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Über Stock und Stein. Walderdbeeren fanden sie. Und schöne, geheimnisvolle Blumen. Lilienhaften Türkenbund und vielblütigen lilafarbenen Enzian. Und Moos mit kleinen spitzen Helmen auf dem Kopf. Und winzige Alpen-veilchen, die so süß dufteten, daß man's gar nicht fassen konnte!

Abends gerieten sie in ein Dorf namens Gries. Dort nahmen sie ein Zimmer mit einem Bett. Und als sie, in der Gast-stube aus dem Rucksack futternd, mächtig geabendbrotet hatten, schliefen sie zusammen in dem Bett! Draußen auf den Wiesen geigten die Grillen eine kleine Nachtmusik . . .

Am Sonntagmorgen zogen sie weiter. Nach Ehrwald. Und Lermoos. Die Zugspitze glänzte silberweiß. Die Bauern kamen in ihren Trachten aus der Kirche. Kühe standen auf der Dorfstraße, als hielten sie einen Kaffeeklatsch.

Übers Törl ging's dann. Das war ein Gekraxel, sakra, sakra! Neben einer Pferdeweide, inmitten Millionen Wiesen-blumen, gab's gekochte Eier und Käsebrote. Und als Nach-tisch einen kleinen Mittagsschlaf im Gras.

Später stiegen sie zwischen Himbeersträuchern und gau-kelnden Schmetterlingen zum Eibsee hinunter. Kuhglocken 90

Der Eibsee

läuteten den Nachmittag ein. Die Zugspitzbahn sahen sie in den Himmel kriechen. Der See lag winzig im Talkessel.

»Als ob der liebe Gott bloß mal so hingespuckt hätte«, sagte Luise versonnen.

Im Eibsee wurde natürlich gebadet. Auf der Hotelterrasse spendierte Mutti Kaffee und Kuchen.

Und dann wurde es höchste Zeit, nach Garmisch zurück-zumarschieren.

Vergnügt und braungebrannt saßen sie im Zug. Und der nette Herr gegenüber wollte unter gar keinen Umständen glauben, daß das junge Mädchen neben Luise die Mutti und noch dazu eine berufstätige Frau sei!

Zu Hause fielen sie wie die Plumpsäcke in ihre Betten.

Das letzte, was das Kind sagte, war: »Mutti, heute war es so schön — so schön wie nichts auf der Welt!« Die Mutti lag noch eine Weile wach. So viel leicht erreichbares Glück hatte sie bis jetzt ihrem kleinen Mädchen vorenthalten! Nun, es war noch nicht zu spät. Noch ließ sich alles nachholen!

Dann schlief auch Frau Körner ein. Auf ihrem Gesicht träumte ein Lächeln. Es huschte über ihre Wangen wie der Wind übern Eibsee.

Das Kind hatte sich verändert. Und nun begann sich also auch die Mutter zu verändern.

ACHTES K A P I T E L

Herr Gabele hat zu kleine Fenster — Kaffeebesuch amKärntner Ring — Diplomatische Gespräche — Väter müssenstreng sein können — Ein Lied in c-Moll — Heiratspläne —

Cobenzlgasse 43 Fräulein Gerlach ist ganz Ohr — Hofrat Strobl ist recht besorgt — Der Kapellmeister streichelteine Puppe

Lottchens Klavierkünste liegen brach. Ihre Schuld ist es nicht. Aber der Vater hat neuerdings nicht mehr viel Zeit fürs Stundengeben übrig. Vielleicht hängt es mit der Arbeit an der Kinderoper zusammen? Das ist schon möglich. Oder?

Nun, kleine Mädchen spüren, wenn etwas nicht stimmt.

Wenn Väter von Kinderopern reden und über Fräulein Gerlach schweigen — sie wittern wie kleine Tiere, woher Gefahr droht.

Lotte tritt, in der Rotenturmstraße, aus der Wohnung und klingelt an der gegenüberliegenden Tür. Dahinter haust ein Maler namens Gabele, ein netter, freundlicher Herr, der Lotte gern einmal zeichnen möchte, wenn sie Zeit hat.

Herr Gabele öffnet. »Oh, die Luise!«

»Heute hab' ich Zeit«, sagt sie.

»Einen Augenblick«, ruft er, rast in sein Arbeitszimmer, nimmt ein großes Tuch vom Sofa und verhängt damit ein auf der Staffelei stehendes Bild. Er malt gerade an einer klas-sischen Szene aus der Antike. Dergleichen eignet sich nicht immer für Kinder.

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Dann führt er die Kleine hinein, setzt sie in einen Sessel, nimmt einen Block und beginnt zu skizzieren. »Du spielst ja gar nicht mehr so oft Klavier!« meint er dabei.

» H a t es Sie sehr gestört?«

»Kein Gedanke! Im Gegenteil! Es fehlt mir geradezu!«

»Vati hat nicht mehr so viel Zeit«, sagt sie ernst. » E r komponiert an einer Oper. Es wird eine Kinderoper.«

Das freut Herrn Gabele zu hören. Dann wird er ärgerlich.

»Diese Fenster!« schimpft er. »Rein gar nix kann man sehen.

Ein Atelier müßte man haben!«

»Warum mieten Sie sich denn keines, Herr Gabele?«

» Weil's keine zu mieten gibt! Ateliers sind selten!«

Nach einer Pause sagt das Kind: »Vati hat ein Atelier.

Mit großen Fenstern. Und Licht von oben.«

Herr Gabele brummt.

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