"Unleash your creativity and unlock your potential with MsgBrains.Com - the innovative platform for nurturing your intellect." » Deutsch Books » 🚖🚖"Tschick" de Wolfgang Herrndorf

Add to favorite 🚖🚖"Tschick" de Wolfgang Herrndorf

Select the language in which you want the text you are reading to be translated, then select the words you don't know with the cursor to get the translation above the selected word!




Go to page:
Text Size:

Bleibt vielleicht 'ne kleine Delle oder Narbe», sagt er, «das sieht dann sexy aus», und das sagt er jeden Tag. Jeden Tag guckt er sich den Verband an und erzählt genau das Gleiche, dass da 'ne Narbe bleibt, dass das nicht schlimm ist, dass das später mal aussieht, als wär ich im Krieg gewesen. «Als wärst du im Krieg gewesen, junger Mann, da stehen die Frauen drauf», sagt er, und es soll wohl irgendwie tiefsinnig sein, aber ich versteh den Tiefsinn nicht, und dann zwinkert er mich an, und meistens zwinker ich zurück, obwohl ich's nicht verstehe. Schließlich hat der Mann mir geholfen, da helfe ich ihm auch.

Später werden unsere Gespräche besser, vor allem, weil sie ernster werden. Beziehung-sweise, es ist eigentlich nur ein Gespräch. Als ich wieder humpeln kann, holt er mich in sein Zimmer, in dem ausnahmsweise mal ein Schreibtisch steht und kein medizinisches Gerät, und da sitzen wir uns dann gegenüber wie Firmenchefs, die den nächsten Deal eintüten.

Auf dem Tisch steht ein menschlicher Ober-15

körper aus Plastik, wo man die Organe raus-nehmen kann. Der Dickdarm sieht aus wie ein Gehirn, und vom Magen blättert die Farbe ab.

«Ich muss mal mit dir reden», sagt der Arzt, und das ist logisch der dümmste Gesprächs-anfang, den ich kenne. Und dann warte ich, dass er mit Reden anfängt, aber das gehört zu diesem Anfang leider dazu, dass man sagt, ich muss mal mir dir reden, und dann erst mal nicht redet. Der Arzt starrt mich also an, senkt dann seinen Blick und klappt einen grünen Pappordner auf. Oder klappt ihn nicht auf, sondern öffnet ihn, wie ich mir vorstelle, dass er einem Patienten die Bauchdecke auf-schneidet. Sehr umsichtig, sehr kompliziert, sehr ernst. Der Mann ist Chirurg. Glück-wunsch.

Was danach kommt, ist schon weniger interessant. Im Grunde will er nur wissen, wo meine Kopfwunde herkommt, vorne rechts. Auch wo die anderen Wunden herkommen - von der Autobahn, wie gesagt, okay, das wusste er schon -, aber die Kopfwunde, da bin ich vom Stuhl gefallen, auf der Station der Autobahnpolizei.

Der Arzt legt die Hände an den Fingerspitzen zusammen. Ja, so würde das da auch im Be-16

richt drinstehen: vom Stuhl gefallen. Auf der Polizeistation.

Er nickt. Ja.

Ich nicke auch.

«Wir sind hier unter uns», sagt er nach einer Weile.

«Ist mir klar», sage ich wie der letzte Blöd-mann und zwinkere erst dem Arzt zu und dann zur Sicherheit auch nochmal dem Plas-tikoberkörper.

«Du kannst hier über alles sprechen. Ich bin dein Arzt, und das heißt in diesem Fall, ich habe eine Schweigepflicht.»

«Ja, gut», sage ich. So was Ähnliches hatte er mir vor ein paar Tagen schon mal angedeutet, ich hab's jetzt begriffen. Der Mann hat eine Schweigepflicht, und er erwartet jetzt, dass ich ihm etwas erzähle, damit er davon schweigen kann. Aber was? Wie übertrieben geil es ist, sich vor Angst in die Hose zu pissen?

«Es ist ja nicht nur die Handlungsweise. Das ist eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Die hätten sich nicht auf deine Angaben verlassen dürfen, verstehst du? Die hätten nachgucken und vor allem sofort den Arzt rufen müssen.

Weißt du, wie kritisch das war? Und du sagst, du bist vom Stuhl gefallen?»

17

«Ja.»

«Es tut mir leid, aber wir Ärzte sind miss-trauische Menschen. Ich meine, die wollten doch einiges von dir. Und ich als dein behan-delnder Arzt...»

Ja, ja. Himmel. Schweigepflicht. Schon klar.

Aber was will er denn jetzt wissen? Wie man vom Stuhl fällt? Seitlich runter und dann plumps? Er schüttelt erst lange den Kopf, dann macht er eine winzige Bewegung mit der Hand - und da erst wird mir klar, worauf er hinauswill. Mein Gott, steht bei mir einer auf der Leitung. Immer diese Scheißpeinlichkeit.

Warum redet er nicht Klartext?

«Nee, nee!», rufe ich und winke mit den Händen in der Luft herum, als würde ich riesige Fliegenschwärme abwehren. «Alles korrekt! Ich hab auf dem Stuhl gesessen und mein Hosenbein hochgemacht, und dann hab ich das gesehen und dann Schwindel und rums. Keine Fremdeinwirkung.» Gutes Wort.

Kenn ich aus dem Tatort.

«Also sicher?»

«Sicher. Ja. Und die Polizisten total nett. Ich hab sogar ein Wasser gekriegt und ein Ta-schentuch. Nur eben Schwindel und dann seitlich runter.» Ich richte mich vor dem 18

Schreibtisch auf und lasse mich schauspiele-risch hochbegabt zweimal halb nach rechts kippen.

«Gut», sagt der Arzt langsam.

Er kritzelt etwas auf ein Papier.

«Wollt ich nur wissen. Trotzdem unverantwortlich. Blutverlust ... hätte man wirklich...

sieht auch nicht so aus.»

Er schließt den grünen Ordner und schaut mich lange an. «Und ich weiß ja nicht, geht mich vielleicht auch nichts an - aber das würde mich jetzt doch mal interessieren. Du musst nicht antworten, wenn du nicht magst.

Aber - was wolltet ihr denn da eigentlich?

Oder wohin?»

«Keine Ahnung.»

«Wie gesagt, du musst es nicht sagen. Ich frag nur interessehalber.»

«Ich würd's Ihnen sagen. Aber wenn ich's Ihnen sage, glauben Sie's eh nicht. Glaube ich.»

«Ich glaub dir alles.» Er lächelt freundlich.

Kumpelhaft.

«Es ist albern.»

Are sens

Copyright 2023-2059 MsgBrains.Com