»Komm aber bald wieder!«
Das Kind nickt und macht sich auf den Weg.
105
Ein Stubenmädchen tritt in Irene Gerlachs elegantes Zimmer und lächelt. »Ein Kind möchte Sie sprechen, gnädiges Fräulein. Ein kleines Mäderl.«
Das gnädige Fräulein hat sich gerad die Fingernägel frisch gelackt und schwenkt die Hände, damit der Lack rasch trockne, durch die Luft. »Ein kleines Mädchen?«
»Luise Palffy heißt's.«
»Ah!« sagt das gnädige Fräulein gedehnt. »Führ sie herauf!«
Das Stubenmädchen verschwindet. Die junge Dame erhebt sich, wirft einen Blick in den Spiegel und muß über ihr an-gespannt ernstes Gesicht lächeln. >Luise Millerin kommt zu L a d y Milford<, denkt sie amüsiert, denn sie ist ziemlich gebildet.
Als das Kind ins Zimmer tritt, befiehlt Fräulein Gerlach dem Stubenmädchen: »Mach uns eine Schokolade! Und bring von den gefüllten Waffeln!« Dann wendet sie sich liebreich ihrem Gast zu. »Wie nett, daß du mich besuchen kommst!
Da sieht man's, wie unaufmerksam ich bin. Ich hätte dich längst schon einmal einladen sollen! Willst du nicht ab-legen?«
»Danke«, sagt das Kind. »Ich will nicht lange bleiben.«
»So?« Irene Gerlach verliert ihre freundlich gönnerhafte Miene keineswegs. »Aber zum Hinsetzen wirst du hoffentlich Zeit haben?«
Das Kind schiebt sich auf eine Stuhlkante und wendet kein Auge von der Dame.
Diese fängt an, die Situation unhaltbar albern zu finden.
106
Doch sie beherrscht sich. Es steht immerhin einiges auf dem Spiel. Auf dem Spiel, das sie gewinnen will und gewinnen wird. »Bist du zufällig vorbeigekommen?«
»Nein, ich muß Ihnen etwas sagen!«
Irene Gerlach lächelt bezaubernd. »Ich bin ganz Ohr.
Worum handelt sich's denn?«
Das Kind rutscht vom Stuhl, steht nun mitten im Zimmer und erklärt: »Vati hat gesagt, daß Sie ihn heiraten wollen.«
» H a t er das wirklich gesagt?« Fräulein Gerlach lacht glockenhell. » H a t er nicht eher gesagt, daß er mich heiraten will? Aber das ist wohl Nebensache. Also: J a , Luiserl, dein P a p a und ich, wir wollen heiraten. Und du und ich werden gewiß sehr gut miteinander zurechtkommen. Davon bin ich fest überzeugt. Du nicht? P a ß auf — wenn wir erst einige Zeit mitsammen gewohnt und gelebt haben, werden wir die besten Freundinnen geworden sein! Wir wollen uns beide rechte Mühe geben. Meine Hand darauf!«
Das Kind weicht zurück und sagt ernst: »Sie dürfen Vati nicht heiraten!«
Die Kleine geht entschieden ziemlich weit. »Und warum nicht?«
»Weil Sie es nicht dürfen!«
»Keine sehr befriedigende Erklärung«, meint das Fräulein scharf. Mit Güte kommt man ja hier doch nicht weiter.
»Du willst mir verbieten, die Frau deines Vaters zu werden?«
» J a ! «
»Das ist ja wirklich allerhand!« Die junge Dame ist auf-gebracht. »Ich muß dich bitten, jetzt nach Hause zu gehen.
107
Ob ich deinem Vater von diesem merkwürdigen Besuch erzähle, werde ich mir noch überlegen. Wenn ich nichts erzählen sollte, dann nur, um unserer späteren Freundschaft, an die ich noch immer glauben möchte, nichts Ernstliches in den Weg zu legen. Auf Wiedersehen!«
An der Tür wendet sich das Kind noch einmal um und sagt: »Lassen Sie uns so, wie wir sind! Bitte, bitte . . . « Dann ist Fräulein Gerlach allein.
Hier gibt es nur eins. Die Heirat muß beschleunigt werden.
Und dann ist dafür zu sorgen, daß das Kind in ein Internat gesteckt wird. Umgehend! Hier kann nur strengste Erziehung durch fremde Hand noch helfen.
»Was wollen Sie denn?«
Das Stubenmädchen steht mit einem Tablett da. »Ich bring' die Schokolade. Und die gefüllten Waffeln. Wo ist denn das kleine Mädchen?«
»Scheren Sie sich zum Teufel!«
Der Herr Kapellmeister kommt, da er in der Oper diri-gieren muß, nicht zum Abendbrot. Resi leistet dem Kind, wie in solchen Fällen immer, beim Essen Gesellschaft.
»Du ißt ja heute gar nix«, bemerkt die Resi vorwurfsvoll.
»Und ausschauen tust grad zum Fürchten. Was hast denn?«
Lotte schüttelt den Kopf und schweigt.