»Nun ist's genug!« ruft schließlich der Herr Kapellmeister. »Ihr schert euch jetzt mit der Resi in die Küche und helft ihr!« Er schaut auf die Uhr. »Ich zeig' der Mutti inzwischen meine Wohnung. Und in einer halben Stunde wird gegessen. Wenn's soweit ist, klingelt ihr!« Er nimmt die junge Frau an der Hand.
An der gegenüberliegenden Tür macht Luise einen Knicks und sagt: »Auf gute Nachbarschaft, Herr Kapellmeister!«
Die Frau legt Hut und Mantel ab. »Was für eine Überraschung!« meint sie leise.
»Eine angenehme Überraschung?« fragt er. Sie nickt.
»Es war schon lange Lottchens Wunsch, bevor's auch der meinige wurde«, erzählt er zögernd. »Gabele hat den Feld-zugsplan bis ins kleinste ausgearbeitet und die Schlacht der Möbelwagen geleitet.«
»Deswegen also mußten wir erst noch in die Schule?«
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» J a . Der Transport des Flügels hielt den Kampf der Möbeltitanen etwas auf.«
Sie treten ins Arbeitszimmer. Auf dem Flügel steht die aus dem Schreibtischfach auferstandene Fotografie einer jungen Frau aus einer vergangenen, unvergessenen Zeit. Er legt den Arm um sie. »Im dritten Stock links werden wir zu viert glücklich sein, und im dritten Stock rechts ich allein, aber mit euch Wand an Wand.«
»So viel Glück!« Sie schmiegt sich an ihn.
»Jedenfalls mehr, als wir verdienen«, sagt er ernst. »Aber nicht mehr, als wir ertragen können.«
»Ich hätte nie geglaubt, daß es das gibt!«
»Was?«
»Daß man verlorenes Glück nachholen kann wie eine ver-säumte Schulstunde.«
Er deutet auf ein Bild an der Wand. Aus dem Rahmen schaut, von Gabele gezeichnet, ein kleines, ernstes Kindergesicht auf die Eltern herab.
»Jede Sekunde unseres neuen Glücks«, sagt er, »verdanken wir unseren Kindern.«
Luise steht, mit einer Küchenschürze geschmückt, auf einem Stuhl und heftet mit Reißnägeln die Titelseite der »Münchner Illustrierten« an die Wand.
»Schön«, sagt Resi andächtig.
Lottchen, gleichfalls in einer Küchenschürze, werkelt eifrig am Herd.
Resi tupft sich eine Träne aus dem Augenwinkel, schnüffelt leise und fragt dann, noch immer vor der Fotografie 152
stehend: »Welche von euch beiden ist denn nun eigentlich welche?«
Die kleinen Mädchen schauen einander betroffen an. Dann starren sie auf die angenagelte Fotografie. Dann blicken sie erneut einander an.
»Also . . . « , sagt Lottchen unschlüssig.
»Ich saß, als uns der Herr Eipeldauer knipste, glaub' ich, links«, meint Luise nachdenklich.
Lotte schüttelt zaudernd den Kopf. »Nein, ich saß links.
Oder?«
Die zwei recken die Hälse zu ihrem Konterfei empor.
» J a , wenn ihr's selber nicht wißt, welche welche ist!«
schreit die Resi außer sich und beginnt zu lachen.
»Nein, wir wissen's wirklich selber nicht!« ruft Luise begeistert. Und nun lachen alle drei, daß ihr Gelächter bis in die Nebenwohnung hinüberdringt.
Dort drüben fragt die Frau, fast erschrocken: »Wirst du denn auch bei solchem Lärm arbeiten können?«
Er geht zum Flügel und sagt, während er den Deckel öffnet: »Nur bei solchem Lärm!« Und indes nebenan das Gelächter einschläft, spielt er seiner Frau aus der Kinderoper das Duett in Es-Dur vor, das bis in die Küche der Nachbarwohnung dringt. Die drei hantieren so leise wie möglich, um sich auch ja keinen Ton entgehen zu lassen.
Als das Lied verklungen ist, fragt Lottchen verlegen: »Wie ist das eigentlich, Resi? Wo nun Vati und Mutti wieder mit uns beisammen sind, können Luise und ich doch noch Geschwister bekommen?«
» J a freilich!« erklärt Resi zuversichtlich. »Wollt ihr denn welche haben?«
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»Natürlich«, meint Luise energisch.
»Buben oder Mädel?« erkundigt sich Resi angelegentlich.
»Buben und Mädel!« sagt Lotte.
Luise aber ruft aus Herzensgrund: »Und lauter Zwillinge!«