Alphabet des Ben Sira
III. „Kritik“ der rabbinischen Tradition legung bis auf sechs Ausnahmen akzeptiert.1 Nach bEr 3a repräsen-tieren die Dis kussionen zwischen Abaje und Raba die talmudische 5. Ben Sira in der Schule
Dialektik schlecht hin. Abaje greift bei seiner Argumentation eher auf vorliegende Traditio nen zurück, während Raba unabhängig da-Ben Sira, der mit Zähnen zur Welt gekommen ist und gleich spre-von schlussfolgert. Abaje, der oftmals auch volkstümliche Traditi-chen kann, hat sich seit der Stunde seiner Geburt von Brot, Fleisch onen zitiert (geh, und sieh, was die Leute sagen), ist einer der rabbi-und Wein – für einen Säugling recht unverträgliche Speisen – er-nischen Gelehrten, die sich für „das Buch Ben Sira“ einsetzte.2 Raba nährt. Nach Verlauf eines Jahres zieht er hinaus in die Welt um zu wird mit diesem Buch eher Probleme gehabt haben, heißt es doch in lernen. In einer Synagoge trifft er einen Lehrer und verlangt, unter-bBer 17a, er habe gesagt:
richtet zu werden. Anstatt aber jeden Buchstaben für seinen Lehrer Der Endzweck der Weisheit ist Umkehr und gute Werke, zu wiederholen, antwortet Ben Sira mit einem Sinnspruch, der mit damit der Mensch nicht lese und lerne, sich dann aber dem zu lernenden Buchstaben beginnt. Auf jeden dieser Sinnsprüche gegen Vater und Mutter auflehne, gegen seine Lehrer und antwortet der Lehrer. Vordergründig scheint sich der Lehrer seine gegen den, der größer ist als er in Weisheit und Zahl, denn Lebensgeschichte von dem kleinen Ben Sira entlocken zu lassen.
es heißt:
In Wirklichkeit aber führt er in diesem Gespräch Ben Sira vor. Der Der Weisheit Anfang ist die Gottesfurcht, ein gutes Ansehen Lehrer antwortet nämlich, indem sein Satz mit dem Buchstaben befür alle, die sie ausüben. (Ps 110,10) ginnt, den Ben Sira lernen sollte, und oft genug fordert er ihn derart Es heißt nicht „lernen“ sondern „ausüben“.
auf, einen zuvor genannten Lehrsatz mit anderem Buchstabenbeginn Nur denen, die sie um ihrer selbst willen ausüben, nicht zu wiederholen. Der Lehrer ist damit derjenige, der das Gespräch aber denen, die sie nicht um ihrer selbst willen ausüben.
lenkt, und im Laufe des Gesprächs wird immer deutlicher, worum es Für jeden aber, der sie nicht um ihrer selbst willen ausübt, ihm mit diesem naseweisen Kind geht. Er lässt es über Dinge reden, wäre es besser, er wäre nicht erschaffen worden.
von denen es – aufgrund seines Alters und seiner beschränkten Lebenserfahrung – nichts versteht. Das Kind vermeint alles zu wissen Als Ben Sira fünf Jahre alt ist, hat er die gesamte rabbinische Tra-und vergisst – selbstgefällig – die Grundlagen des zwischenmensch-dition gelernt. Mit zehn Jahren kennt er sämtliche Prinzipien der lichen Umgangs: Es ist respektlos und ehrt den Lehrer ebenso wenig Schriftausle gung, und damit auch die Grundlagen der Hermeneu-wie zuvor die Mutter.
tik, mit fünfzehn Jahren beherrscht er die Kunst des Vortragens (die Die Idee, Geschichten oder Sinnsprüche innerhalb des Ge-Deklamation), die Sprache der Engel, kennt alle Gleichnisse und spräches zwischen Lehrer und Schüler alphabetisch aneinander zu Fabeln (Sternparabeln und Fuchsparabeln), und mit zwanzig Jahren reihen, geht auf das Buch des Sirach (Ecclesiasticus) zurück, das hat er sein Studium der Theologie abgeschlossen. Er hat Einblick in am Schluss im hebrä ischen Text ein alphabetisches Loblied auf die die himmlischen Sphären und kann den Thron Gottes beschreiben.
Weisheit enthält.1 Aber auch der alphabetisch geordnete Anfang der Dieses Studium ist rabbini schen Gelehrten erst ab dem vierzigsten Klagelieder Jeremias spielt eine Rolle, da auf diesen Text im ersten Lebensjahr erlaubt, wenn ein Lehrer sie dabei anleitet.3
Teil des Alphabets des Ben Sira angespielt wird.
Die Kunde von Ben Siras Weisheit verbreitet sich in der ganzen Die Unterhaltung zwischen Lehrer und Schüler beginnt mit zwei Welt, so dass schließlich Nebukadnezar, der König von Babel, ihn Zitaten aus Mischna Abot. Den einjährigen Ben Sira weist der Leh-an seinen Hof bringen lässt. Ben Sira gilt als weise, aber nach Raba rer mit mAbot 5,21 zurück. Die Weisen haben festgesetzt, dass ein geht es hauptsächlich um die Ausübung der Weisheit. Hier aber las-Junge erst mit fünf Jahren anfangen solle, die Bibel zu lernen. Ben sen sich bei Ben Sira zunächst zahlreiche Mängel erkennen, deutlich Sira pariert auf diese Abweisung des Lehrers mit dem Zitat von mA-sichtbar in seiner Unmäßigkeit, seiner Respektlosigkeit und seiner bot 2,15:2 „Der Tag ist kurz und der Arbeit viel, die Arbeiter sind faul altklugen Geschwätzigkeit.
und groß ist der Lohn.“ Damit sagt er dem Lehrer einerseits, dass man gut daran tut, so früh wie möglich mit dem Lernen zu begin-1
Siehe bBM 22b.
1 Sirach
51,13-30.
2
Siehe bSanh 100b und Einleitung, XVIII.
2
Vgl. den Spruch „vita brevis, ars longa“, der den Anfang der Aphoris-3
Siehe bChag 11b-16a.
men des Hippokrates bildet.
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III. „Kritik“ der rabbinischen Tradition nen. Andererseits geht aus dem Zitat-Abtausch hervor, dass sich mit Frau, die dem Haushalt vorzustehen weiß, wie es in Prov 31,10-30
Zitaten aus der Traditionslite ratur jeder Standpunkt vertreten lässt.
im Lob der tüchtigen Hausfrau heißt:
Entsprechend scharf reagiert der Lehrer auf Ben Siras Einwand: Es Wem eine tüchtige Frau beschert ist, dem ist sie viel edler ist nicht die Sache des Schülers, den Lehrer zu belehren. Auch dies als die köstlichsten Perlen.
lässt sich aus der Tradition belegen. Im rabbinischen Bildungssy-Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen, und an stem war es unüblich, eine rechtliche Ent scheidung, eine Halacha, Nahrung wird es ihm nicht mangeln.
zu fällen, die von der Entscheidung des Lehrers abwich.1 Wer eine Sie tut ihm Liebes und kein Leid ihr Leben lang.
neue Halacha in Gegenwart seines Lehrers festsetzt, den straft Gott Sie geht mit Wolle und Flachs um und arbeitet gerne mit mit frühzeitigem Tod. Aber auch dieses Argument kann Ben Sira den Händen.
entkräften. Noch befinden sich beide erst in der Diskussion darüber,
[…]
ob Ben Sira unterrichtet werden darf oder nicht. Wenn er in die sem Sie tut ihren Mund auf mit Weisheit, und auf ihrer Zunge Stadium den Lehrer belehren kann, dürfte Gott ihn nicht für eine ist gütige Weisung.
Belehrung des Lehrers strafen.
Sie schaut, wie es in ihrem Haus zugeht, und isst ihr Brot Der Aufforderung, den Buchstaben Alef zu wiederholen, kommt nicht mit Faulheit.
Ben Sira nach, indem er einen aus der Weisheitsliteratur bekannten Ihre Söhne stehen auf und preisen sie, ihr Mann lobt sie: Lehrspruch mit dem ersten Buchstaben beginnen lässt: „An dein Es sind wohl viele tüchtige Frauen, du aber übertriffst sie Herz lass keinen Kummer, denn schon viele Menschen hat der Kum-alle.
mer ge tötet.“ Die in dem Lehrsatz enthaltene Aufforderung, auch Lieblich und schön sein ist nichts; eine Frau, die JHWH