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»Noch diese Nacht«, antwortete Atréju, »denn morgen kann es schon zu spät sein.« Bastian wollte nichts mehr hören. Er ging langsam fort. Er fühlte nichts mehr als eine kalte, grenzenlose Leere. Nun war ihm alles gleichgültig - wie Xayíde es gesagt hatte. Er ging in sein Zelt zurück und nahm den Gürtel Gemmai ab. Dann schickte er Illuán, die drei Herren Hýsbald, Hýkrion und Hýdorn zu rufen. Während er wartend auf und ab ging, fiel ihm ein, daß Xayíde ihm alles vorausgesagt hatte. Er hatte es nicht glauben wollen, aber nun mußte er es. Xayíde meinte es ehrlich mit ihm, das sah er jetzt ein. Sie allein war ihm wahrhaft ergeben. Aber noch war nicht gesagt, daß Atréju seinen Plan auch tatsächlich ausführen würde.

Vielleicht war es nur ein Einfall gewesen, dessen er sich schon schämte. In diesem Fall wollte Bastian kein Wort über die Sache verlieren - obwohl ihm an Freundschaft von nun an nichts mehr lag. Das war für immer vorbei.

Als die drei Herren kamen, erklärte er ihnen, er habe Gründe für die Annahme, daß noch diese Nacht ein Dieb in sein Zelt kommen würde. Er bäte die drei Herren deshalb, im Inneren des Zeltes Wache zu halten und den Dieb, wer es auch sein möge, sofort gefangenzunehmen. Hýsbald, Hýdorn und Hýkrion waren einverstanden und machten es sich bequem.

Bastian ging fort.

Er begab sich zu Xayídes Korallensänfte. Sie lag in tiefem Schlaf, nur die fünf Riesen in ihren schwarzen Insektenpanzern standen aufrecht und reglos um sie herum. In der Dunkelheit sahen sie aus wie fünf Felsbrocken.

»Ich wünsche, daß ihr mir gehorcht«, sagte Bastian leise.Sofort wandten alle fünf ihm ihre schwarzen Eisengesichter zu.

»Befiehl uns, Herr unserer Herrin«, antwortete einer mit blecherner Stimme. »Glaubt ihr, ihr werdet mit dem Glücksdrachen Fuchur fertig?«

wollte Bastian wissen. »Das kommt auf den Willen an, der uns lenkt«, erwiderte die Blechstimme. »Es ist mein Wille«, sagte Bastian.

»Dann werden wir mit allem fertig«, war die Antwort.

»Gut, dann marschiert jetzt in seine Nähe!« - er zeigte mit der Hand die Richtung. »Sobald Atréju ihn verläßt, nehmt ihn gefangen! Aber bleibt mit ihm dort. Ich lasse euch rufen, wenn ihr ihn bringen sollt.«

»Das tun wir gern, Herr unserer Herrin«, gab die blecherne Stimme zur Antwort. Die fünf Schwarzen setzten sich lautlos und im Gleichschritt in Bewegung. Xayíde lächelte im Schlaf.

Bastian ging zu seinem Zelt zurück, aber als er es vor sich sah, zögerte er.

Falls Atréju tatsächlich den Diebstahl versuchen würde, so wollte er nicht dabei sein, wenn sie ihn gefangennahmen.

Das erste Morgengrauen stieg bereits am Himmel empor, und Bastian setzte sich, nicht weit von seinem Zelt, unter einen Baum und wartete, in seinen silbernen Mantel gewickelt. Die Zeit verstrich unendlich langsam, ein fahler Morgen dämmerte herauf, es wurde heller, und Bastian schöpfte bereits Hoffnung, daß Atréju sein Vorhaben aufgegeben habe, als plötzlich Lärm und Stimmengewirr aus dem Inneren des Prachtzeltes drang. Es dauerte nur kurz, dann wurde Atréju mit auf den Rücken gefesselten Armen von Hýkrion aus dem Zelt geführt. Die beiden anderen Herren folgten.

Bastian erhob sich müde und lehnte sich gegen den Baum.

»Also doch!« murmelte er vor sich hin.

Dann ging er zu seinem Zelt. Er mochte Atréju nicht anschauen, und auch dieser hielt den Kopf gesenkt.

»Illuán!« sagte Bastian zu dem blauen Dschinn neben dem Zelteingang,

»wecke das ganze Lager auf. Alle sollen sich hier versammeln. Und die schwarzen Panzerriesen sollen Fuchur bringen.«

Der Dschinn stieß einen scharfen Adlerschrei aus und eilte fort. Über all, wo er vorüberkam, begann es sich zu regen in den großen und kleinen Zelten und den anderen Lagerstellen.

»Er hat sich überhaupt nicht gewehrt«, knurrte Hýkrion und wies mit einer Kopfbewegung auf Atréju, der reglos und gesenkten Hauptes dastand.

Bastian wandte sich ab und setzte sich auf einen Stein.

Als die fünf schwarzen Riesen Fuchur brachten, hatte sich bereits eine große Menge rund um das Prachtzelt versammelt. Beim Näherkommen des stampfenden, metallischen Gleichschritts wichen die Zuschauer auseinander

und gaben eine Straße frei. Fuchur war weder gefesselt, noch berührten die gepanzerten Riesen ihn, sie gingen nur links und rechts von ihm mit gezogenen Schwertern.

»Er hat sich überhaupt nicht gewehrt, Herr unserer Herrin«, sagte eine der blechernen Stimmen zu Bastian, als der Zug vor ihm anhielt.

Fuchur legte sich vor Atréju auf den Boden und schloß die Augen.

Eine lange Stille trat ein. Die letzten Nachzügler aus dem Heerlager eilten herzu und streckten die Hälse, um zu sehen, was es gab. Die einzige Person, die nicht zugegen war, war Xayíde. Das Flüstern und Raunen erstarb nach und nach. Alle Blicke wanderten zwischen Atréju und Bastian hin und her. Im grauen Zwielicht wirkten ihre reglosen Gestalten wie ein für immer erstarrtes Bild ohne Farben.

Endlich erhob sich Bastian.

»Atréju«, sagte er, »du wolltest mir das Zeichen der Kindlichen Kaiserin stehlen, um es dir selbst anzueignen. Und du, Fuchur, hast es gewußt und mit ihm geplant. Ihr beide habt damit nicht nur die Freundschaft besudelt, die einmal zwischen uns bestand, ihr habt euch auch des schlimmsten Verbrechens gegen den Willen Mondenkinds, schuldig gemacht, die mir das Kleinod gegeben hat. Bekennt ihr euch schuldig?«

Atréju warf Bastian einen langen Blick zu, dann nickte er.

Bastian versagte die Stimme, und er mußte zweimal ansetzen, ehe er weitersprechen konnte. »Ich denke daran, Atréju, daß du es warst, der mich zur Kindlichen Kaiserin gebracht hat. Und ich denke an Fuchurs Gesang in Amargánth. Darum will ich euch euer Leben schenken, das Leben eines Diebes und eines Diebsgesellen. Macht damit, was ihr wollt. Aber geht fort von mir, so weit ihr könnt, und wagt es nie wieder, mir vor die Augen zu treten. Ich verbanne euch für immer. Ich habe euch nie gekannt!«Er machte Hýkrion mit dem Kopf ein Zeichen, Atréjus Fesseln zu lösen, dann wandte er sich ab und setzte sich wieder.

Atréju stand lange Zeit, ohne sich zu bewegen, dann warf er einen Blick auf Bastian. Er schien etwas sagen zu wollen, aber dann überlegte er es sich anders. Er beugte sich zu Fuchur nieder und flüsterte ihm etwas zu. Der Glücksdrache öffnete die Augen und richtete sich auf. Atréju sprang auf seinen Rücken, und Fuchur erhob sich in die Luft. Er flog geradewegs in den immer heller werdenden Morgenhimmel hinein, und obgleich seine

Bewegungen schwer und mühsam waren, war er doch in wenigen Augenblicken in der Ferne verschwunden. Bastian stand auf und ging in sein Zelt. Er warf sich auf sein Lager.

»Nun hast du wahrhafte Größe erreicht«, sagte leise eine sanfte, verschleierte Stimme, »nun liegt dir an nichts mehr, und nichts kann dich mehr erreichen.«

Bastian setzte sich auf. Es war Xayíde, die gesprochen hatte. Sie hockte in der dunkelsten Ecke des Zeltes.

»Du?« fragte Bastian, »wie bist du hereingekommen?«

Xayíde lächelte.

»Für mich, Herr und Meister, gibt es keine Wachen, die mich zurückhalten können. Das könnte nur dein Befehl. Schickst du mich fort?«

Bastian legte sich zurück und schloß die Augen wieder. Nach einer Weile murmelte er: »Es ist mir gleich. Bleib oder geh!«

Sie beobachtete ihn lange Zeit unter halbgesenkten Lidern. Dann erkundigte sie sich: »Woran denkst du, Herr und Meister?«

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