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Aber Xayíde war schon fortgeeilt, um neue Anordnungen zu treffen.

Und dann kam der Tag der Krönung, die nicht stattfinden sollte, sondern als der Tag der blutigen Schlacht um den Elfenbeinturm m die Geschichte Phantásiens einging. Schon am Morgen war der Himmel von einer dicken, bleigrauen Wolkendecke überzogen, die es nicht recht Tag werden ließ. Ein banges Zwielicht lag über allem, die Luft war vollkommen reglos und so schwer und drückend, daß man kaum atmen konnte.Xayide hatte zusammen mit den vierzehn Zeremonienmeistern des Elfenbeinturmes ein äußerst reichhaltiges Festprogramm vorbereitet, das an Pracht und Aufwand alles übertreffen sollte, was es je in Phantasien gegeben hatte.

Schon von den frühen Morgenstunden an wurde in allen Straßen und Plätzen Musik gemacht, doch war es eine Musik, wie man sie bis zu diesem Tag noch nie im Elfenbeinturm gehört hatte: wild, kreischend und doch monoton. Jeder, der sie hörte, begann mit den Füßen zu zucken und mußte, ob er wollte oder nicht, tanzen und hüpfen. Niemand kannte die Musikanten, die schwarze Masken trugen, und niemand wußte, wo Xayíde sie hergeholt hatte. Alle Gebäude und Häuserfronten waren mit grellbunten Fahnen und Fähnchen geschmückt, die allerdings, da kein Wind ging, schlaff herunterhingen. Längs der Hauptstraße und rundum auf der hohen Mauer des Palastbezirks waren zahllose Bilder angebracht, kleine und riesengroße, die alle ein und dasselbe Gesicht zeigten, das Bastians, immer wieder und wieder.

Da der Magnolien-Pavillon noch immer unzugänglich war, hatte Xayíde einen anderen Platz für die Thronbesteigung vorbereitet. Dort, wo die spiralförmige Hauptstraße vor dem großen Tor in der Palastmauer endete,

sollte auf den breiten Stufen aus Elfenbein der Thron aufgestellt werden.

Tausende von goldenen Weihrauchbecken qualmten hier, und der Rauch, der betäubend und doch zugleich aufreizend roch, floß langsam über die Stufen, über den Platz, die Hauptstraße hinunter und drang in alle Seitengassen, Winkel und Räume. Überall standen die schwarzen Riesen in ihren Insektenpanzern. Niemand außer Xayíde selbst wußte, wie sie es fertiggebracht hatte, die fünf, die ihr noch übriggeblieben waren, zu verhundertfachen. Aber nicht nur das : etwa fünfzig von ihnen saßen nun auf gewaltigen Pferden, die ebenfalls ganz aus schwarzem Metall bestanden und sich völlig gleich bewegten. In einem Triumphzug geleiteten diese Reiter einen Thron die Hauptstraße herauf. Niemand wußte, wo er hergekommen war. Er war groß wie ein Kirchenportal und bestand ganz und gar aus Spiegeln jeder Form und Größe. Nur das Sitzpolster war aus kupferfarbener Seide. Merkwürdigerweise glitt dieses glitzernde Riesending von selbst langsam die Straßenspirale aufwärts, ohne daß es geschoben oder gezogen wurde, ganz so, als hätte es ein Eigenleben.

Als es vor dem großen Elfenbeintor zum Stehen kam, trat Bastian aus dem Palastbezirk hervor und nahm darauf Platz. Er sah winzig klein wie eine Puppe aus, als er nun inmitten all dieser glitzernden kalten Pracht dort saß. Die Menge der Zuschauer, die von einem Spalier der schwarzen Panzerriesen zurückgehalten wurde, brach in Jubel aus, aber er klang auf unerklärliche Art dünn und schrill.

Danach begann der langwierigste und ermüdendste Teil der Feierlichkeit.

Alle Sendboten und Abgeordneten des phantásischen Reiches mußten sich in einer Reihe hintereinander aufstellen, und diese Reihe reichte vom Spiegelthron nicht nur die ganze spiralförmige Hauptstraße des Elfenbeinturms hinunter, sondern weit, weit in das Gartenlabyrinth hinein, und immer neue schlössen sich hinten an der Schlange an. Jeder einzelne mußte, wenn die Reihe an ihn kam, vor dem Thron niederfallen, mit der Stirn dreimal den Boden berühren, Bastians rechten Fuß küssen und sagen :

»Im Namen meines Volkes und meiner Artgenossen bitte ich dich, dem wir alle unser Dasein verdanken, dich zum Kindlichen Kaiser Phantásiens zu krönen!«

Zwei oder drei Stunden waren schon auf diese Weise vergangen, als eine plötzliche Unruhe durch die Reihe der Wartenden ging. Ein junger Faun kam die Straße heraufgejagt, man sah, daß er mit letzten Kräften lief, denn

er taumelte und stürzte ab und zu, raffte sich auf und rannte weiter, bis er sich vor Bastian niederwarf und nach Luft rang. Bastian beugte sich zu ihm nieder.

»Was gibt es, daß du es wagst, diese Zeremonie zu stören?«

»Krieg, o Herr!« stieß der Faun hervor. »Atréju hat viele Aufrührer gesammelt und ist mit drei Heeren unterwegs hierher. Sie verlangen, daß du AURYN ablegst, und wenn du es nicht freiwillig tust, so wollen sie dich mit Gewalt dazu zwingen.«

Plötzlich herrschte Totenstille. Die aufpeitschende Musik und das schrille Jubelgeschrei waren auf einen Schlag verstummt. Bastian blickte starr vor sich hin. Er war bleich geworden. Nun kamen auch die drei Herren Hýsbald, Hýkrion und Hýdorn gelaufen. Sie schienen außerordentlich guter Laune.

»Endlich gibt’s was für uns zu tun, Herr!« riefen sie durcheinander.»Uberlaß uns das nur ! Du laß dich in deiner Festlichkeit gar nicht stören ! Wir suchen uns ein paar tüchtige Leute zusammen und ziehen den Rebellen entgegen. Wir werden ihnen eine Lehre erteilen, an die sie noch lange denken sollen.«

Unter den anwesenden vielen tausend Geschöpfen Phantásiens waren manche, die ganz und gar nicht zu kriegerischen Handlungen zu gebrauchen waren. Aber die Mehrzahl konnte durchaus mit irgendeiner Waffe umgehen, mit der Keule, dem Schwert, dem Bogen, der Lanze, der Schleuder oder auch einfach mit ihren Zähnen oder Klauen. Diese alle sammelten sich um die drei Herren, die das Heer anführten. Während sie abzogen, blieb Bastian mit der großen Schar der weniger Wehrhaften zurück, um die Zeremonie fortzusetzen. Aber von nun an war er nicht mehr sehr bei der Sache. Immer wieder schweiften seine Augen zum Horizont, den er von seinem Platz aus gut sehen konnte. Riesige Staubwolken, die sich dort erhoben, ließen ihn ahnen, mit welcher Heeresmacht Atréju dort anrückte.

»Sei ohne Sorge«, sagte Xayíde, die neben Bastian getreten war, »noch haben meine schwarzen Panzerriesen nicht eingegriffen. Sie werden deinen Elfenbeinturm verteidigen, und gegen sie kann niemand aufkommen - außer dir und deinem Schwert.«

Einige Stunden später trafen die ersten Schlachtberichte ein. Auf Seiten Atréjus kämpfte fast das ganze Volk der Grünhäute, aber auch an die

zweihundert Kentauren, achtundfünfzig Felsenbeißer, fünf Glücksdrachen, die von Fuchur angeführt wurden, griffen ständig aus der Luft ins Kampfgeschehen ein, darüber hinaus eine Schar von weißen Riesenadlern, die aus dem Schicksalsgebirge herbeigeflogen waren, und sehr viele andere Wesen. Sogar Einhörner seien gesichtet worden.

Zwar waren sie zahlenmäßig dem Heer, das die Herren Hýkrion, Hýsbald und Hýdorn anführten, weitaus unterlegen, doch kämpften sie mit solcher Entschlossenheit, daß sie das Heer, das für Bastian stritt, immer weiter zum Elfenbeinturm zurücktrieben. Bastian wollte selbst hinaus, um die Führung seines Heers in die Hand zu nehmen, aber Xayíde riet ihm davon ab.

»Bedenke, Herr und Meister«, sagte sie, »daß es sich für deinen neuen Rang als Kaiser Phantásiens nicht schickt, einzugreifen. Überlasse das getrost deinen Getreuen.« Die Schlacht dauerte den ganzen restlichen Tag.

Jeder Fußbreit des Gartenlabyrinths wurde von Bastians Heer verbissen verteidigt und verwandelte sich in ein zerstampftes blutiges Schlachtfeld.

Als es schon anfing dunkel zu werden, hatten die ersten Aufrührer den Fuß des Elfenbeinturmes erreicht.

Und nun schickte Xayíde ihre schwarzen Panzerriesen mit und ohne Rösser los, die furchtbar unter Atréjus Getreuen zu wüten begannen.

Ein genauer Bericht dieser Schlacht um den Elfenbeinturm ist unmöglich, und darum muß hier darauf verzichtet werden. Noch bis heute gibt es in Phantasien unzählige Lieder und Berichte, die von diesem Tag und dieser Nacht handeln, denn jeder, der daran teilgenommen hat, hat dabei etwas anderes erlebt. Das alles sind Geschichten, die vielleicht ein andermal erzählt werden sollen.

Einige Stimmen berichten, daß es auch auf Atréjus Seite einen oder sogar mehrere weiße Magier gegeben habe, die Xayídes Zauberkräften gewachsen waren. Mit Sicherheit weiß man darüber nichts. Vielleicht liegt darin die Erklärung, wie es Atréju und seinen Leuten gelingen konnte, trotz der

schwarzen

Panzerriesen

den

Elfenbeinturm

zu

erobern.

Wahrscheinlicher ist jedoch ein anderer Grund : Atréju kämpfte nicht für sich, sondern für seinen Freund, den er besiegen wollte, um ihn zu retten.

Die Nacht war längst hereingebrochen, eine sternenlose Nacht voller Rauch und Flammen. Zu Boden gefallene Fackeln, umgestürzte Räucherbecken oder zertrümmerte Lampen hatten an vielen Stellen den Turm in Brand gesteckt. Bastian rannte im flackernden Feuerschein

zwischen den Kämpfenden umher, die gespenstische Schatten warfen.

Waffenlärm und Kampfgebrüll war um ihn.

»Atréju!« schrie er mit heiserer Stimme, »Atréju, zeige dich mir! Stell dich mir zum Kampf! Wo bist du?«

Aber das Schwert Sikánda steckte in seiner Scheide und regte sich nicht.

Bastian jagte durch alle Räume des Palastbezirks, dann lief er auf die große Mauer hinaus, die hier so breit war wie eine Straße, und als er gerade über jenes große, äußere Tor laufen wollte, unter dem - nun in tausend Scherben zersplittert - der Spiegelthron stand, sah er, daß Atréju ihm von der anderen Seite her entgegenkam. Atréju hatte ein Schwert in der Hand.Dann standen sie voreinander, Auge in Auge. Sikánda regte sich nicht.

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