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Er trägt zwar keinen Kalabreser und keine flatternde Kra-watte, im Gegenteil, er ist ganz manierlich gekleidet, sauber und beinahe elegant.

Aber sein Innenleben! Das ist kompliziert! Oh! Sein Innenleben, das hat es in sich! Wenn er einen musikalischen Einfall hat, muß er, um ihn zu notieren und kompositorisch auszugestalten, auf der Stelle allein sein. Und so einen Einfall hat er womöglich auf einer großen Gesellschaft! »Wo ist denn Palffy hin?« fragt dann der Hausherr. Und irgend jemand antwortet: »Es wird ihm wohl wieder etwas ein-gefallen sein!« Der Hausherr lächelt sauersüß, bei sich aber denkt er: >Flegel! Man kann doch nicht bei jedem Einfall weglaufen!< Doch der Kapellmeister Palffy, der kann!

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Der lief auch aus der eigenen Wohnung fort, als er noch verheiratet war, damals, blutjung, verliebt, ehrgeizig, selig und verrückt in einem! Und als dann gar die kleinen Zwillinge in der Wohnung Tag und Nacht krähten und die Wiener Philharmoniker sein Erstes Klavierkonzert uraufführten, da ließ er einfach den Flügel abholen und in ein Atelier am Ring bringen, das er in künstlerischer Verzweiflung gemietet hatte!

Und da er damals sehr viele Einfälle hatte, kam er nur noch sehr selten zu seiner Frau und den brüllenden Zwillingen.

Luiselotte Palffy, geb. Körner, kaum zwanzig Jahre alt, fand das nicht sehr fidel. Und als ihr zu den kaum zwanzig-jährigen Ohren kam, daß der Herr Gemahl in seinem Atelier nicht nur Noten malte, sondern auch mit Opern-sängerinnen, die ihn sehr nett fanden, Gesangsrollen stu-dierte, da reichte sie empört die Scheidung ein!

Nun war der um seine schöpferische Einsamkeit so besorgte Herr Kapellmeister fein heraus. Nun konnte er so viel allein sein, wie er wollte. Den ihm nach der Scheidung verbliebenen Zwilling versorgte in der Rotenturmstraße ein tüchtiges Kindermädchen. Um ihn selber, im Atelier am Ring, küm-merte sich, wie er sich's so sehnlich gewünscht hatte, kein Aas!

Das war ihm nun mit einem Male auch nicht recht. O diese Künstler! Sie wissen wirklich nicht, was sie wollen! Immerhin, er komponierte und dirigierte fleißig und wurde von Jahr zu Jahr berühmter. Außerdem konnte er ja, wenn ihn der Katzenjammer packte, in die andere Behausung gehen und mit Luise, dem Töchterchen, spielen.

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Sooft in München ein Konzert war, bei dem neue Werke von Ludwig Palffy aufgeführt wurden, kaufte sich Luiselotte Körner ein Billett, saß dann mit gesenktem Kopf in einer der letzten billigen Reihen und entnahm der Musik ihres geschiedenen Mannes, daß er kein glücklicher Mensch geworden war. Trotz seiner Erfolge. Und trotz seiner Einsamkeit.

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SECHSTES K A P I T E L

Wo ist das Geschäft der Frau Wagenthaler? — Aber! Kochenverlernt man doch nicht! — Lotte winkt in der Oper —

Es regnet Pralinen — Die erste Nacht in München und dieerste Nacht in Wien — Der merkwürdige Traum, worinFräulein Gerlach als Hexe auftritt — Eltern dürfen alles —

Vergißmeinnicht München 18!

Frau Luiselotte Körner hat ihre Tochter gerade noch in die winzige Wohnung in der Max-Emanuel-Straße bringen können. Dann muß sie, sehr ungern und sehr schnell, wieder in den Verlag fahren. Arbeit wartet auf sie. Und Arbeit darf nicht warten.

Luise — ach nein! — Lotte hat sich studienhalber kurz in der Wohnung umgesehen. Dann hat sie die Schlüssel, das Portemonnaie und ein Netz genommen. Und nun macht sie Einkäufe.

Beim Metzgermeister Huber an der Ecke Prinz-Eugen-Straße ersteht sie ein halbes Pfund Rindfleisch, Querrippe, schön durchwachsen, mit etwas Niere und ein paar K n o -

chen. Und jetzt sucht sie krampfhaft das Viktualiengeschäft der Frau Wagenthaler, um Suppengrün, Nudeln und Salz zu besorgen.

Und Anni Habersetzer wundert sich nicht wenig, daß ihre Mitschülerin Lotte Körner mitten auf der Straße steht und angestrengt in einem Oktavheft blättert.

»Machst du auf der Straße Schularbeiten?« fragt sie neugierig. »Heut sind doch noch Ferien!«

Luise starrt das andere Mädchen verdutzt an. Es ist ja 62

Metzgermeister Huber

Anni Habersetzer

auch zu blöd, wenn einen jemand anspricht, den man, obwohl man ihn noch nie im Leben sah, genau zu kennen hat! Schließlich reißt sie sich zusammen und sagt vergnügt:

»Grüß Gott! Kommst mit? Ich muß zur Frau Wagenthaler, 64

Frau Wagenthaler

Suppengrün kaufen.« Dann hängt sie sich bei der anderen ein — wenn sie wenigstens wüßte, wie das sommersprossige Ding mit dem Vornamen heißt! — und läßt sich von ihr, ohne daß die es merkt, zum Laden der Frau Wagenthaler lotsen.

Die Frau Wagenthaler freut sich natürlich, daß Lottchen Körner aus den Ferien zurück ist und so rote Backen gekriegt hat! Als der Einkauf erledigt ist, erhalten die Mädchen je ein Bonbon und außerdem den Auftrag, der Frau Körner und der Frau Habersetzer einen schönen Gruß aus-zurichten.

Da fällt der Luise ein Stein vom Herzen. Endlich weiß sie, daß die andere die Anni Habersetzer sein muß! (Im Oktavheft steht: »Anni Habersetzer, ich war dreimal mit ihr böse, sie haut kleinere Kinder, besonders die Ilse Merck, die kleinste in der Klasse.«) Nun, damit kann man schon etwas anfangen!

Beim Abschied vor der Haustür sagt also Luise: »Eh ich es vergesse — Anni —, dreimal war ich mit dir böse, wegen der Ilse Merck und so, du weißt schon. Das nächste Mal bin ich nicht bloß bös, sondern . . . « Dabei macht sie eine ein-deutige Handbewegung und rauscht davon.

>Das werden wir ja sehen<, denkt Anni wütend. >Gleich morgen werden wir das sehen! Die ist wohl in den Ferien übergeschnappt?<

Luise kocht. Sie hat eine Schürze von Mutti umgebunden und rennt zwischen dem Gasherd, wo Töpfe über den Flam-men stehen, und dem Tisch, auf dem das Kochbuch auf-66

geschlagen liegt, wie ein Kreisel hin und her. Dauernd hebt sie die Topfdeckel hoch. Wenn kochendes Wasser zischend überläuft, zuckt sie zusammen. Wieviel Salz sollte ins Nudel-wasser? »Ein halber Eßlöffel!« Wieviel Selleriesalz? »Eine Prise!« Wieviel, um alles in der Welt, ist eine Prise? Und dann: »Muskatnuß reiben!« Wo steckt die Muskatnuß? Wo das Reibeisen?

Das kleine Mädchen wühlt in Schubfächern, klettert auf Stühle, schaut in alle Behältnisse, starrt auf die Uhr an der Wand, springt vom Stuhl herunter, ergreift eine Gabel, hebt einen Deckel auf, verbrennt sich die Finger, quiekt, sticht mit der Gabel in dem Rindfleisch herum — nein, es ist noch nicht weich!

Mit der Gabel in der Hand bleibt sie wie angewurzelt stehen. Was wollte sie eben noch suchen? Ach richtig! Die Muskatnuß und das Reibeisen! Nanu, was liegt denn da friedlich neben dem Kochbuch? Das Suppengrün! Herrje, das muß noch geputzt und in die Bouillon getan werden!

Also, Gabel weg, Messer her! Ob das Fleisch jetzt gar ist?

Are sens

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