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»Noch besser!« sagt er. »Das hör' ich durch die Wand. Da hab' ich auch was davon.«

Sie gibt ihm die Hand, knickst und geht.

Er schaut gedankenvoll hinter der kleinen Person her. Er weiß, wie schwer Kummer auf ein Kinderherz drücken kann.

Er war selber einmal ein Kind und hat es, im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, nicht vergessen.

Als Klaviergeklimper aus der Nachbarwohnung herüber-klingt, nickt er zustimmend und pfeift die Melodie mit.

Dann zieht er mit einem Ruck die Decke von der Staffelei, nimmt Palette und Pinsel zur Hand, betrachtet seine Arbeit mit zusammengekniffenen Augen und geht ans Werk.

Herr Ludwig Palffy kommt in die Rotenturmstraße. Die Stufen tun, als wären sie doppelt so hoch wie sonst. Er hängt 102

den Mantel und den Hut an einen Garderobenhaken. Das Luiserl spielt Klavier? Nun, sie wird abbrechen und ihm eine Weile zuhören müssen. Er zieht das Jackett straff, als ob er beim Intendanten einen Besuch machte. Dann öffnet er die Zimmertür.

Das Kind schaut von den Tasten auf und lächelt ihn an.

»Vati! Wie schön!« Sie springt vom Klavierschemel. »Soll ich dir einen Kaffee machen?« Sie will geschäftig in die Küche.

Er hält sie fest. »Danke, nein!« sagt er. »Ich muß mit dir sprechen. Setz dich!«

Sie setzt sich in den großen Ohrensessel, in dem sie klein wie eine Puppe aussieht, streicht sich den karierten Rock glatt und blickt erwartungsvoll in Vatis Gesicht.

Er räuspert sich nervös, geht ein paar Schritte auf und ab und bleibt schließlich vor dem Ohrensessel stehen. »Also, Luiserl«, fängt er an, »es handelt sich um eine wichtige und ernste Angelegenheit. Seit deine Mutter nicht mehr — nicht mehr da ist, bin ich allein gewesen. Sieben Jahre lang. Natürlich nicht völlig allein, ich hab' ja dich gehabt. Und ich hab'

dich ja noch!«

Das Kind schaut ihn mit großen Augen an.

>Wie blöd ich red'!< denkt der Mann. Er hat eine aus-gewachsene Wut auf sich. »Kurz und gut«, sagt er, »ich will nicht länger allein sein. Es wird sich etwas ändern. In meinem und dadurch in deinem Leben.«

Ganz still ist's im Zimmer.

Eine Fliege versucht mit Gesumm, durch die geschlossene Fensterscheibe ins Freie zu fliegen. (Jeder Mensch könnte ihr erzählen, daß das völlig aussichtslos ist und daß sie sich 103

bloß ihren Insektenschädel einrennen wird! Die Fliegen sind eben dumm, aber die Menschen, die sind gescheit, was?)

»Ich habe mich entschlossen, wieder zu heiraten!«

»Nein!« sagt das Kind laut. Es klingt wie ein Schrei. Dann wiederholt es leise: »Bitte, nein, Vati, bitte, nein, bitte, bitte, nein!«

»Du kennst Fräulein Gerlach bereits. Sie hat dich sehr gern. Und sie wird dir eine gute Mutter sein. Auf die Dauer wäre es sowieso schwierig und verfehlt, dich in einem frauen-losen Haushalt aufwachsen zu lassen.« (Ist er nicht rührend?

Es fehlte nur noch, daß er behauptet, er wolle lediglich heiraten, damit das Kind wieder eine Mutter hat!) Lotte schüttelt in einem fort den Kopf und bewegt dazu lautlos die Lippen. Wie ein Automat, der keine Ruhe findet.

Es sieht beängstigend aus.

Deshalb blickt der Vater rasch wieder weg und sagt: »Du wirst dich schneller, als du glaubst, in den neuen ungewohn-ten Zustand finden. Böse Stiefmütter kommen nur noch in Märchen vor. Also, Luiserl, ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann. Du bist der vernünftigste kleine Kerl, den es gibt!« Er schaut auf die Uhr. »So. Jetzt muß ich gehen.

Mit dem Luser den Rigoletto korrepetieren.« Und schon ist er aus der Tür.

Das Kind sitzt wie betäubt.

Herr Palffy drückt sich an der Garderobe den Hut aufs Künstlerhaupt. Da schreit es drin im Zimmer: »Vati!« Es klingt, als ob jemand ertränke.

>In einem Wohnzimmer ertrinkt man nicht<, denkt Herr Palffy und entweicht. Er hat es sehr eilig. Denn er muß ja mit dem Kammersänger Luser arbeiten!

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Lotte ist aus ihrer Betäubung erwacht. Auch in der Verzweiflung bewahrt und bewährt sich ihr praktischer Sinn.

Was ist zu tun? Denn daß etwas getan werden muß, steht fest. Niemals darf Vati eine andere Frau heiraten, niemals!

Er hat ja eine Frau! Auch wenn sie nicht mehr bei ihm ist.

Niemals wird das Kind eine neue Mutter dulden, niemals!

Sie hat ja ihre Mutter, ihre über alles geliebte Mutti!

Mutti könnte vielleicht helfen. Aber sie darf es nicht wissen. Sie darf das ganze große Geheimnis der beiden Kinder nicht wissen, und erst recht nicht, daß der Vater dieses Fräulein Gerlach zur Frau nehmen will!

So bleibt nur noch ein Weg. Und diesen Weg muß Lottchen selber gehen.

Sie holt das Telefonbuch. Sie blättert mit zittrigen Fingern. >Gerlach.< Es gibt nicht sehr viele Gerlachs. >Gerlach, Stefan. Gen.-Dir. der Wiener Gaststätten G. m. b. H., Cobenzlgasse 43.< Vati hat neulich erzählt, daß Fräulein Gerlachs Vater Restaurants und Hotels gehören, auch das »Imperial«, wo sie täglich zu Mittag essen. >Cobenzlgasse 43.< Nachdem Resi erklärt hat, wie man zur Cobenzlgasse fahren muß, setzt sich das Kind den Hut auf, zieht den Mantel an und sagt: »Ich gehe jetzt weg.«

»Was willst du denn in der Cobenzlgasse?« fragt Resi neugierig.

»Ich muß wen sprechen.«

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