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Frau Muthesius nickt. »Ich hab' einmal von einem Lon-doner Herrenschneider gelesen, der genau wie Eduard VII., der englische König, aussah. Zum Verwechseln ähnlich. Um so mehr als der Schneider den gleichen Spitzbart trug. Der König ließ den Mann in den Buckingham-Palast kommen und unterhielt sich lange mit ihm.«
»Und die beiden waren tatsächlich in der gleichen Sekunde geboren worden?«
» J a . Es ließ sich zufälligerweise exakt feststellen.«
»Und wie ging die Geschichte weiter?« fragt Gerda gespannt.
»Der Herrenschneider mußte sich auf Wunsch des Königs den Spitzbart abrasieren lassen!«
Während die anderen lachen, schaut Frau Muthesius nachdenklich zu dem Tisch hinüber, an dem die zwei kleinen Mädchen sitzen.
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Dann sagt sie:
»Lotte Körner bekommt das Bett neben Luise Palffy! Sie werden sich aneinander gewöhnen müssen.«
Es ist Nacht. Und alle Kinder schlafen. Bis auf zwei.
Diese zwei haben einander den Rücken zugekehrt, tun, als schliefen sie fest, liegen aber mit offenen Augen da und starren vor sich hin.
Luise blickt böse auf die silbernen Kringel, die der Mond auf ihr Bett malt. Plötzlich spitzt sie die Ohren. Sie hört leises, krampfhaft unterdrücktes Weinen.
Lotte preßt die Hände auf den Mund. Was hatte ihr die Mutter beim Abschied gesagt: »Ich freue mich so, daß du ein paar Wochen mit vielen fröhlichen Kindern beisammen sein wirst! Du bist zu ernst für dein Alter, Lottchen! Viel zu ernst! Ich weiß, es liegt nicht an dir. Es liegt an mir. An meinem Beruf. Ich bin zuwenig zu Hause. Wenn ich heim-komme, bin ich müde. Und du hast inzwischen nicht gespielt wie andere Kinder, sondern aufgewaschen, gekocht, den Tisch gedeckt. Komm, bitte, mit tausend Lachfalten zurück, mein Hausmütterchen!«
Und nun liegt sie hier in der Fremde, neben einem bösen Mädchen, das sie haßt, weil sie ihm ähnlich sieht.
Sie seufzt leise.
Da soll man nun Lachfältchen kriegen!
Lotte schluchzt vor sich hin.
Plötzlich streicht eine kleine, fremde Hand unbeholfen über ihr Haar!
Lottchen wird stocksteif vor Schreck.
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Vor Schreck?
Luises Hand streichelt schüchtern weiter.
Der Mond schaut durchs große Schlafsaalfenster und staunt nicht schlecht: Da liegen zwei kleine Mädchen nebeneinander, die einander nicht anzusehen wagen, und die eine, die eben noch weinte, tastet jetzt mit ihrer Hand ganz langsam nach der streichelnden Hand der anderen.
» N a gut«, denkt der alte, silberne Mond. »Da kann ich ja beruhigt untergehen!«
Und das tut er denn auch.
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ZWEITES K A P I T E L
Vom Unterschied zwischen Waffenstillstand und Frieden —
Der Waschsaal als Frisiersalon — Das doppelte Lottchen —
Trude kriegt eine Ohrfeige — Der Fotograf Eipeldauer unddie Förstersfrau — Meine Mutti, unsere Mutti — SogarFräulein Ulrike hat etwas geahnt
Besaß der Waffenstillstand zwischen den zweien Wert und Dauer? Obwohl er ohne Verhandlungen und Worte geschlossen worden war? Ich möcht's schon glauben. Aber vom Waffenstillstand zum Frieden ist ein weiter Weg. Auch bei Kindern. Oder?
Sie wagten einander nicht anzusehen, als sie am nächsten Morgen aufwachten, als sie dann in ihren weißen, langen Nachthemden in den Waschsaal liefen, als sie sich, Schrank an Schrank, anzogen, als sie, Stuhl an Stuhl, beim Milchfrüh-stück saßen, und auch nicht, als sie nebeneinander, Lieder singend, am See entlangliefen und später mit den Helferinnen Reigen tanzten und Blumenkränze flochten. Ein einziges Mal kreuzten sich ihre raschen, huschenden Blicke, doch dann waren sie auch schon wieder erschrocken voneinander weg-geglitten.
Jetzt sitzt Fräulein Ulrike in der Wiese und liest einen wunderbaren Roman, in dem auf jeder Seite von Liebe die Rede ist. Manchmal läßt sie das Buch sinken und denkt an Herrn Rademacher, den Diplomingenieur, der bei ihrer Tante zur Untermiete wohnt. Rudolf heißt er. Ach, Rudolf!
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Fräulein Ulrike sitzt auf der Wiese
Luise spielt indessen mit ihren Freundinnen Völkerball.