»Wie meinst du das?« fragte Atréju mit belegter Stimme.
»Na ja«, antwortete Bastian, »ihr beide habt scheint’s nur eine Sorge, nämlich wie ich möglichst bald wieder aus Phantasien verschwinde.«
Atréju sah Bastian an und schüttelte langsam den Kopf. Längere Zeit sagte keiner der drei ein Wort. Bastian begann schon zu bereuen, was er den beiden vorgeworfen hatte. Er wußte selbst, daß es nicht richtig war.
»Ich dachte«, sagte Atréju nach einer Weile leise, »wir sind Freunde.«
»Ja«, rief Bastian, »das sind wir auch, und wir werden es immer sein.
Verzeiht mir, ich hab’ Unsinn geredet.«
Atréju lächelte. »Du mußt uns auch verzeihen, wenn wir dich gekränkt haben. Es war nicht absichtlich.«
»Jedenfalls«, sagte Bastian versöhnlich, »werde ich euren Rat befolgen.«
Später kamen die drei Herren wieder. Sie hatten einige Rebhühner, einen Fasan und einen Hasen erlegt. Das Lager wurde abgebrochen und die Reise fortgesetzt. Bastian ritt jetzt wieder auf Jicha.
Nachmittags kamen sie in einen Wald, der nur aus graden, sehr hohen Stämmen bestand. Es waren Nadelbäume, die in großer Höhe ein so dichtes grünes Dach bildeten, daß kaum ein Lichtstrahl auf den Boden herunterfiel.
Vielleicht gab es deshalb kein Unterholz. Es war angenehm, auf diesem weichen, glatten Boden zu reiten. Fuchur hatte sich dazu bequemt, mit der Reisegesellschaft zu laufen, denn wenn er mit Atréju über die Baumspitzen geflogen wäre, so hätte er die anderen unweigerlich verloren.
Den ganzen Nachmittag über zogen sie im dunkelgrünen Dämmerlicht zwischen den hohen Stämmen hindurch. Gegen Abend fanden sie auf einem Hügel die Ruine einer Burg und entdeckten zwischen all den eingestürzten Türmen und Mauern, Brücken und Gemächern ein Gewölbe, das noch leidlich gut erhalten war. Hier richteten sie sich für die Nacht ein. Diesmal war der rothaarige Hýsbald als Koch an der Reihe, und es zeigte sich, daß
er sich sehr viel besser darauf verstand. Der Fasan, den er über dem Feuer gebraten hatte, schmeckte ausgezeichnet.
Am nächsten Morgen zogen sie weiter. Den ganzen Tag ging es durch den Wald, der nach allen Seiten hin gleich aussah. Erst als es wieder Abend wurde, merkten sie, daß sie offenbar in einem großen Kreis geritten waren, denn sie stießen wieder auf die Burgruine, von der aus sie aufgebrochen waren. Nur hatten sie sich ihr diesmal von einer anderen Seite genähert.
»Das ist mir noch nie passiert!« sagte Hýkrion und zwirbelte seinen schwarzen Schnauzbart. »Ich trau’ meinen Augen nicht!« meinte Hýsbald und schüttelte seinen Rotkopf. »Kann überhaupt nicht sein!« brummte Hýdorn und stakste auf seinen langen, dürren Beinen in die Burgruine hinein.
Aber es war so, die Reste der Mahlzeit vom Vortage bewiesen es.
Auch Atréju und Fuchur konnten sich nicht erklären, wie sie sich so hatten irren können. Aber sie schwiegen beide.
Beim Abendessen - diesmal war es Hasenbraten und von Hýkrion einigermaßen eßbar zubereitet - fragten die drei Ritter, ob Bastian nicht Lust hätte, ein wenig aus dem Schatz seiner Erinnerungen an die Welt, aus der er kam, zu erzählen. Aber Bastian entschuldigte sich damit, daß er Halsweh habe. Da er den ganzen Tag über schweigsam gewesen war, hielten die Ritter diese Ausrede für wahr. Sie gaben ihm ein paar gute Ratschläge, was er dagegen tun solle, und legten sich dann schlafen.
Nur Atréju und Fuchur ahnten, was in Bastian vorging.
Wieder brachen sie am frühen Morgen auf, zogen den ganzen Tag durch den Wald und gaben sorgfältig acht darauf, eine bestimmte Himmelsrichtung einzuhalten - und als der Abend kam, standen sie wieder vor der Burgruine.
»Da soll mich doch dieser und jener!« polterte Hýkrion los.
»Ich werd verrückt!« stöhnte Hýsbald.
»Freunde«, sagte Hýdorn trocken, »wir können unseren Beruf an den Nagel hängen. Wir taugen nicht zu fahrenden Rittern.«
Bastian hatte schon am ersten Abend eine besondere Nische für Jicha gefunden, weil sie es gern mochte, ab und zu ein wenig ganz für sich zu sein und ihren Gedanken nachzuhängen. Die Gesellschaft der Pferde, die
unter sich von nichts anderem sprachen als von ihrer jeweiligen vor-nehmen Herkunft und ihren edlen Stammbäumen, störte sie dabei. Als Bastian die Mauleselin an diesem Abend an ihren Platz brachte, sagte sie :
»Herr, ich weiß, warum wir nicht mehr weiterkommen.«
»Woher willst du das wissen, Jicha?«
»Weil ich dich trage, Herr. Wenn man nur ein halber Esel ist, dann fühlt man dabei alles mögliche.«
»Und was ist der Grund, nach deiner Meinung?«
»Du wünschst dich nicht mehr weiter, Herr. Du hast aufgehört, dir etwas zu wünschen.« Bastian schaute sie überrascht an.
»Du bist wirklich ein weises Tier, Jicha.«
Die Mauleselin wippte verlegen mit ihren langen Ohren.
»Weißt du eigentlich, in welcher Richtung wir uns bisher immer bewegt haben?« »Nein«, sagte Bastian, »weißt du es?«
Jicha nickte.
»Bis jetzt sind wir immer auf die Mitte Phantásiens zugegangen. Das war unsere Richtung.« »Auf den Elfenbeinturm zu?«
»Ja, Herr. Und wir sind gut vorangekommen, solang wir sie einhielten.«
»Das kann nicht sein«, meinte Bastian zweifelnd, »Atréju hätte es gemerkt und Fuchur erst recht. Aber beide wissen nichts davon.«
»Wir Maulesel«, sagte Jicha, »sind einfältige Geschöpfe und können uns ganz gewiß nicht mit Glücksdrachen vergleichen. Aber ein paar Dinge gibt es, Herr, die wir wissen. Und dazu gehört immer die Richtung. Das ist uns angeboren. Wir irren uns nie. Deshalb war ich sicher, daß du zur Kindlichen Kaiserin wolltest.«
»Zu Mondenkind…«, murmelte Bastian, »ja, ich möchte sie wiedersehen. Sie wird mir sagen, was ich tun soll.«
Dann streichelte er die weiche Schnauze der Mauleselin und flüsterte: