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»Ich habe mir immer ein Kind gewünscht«, antwortete sie, »ein kleines Kind, das ich verwöhnen darf, das meine Zärtlichkeit braucht, für das ich sorgen kann - jemand wie du, mein schöner Bub.«

Bastian gähnte. Er fühlte sich durch ihre warme Stimme auf unwiderstehliche Weise eingelullt.

»Aber du hast doch gesagt«, antwortete er, »daß auch deine Mutter und deine Großmutter schon auf mich gewartet haben.«

Dame Aiuólas Gesicht lag jetzt im Dunkeln.»Ja«, hörte er sie sagen,

»auch meine Mutter und meine Großmutter haben sich ein Kind gewünscht.

Aber nur ich habe jetzt eins.« Bastian fielen die Augen zu. Mit Mühe fragte er:

»Wieso, deine Mutter hatte doch dich, als du klein warst. Und deine Großmutter hatte deine Mutter. Also hatten sie doch Kinder?«

»Nein, mein schöner Bub«, antwortete die Stimme leise, »bei uns ist das anders. Wir sterben nicht und werden nicht geboren. Wir sind immer dieselbe Dame Aiuóla, und doch sind wir es auch wieder nicht. Als meine Mutter alt wurde, da verdorrte sie, alle ihre Blätter fielen ab wie bei einem Baum im Winter, sie zog sich ganz in sich zurück. So blieb sie lange Zeit.

Aber dann begann sie eines Tages von neuem junge Blättchen hervorzutreiben, Knospen und Blüten und zuletzt Früchte. Und so bin ich entstanden, denn diese neue Dame Aiuóla war ich. Und genauso war es bei meiner Großmutter, als sie meine Mutter zur Welt brachte. Wir Damen Aiuóla können immer erst ein Kind haben, wenn wir vorher verwelken.

Aber dann sind wir eben unser eigenes Kind und können nicht mehr Mutter sein. Darum bin ich so froh, daß du nun da bist, mein schöner Bub…«

Bastian antwortete nicht mehr. Er war in einen süßen Halbschlaf hinübergeglitten, in dem er ihre Worte wie einen Singsang vernahm. Er hörte, wie sie aufstand und zu ihm trat und sich über ihn beugte. Sie streichelte ihn sanft übers Haar und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. Dann fühlte er, wie sie ihn hochhob und auf dem Arm hinaustrug. Er lehnte seinen Kopf an ihre Schulter wie ein kleines Kind. Immer tiefer sank er in die warme Dunkelheit des Schlafes hinunter. Ihm war, als ob er ausgezogen und in ein weiches, duftendes Bett gelegt würde. Als letztes hörte er noch -

schon aus weiter Ferne - wie die schöne Stimme leise ein Liedchen sang:

»Schlaf, mein Liebling!

Gute Nacht! Hast so vieles durchgemacht.

Großer Herr, sei wieder klein! Schlaf,

mein Liebling, schlafe ein!«

Als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich so wohl und so zufrieden wie nie zuvor. Er blickte sich um und sah, daß er in einem sehr gemütlichen kleinen Zimmer lag - und zwar in einem Kinderbettchen!

Allerdings war es ein sehr großes Kinderbettchen oder vielmehr, es war so, wie es einem kleinen Kind erscheinen mußte. Einen Augenblick lang kam ihm das lächerlich vor, denn er war ja ganz gewiß kein kleines Kind mehr. Alles, was Phantasien ihm an Kräften und Gaben geschenkt hatte, besaß er ja noch immer. Auch das Zeichen der Kindlichen Kaiserin hing nach wie vor um seinen Hals. Aber schon im nächsten Moment war es ihm ganz gleichgültig, ob es nun lächerlich erscheinen mochte oder nicht, daß er hier lag. Außer ihm und Dame Aiuóla würde es niemals jemand erfahren, und sie beide wußten, daß alles gut und richtig war. Er stand auf, wusch sich, zog sich an und ging hinaus. Er mußte eine Holztreppe hinuntersteigen und kam in das große Speisezimmer, das sich über Nacht allerdings in eine Küche verwandelt hatte. Dame Aiuóla wartete schon mit dem Frühstück auf ihn. Auch sie war äußerst guter Laune, alle ihre Blumen blühten, sie sang und lachte und tanzte sogar mit ihm um den Küchentisch herum. Nach der Mahlzeit schickte sie ihn hinaus, damit er an die frische Luft käme.

In dem weiten Rosenhag, der das Änderhaus umgab, schien ein ewiger Sommer zu herrschen. Bastian strolchte herum, beobachtete die Bienen, die emsig in den Blüten schmausten, hörte den Vögeln zu, die in allen Büschen sangen, spielte mit den Eidechsen, die so zutraulich waren, daß sie ihm auf die Hand krochen, und mit den Hasen, die sich von ihm streicheln ließen.

Manchmal warf er sich unter einen Busch, roch den süßen Duft der Rosen, blinzelte in die Sonne und ließ die Zeit vorüberrauschen wie einen Bach, ohne irgend etwas Bestimmtes zu denken.

So vergingen Tage, und aus den Tagen wurden Wochen. Er achtete nicht darauf. Dame Aiuóla war fröhlich, und Bastian überließ sich ganz und gar ihrer mütterlichen Fürsorge und Zärtlichkeit. Ihm war, als habe er, ohne es zu wissen, lange nach etwas gehungert, das ihm nun in Fülle zuteil wurde.

Und er konnte sich schier nicht daran ersättigen.

Eine Zeitlang durchstöberte er das Änderhaus vom Dachstuhl bis zum Keller. Das war eine Beschäftigung, die einem so bald nicht langweilig wurde, da sich alle Räume ja ständig veränderten und immer wieder Neues

zu entdecken war. Das Haus gab sich offensichtlich alle Mühe, seinen Gast zu unterhalten. Es produzierte Spielzimmer, Eisenbahnen, Kasperletheater und Rutschbahnen, ja sogar ein großes Karussell.

Manchmal unternahm Bastian auch ganztägige Streifzüge in die Umgebung. Aber sehr weit entfernte er sich niemals vom Änderhaus, denn es geschah regelmäßig, daß ihn plötzlich ein wahrer Heißhunger nach den Früchten Aiuólas befiel. Von einem Augenblick zum anderen konnte er es kaum noch erwarten, zu ihr zurückzukehren und sich nach Herzenslust satt zu essen.

Abends hatten sie oft lange Gespräche miteinander. Er erzählte ihr von allem, was er in Phantasien erlebt hatte, von Perelín und Graógramán, von Xayíde und Atréju, den er so schwer verwundet oder sogar getötet hatte.

»Ich habe alles falsch gemacht«, sagte er, »ich habe alles mißverstanden.

Mondenkind hat mir so viel geschenkt, und ich habe damit nur Unheil angerichtet, für mich und für Phantasien.« Dame Aiuóla sah ihn lange an.

»Nein«, antwortete sie, »das glaube ich nicht. Du bist den Weg der Wünsche gegangen, und der ist nie gerade. Du hast einen großen Umweg gemacht, aber es war dein Weg. Und weißt du, warum? Du gehörst zu denen, die erst zurückkehren können, wenn sie die Quelle finden, wo das Wasser des Lebens entspringt. Und das ist der geheimste Ort Phantásiens.

Dorthin gibt es keinen einfachen Weg.«

Und nach einer kleinen Stille fügte sie hinzu:

»Jeder Weg, der dorthin führt, war am Ende der richtige.«

Da mußte Bastian plötzlich weinen. Er wußte selbst nicht warum. Ihm war, als ob sich ein Knoten in seinem Herzen auflöse und in Tränen zerging.

Er schluchzte und schluchzte und konnte nicht aufhören. Dame Aiuóla nahm ihn auf ihren Schoß und streichelte ihn sanft, und er vergrub sein Gesicht in den Blumen auf ihrer Brust und weinte, bis er ganz satt und müde war.

An diesem Abend redeten sie nicht mehr weiter.

Erst am nächsten Tag kam Bastian noch einmal auf seine Suche zu sprechen: »Weißt du, wo ich das Wasser des Lebens finden kann?«

»An der Grenze Phantasiens«, sagte Dame Aiuóla.

»Aber Phantasien hat keine Grenzen«, antwortete er.

»Doch, aber sie liegen nicht außen, sondern innen. Dort, von woher die Kindliche Kaiserin all ihre Macht empfängt, und wohin sie selbst doch nicht kommen kann.«

»Und da soll ich hinfinden?« fragte Bastian bekümmert, »ist es nicht schon zu spät?« »Es gibt nur einen Wunsch, mit dem du dort hinfindest: Mit dem letzten . «

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