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Händen — dazu haben sie nicht die mindeste Zeit —, sondern sie haben Oktavheftchen vor sich liegen, halten Blei-stifte in der Hand, und im Augenblick diktiert Lotte gerade der emsig kritzelnden Luise: »Am liebsten mag Mutti Nudelsuppe mit Rindfleisch. Das Rindfleisch holst du beim Metzger Huber. Ein halbes Pfund Querrippe, schön durchwachsen.«

Luise hebt den Kopf. »Metzger Huber, Max-Emanuel-Straße, Ecke Prinz-Eugen-Straße«, schnurrt sie in einem Atemzug herunter.

Lotte nickt befriedigt. »Das Kochbuch steht im Küchenschrank, im untersten Fach ganz links. Und in dem Buch liegen alle Rezepte, die ich kann.«

Luise notiert: »Kochbuch . . . Küchenschrank . . . unteres Fach . . . ganz links . . . « Dann stützt sie die Arme auf und meint: »Vor dem Kochen hab' ich eine Heidenangst! Aber wenn's in den ersten Tagen schiefgeht, kann ich vielleicht sagen, ich hätt's in den Ferien verlernt, wie?«

Lotte nickt zögernd. »Außerdem kannst du mir ja gleich schreiben, wenn etwas nicht klappt. Ich gehe jeden Tag aufs Postamt und frage, ob etwas angekommen ist!«

»Ich auch«, meint Luise. »Schreib nur recht oft! Und iß tüchtig im >Imperial<! Vati freut sich immer so, wenn's mir schmeckt!«

»Zu dumm, daß ausgerechnet gefüllte Palatschinken dein Lieblingsgericht sind!« murrt Lottchen. » N a , da kann eben nichts helfen! Aber Kalbsschnitzel und Gulasch wären mir lieber!«

»Wenn du gleich den ersten Tag drei Palatschinken ißt, oder vier oder fünf, kannst du hinterher sagen, du hast dich 42

Luise und Lotte im Garten der Försterei

fürs ganze weitere Leben daran überfressen«, schlägt Luise vor.

»Das geht!« antwortet die Schwester, obwohl sich ihr bereits bei dem bloßen Gedanken an fünf Palatschinken der Magen umdreht. Sie mag sie nun einmal nicht!

Dann beugen sich beide wieder über ihre Heftchen und hören einander wechselseitig die Namen der Mitschülerinnen, die Sitzordnung in der Klasse, die Gewohnheiten der Lehrerin und den genauen Schulweg ab.

»Mit dem Schulweg hast du's leichter als ich«, meint Luise. »Du sagst Trude ganz einfach, sie soll dich am ersten Tag abholen! Das macht sie manchmal. Na, und da läufst du dann ganz gemütlich neben ihr her und merkst dir die Straßenecken und den übrigen Palawatsch!«

Lotte nickt. Plötzlich erschrickt sie. »Das hab' ich dir noch gar nicht gesagt — vergiß ja nicht, Mutti, wenn sie dich zu Bett bringt, einen Gutenachtkuß zu geben!«

Luise blickt vor sich hin. »Das brauch' ich mir nicht auf-zuschreiben. Das vergesse ich bestimmt nicht!«

Merkt ihr, was sich anspinnt? Die Zwillinge wollen den Eltern noch immer nicht erzählen, daß sie Bescheid wissen.

Sie wollen Vater und Mutter nicht vor Entscheidungen stellen. Sie ahnen, daß sie kein Recht dazu haben. Und sie fürchten, die Entschlüsse der Eltern könnten das junge Ge-schwisterglück sofort und endgültig wieder zerstören. Aber das andere brächten sie erst recht nicht übers Herz: als wäre nichts geschehen, zurückzufahren, woher sie gekommen sind!

Weiterzuleben in der ihnen von den Eltern ungefragt zu-44

gewiesenen Hälfte! Nein! Kurz und gut, es ist eine Verschwörung im Gange! Der von Sehnsucht und Abenteuerlust geweckte, phantastische Plan sieht so aus: Die beiden wollen die Kleider, Frisuren, Koffer, Schürzen und Existenzen tauschen! Luise will, mit braven Zöpfen (und auch sonst ums Bravsein bemüht), als sei sie Lotte, zur Mutter, von der sie nichts als eine Fotografie kennt, »heimkehren«! Und Lotte wird, mit offenem H a a r und so lustig und lebhaft, wie sie's nur vermag, an die Donau zum Vater nach Wien fahren!

Die Vorbereitungen auf die zukünftigen Abenteuer waren gründlich. Die Oktavhefte sind randvoll von Notizen. Man wird einander postlagernd schreiben, wenn Not am Mann ist oder wenn wichtige unvorhergesehene Ereignisse eintreten sollten.

Vielleicht wird es ihrer gemeinsamen Aufmerksamkeit am Ende sogar gelingen, zu enträtseln, warum die Eltern getrennt leben? Und vielleicht werden sie dann eines schönen, eines wunderschönen Tages miteinander und mit beiden Eltern — doch so weit wagen sie kaum zu denken, ge-schweige denn, darüber zu sprechen.

Das Gartenfest am Vorabend der Abreise ist als Generalprobe vorgesehen. Lotte kommt als lockige, quirlige Luise.

Luise erscheint als brave, bezopfte Lotte. Und beide spielen ihre Rollen ausgezeichnet. Niemand merkt etwas! Nicht einmal Trude, Luises Schulkameradin aus Wien! Es macht beiden einen Mordsspaß, einander laut beim eigenen ver-schenkten Vornamen zu rufen. Lotte schlägt vor Übermut 45

Purzelbäume. Und Luise tut so sanft und still, als könne sie kein Härchen trüben und kein Wässerchen krümmen.

Die Lampions schimmern in den Sommerbäumen. Die Girlanden schaukeln im Abendwind. Das Fest und die Ferien gehen zu Ende. An der Tombola werden die Gewinne verteilt. Steffie, das arme Hascherl, gewinnt den ersten Preis, die Rollschuhe mit Kugellagern. (Besser ein schwacher Trost als gar keiner!)

Die Schwestern schlafen schließlich, ihren Rollen getreu, in den vertauschten Betten und träumen vor Aufregung wilde Dinge. Lotte beispielsweise wird in Wien am Bahnsteig von einer überlebensgroßen Fotografie ihres Vaters abgeholt, und daneben steht ein weißbemützter Hotelkoch mit einem Schubkarren voll gefüllter dampfender Palatschinken

— brr!

Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe, fahren in der Bahnstation Egern, bei Seebühl am Bühlsee, zwei aus entgegengesetzten Richtungen kommende Züge ein. Dutzende kleiner Mädchen klettern schnatternd in die Abteile.

Lotte beugt sich weit aus dem Fenster. Aus einem Fenster des anderen Zugs winkt Luise. Sie lächeln einander Mut zu.

Die Herzen klopfen. Das Lampenfieber wächst. Wenn jetzt nicht die Lokomotiven zischten und spuckten — die kleinen Mädchen würden vielleicht im letzten Moment doch noch —.

Aber nein, der Fahrplan hat das Wort. Der Stationsvor-steher hebt sein Zepter. Die Züge setzen sich gleichzeitig in Bewegung. Kinderhände winken.

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Lotte fährt als Luise nach Wien

Und Luise als Lotte nach München

FÜNFTES K A P I T E L

Ein Kind auf einem Koffer — Die einsamen Onkeln im

»Imperial« — Von Peperl und dem untrüglichen Instinktder Tiere — »Luise« fragt, ob sie in der Oper winken darf

— Rechenfehler im Haushaltsbuch — Shirley Temple durftesich ihre eigenen Filme nicht ansehen — Herrn KapellmeisterPalffys kompliziertes Innenleben

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