Und wo sind die Reibnuß und das Muskateisen? Quatsch, das Reibeisen und die Muskatnuß! Suppengrün muß man erst unter der Wasserleitung waschen. Und die Möhre muß geschabt werden. Au, man darf sich dabei natürlich nicht in den Finger schneiden! Und wenn das Fleisch weich ist, muß man es aus dem Topf herausnehmen. Und um später die Knochen abzuschöpfen, braucht man ein Sieb! Und in einer halben Stunde kommt Mutti! Und zwanzig Minuten vorher muß man die Nudeln in kochendes Wasser werfen!
Und wie es in der Küche aussieht! Und die Muskatnuß! Und das Sieb! Und das Reibeisen! Und . . . Und . . . Und . . .
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Luise sinkt auf einem Küchenstuhl zusammen. Ach, Lottchen! Es ist nicht leicht, deine Schwester zu sein! Hotel Imperial . . . Hofrat S t r o b l . . . P e p e r l . . . Herr Franz . . . Und V a t i . . . V a t i . . . V a t i . . .
Und die Uhr tickt.
In neunundzwanzig Minuten kommt Mutti! — In acht-undzwanzig und einer halben Minute! — In achtundzwan-zig! Luise ballt vor Entschlossenheit die Fäuste und erhebt sich zu neuen Taten. Dabei knurrt sie: »Das wär' doch gelacht!«
Doch mit dem Kochen ist das eine eigene Sache. Entschlossenheit genügt vielleicht, um von einem hohen Turm zu springen. Aber um Nudeln mit Rindfleisch zu kochen, dazu braucht's mehr als Willenskraft.
Und als Frau Körner, müde von des Tages Unrast, heim-kehrt, findet sie kein lächelndes Hausmütterchen vor, be-wahre, sondern ein völlig erschöpftes Häufchen Unglück, ein leicht beschädigtes, verwirrtes, zerknittertes Etwas, aus dessen zum Weinen verzogenem Mund es ihr entgegenklingt:
»Schimpf nicht, Mutti! Ich glaub', ich kann nicht mehr kochen!«
»Aber, Lottchen, Kochen verlernt man doch nicht!« ruft die Mutter verwundert.
Doch zum Wundern ist wenig Zeit. Es gilt Kindertränen zu trocknen, Bouillon abzuschmecken, zerkochtes Fleisch hin-einzuwerfen, Teller und Bestecke aus dem Schrank zu holen und vieles mehr.
Als sie endlich im Wohnzimmer unter der Lampe sitzen und Nudelsuppe löffeln, meint die Mutter tröstend: »Es schmeckt doch eigentlich sehr gut, nicht?«
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» J a ? « Ein schüchternes Lächeln stiehlt sich in das Kindergesicht. »Wirklich?«
Die Mutter nickt und lächelt still zurück.
Luise atmet auf, und nun schmeckt es ihr selber mit einem-mal so gut wie noch nie im Leben! Trotz Hotel Imperial und Palatschinken!
»Die nächsten Tage werde ich selber kochen«, sagt die Mutter. »Du wirst dabei schön aufpassen. Dann kannst du's bald wieder wie vor den Ferien.«
Die Kleine nickt eifrig. »Vielleicht sogar noch besser!«
meint sie etwas vorlaut.
Nach dem Essen waschen sie gemeinsam das Geschirr ab.
Und Luise erzählt, wie schön es im Ferienheim war. (Allerdings, von dem Mädchen, das ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, erzählt sie kein Sterbenswort!) Lottchen sitzt währenddem, in Luises schönstem Kleid, an die samtene Brüstung einer Rangloge der Wiener Staatsoper gepreßt und schaut mit brennenden Augen zum Orche-ster hinunter, wo Kapellmeister Palffy die Ouvertüre von
»Hänsel und Gretel« dirigiert.
Wie wundervoll Vati im Frack aussieht! Und wie die Musiker parieren, obwohl ganz alte Herren darunter sind!
Wenn er mächtig mit dem Stock droht, spielen sie, so laut sie können. Und wenn er will, daß sie leiser sein sollen, dann säuseln sie wie der Abendwind. Müssen die vor ihm Angst haben! Dabei hat er vorhin so vergnügt zur Loge herauf-gewinkt!
Die Logentür geht.
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Eine elegante junge Dame rauscht herein, setzt sich an die Brüstung und lächelt dem aufblickenden Kind zu.
Lotte wendet sich schüchtern ab und schaut wieder zu, wie Vati die Musiker dressiert.
Die junge Dame holt ein Opernglas hervor. Und eine Konfektschachtel. Und ein Programm. Und eine Puderdose.
Zuletzt sieht die Samtbrüstung wie ein Schaufenster aus.
Als die Ouvertüre zu Ende ist, klatscht das Publikum laut Beifall. Der Herr Kapellmeister Palffy verbeugt sich einige Male. Und dann sieht er, während er erneut den Dirigentenstab hebt, zur Loge empor.
Lotte winkt schüchtern mit der Hand. Vati lächelt noch zärtlicher als vorhin.
Da merkt Lotte, daß nicht nur sie mit der Hand winkt —
sondern auch die Dame neben ihr!
Die Dame winkt Vati zu? Vati hat vielleicht ihretwegen so zärtlich gelächelt? Und gar nicht wegen seiner Tochter?
J a , und wieso hat Luise nichts von der fremden Frau erzählt?
Kennt Vati sie noch nicht lange? Aber wie darf sie ihm dann so vertraulich zuwinken? Das Kind notiert im Gedächtnis:
»Heute noch an Luise schreiben. Ob sie etwas weiß. Morgen vor der Schule zum Postamt. Postlagernd aufgeben: Vergißmeinnicht München 18.«
Dann hebt sich der Vorhang, und das Schicksal Hänsels und Gretels fordert die gebührende Anteilnahme. Lottchens Atem geht stockend. Da unten schicken die Eltern ihre zwei Kinder in den Wald, um sie loszuwerden. Dabei haben sie die Kinder doch lieb! Wie können sie dann so böse sein?
Oder sind sie gar nicht böse? Ist nur das, was sie tun, böse?