«Schnell, schnell!», sagte Friedemann.
«Ich muss erst überlegen», sagte sie und schloss kurz die Augen. «Gut. Ich weiß was.»
Sie bedachte Tschick und mich mit einem freundlichen Blick und schaute dann wieder in die Runde. «Was bekommt Merope Gaunt für Slytherins Medaillon, als sie -»
«Zwölf Galleonen!», brüllte Friedemann. Es riss ihn vom Stuhl, und der Tisch wackelte.
«Zehn Galleonen!», brüllten alle anderen.
Die Mutter wiegte den Kopf und lächelte:
«Ich glaube, Elisabeth war die Schnellste.»
Lässig sicherte Elisabeth sich die größte Schüssel mit den meisten Himbeeren. Florentine protestierte, weil sie meinte, genauso schnell gewesen zu sein, und Friedemann hämmerte mit beiden Händen an seine Stirn und rief: «Zehn! Ich Depp! Zehn!»
Tschick stieß mich unterm Tisch mit dem Fuß an. Ich zuckte die Schultern. Slytherin?
Galleonen?
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«Ihr habt wohl nicht Harry Potter gelesen?», fragte die Mutter. «Aber egal. Wir wechseln die Themen.»
Sie dachte erneut kurz nach, und Elisabeth nahm ein wenig Dessert auf ihren Löffel, hielt es hoch und wartete. Sie wartete, bis Friedemann sie ansah, und schob dann den Löffel langsam in ihren Mund.
«Geografie und Wissenschaft», sagte die Mutter. «Wie heißt das Forschungsschiff, mit dem Alexander von -»
«Pizarro!», brüllte Friedemann, und sein Stuhl flog nach hinten. Er zog sofort das zweitgrößte Schälchen zu sich, senkte seine Nase auf den Rand und flüsterte: «Zehn, zehn! Wie komme ich denn auf zwölf?»
«Das ist ungerecht», sagte Florentine. «Ich hab's auch gewusst. Nur weil er immer so brüllt.»
Als Nächstes fragte die Mutter, was wir an Pfingsten feiern würden, und ich muss wahrscheinlich nicht dazusagen, wie das Spiel endete. Als nur noch die beiden kleinsten Schälchen übrig waren, fragte die Mutter, wer der erste deutsche Bundespräsident gewesen wä-re. Ich tippte auf Adenauer, und Tschick auf Helmut Kohl. Die Mutter wollte uns die Des-174
serts auch so geben, aber Florentine war dagegen. Und die anderen waren auch dagegen.
Ich hätte jetzt wirklich gern auf den Nachtisch verzichtet, aber Jonas, der Jüngste, ein ungefähr Sechsjähriger, leierte zuerst der Reihe nach alle Bundespräsidenten der Bundesre-publik Deutschland runter und riss dann die Spielleitung an sich und fragte uns, was die Hauptstadt von Deutschland wäre.
«Naja, Berlin, würd ick jetz ma sagen», sagte ich.
«Das hätt ich auch gesagt», sagte Tschick und nickte ernst.
Und man konnte sagen, was man wollte, aber der Schaum mit Himbeeren drauf schmeckte wieder phantastisch. Ich schwöre, dass ich noch nie so geilen Schaum mit Himbeeren drauf gegessen hab.
Am Ende bedankten wir uns für das Essen und wollten uns gerade verabschieden, da sagte Tschick noch: «Ich hab auch mal 'ne Quizfrage. Wie stellt man mit einer Uhr fest, wo Norden ist, wenn die Uhr -»
«Den Stundenzeiger zur Sonne! Dann den halben Winkel zur Zwölf, der zeigt nach Süden!», rief Friedemann.
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«Korrekt», sagte Tschick und schob ihm sein Schälchen mit der letzten Himbeere hin.
«Das hätte ich auch gewusst», sagte Florentine. «Nur weil er immer so schreit.»
«Also, ich hätt's vielleicht gewusst», sagte Jonas und bohrte mit einem Finger in seinem Ohr. «Vielleicht hätt ich's auch nicht gewusst.
Ich weiß nicht, hätt ich das gewusst?» Er sah zweifelnd seine Mutter an, und seine Mutter strich ihm liebevoll übers Haar und nickte, als hätt er's ganz sicher gewusst.
26
Zum Abschied gingen sie noch alle mit ans Gartentor, und da bekamen wir einen riesigen Kürbis geschenkt. Der lag da rum, ein riesiger Kürbis, falls wir Hunger hätten, könnten wir den mitnehmen. Wir nahmen ihn und wussten nicht mehr, was wir sagen sollten. Sie winkten uns lange hinterher.
«Tolle Leute», sagte Tschick, und ich fragte mich, ob er das ernst meinte. Mir schien, dass er das nicht ernst meinen konnte, er hatte sich ja auch vorher mit dem Zeigefinger an die Stirn getippt. Aber sein Gesichtsausdruck machte mir klar, dass er es ganz sicher ernst 176
meinte. Dass er beides ernst meinte. Der Zeigefinger war ernst gemeint gewesen, und «tolle Leute» war auch ernst gemeint, und er hatte vollkommen recht: Es waren tolle, spinner-te Leute. Die nett waren und ein bisschen durchgeknallt, verdammt gutes Essen machten und außerdem wahnsinnig viel wussten -
außer wo der Supermarkt ist. Das wussten sie nicht.
Aber wir fanden ihn schließlich auch so. Als wir mit zwei riesigen Norma-Einkaufstüten und einem Kürbis beladen wieder in die Straße bogen, wo der Lada parkte, stellte ich den Kürbis auf die Straße und schlug mich seitwärts in die Büsche, um zu pinkeln. Tschick trottete weiter, ohne sich umzudrehen - und ich erzähle das auch nur so ausführlich, weil es leider wichtig ist.
Als ich aus den Büschen wieder rauskam, war Tschick hundert oder hundertfünfzig Meter weitergelaufen und nur noch wenige Schritte vom Lada entfernt. Ich nahm den Kürbis wieder hoch, und im selben Moment kam aus einer Einfahrt genau in der Mitte zwischen mir und Tschick ein Mann, der ein Fahrrad auf die Straße zerrte. Er hob das Fahrrad hoch und stellte es umgedreht auf Lenker und Sattel.
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Der Mann hatte ein gelbliches Hemd an, eine grünliche Hose mit zwei Fahrradklammern, und auf dem Gepäckträger lag eine weißliche Mütze, die davonrollte, als er das Fahrrad umdrehte. Und erst an dieser Mütze erkannte ich den Polizisten. Ich konnte auch sehen, was wir auf dem Hinweg nicht gesehen hatten: Vor der großen Scheune stand nicht nur ein kleines rotes Ziegelsteinhaus, an dem Haus hing vorne auch ein kleines, grünweißes Poli-zeischild dran. Der Dorfsheriff.
Der Dorfsheriff hatte uns nicht gesehen. Er kurbelte nur an den Pedalen seines Fahrrads, zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und versuchte, die abgegangene Kette wieder aufs Ritzel zu drücken. Das funktionierte nicht, und er musste erst die Finger zu Hilfe nehmen. Dann betrachtete er seine schmutzigen Hände und rieb sie gegeneinander. Und dann sah er mich. Fünfzig Meter entfernt und leicht bergauf: ein Junge mit einem riesigen Kürbis.
Was sollte ich machen? Er hatte gesehen, dass ich in seine Richtung kam, also ging ich erst mal weiter. Ich hatte ja nur einen Kürbis, und der Kürbis gehörte mir. Meine Beine zitterten, aber es schien die richtige Entscheidung zu sein: Der Dorfsheriff wandte sich wieder sei-178