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Niemand in Karthago war so gelehrt wie Schahabarim. In seiner Jugend hatte er auf der Schule der Mogbeds zu Borsippa bei Babylon studiert, hatte dann Samöthrake, Pessinunt, Ephesus, Thessalien, Judäa besucht, die Tempel der Nabatäer, die halb verweht im Sande lagen, und er war zu Fuß an den Ufern des Nils von den Katarakten bis zum Meere hinabgepilgert. Vor der Brust des Sphinx, des Vaters des Schreckens, hatte er mit verschleiertem Antlitz, Fackeln schwingend, einen schwarzen Hahn auf einem

Sandarakfeuer geopfert. Er war in die Grotten der Proserpina hinabgestiegen. Er hatte die fünfhundert Säulen des Labyrinths auf Lemnos sich drehen und den Leuchter von Tarent

brennen sehen, der auf seinem Schafte so viele Lampen trug, als es Tage im Jahre gibt.

Nachts empfing er zuweilen Griechen, um von ihnen zu lernen. Die Weltordnung beunruhigte ihn nicht minder als das Wesen der Götter. Er hatte mit den Astrolabien im Portikus zu Alexandria die Äquinoktien beobachtet und hatte die Bematisten des Euergetes, die den Himmel durch Schrittzählungen ausmaßen, bis nach Kyrene begleitet.

Und so war in seiner Gedankenwelt eine besondere Religion erstanden, ohne feste Formeln, aber gerade deshalb voller Glut und Mystik. Den Glauben, daß die Erde wie ein Pinienapfel gestaltet sei, hatte er abgetan. Er hielt sie für rund, für eine Scheibe, die ewig falle, in die Unendlichkeit hinein, mit einer so fabelhaften Geschwindigkeit, daß man ihren Fall gar nicht gewahr wird.

Aus der Stellung der Sonne über dem Monde schloß er auf die Vorherrschaft des Sonnengottes, von dem die Sonne selbst nur Widerschein und Sinnbild war. Überdies zwang ihn alles, was er von irdischen Dingen beobachtete, zu der Erkenntnis, daß das vernichtende männliche Prinzip das höhere sei. Auch zieh er die Mondgöttin insgeheim der Schuld am Unglücke seines Lebens. Hatte ihn nicht ihretwegen der Oberpriester dereinst beim Schall der Zimbeln unter einer Schale siedenden Wassers der künftigen Mannheit beraubt? Schwermütig folgte sein Blick den Männern, die sich mit den heiligen Hetären der Tanit im Schatten der Terebinthenhaine verloren.

Seine Tage rannen dahin, während er die Räucherpfannen beaufsichtigte, die goldnen Gefäße, die Feuerzangen, die Harken vor dem Altar, die Gewänder der Götterbilder und dergleichen mehr, bis herab zu der Metallnadel, mit der das Haar eines alten Tanitbildes gekräuselt wurde, in der dritten Kapelle nahe dem Weinstock mit den Smaragden. Immer

zur nämlichen Stunde schlug er die breiten Vorhänge der nämlichen Türen zurück und ließ sie wieder fallen. In der nämlichen Haltung stand er mit ausgebreiteten Armen da oder lag betend auf den nämlichen Steinfliesen, während ein Schwarm von Priestern um ihn her barfuß durch die Gänge wallte, die in ewigem Dämmerlichte schlummerten.

In der Öde seines Lebens sah er Salambo wie eine Blume in der Spalte einer Gruft. Und doch war er streng gegen sie und ersparte ihr keine Buße und kein hartes Wort. Seine Geschlechtslosigkeit schuf zwischen ihr und ihm eine Art von Gleichheit. Er grollte der Jungfrau weniger, weil er sie nie besitzen konnte, als weil er sie so schön und vor allem so rein fand. Oft sah er wohl, wie es ihr schwer fiel, seinen Gedanken zu folgen. Dann ging er tieftraurig von ihr, und dann fühlte er sich ganz verlassen, einsam und leer.

Zuweilen entfuhren ihm seltsame Worte, die vor Salambo aufleuchteten wie gewaltige

Blitze, die Abgründe erhellen. Das geschah in den Nächten oben auf dem flachen Dache

des Schlosses, wenn sie beide allein die Sterne betrachteten und Karthago tief drunten zu ihren Füßen prangte, mit seinem Golf und dem weiten Meer, das sich im Dunkel der Schatten verlor.

Er dozierte ihr eine Lehre, nach der die Seelen auf dem gleichen Wege zur Erde hinabsteigen, den die Sonne durch die Zeichen des Tierkreises wandelt. Mit

ausgestrecktem Arme zeigte er ihr im Widder das Tor des menschlichen Ursprunges und

im Steinbock das der Rückkehr zu den Göttern. Salambo bemühte sich, sie zu erkennen,

denn sie hielt diese Vorstellung für Wirklichkeit. Bloße Symbole, ja selbst bildliche Ausdrücke nahm sie für wahr an sich. Allerdings war auch dem Priester der Unterschied nicht immer völlig klar.

»Die Seelen der Verstorbenen«, sagte er, »lösen sich im Monde auf wie ihre Körper in

der Erde. Ihre Tränen bilden seine Feuchtigkeit. Es ist ein dunkler Ort voller Sümpfe, Trümmer und Stürme.«

Salambo fragte, was dort dermaleinst aus ihr würde. »Zuerst schwindest du dahin, leicht wie ein Hauch, der sich über den Wogen wiegt; und erst nach längeren Prüfungen und Ängsten gehst du ein in das hohe Haus der Sonne, in den Quell der Erkenntnis selbst!«

Von Tanit jedoch sprach er nicht, und zwar – wie Salambo glaubte – aus Scham über das Mißgeschick seiner Göttin. Auch sie sprach immer nur das gewöhnliche Wort »Mond«

aus, das nichts weiter bedeutete als bloß das Gestirn, und sie erschöpfte sich in frommen

Worten über sein mildes befruchtendes Licht. Schließlich aber rief Schahabarim aus:

»Nein, so ist das nicht! Der Mond erhält all seine Fruchtbarkeit von anderswo! Siehst du denn nicht, wie er um die Sonne schleicht wie ein verliebtes Weib, das einem Manne über das Feld nachläuft?« Und unaufhörlich pries er die Kraft des Sonnenlichtes.

Weit entfernt, ihre mystische Sehnsucht zu ertöten, reizte er sie vielmehr auf. Er schien sogar Vergnügen daran zu finden, Salambo durch die Offenbarung einer unerbittlichen Lehre in Verzweiflung zu stoßen, und sie ging trotz der Schmerzen, die er ihrer Liebe zu Tanit bereitete, eifrig darauf ein.

Je mehr der Oberpriester an Tanit irre wurde, desto mehr gab er sich Mühe, sich doch

seinen Glauben an sie zu wahren. In tiefster Seele hielt ihn die Angst vor späterer Reue fest. Er sehnte sich nach einem Beweise, einer Kundgebung der Göttin, und in der Hoffnung, dies zu erringen, ersann er ein Unternehmen, das zugleich sein Vaterland und seinen Glauben retten sollte.

Von nun an begann er vor Salambo den Tempelraub und das Unglück zu beklagen, das

davon ausgegangen sei und sich bis in die Weiten des Himmels erstrecke. Jetzt verkündete er ihr auch unvermittelt die Gefahr, in der ihr Vater schwebte, von drei Heeren unter Mathos Führung bedrängt. Matho, der Räuber des heiligen Mantels, war für die Karthager der Herzog der Barbaren. Schahabarim setzte hinzu, daß das Heil der Republik und des Suffeten einzig und allein von Salambo abhänge.

»Von mir?« ries sie aus. »Wie kann ich denn… ?«

Der Priester unterbrach sie mit verächtlichem Lächeln:

»Nie wirst du dich dazu verstehen!«

Sie flehte ihn an. Endlich sagte Schahabarim:

»Du mußt zu den Barbaren gehen und den Zaimph zurückholen!«

Salambo sank auf den Ebenholzschemel und blieb lange, am ganzen Leibe zitternd, mit

schlaff zwischen den Knien herabhängenden Armen sitzen, wie ein Opfertier am Fuße des Altars, des Schlages mit der Keule harrend. Die Schläfen summten ihr, sie sah feurige Ringe um sich kreisen und begriff in ihrer Betäubung nur noch das eine: daß sie bald sterben müsse.

Aber wenn Tanit triumphierte! Wenn der Zaimph zurückkäme und Karthago gerettet würde! Was lag dann am Leben eines Weibes!

So dachte Schahabarim. Überdies war es ja möglich, daß sie den Mantel erlangte, ohne

dabei umzukommen. Drei Tage kam er nicht zu Salambo. Am Abend des vierten Tages ließ sie ihn rufen.

Um ihren Mut recht zu entflammen, hinterbrachte er ihr alle die Schmähungen, die man

im versammelten Rate gegen Hamilkar ausstieß. Er sagte ihr, daß sie schuldig sei, daß sie ihre Sünde sühnen müsse und daß die Göttin dies als Opfer von ihr erheische.

Mehrfach drang lautes Geschrei aus der Straße der Mappalier hinauf nach Megara.

Schahabarim und Salambo traten rasch hinaus und hielten von der Galeerentreppe Ausschau.

Auf dem Khamonplatze schrien Volkshaufen nach Waffen. Die Alten weigerten sich, welche zu liefern, da sie dergleichen Versuche für unnütz erachteten. Schon manche wären ohne Führer ausgezogen und hätten den Tod gefunden! Endlich aber erlaubte man den Schreiern, in den Kampf zu gehen, und nun entwurzelten sie, sei es um Moloch eine Art Huldigung darzubringen oder bloß aus ziellosem Zerstörungstriebe, in den Tempelhainen große Zypressen, zündeten sie an den Ampeln der Kabiren an und trugen sie singend durch die Straßen. Diese Riesenfackeln bewegten sich in gemächlichem Hin- und Herwiegen vorwärts und warfen Lichtscheine in die Glaskugeln auf den Tempelfirsten, auf die Schmuckstücke der Kolosse und auf die Schiffsbeschläge. Sie zogen über die Terrassen hin und kreisten wie Sonnen durch die Stadt. Sie kamen die große Treppe von der Akropolis herab. Das Tor von Malka tat sich ihnen auf.

»Bist du bereit?« fragte Schahabarim. »Oder hast du denen da den Auftrag mitgegeben,

deinem Vater zu melden, daß du ihn im Stiche lässest?«

Salambo verbarg ihr Gesicht in ihrem Schleier, während sich der Fackelzug entfernte und langsam zum Meeresstrande hinabzog.

Eine vage Angst hielt sie zurück. Sie fühlte Furcht vor Moloch, Furcht vor Matho.

Dieser Mann, von Gestalt ein Hüne, der Herr des Zaimphs, hatte jetzt die gleiche Macht über Tanit wie Moloch. Sie sah ihn in der nämlichen Gloriole. Manchmal, sagte sie sich, wohnen die Seelen der Götter in den Leibern von Menschen. Und hatte Schahabarim, als

er von Matho sprach, nicht gefordert, daß sie Moloch besiegen solle? Matho und Moloch verschmolzen in ihrem Geist miteinander. Sie verwechselte beide, und beide waren ihre Verfolger.

Sie wollte die Zukunft wissen und ging zu ihrer Schlange. Die Haltung der Schlangen

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