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»Wenn du’s gewußt hättest, wäre dann irgendwas für dich anders gewesen?« »Nein«, sagte Atréju, »ich habe getan, was ich wollte.«

»Das stimmt«, meinte Bastian und nickte.

Wieder schwiegen beide eine Weile.

»Ich muß dich noch was fragen, Atréju«, nahm Bastian schließlich das Gespräch wieder auf. »Du hast gesagt, ich hätte anders ausgesehen, als du mich im Zauber Spiegel Tor gesehen hast.«

»Ja, ganz anders.«

»Wie denn?«

»Du warst sehr dick und blaß und hattest ganz andere Kleider an.«

»Dick und blaß?« fragte Bastian und lächelte ungläubig. »Bist du wirklich sicher, daß ich das war?«

»Warst du es denn nicht?«

Bastian überlegte.

»Du hast mich gesehen, das weiß ich. Aber ich war immer so wie jetzt.«

»Wirklich?«

»Ich müßte mich doch erinnern!« rief Bastian.

»Ja«, sagte Atréju und sah ihn nachdenklich an, »das müßtest du.«

»Vielleicht war es ein Zerrspiegel?«

Atréju schüttelte den Kopf.

»Das glaube ich nicht.«

»Wie erklärst du dir dann, daß du mich so gesehen hast?«

»Ich weiß es nicht«, gab Atréju zu. »Ich weiß nur, daß ich mich nicht getäuscht habe.« Danach schwiegen sie wieder lange Zeit und gingen zuletzt schlafen.

Als Bastian in seinem Bett lag, dessen Kopf-und Fußende natürlich aus feinstem Silberfiligran bestand, ging ihm das Gespräch mit Atréju nicht aus dem Sinn. Irgendwie kam es ihm so vor, als ob sein Sieg über Held Hynreck und sogar sein Aufenthalt bei Graógramán auf Atréju weniger Eindruck machte, seit er wußte, daß Bastian den Glanz trug.Vielleicht dachte er, daß es unter diesen Umständen nichts Besonders gewesen war.

Aber Bastian wollte Atréjus uneingeschränkte Hochachtung gewinnen.

Er dachte lange nach. Es mußte etwas sein, was niemand in Phantasien konnte, auch nicht mit dem Zeichen. Etwas, das nur er, Bastian, vermochte.

Und endlich fiel es ihm ein: Geschichten erfinden!

Immer wieder hatte es doch geheißen, daß niemand in Phantasien Neues schaffen konnte. Sogar die Stimme der Uyulála hatte davon gesprochen.

Und gerade das war es, worauf er sich ganz besonders verstand.

Atréju sollte sehen, daß er, Bastian, ein großer Dichter war!

Er wünschte sich, daß sich so bald wie möglich eine Gelegenheit bieten sollte, es dem Freund zu beweisen. Vielleicht schon morgen. Zum Beispiel könnte es ein Dichterfest in Amargánth geben, bei dem Bastian alle in den Schatten stellen würde mit seinen Einfällen ! Oder noch besser wäre es, wenn alles, was er erzählen wollte, Wirklichkeit würde! Hatte Graógramán nicht gesagt, daß Phantasien das Land der Geschichten sei und deshalb sogar längst Vergangenes neu entstehen könnte, wenn es in einer Geschichte vorkommt? Atréju sollte Augen machen!

Und während Bastian sich Atréjus staunende Bewunderung ausmalte, schlief er ein. Als sie am nächsten Morgen im Prunksaal des Palastes bei einem üppigen Frühstück saßen, sagte Silbergreis Quérquobad:

»Wir haben beschlossen, für unseren Gast, den Retter Phantásiens, und seinen Freund, der ihn zu uns brachte, heute ein ganz besonderes Fest zu veranstalten. Vielleicht weißt du nicht, Bastian Balthasar Bux, daß wir Amargánther nach einer uralten Tradition die Liedersänger und Geschichtenerzähler in Phantasien sind. Schon unsere Kinder werden von früh an in dieser Kunst unterwiesen. Wenn sie größer werden, müssen sie viele Jahre durch alle Lande ziehen und diesen Beruf zu Nutz und Frommen

aller ausüben. Darum werden wir überall mit Achtung und Freude empfangen. Doch haben wir einen Kummer: Unser Vorrat an Liedern und Geschichten ist-ehrlich gesagt-nicht sehr groß. Und viele von uns müssen sich dieses wenige teilen. Es geht aber die Sage - ich weiß nicht, ob zurecht - daß du in deiner Welt dafür bekannt bist, Geschichten erfinden zu können. Ist das wahr?«

»Ja«, sagte Bastian, »ich bin sogar dafür ausgelacht worden.«

Silbergreis Quérquobad zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Ausgelacht dafür, daß du Geschichten erzählen kannst, die noch nie jemand gehört hat? Wie ist das möglich! Von uns ist keiner dazu in der Lage, und wir alle, ich und meine Mitbürger, wären dir unaussprechlich dankbar, wenn du uns einige neue Geschichten schenken wolltest. Wirst du uns mit deinem Genie helfen?«

»Mit Vergnügen!« antwortete Bastian.

Nach dem Frühstück gingen sie auf die Treppe von Quérquobads Palast hinaus, wo Fuchur sie schon erwartete.

Auf dem Platz hatte sich inzwischen eine große Menge versammelt, diesmal aber waren nur noch wenige der Gäste darunter, die zu den Kampfspielen in die Stadt gekommen waren. In der Hauptsache bestand sie aus Amargànthern, Männern, Frauen und Kindern, alle Wohlgestalt und blauäugig und alle in der schmucken Silbertracht. Die meisten hatten silberne Saiteninstrumente bei sich, Harfen, Leiern, Gitarren oder Lauten, auf denen sie ihren Vortrag begleiten wollten, denn jeder von ihnen hoffte darauf, seine Kunst vor Bastian und Atréju produzieren zu dürfen.

Wieder waren Sessel aufgestellt worden, Bastian nahm in der Mitte zwischen Quérquobad und Atréju Platz. Fuchur postierte sich hinter ihnen.

Dann klatschte Quérquobad in die Hände und sagte in die Stille, die sich ausbreitete: »Der große Dichter will unseren Wunsch erfüllen. Er wird uns neue Geschichten schenken. Darum gebt euer Bestes, Freunde, um ihn in Stimmung zu bringen!«

Alle Amargánther auf dem Platz verneigten sich tief und schweigend.

Dann trat der erste vor und begann zu rezitieren. Nach ihm kamen andere und immer wieder andere. Alle hatten schöne, klangvolle Stimmen und machten ihre Sache sehr gut.

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