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»Natürlich hab' ich's gemerkt!« Er tritt ans Fenster. » N a -

türlich weiß ich, was sie wollen!« Ungeduldig zerrt er an dem Fensterriegel. »Sie wollen, daß auch du und ich beisammenbleiben!«

»Vater und Mutter wollen sie haben, unsere Kinder! Ist das unbescheiden?« fragt die junge Frau forschend.

»Nein! Aber es gibt auch bescheidene Wünsche, die nicht 140

erfüllbar sind!« Er steht am Fenster wie ein Junge, der in die Ecke gestellt wurde und der aus Trotz nicht wieder her-vorkommen will.

»Warum nicht erfüllbar?«

Überrascht wendet er sich um. »Das fragst du mich? Nach allem, was war?«

Sie schaut ihn ernst an und nickt, kaum merklich. Dann sagt sie: » J a ! Nach allem, was gewesen ist!«

Luise steht an der Tür und preßt die Augen ans Schlüsselloch. Lotte steht daneben und hält beide kleinen Fäuste, die Daumen kneifend, weit von sich.

»Oh, oh, oh!« murmelt Luise. »Vati gibt Mutti einen Kuß!«

Lottchen schiebt, ganz gegen ihre Gewohnheit, die Schwester unsanft beiseite und starrt nun ihrerseits durchs Schlüsselloch.

»Nun?« fragt Luise. »Noch immer?«

»Nein«, flüstert Lottchen und richtet sich strahlend hoch.

»Jetzt gibt Mutti Vati einen Kuß!«

Da fallen die Zwillinge einander jauchzend in die Arme!

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ZWÖLFTES K A P I T E L

Herr Grawunder wundert sich — Direktor Kilians komischeErzählung — Luises und Lottchens Heiratspläne — DieTitelseite der »Münchner Illustrierten« — Ein neues Schildan einer alten Tür — »Auf gute Nachbarschaft, Herr Kapellmeister!« — Man kann verlorenes Glück nachholen —

Kinderlachen und ein Kinderlied — »Und lauter Zwillinge!«

Herr Benno Grawunder, ein alter, erfahrener Beamter im Standesamt des ersten Wiener Bezirks, nimmt eine Trauung vor, die ihn, bei aller Routine, ab und zu ein bißchen aus der Fassung bringt. Die Braut ist die geschiedene Frau des Bräutigams. Die beiden einander entsetzlich ähnlichen zehn-jährigen Mädchen sind die Kinder des Brautpaars. Der eine Trauzeuge, ein Kunstmaler namens Anton Gabele, hat keinen Schlips um. Dafür hat der andere Zeuge, ein Hofrat Professor Doktor Strobl, einen Hund! Und der Hund hat im Vorzimmer, wo er eigentlich bleiben sollte, einen solchen Lärm gemacht, daß man ihn hereinholen und an der standes-amtlichen Trauung teilnehmen lassen mußte! Ein Hund als Trauzeuge! Nein, so was!

Lottchen und Luise sitzen andächtig auf ihren Stühlen und sind glücklich wie die Schneekönige. Und sie sind nicht nur glücklich, sondern auch stolz, mächtig stolz! Denn sie selber sind ja an dem herrlichen, unfaßbaren Glück schuld!

Was wäre denn aus den armen Eltern geworden, wenn die Kinder nicht gewesen wären, wie? Na also! Und leicht war's auch nicht gerade gewesen, in aller Heimlichkeit Schicksal zu spielen! Abenteuer, Tränen, Angst, Lügen, Verzweiflung, 142

Herr Grawunder wundert sich

Krankheit, nichts war ihnen erspart geblieben, rein gar nichts!

Nach der Zeremonie flüstert Herr Gabele mit Herrn Palffy. Dabei zwinkern die beiden Künstlernaturen einander geheimnisvoll zu. Aber warum sie flüstern und zwinkern, weiß außer ihnen niemand.

Frau Körner, geschiedene Palffy, verehelichte Palffy, hat ihren alten und neuen Herrn und Gebieter nur murmeln hören: »Noch zu früh?« Dann fährt er, zu ihr gewandt, leichthin fort: »Ich hab' eine gute Idee! Weißt du was? Wir fahren zunächst in die Schule und melden Lotte an!«

»Lotte? Aber Lotte war doch seit Wochen . . . Entschuldige, du hast natürlich recht!«

Der Herr Kapellmeister schaut die Frau Kapellmeister zärtlich an. »Das will ich meinen!«

Herr Kilian, der Direktor der Mädchenschule, ist ehrlich verblüfft, als Kapellmeister Palffy und Frau eine zweite Tochter anmelden, die der ersten aufs H a a r gleicht. Aber er hat als alter Schulmann manches erlebt, was nicht weniger merkwürdig war, und so gewinnt er schließlich die Fassung wieder.

Nachdem die neue Schülerin ordnungsgemäß in ein großes Buch eingetragen worden ist, lehnt er sich gemütlich im Schreibtischsessel zurück und sagt: »Als jungem Hilfslehrer ist mir einmal etwas passiert, das muß ich Ihnen und den beiden Mäderln erzählen! Da kam zu Ostern ein neuer Bub in meine Klasse. Ein Bub aus ärmlichen Verhältnissen, aber blitzsauber und, wie ich bald merkte, sehr ums Lernen be-144

müht. Er kam gut voran. Im Rechnen war er sogar in kurzer Zeit der Beste von allen. Das heißt: nicht immer! Erst dachte ich bei mir: >Wer weiß, woran's liegen mag!< Dann dachte ich: >Das ist doch seltsam! Manchmal rechnet er wie am Schnürchen und macht keinen einzigen Fehler, andere Male geht es viel langsamer bei ihm, und Schnitzer macht er außerdem!<«

Der Herr Schuldirektor macht eine Kunstpause und zwinkert Luise und Lotte wohlwollend zu. »Endlich verfiel ich auf eine seltsame Methode. Ich merkte mir in einem Notiz-bücherl an, wann der Bub gut und wann er miserabel gerechnet hatte. Und da stellte sich ja nun etwas ganz Verrücktes heraus. Montags, mittwochs und freitags rechnete er 145

gut — dienstags, donnerstags und samstags rechnete er schlecht.«

»Nein, so was!« sagt Herr Palffy. Und die zwei kleinen Mädchen rutschen neugierig auf den Stühlen.

»Sechs Wochen sah ich mir das a n « , fährt der alte Herr fort. » E s änderte sich nie! Montags, mittwochs, freitags —

gut! — Dienstags, donnerstags, samstags — schlecht! Eines schönen Abends begab ich mich in die Wohnung der Eltern und teilte ihnen meine rätselhaften Beobachtungen mit. Sie schauten einander halb verlegen, halb belustigt an, und dann meinte der Mann: >Mit dem, was der Herr Lehrer bemerkt hat, hat's schon seine Richtigkeit!< Dann pfiff er auf zwei Fingern. Und schon kamen aus dem Nebenzimmer zwei Jungen herübergesprungen. Zwei, gleich groß und auch sonst vollkommen ähnlich! >Es sind Zwillinge<, meinte die Frau. >Der Sepp ist der gute Rechner, der Toni — der andere!< Nachdem ich mich einigermaßen erholt hatte, fragte ich: >Ja, liebe Leute, warum schickt ihr denn nicht alle beide in die Schule?< Und der Vater gab mir zur Antwort: >Wir sind arm, Herr Lehrer. Die zwei Buben haben zusammen nur einen guten Anzug!«

Das Ehepaar Palffy lacht. Herr Kilian schmunzelt. Das Luiserl ruft: »Das ist eine Idee! Das machen wir auch!«

Herr Kilian droht mit dem Finger. »Untersteht euch!

Fräulein Gstettner und Fräulein Bruckbaur werden ohnedies Mühe genug haben, euch immer richtig auseinanderzuhal-ten!«

»Vor allem«, meint Luise begeistert, »wenn wir uns ganz gleich frisieren und die Sitzplätze tauschen!«

Der Herr Direktor schlägt die Hände überm Kopf zu-146

sammen und tut überhaupt, als sei er der Verzweiflung nahe.

»Entsetzlich!« sagt er. »Und wie soll das erst einmal später werden, wenn ihr junge Damen seid und euch jemand heiraten will?«

»Weil wir gleich aussehen«, meint Lottchen nachdenklich,

»gefallen wir sicher ein und demselben Mann!«

»Und uns gefällt bestimmt auch nur derselbe!« ruft Luise.

»Dann heiraten wir ihn ganz einfach beide! Das ist das beste. Montags, mittwochs und freitags bin ich seine Frau!

Und dienstags, donnerstags und samstags ist Lottchen an der Reihe!«

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