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»Ein Observatorium?« fragte Atréju, dem das Wort unbekannt war.

Engywuck nickte mit vor Stolz funkelnden Äuglein. Mit einer Handbewegung forderte er Atréju auf, ihm zu folgen.

Zwischen den mächtigen Steinplatten lief ein kleiner, vielfach gewundener Pfad immer aufwärts. An manchen Stellen, wo es besonders steil hinaufging, waren winzige Stufen ausgeschlagen, die für Atréjus Füße natürlich zu klein waren. Er überstieg sie einfach mit einem großen Schritt.

Dennoch hatte er alle Mühe, dem Gnom, der hurtig vor ihm her trippelte, nachzukommen.

»Eine helle Mondnacht heute«, hörte er Engywuck sagen, »wirst sie sehen können.« »Wen?« wollte Atréju wissen, »die Uyulála?«

Aber Engywuck winkte unwillig ab und wackelte weiter.

Endlich waren sie auf dem Gipfel des Felsenturms angekommen. Der Boden war flach, nur nach einer Seite hin erhob sich eine Art natürlicher Brustwehr, ein Geländer aus einer Steintafel. In der Mitte dieser Tafel war ein Loch, offensichtlich mit Werkzeugen herausgeschnitten. Vor dem Loch stand ein kleines Fernrohr auf einem Stativ aus Wurzelholz. Engywuck guckte hindurch, regulierte es leicht durch Drehen an einigen Schrauben, dann nickte er zufrieden und forderte Atréju auf, seinerseits einen Blick zu

tun. Dieser folgte der Anweisung, mußte sich aber auf den Boden niederlassen und auf die Ellbogen gestützt durch das Rohr schauen.

Es war auf das große Felsentor gerichtet, und zwar so, daß man den unteren Teil des rechten Pfeilers im Bild hatte. Und nun sah Atréju, daß neben diesem Pfeiler hochaufgerichtet und völlig reglos im Mondlicht eine mächtige Sphinx saß. Die Vorderpranken, auf die sie sich stützte, waren die eines Löwen, der hintere Teil ihres Leibes war der eines Stiers, auf dem Rücken trug sie gewaltige Adlerschwingen, und ihr Gesicht war das eines Menschen - jedenfalls der Form nach, denn der Ausdruck war nicht menschlich. Es war schwer zu entscheiden, ob dieses Gesicht lächelte oder

unermeßliche

Trauer

widerspiegelte

oder

auch

völlige

Gleichgültigkeit. Nachdem Atréju es eine Weile betrachtet hatte, schien es ihm allerdings von abgrundtiefer Bosheit und Grausamkeit erfüllt, doch gleich mußte er seinen Eindruck wieder berichtigen und fand nichts mehr als reine Heiterkeit darin.

»Laß gut sein!« hörte er die Stimme des Gnomen an seinem Ohr, »du wirst es nicht herausbekommen. Geht jedem so. Mir auch. Hab’s mein Leben lang beobachtet und bin nicht dahintergekommen. Jetzt die andere!«

Und er drehte an einer der Schrauben, das Bild wanderte an der Öffnung des Torbogens vorbei, hinter der sich nur die weite leere Ebene erstreckte, dann rückte der linke Torpfeiler in Atréjus Sicht, und hier saß in derselben Haltung eine zweite Sphinx. Ihr mächtiger Körper schimmerte seltsam bleich und wie aus flüssigem Silber im Mondenschein. Sie schien die erste Sphinx unverwandt anzustarren, so wie die erste reglos in ihre Richtung geblickt hatte. »Sind es Statuen?« fragte Atréju leise, ohne sein Auge abwenden zu können. »O nein«, antwortete Engywuck und kicherte, »es sind wirkliche, lebende Sphinxen - und wie lebendig! Fürs erste hast du genug gesehen. Komm, gehen wir wieder runter. Werde dir alles erklären.«

Und er hielt die Hand vor das Fernrohr, so daß Atréju nichts mehr sah.

Schweigend gingen sie den Weg zurück.

6. Die drei magischen Tore

Fuchur schlief noch immer tief, als Engywuck mit Atréju zur Gnomenhöhle zurückkehrte. Die alte Urgl hatte inzwischen das Tischchen ins Freie hinausgeschafft und es mit allerhand Süßigkeiten und eingedickten Säften aus Beeren und Pflanzen gedeckt.

Außerdem standen kleine Trinknäpfchen da und ein Kännchen voll duftendem heißen Kräutertee. Zwei winzige Windlichter, die mit öl gespeist wurden, vervollständigten die Szene.

»Hinsetzen!« befahl das Gnomenweibchen. »Atréju muß erst mal was essen und trinken, damit er zu Kräften kommt. Die Arznei allein genügt nicht.«

»Danke«, sagte Atréju, »ich fühle mich schon sehr gut.«

»Keine Widerrede!« schnaubte die Urgl, »solang du hier bist, tust du, was man dir sagt, verstanden! Das Gift in deinem Leib ist neutralisiert.

Brauchst dich also nicht mehr zu beeilen, mein Junge. Hast so viel Zeit, wie du willst, also nimm dir auch Zeit.« »Es geht nicht nur um mich«, wandte Atréju ein, »die Kindliche Kaiserin liegt im Sterben. Vielleicht geht es schon jetzt um jede Stunde.«

»Schnickschnack!« brummte die kleine Alte, »mit Hast erreicht man gar nichts. Setz dich! Iß! Trink! Hopp, wird’s bald?«

»Besser, man gibt ihr nach«, flüsterte Engywuck, »hab’ so meine Erfahrung mit dem Weib. Wenn sie was will, hilft alles nichts. Müssen außerdem viel besprechen, wir beide.« Atréju setzte sich also mit untergeschlagenen Beinen vor das winzige Tischchen und langte zu. Bei jedem Schluck und bei jedem Bissen war ihm tatsächlich, als ob goldenes, warmes Leben in seine Adern und Muskeln strömte. Erst jetzt merkte er, wie entkräftet er gewesen war.

Bastian lief das Wasser im Mund zusammen. Ihm war plötzlich, als ob er den Duft der Gnomenmahlzeit roch. Er schnupperte in der Luft herum, aber

es war natürlich nur Einbildung gewesen.

Sein Magen knurrte vernehmlich. Er konnte es nicht mehr aushaken. Er holte den Rest seines Pausebrotes und den Apfel aus seiner Mappe und aß beides auf. Danach war ihm etwas besser, obwohl er noch längst nicht satt war.

Dann wurde ihm klar, daß dies seine letzte Mahlzeit gewesen war. Das Wort erschreckte ihn. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken.

»Wo hast du nur all die guten Sachen her«, sagte Atréju zur Urgl.

»Ja, Söhnchen«, sagte sie, »man muß weit herumlaufen, weit herum, um die richtigen Krauter und Pflanzen zu finden. Aber er, dieser Dickschädel von Engywuck, will ja ausgerechnet hier wohnen - wegen seiner wichtigen Studien! Wie man das Essen auf den Tisch bringt, kümmert ihn nicht.«

»Weib«, antwortete Engywuck würdevoll, »was verstehst du davon, was wichtig ist und was nicht. Hebe dich hinweg und laß uns reden!«

Die Urgl verzog sich maulend in die kleine Höhle, wo sie mit allerhand Geschirr herumlärmte.

»Laß sie nur!« raunte Engywuck, »sie ist eine gute alte Haut, muß nur manchmal was zu mummeln haben. Hör zu, Atréju! Werde dir jetzt einiges über das Südliche Orakel erklären, was du wissen mußt. Ist nicht ganz einfach, bis zur Uyulála vorzudringen. Ziemlich schwierig sogar. Möchte dir aber keinen wissenschaftlichen Vortrag halten. Ist vielleicht besser, wenn du Fragen stellst. Verliere mich leicht ein bißchen in Einzelheiten.

Also frag!« »Gut«, meinte Atréju, »wer oder was also ist die Uyulála?«

»Verflixt!« knurrte Engywuck und funkelte ihn verärgert an, »du fragst so direkt wie meine Alte. Kannst du nicht mit was anderem anfangen?«

Are sens

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