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Spendius und Matho begannen abermals zu schwimmen. Durch die Bogenöffnungen

gelangten sie von einem Becken immer in das nächste. Auf beiden Seiten lief noch je eine parallele Reihe kleinerer Becken hin. Die Schwimmer verirrten sich, kehrten um und kamen an dieselbe Stelle zurück. Endlich fühlten sie festen Boden unter den Füßen.

Es war das Pflaster der Galerie, die um die Zisternen herumlief.

Mit großer Vorsicht weiterschreitend, tasteten sie das Mauerwerk ab, um einen Ausgang zu finden. Aber ihre Füße glitten ab, und sie stürzten wieder in das tiefe Becken. Sie kletterten von neuem empor und fielen abermals zurück. Eine furchtbare Ermüdung überkam sie, als ob ihre Glieder sich beim Schwimmen im Wasser aufgelöst hätten. Die Augen fielen ihnen zu. Sie kämpften mit dem Tode.

Da stieß Spendius mit der Hand gegen die Stäbe eines Gitters. Beide rüttelten daran. Es gab nach, und sie befanden sich auf den Stufen einer Treppe. Oben kamen sie vor eine verschlossene Bronzetür. Mit der Spitze eines Dolches schoben sie den Riegel zurück, der sich nur von außen öffnen ließ, und plötzlich umfing sie die frische freie Luft.

Die Nacht war still. Der Himmel verlor sich in unendlicher Tiefe. Hier und da ragten Baumgruppen über die langen Mauerlinien hinweg. Die Stadt lag im Schlummer. Die Wachtfeuer der Vorposten glänzten wie herabgefallene Sterne.

Spendius, der drei Jahre im Kerker verbracht hatte, kannte die Stadtviertel nur ungenau.

Matho meinte, um zum Palaste Hamilkars zu gelangen, müsse man sich nach links wenden und die Straße der Mappalier überschreiten.

»Nein!« sagte Spendius. »Führe mich zum Tempel der Tanit!«

Matho wollte widersprechen.

»Denke daran!« unterbrach ihn der ehemalige Sklave, indem er den Arm erhob und nach dem Monde wies, der am Himmel glänzte.

Da wandte sich Matho schweigend gegen die Akropolis.

Sie schlichen sich an den Kaktushecken hin, die die Wege einfaßten. Das Wasser rann

von ihren Leibern in den Staub. Ihre feuchten Sandalen verursachten kein Geräusch.

Spendius suchte mit seinen Augen, die wie Fackeln glühten, bei jedem Schritt die Gebüsche ab. Er ging hinter Matho, die Hände an den beiden Dolchen, die er unter den Armen trug und die ihm, an einem Lederriemen befestigt, von den Schultern herabhingen.

Kapitel 5

Tanit

Als sie die Gärten durchschritten hatten, sahen sie sich durch die Mauer zwischen Megara und der Altstadt am Weitergehn gehindert. Da entdeckten sie einen schmalen Durchlaß in dem gewaltigen Mauerwerk und kamen hindurch.

Der Boden senkte sich und bildete eine große Mulde. Sie schritten über einen freien Platz.

»Höre mich einmal an,« sagte Spendius, »und vor allem fürchte nichts!… Ich werde mein Versprechen erfüllen!«

Er unterbrach sich und nahm eine nachdenkliche Miene an. Offenbar suchte er nach Worten. »Entsinnst du dich noch, wie ich dir damals auf Salambos Terrasse bei Sonnenaufgang Karthago gezeigt habe? An jenem Tage waren wir stark, doch du wolltest

von nichts hören.« Und mit feierlicher Stimme fuhr er fort: »Herr, im Heiligtum der Tanit befindet sich ein geheimnisvoller Mantel, der vom Himmel gefallen ist und die Göttin umhüllt.«

»Ich weiß es,« entgegnete Matho.

»Er ist heilig,« sprach Spendius weiter, »denn er ist ein Teil der Göttin. Die Götter wohnen, wo ihr Abbild weilt. Karthago ist mächtig, weil es diesen Mantel besitzt.« Er trat dicht an Matho heran. »Ich habe dich hierhergeführt, damit wir ihn zusammen rauben!«

Der Libyer prallte vor Entsetzen zurück.

»Geh! Such dir jemand andern! Ich will dir bei solch einem abscheulichen Frevel nicht helfen!«

»Tanit ist deine Feindin!« erwiderte Spendius. »Sie verfolgt dich, und du stirbst an ihrem Zorn. Räche dich!

Sie soll dir untertan werden! Du wirst fast unsterblich und unüberwindbar sein!«

Matho senkte das Haupt. Spendius fuhr fort:

»Wir müssen unterliegen. Das Heer wird sich aufreiben. Wir haben weder Flucht, noch

Beistand, noch Vergebung zu erhoffen! Welche Strafe der Götter brauchst du aber zu fürchten, wenn du ihre Kraft selber in den Händen hältst? Willst du lieber am Abend nach einer Niederlage elend im Busch verrecken oder unter den Hohnrufen des Pöbels auf einem Scheiterhaufen umkommen? Herr, eines Tages wirst du in Karthago einziehen, von

den Priestern umringt, die deine Sandalen küssen! Und wenn dich dann noch der Mantel

der Tanit beängstigt, dann magst du ihn in ihren Tempel zurücktragen. Komm, wir rauben ihn!«

Glühende Gelüste verzehrten Matho. Er hätte den Mantel besitzen mögen, doch ohne Tempelraub zu begehen. Er überlegte sich, ob er das Heiligtum wirklich rauben müsse, um

sich dessen Kraft anzueignen. Er spann seinen Gedanken nicht zu Ende, sondern blieb an dem Punkte stehen, wo er davor erschrak.

»Gehen wir!« sagte er. Und sie entfernten sich beide raschen Schritts, Seite an Seite, ohne zu sprechen.

Der Boden stieg an. Die Häuser wurden immer zahlreicher. Die beiden Männer kamen

in enge Gassen, die in tiefem Dunkel lagen. Die geflochtenen Matten, mit denen die Türen verhängt waren, schlugen gegen die Wände. Ans einem Platze lagen kauende Kamele vor

Haufen von Heu. Dann gingen sie durch eine Allee buschiger Bäume. Ein Rudel Hunde bellte sie an. Plötzlich weitete sich die Aussicht, und sie erblickten die Westseite der Akropolis. Am Fuße des Burgberges dehnte sich eine lange düstere Masse: das war der Tempel der Tanit, ein Gewirr von Gebäuden, Gärten, Höfen und Vorhöfen, von einer

niedrigen Mauer aus groben Steinen umgrenzt. Spendius und Matho kletterten darüber.

Die erste Einfriedigung umschloß einen Platanenhain, der zum Schutz gegen die Pest und gegen verunreinigte Luft angelegt war. Hier und da standen Zelte, in denen man bei Tage allerlei feilbot: Enthaarungsmittel, Wohlgerüche, Kleider, mondförmige Kuchen, Bilder der Göttin und Abbildungen des Tempels, auf Alabasterstücke eingeritzt.

Sie hatten nichts zu fürchten, denn in den Nächten, wo der Mond nicht schien, fanden

keine Gottesdienste statt. Trotzdem verlangsamte Matho seine Schritte, und vor den drei Ebenholzstufen, die in die zweite Umzäunung führten, blieb er stehen.

»Weiter!« ermunterte ihn Spendius.

Granat- und Mandelbäume, Zypressen und Myrten, alle unbeweglich, wie aus Erz gegossen, wechselten regelmäßig miteinander ab. Der blaue Kies des Weges knirschte unter den Tritten. Den langen Baumgang überdeckte ein Laubendach, von dem allüberall

blühende Rosen herabhingen. Sie kamen vor ein eirundes Becken, über dem ein Gitter lag.

Matho, den die Stille bedrückte, sagte zu Spendius:

»Hier wird Süßwasser mit salzigem vermischt.«

»Das habe ich alles bereits in Syrien gesehen,« bemerkte der ehemalige Sklave, »in der Stadt Maphug!«

Auf einer sechsstufigen Silbertreppe stiegen sie nunmehr hinauf in die dritte Einzäunung.

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