem Gießbach vom Gipfel eines Berges hinuntergerissen. Dreimal sah man ihn hochschnellen.

Endlich kam er unten wieder auf die Füße.

Seine Schultern bluteten, seine Brust keuchte in heftigen Stößen, und er machte solche Anstrengungen, seine Fesseln zu zerreißen, daß seine auf dem bloßen Rücken gefesselten Arme anschwollen wie Schlangenleiber.

Von der Stelle, wo er stand, gingen mehrere Straßen aus. Durch jede von ihnen spannten sich zwei dreifache Reihen eherne Ketten, die am Nabel von Kabirenbildsäulen befestigt waren, in gleicher Richtung von einem Ende bis zum andern. Die Menge stand gegen die

Häuser gedrängt. In der Mitte schritten Ratsdiener und schwangen Peitschen.

Einer von ihnen trieb Matho mit einem kräftigen Schlag an. Da begann er von neuem

seinen Leidensgang.

Man streckte die Arme über die Ketten und schrie, der Weg sei ihm allzu breit gelassen worden. Er aber schritt, von tausend Fingern betastet, gestochen und zerhackt immer weiter. War er am Ende einer Straße, so tat sich ihm eine andre auf. Mehrmals sprang er zur Seite, um zu beißen. Man wich rasch zurück, und die Menge brach in Hohngelächter

aus.

Ein Kind zerriß ihm das Ohr. Ein junges Mädchen, das unter seinem Ärmel eine spitzige Spindel versteckt hatte, zerschlitzte ihm die Backe. Man riß ihm Hände voll Haare und Fetzen Fleisch aus. Andre beschmierten ihm das Gesicht mit Schwämmen, die in

Unrat getaucht und auf Stöcke gesteckt waren. Aus seiner rechten Brustseite schoß ein Blutstrom hervor. Alsbald brach der Wahnsinn vollends aus. Dieser letzte der Barbaren war für das Volk der Vertreter aller andern, des ganzen Heeres. An ihm rächte man alles Unglück, alle Ängste, alle Schande. Die Wut der Menge nahm mit der Sättigung ihres Blutdurstes zu. Die allzu straff gespannten Ketten weiteten sich und drohten zu brechen.

Man fühlte die Schläge der Sklaven nicht mehr, die auf die Massen einhieben, um sie zurückzutreiben. Manche hingen an den Erkern der Häuser. Alle Öffnungen in den Mauern waren mit Köpfen erfüllt, und das Böse, das man dem Libyer nicht antun konnte, brüllte man ihm wenigstens zu.

Es waren wilde, unflätige Schmähungen, vermischt mit spöttischen Zurufen und Flüchen; und da man an seiner gegenwärtigen Marter nicht genng hatte, kündigte man ihm noch fürchterlichere Qualen für die Ewigkeit an.

Das ungeheure Geheul erfüllte Karthago mit stumpfsinniger Beharrlichkeit. Oft fand eine einzige Silbe, ein heiserer, dumpfer, wilder Laut ein minutenlanges Echo im ganzen Volke. Die Mauern erbebten von diesem Geschrei vom Grund bis zum Giebel, und Matho

war zumute, als ob die beiden Straßenwände auf ihn zukämen und ihn vom Boden aufhöben wie zwei ungeheure Arme, um ihn in der Luft zu erwürgen.

Da fiel ihm ein, schon einmal etwas Ähnliches empfunden zu haben. Die gleiche Menge

auf den Terrassen, die gleichen Blicke, die gleiche Raserei! Nur war er damals frei, damals wichen alle vor ihm aus, damals beschirmte ihn ein Gott! Und diese Erinnerung, die immer deutlicher ward, erfüllte ihn mit niederschmetternder Traurigkeit. Schatten schwebten ihm vor den Augen, die Stadt schwankte vor ihm. Das Blut rieselte ihm aus einer Wunde an der Hüfte. Er fühlte den Tod. Seine Knie schlotterten, und er sank langsam auf das Pflaster.

Irgendwer holte aus der Vorhalle des Melkarthtempels die auf Kohlen glühend gemachte Querstange eines Dreifußes, schob sie unter der obersten Kette hindurch und stieß sie gegen Mathos Wunde. Man sah das Fleisch rauchen. Das Hohngeschrei der Menge erstickte den Aufschrei des Getroffenen. Schon aber stand er wieder auf den Beinen. Sechs Schritte weiter stürzte er abermals hin, dann noch ein drittes-, ein viertesmal. Immer jagte ihn eine neue Marter wieder auf. Man bespritzte ihn durch Röhren mit siedendem Öl, streute Glasscherben unter seine Füße. Er schritt weiter. An der Ecke der Sathebstraße lehnte er sich unter dem Dache eines Ladens mit dem Rücken gegen die Mauer und ging nicht mehr weiter. Die Schergen des Rats schlugen ihn mit ihren Peitschen aus Flußpferdhaut so wütend und so lange, daß die Fransen ihrer Tuniken von Schweiß troffen. Matho schien kein Gefühl mehr zu haben. Plötzlich aber nahm er von neuem einen Anlauf und begann darauf loszurennen, während seine Lippen bebten, als ob er Schüttelfrost habe. Er stürzte durch die Budesstraße, die Söpogasse, über den Gemüsemarkt und langte auf dem Khamonplatz an.

Jetzt gehörte er den Priestern. Die Ratsdiener hatten die Menge zurückgedrängt. Hier gab es mehr Raum. Matho schaute sich um, und seine Blicke trafen Salambo.

Beim ersten Schritte, den er getan, war sie aufgestanden und unwillkürlich, je näher er kam, immer mehr bis an den Rand der Terrasse vorgetreten. Bald war die Außenwelt für

sie verschwunden. Sie sah nur noch Matho. In ihrer Seele war es still geworden. Einer

jener Abgründe hatte sich in ihr aufgetan, in dem die ganze Welt versinkt unter der Wucht eines einzigen Gedankens, einer Erinnerung, eines Blickes. Dieser Mann, der da auf sie zulief, zog sie mit Zaubergewalt in seinen Bann.

Er hatte, die Augen ausgenommen, nichts Menschenähnliches mehr. Sein Körper war eine über und über rote Masse. Die zerrissenen Stricke hingen an seinen Schenkeln herab, aber sie waren nicht mehr von den Sehnen seiner völlig entfleischten Fäuste zu unterscheiden. Sein Mund stand weit offen. Aus seinen Augenhöhlen sprühten zwei Flammen, die bis zu seinen Haaren emporzulodern schienen, – und doch schritt der Unglückliche immer noch weiter.

Er kam gerade bis an den Fuß der Terrasse. Salambo hatte sich über die Brüstung geneigt. Seine fürchterlichen Augen blickten sie an, und plötzlich kam ihr alles ins Bewußtsein, was er für sie gelitten hatte. Dort lag er im Sterben. Sie aber sah ihn in seinem Zelte auf den Knien liegen, ihren Leib mit seinen Armen umschlingen und Koseworte stammeln. Es dürstete sie darnach, die Worte von damals noch einmal zu hören. Er sollte nicht sterben! In diesem Augenblick ergriff Matho ein heftiges Zittern. Sie wollte rufen. Da stürzte er rücklings zu Boden und regte sich nicht mehr.

Halb ohnmächtig wurde Salambo von den Priestern, die sich um sie bemühten, auf ihren Thron zurückgetragen. Man beglückwünschte sie. Das war ihr Werk! Überall um sie herum klatschte mau in die Hände, stampfte mit den Füßen und heulte ihren Namen.

Ein Mann stürzte auf den Toten. Wiewohl er bartlos war, trug er doch den Mantel der

Molochpriester um die Schultern und am Gürtel ein eigentümliches Messer, das zum Zerlegen des Opfersleisches diente und am Ende des Stieles in einen goldnen Spatel auslief. Mit einem einzigen Schnitt spaltete er Mathos Brust, riß das Herz heraus und legte es auf den Löffel. Es war Schahabarim. Er hob den Arm hoch und bot das Herz der Sonne dar.

Glühend stand sie über den Fluten, uud ihre letzten Strahlen trafen wie lange Pfeile das blutrote Herz. Je tiefer ihre Scheibe ins Meer sank, desto schwächer wurden seine Schläge, und bei dem letzten Zucken des Muskels schwand auch die Sonne.

Da erscholl vom Golf bis zur Lagune und von der Landenge bis zum Leuchtturm, in allen Straßen und auf allen Tempeln, ein einziger Schrei, der bisweilen aufhörte und dann wieder erklang. Die Gebäude erbebten. Karthago zuckte zusammen wie im Krampfe titanischer Freude uud grenzenloser Hoffnung.

Naravas, von Stolz berauscht, legte zum Zeichen des Besitzes seinen Arm um Salambos

Leib und ergriff mit der Rechten eine goldene Schale, die er auf Karthagos Glück leerte.

Salambo erhob sich, gleich ihrem Gemahl, mit einer Schale in der Hand, um ebenfalls

zu trinken. Da sank sie mit zurückgebogenem Haupt auf die Lehne des Thrones nieder, bleich, starr, mit offenen Lippen. Ihr gelöstes Haar wallte zum Boden herab.

So starb Hamilkars Tochter, weil sie den heiligen Mantel der Tanit berührt hatte.

Anmerkungen des Übersetzers

Salammbô ist 1862 erschienen. Die französische Urhandschrift befindet sich heute im Besitze der Nichte Flauberts, Madame Franklin-Grout in Antibes (Villa Tanit), und wird dermaleinst Eigentum der Pariser Nationalbibliothek. Sie besteht aus 340 Blättern »großen Formats« und trägt auf dem Pappdeckel des Einbandes die Daten »September 1857-April

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