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Eine Zeitlang spielt er vom Blatt. Einen strengen, schlich-ten Kanon in einer der alten Kirchentonarten. Dann modu-liert er. Von Dorisch nach c-Moll. Von c-Moll nach Es-Dur.

Und langsam, ganz langsam schält sich aus der Paraphrase eine neue Melodie heraus. Eine Melodie, so einfach und herzgewinnend, als ob zwei kleine Mädchen mit ihren hel-len Kinderstimmen sie sängen. Auf einer Sommerwiese. An einem kühlen Gebirgssee, in dem sich der blaue Himmel spiegelt. Jener Himmel, der höher ist als aller Verstand und dessen Sonne die Kreaturen wärmt und bescheint, ohne zwischen den Guten, den Bösen und den Lauen einen Unterschied zu machen.

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E L F T E S K A P I T E L

Ein doppelter Geburtstag und ein einziger Geburtstagswunsch — Die Eltern ziehen sich zur Beratung zurück —

Daumen halten! — Gedränge am Schlüsselloch — Mißverständnisse und Einverständnis

Die Zeit, die, wie man weiß, Wunden heilt, heilt auch Krankheiten. Lottchen ist wieder gesund. Sie trägt auch wieder ihre Zöpfe und Zopfschleifen. Und Luise hat wie einst ihre Locken und schüttelt sie nach Herzenslust.

Sie helfen der Mutti und der Resi beim Einkaufen und in der Küche. Sie spielen gemeinsam im Kinderzimmer. Sie singen mitsammen, während Lottchen oder gar Vati am K l a -

vier sitzt. Sie besuchen Herrn Gabele in der Nachbarwohnung. Oder sie führen Peperl aus, wenn der Herr Hofrat Sprechstunde hat. Der Hund hat sich mit dem zwiefachen Luiserl abgefunden, indem er seine Fähigkeit, kleine Mäd-136

chen gernzuhaben, zunächst verdoppelt und dann diese Zu-neigung halbiert hat. Man muß sich zu helfen wissen.

Und manchmal, ja, da schauen sich die Schwestern ängstlich in die Augen. Was wird werden?

Am 1 4 . Oktober haben die beiden Mädchen Geburtstag.

Sie sitzen mit den Eltern im Kinderzimmer. Zwei Kerzen-kränze brennen, jeder mit zehn Lichtern. Selbstgebackenes und dampfende Schokolade hat's gegeben. Vati hat einen wunderschönen »Geburtstagsmarsch für Zwillinge« gespielt.

Nun dreht er sich auf dem Klavierschemel herum und fragt:

»Warum haben wir euch eigentlich nichts schenken dürfen?«

Lottchen holt tief Atem und sagt: »Weil wir uns etwas wünschen wollen, was man nicht kaufen kann!«

»Was wünscht ihr euch denn?« fragt die Mutti.

Nun ist Luise an der Reihe, tief Luft zu holen. Dann erklärt sie, zapplig vor Aufregung: »Lotte und ich wünschen uns von euch zum Geburtstag, daß wir von jetzt ab immer beisammenbleiben dürfen!« Endlich ist es heraus!

Die Eltern schweigen.

Lotte sagt ganz leise: »Dann braucht ihr uns auch nie im Leben wieder etwas zu schenken! Zu keinem Geburtstag mehr. Und zu keinem Weihnachtsfest auf der ganzen Welt!«

Die Eltern schweigen noch immer.

»Ihr könnt es doch wenigstens versuchen!« Luise hat Tränen in den Augen. »Wir werden bestimmt gut folgen. Noch viel mehr als jetzt. Und es wird überhaupt alles viel, viel schöner werden!«

Lotte nickt. »Das versprechen wir euch!«

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»Mit großem Ehrenwort und allem«, fügt Luise hastig hinzu.

Der Vater steht vom Klaviersessel auf. »Ist es dir recht, Luiselotte, wenn wir nebenan ein paar Worte miteinander sprechen?«

» J a , Ludwig«, erwidert seine geschiedene Frau. Und nun gehen die zwei ins Nebenzimmer. Die Tür schließt sich hinter ihnen.

»Daumen halten!« flüstert Luise aufgeregt. Vier kleine Daumen werden von vier kleinen Händen umklammert und gedrückt!

Lotte bewegt tonlos die Lippen.

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»Betest du?« fragt Luise.

Lotte nickt. Da fängt auch Luise an, die Lippen zu bewegen. »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast!« murmelt sie halblaut.

Lotte schüttelt unwillig die Zöpfe.

»Es paßt nicht«, flüstert Luise entmutigt. »Aber mir fällt nichts anderes ein. — Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und s e g n e . . . «

»Wenn wir einmal von uns beiden gänzlich absehen«, sagt gerade Herr Palffy nebenan und schaut unentwegt auf den Fußboden, »so wäre es zweifellos das beste, die Kinder würden nicht wieder getrennt.«

»Bestimmt«, meint die junge Frau. »Wir hätten sie nie auseinanderreißen sollen.«

Er schaut noch immer auf den Fußboden. »Wir haben vieles gutzumachen.« Er räuspert sich. »Ich bin also damit einverstanden, daß du — daß du beide Kinder zu dir nach München nimmst.«

Sie greift sich ans Herz.

»Vielleicht«, fährt er fort, »erlaubst du, daß sie mich im Jahr vier Wochen besuchen?« Als sie nichts erwidert, meint er: »Oder drei Wochen? Oder vierzehn Tage wenigstens?

Denn, obwohl du es am Ende nicht glauben wirst, ich habe die beiden sehr lieb.«

»Warum soll ich dir denn das nicht glauben?« hört er sie erwidern.

Er zuckt die Achseln. »Ich hab' es zu wenig bewiesen!«

»Doch! An Lottchens Krankenbett!« sagt sie. »Und woher willst du wissen, daß die beiden glücklich würden, wie wir's ihnen wünschen, wenn sie ohne Vater aufwachsen?«

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»Ohne dich ginge es doch erst recht nicht!«

»Ach, Ludwig, hast du wirklich nicht gemerkt, wonach sich die Kinder sehnen, und was sie nur nicht auszusprechen gewagt haben?«

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