Abdalonim los.
»Ha! Elender! Ans Kreuz! Ans Kreuz!«
Ohnmächtig fiel Abdalonim nach rückwärts zu Boden.
Hinter der Purpurfabrik, aus der blauer Rauch langsam zum Himmel schmauchte, ertönte ein Schakalschrei. Hamilkar blieb stehen.
Der Gedanke an seinen Sohn hatte ihn plötzlich beruhigt, als ob ihn ein Gott berührt hätte. In ihm glaubte Hamilkar seine eignen Kräfte fortlebend, sein Ich ins Unbegrenzte weiterdauernd. Die Sklaven begriffen freilich nicht, warum er mit einem Male besänftigt war.
Auf dem Wege nach der Purpurfabrik kam er am Gefängnis vorüber, einem langen Gebäude aus schwarzen Steinen, das in einer großen viereckigen Grube erbaut war.
Ringsum lief ein kleiner Steg mit Treppen an den vier Ecken.
Iddibal wartete offenbar die Nacht ab, ehe er das entscheidende Zeichen gab.
»Noch hab ich Zeit!« dachte Hamilkar und stieg in den Kerker hinab.
»Kehre um!« riefen ihm einige zu. Die Beherztesten folgten ihm.
Der Wind spielte mit der offenen Tür. Durch die engen Fenster lugte das Abendrot. Man sah im Innern zerbrochene Ketten an den Wänden hängen.
Das war von den Kriegsgefangenen übrig geblieben!
Da wurde Hamilkar totenbleich, und seine Begleiter, die sich von draußen über die Grube neigten, sahen, wie er sich mit der Hand an die Mauer stützte, um nicht umzufallen.
Der Schakal schrie dreimal hintereinander. Hamilkar blickte auf. Er sprach kein Wort, machte keine Gebärde.
Als die Sonne völlig untergegangen war, verschwand er hinter der Kaktushecke. Am Abend, in der Versammlung der Patrizier im Eschmuntempel, erklärte er beim Eintreten:
»Von den Göttern Erleuchtete! Ich nehme den Oberbefehl unsrer Armee gegen das Heer
der Barbaren an!«
Kapitel 8
Die Schlacht am Makar
Schon am folgenden Tage entnahm Hamilkar den Syssitien anderthalb Millionen Mark in
Gold und legte jedem Mitgliede der dreihundert Patriziergeschlechter eine Kopfsteuer von zehn Talern auf. Selbst die Frauen und Kinder wurden besteuert. Ja, die Priesterschaften –
etwas Unerhörtes nach karthagischer Sitte – zwang er, Geld herzugeben.
Er beschlagnahmte alle Pferde, alle Maultiere, alle Waffen. Manche wollten ihren Reichtum verheimlichen: ihre Güter wurden einfach verkauft. Um den Geiz der andern einzuschüchtern, lieferte er selber sechzig Rüstungen und siebenhundertundfünfzig Metzen Mehl. Das war allein soviel, wie die Elfenbeingesellschaft zu geben hatte.
Er sandte Bevollmächtigte nach Ligurien, um Söldner anzuwerben: dreitausend
Bergbewohner, die mit Bären zu kämpfen gewohnt waren. Man zahlte ihnen im voraus auf
sechs Monate den Sold.
Man brauchte unbedingt ein Heer. Gleichwohl nahm er nicht, wie Hanno, jeden Bürger
an. Zunächst wies er alle Leute mit sitzender Lebensweise zurück, ferner solche, die einen dicken Bauch oder ein ängstliches Aussehen hatten. Dagegen nahm er Ehrlose, Vagabunden aus Malka, Barbarenabkömmlinge und Freigelassene. Den Neukarthagern versprach er als Belohnung das volle Bürgerrecht.
Seine erste Sorge war die Erneuerung der Garde. Diese Truppe von schönen jungen Männern, die sich für die kriegerische Blüte der Republik hielt, wählte sich ihre Führer selbst. Er verabschiedete ihre bisherigen Offiziere und faßte die Mannschaft hart an, ließ sie laufen, springen, in einem Atem den Abhang des Burgbergs erklettern, Speere werfen, ringen und nachts auf den öffentlichen Plätzen biwakieren. Ihre Angehörigen kamen sie besuchen und beklagten sie.
Er rüstete die Garde mit kürzeren Schwertern und stärkerem Schuhwerk aus,
beschränkte die Zahl der Burschen und das Gepäck. Im Molochtempel bewahrte man dreihundert römische Lanzen. Er nahm sie trotz des Einspruchs des Oberpriesters.
Aus den Elefanten, die bei Utika entkommen waren, und andern aus Privatbesitz bildete er ein Regiment von zweiundsiebzig Tieren, die er bis an die Zähne bewaffnete. Ihre Führer rüstete er mit Hammern und Meißeln aus, damit sie nötigenfalls im Handgemenge
wütend gewordenen Tieren die Schädel spalten konnten.
Er gestattete dem Großen Rat nicht, die Unterführer zu ernennen. Die Alten versuchten, ihm die Gesetze entgegenzuhalten, aber er ging nicht darauf ein. Da wagte man nicht mehr zu murren. Alles beugte sich der Gewalt seines Geistes.
Er übernahm ganz selbständig Krieg, Verwaltung und Finanzen. Um Beschwerden
vorzubeugen, forderte er den Suffeten Hanno zum Nachprüfen der Rechnungen auf.
Er ließ an den Wällen arbeiten und, um Steine zu bekommen, die längst zwecklos
gewordenen alten Binnenmauern niederreißen. Der Unterschied im Vermögen, der an Stelle der Rassenvorherrschaft getreten war, hielt die Söhne der Eroberer und der Besiegten auch weiterhin getrennt. Deshalb sahen die Patrizier die Zerstörung der alten, schon halbzerfallenen Mauern mit scheelen Augen an, während sich das Volk darüber freute, ohne recht zu wissen warum.
Die Truppen zogen vom Morgen bis zum Abend in voller Bewaffnung durch die Straßen. Aller Augenblicke vernahm man Trompetensignale. Wagen mit Schilden, Zelten
und Lanzen fuhren vorüber. Die Höfe waren voller Weiber, die Leinwand zupften. Der Eifer der einen teilte sich den andern mit. Hamilkars Geist beseelte die Republik. Er hatte seine Soldaten in gradzahlige Glieder abgeteilt und Sorge getragen, daß in den Langreihen abwechselnd immer ein Starker neben einem Schwachen stand, so daß der Minderkräftige