»Suchen Sie das geeignetste Bild aus und dichten Sie eine Unterschrift, daß unseren Lesern das Herz im Leibe lacht!
Sie können das ja erstklassig!«
»Vielleicht sollten wir sie doch nicht bringen«, hört sie sich sagen.
»Und warum nicht, hochgeschätzte Kollegin?«
»Ich halte die Aufnahmen nicht für echt.«
»Zusammenkopiert, was?« Doktor Bernau lacht. »Da tun Sie dem Herrn Eipeldauer entschieden zu viel Ehre an. So raffiniert ist der nicht! Also, rasch ans Werk, liebwerte Dame! Die Unterschrift hat bis morgen Zeit. Ich kriege den Text noch zu Gesicht, bevor Sie ihn in Satz geben.« Er nickt und beugt sich über neue Arbeit.
Sie tastet sich hinüber in ihr Zimmer, sinkt in ihren Sessel, legt die Fotos vor sich hin und preßt die Hände an die Schläfen.
Die Gedanken fahren in ihrem Kopfe Karussell. Ihre beiden Kinder! Das Kinderheim! Die Ferien! Natürlich! Aber warum hat Lottchen nichts davon erzählt? Warum hat Lottchen die Bilder nicht mitgebracht? Denn als sich die zwei fotografieren ließen, taten sie's doch nicht ohne Absicht. Sie werden entdeckt haben, daß sie Geschwister sind! Und dann haben sie sich vorgenommen, nichts darüber zu sagen. Es läßt sich verstehen, ja freilich. Mein Gott, wie sie einander gleichen! Nicht einmal das vielgepriesene Mutterauge . . . Oh, ihr meine beiden, beiden, beiden Lieblinge!
115
Wenn jetzt Doktor Bernau den Kopf durch die Tür steckte, sähe er in ein von Glück und Schmerz überwältigtes Gesicht, über das Tränen strömen, Tränen, die das Herz ermatten, als flösse das Leben selber aus den Augen.
Glücklicherweise steckt Doktor Bernau den Kopf nicht durch die Tür.
Frau Körner ist bemüht, sich zusammenzureißen. Gerade jetzt heißt es den Kopf oben zu behalten! Was soll geschehen? Was wird, was muß geschehen? Ich werde mit Lottchen reden!
Eiskalt durchfährt es die Mutter! Ein Gedanke schüttelt wie eine unsichtbare Hand ihren Körper hin und her!
Ist es denn Lotte, mit der sie sprechen will?
Frau Körner hat Fräulein Linnekogel, die Lehrerin, in der Wohnung aufgesucht.
»Das ist eine mehr als merkwürdige Frage, die Sie an mich richten«, sagt Fräulein Linnekogel. »Ob ich für möglich halte, daß Ihre Tochter nicht Ihre Tochter, sondern ein anderes Mädchen ist? Erlauben Sie, aber . . . «
»Nein, ich bin nicht verrückt«, versichert Frau Körner und legt eine Fotografie auf den Tisch.
Fräulein Linnekogel schaut das Bild an. Dann die Besucherin. Dann wieder das Bild.
»Ich habe zwei Töchter«, sagt die Besucherin leise. »Die zweite lebt bei meinem geschiedenen Mann in Wien. Das Bild kam mir vor etlichen Stunden durch Zufall in die Hände. Ich wußte nicht, daß sich die Kinder in den Ferien begegnet sind.«
116
Fräulein Linnekogel macht den Mund auf und zu wie ein Karpfen auf dem Ladentisch. Kopfschüttelnd schiebt sie die Fotografie von sich weg, als hätte sie Angst, gebissen zu werden. Endlich fragte sie: »Und die beiden haben bis dahin nichts voneinander gewußt?«
Die junge Frau schüttelt den Kopf. »Nein. Mein Mann und ich haben's damals so vereinbart, weil wir es für das beste hielten.«
»Und auch Sie haben von dem Mann und Ihrem anderen Kind nie wieder gehört?«
»Nie.«
»Ob er wieder geheiratet hat?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube kaum. Er meinte, er eigne sich nicht fürs Familienleben.«
»Eine höchst abenteuerliche Geschichte«, sagt die Lehrerin.
»Sollten die Kinder wirklich auf die absurde Idee verfallen sein, einander auszutauschen? Wenn ich mir Lottchens cha-rakteristische Wandlung vor Augen halte, und dann die Schrift, Frau Körner, die Schrift! Ich kann es kaum fassen!
— Aber es würde manches erklären.«
Die Mutter nickt und schaut starr vor sich hin.
»Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel«, meint Fräulein Linnekogel, »ich war nie verheiratet, ich bin Erzieherin und habe keine Kinder — aber ich meine immer: Die Frauen, die wirklichen, verheirateten, nehmen ihre Män-ner zu wichtig! Dabei ist nur eines wesentlich: das Glück der Kinder!«
Frau Körner lächelt schmerzlich. »Glauben Sie, daß meine Kinder in einer langen, unglücklichen Ehe glücklicher geworden wären?«
117
Fräulein Linnekogel sagt nachdenklich: »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie sind noch heute sehr jung. Sie waren, als Sie heirateten, ein halbes Kind. Sie werden Ihr Leben lang jünger sein, als ich jemals gewesen bin. Was für den einen richtig wäre, kann für den anderen falsch sein.«
Der Besuch steht auf.
»Und was werden Sie tun?«
»Wenn ich das wüßte!« sagt die junge Frau.
Luise steht vor einem Münchner Postschalter. »Nein«, sagt der Beamte für die postlagernden Sendungen bedauernd.
»Nein, Fräulein Vergißmeinnicht, heut hätten wir wieder nix.«
Luise blickt ihn unschlüssig an. »Was kann das nur bedeu-ten?« murmelt sie bedrückt.