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Ihm war, als ob der Mann ihm etwas sagen wollte, aber es nicht konnte, weil er in dem Eisblock eingeschlossen war. Der Junge ohne Namen wollte ihm helfen, wollte machen, daß dieses Eis taute. Wie in einem wachen Traum sah er sich selbst den Eisblock umarmen, um ihn mit der Wärme seines Körpers zum Schmelzen zu bringen. Aber alles war vergebens.

Doch dann hörte er plötzlich, was der Mann ihm sagen wollte, hörte es nicht mit den Ohren, sondern tief in seinem eigenen Herzen:

»Hilf mir bitte ! Laß mich nicht im Stich ! Allein komme ich aus diesem Eis nicht heraus. Hilf mir! Nur du kannst mich daraus befreien - nur du!«

Als sie sich am nächsten Morgen bei Tagesgrauen erhoben, sagte der Junge ohne Namen zu Yor:

»Ich fahre heute nicht mehr mit dir in die Grube Minroud ein.«

»Willst du mich verlassen?«

Der Junge nickte. »Ich will gehen und das Wasser des Lebens suchen.«

»Hast du das Bild gefunden, das dich führen wird?«

»Ja.«

»Willst du es mir zeigen?«

Der Junge nickte abermals. Beide gingen hinaus in den Schnee, wo das Bild lag. Der Junge sah es an, aber Yor richtete seine blinden Augen auf das Gesicht des Jungen, als blicke er durch ihn hindurch in eine weite Ferne. Er schien lange auf etwas hinzuhorchen. Endlich nickte er.

»Nimm es mit«, flüsterte er, »und verliere es nicht. Wenn du es verlierst oder wenn es zerstört wird, dann ist für dich alles zu Ende. Denn in Phantasien bleibt dir nun nichts mehr. Du weißt, was das heißt.«

Der Junge, der keinen Namen mehr hatte, stand mit gesenktem Kopf und schwieg eine Weile. Dann sagte er ebenso leise:

»Danke, Yor, für das, was du mich gelehrt hast.«

Sie gaben sich die Hände.

»Du warst ein guter Bergknappe«, raunte Yor, »und hast fleißig gearbeitet.« Damit wandte er sich ab und ging auf den Schacht der Grube Minroud zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieg er in den Förderkorb und fuhr in die Tiefe.

Der Junge ohne Namen hob das Bild aus dem Schnee auf und stapfte in die Weite der weißen Ebene hinaus.

Viele Stunden war er schon so gewandert, längst war Yors Hütte am Horizont hinter ihm verschwunden, und nichts umgab ihn mehr als die weiße Fläche, die sich nach allen Seiten hin erstreckte. Aber er fühlte, wie das Bild, das er behutsam mit beiden Händen hielt, ihn in eine bestimmte Richtung zog.

Der Junge war entschlossen, dieser Kraft zu folgen, denn sie würde ihn an den richtigen Ort bringen, mochte der Weg nun lang sein oder kurz.

Nichts mehr sollte ihn jetzt noch zurückhalten. Er wollte das Wasser des Lebens finden, und er war sicher, daß er es konnte. Da hörte er plötzlich Lärm hoch in den Lüften. Es war wie fernes Geschrei und Gezwitscher aus vielen Kehlen. Als er zum Himmel hinaufschaute, sah er eine dunkle Wolke, die wie ein großer Vogelschwarm aussah. Erst als dieser Schwärm näher herangekommen war, erkannte er, worum es sich in Wirklichkeit handelte, und vor Schreck blieb er wie angewurzelt stehen. Es waren die Clowns-Motten, die Schlamuffen!

»Barmherziger Himmel!« dachte der Junge ohne Namen, »hoffentlich haben sie mich nicht gesehen! Sie werden mit ihrem Geschrei das Bild zerstören!«

Aber sie hatten ihn gesehen!

Mit ungeheurem Gelächter und Gejohle stürzte sich der Schwärm auf den einsamen Wanderer nieder und landete um ihn herum im Schnee.

»Hurra!« krähten sie und rissen ihre bunten Münder auf, »da haben wir ihn ja endlich wiedergefunden, unseren großen Wohltäter!«

Und sie wälzten sich im Schnee, bewarfen sich mit Schneebällen, machten Purzelbäume und Kopfstände.

»Leise! Seid bitte leise!« flüsterte der Junge ohne Namen verzweifelt.

Der ganze Chor schrie begeistert:

»Was hat er gesagt?« - »Er hat gesagt, wir sind zu leise!« - »Das hat uns noch niemand gesagt!«»Was wollt ihr von mir?« fragte der Junge, »warum laßt ihr mich nicht in Ruhe?« Alle wirbelten um ihn herum und schnatterten:

»Großer Wohltäter! Großer Wohltäter! Weißt du noch, wie du uns erlöst hast, als wir noch die Arachai waren? Damals waren wir die unglücklichsten Wesen in ganz Phantasien, aber jetzt hängen wir uns selbst zum Hals heraus. Was du da aus uns gemacht hast, war anfangs ganz lustig, aber jetzt langweilen wir uns zu Tode. Wir flattern so herum und haben nichts, woran wir uns halten können. Wir können nicht einmal ein richtiges Spiel spielen, weil wir keine Regel haben. Lächerliche Hanswurste hast du aus uns gemacht mit deiner Erlösung! Du hast uns betrogen, großer Wohltäter!«

»Ich hab’ es doch gut gemeint«, flüsterte der Junge entsetzt.

»Jawohl, mit dir selbst!« schrien die Schlamuffen im Chor, »du bist dir ganz großartig vorgekommen. Aber wir haben die Zeche bezahlt für deine Güte, großer Wohltäter!« »Was soll ich denn tun?« fragte der Junge. »Was wollt ihr von mir?«

»Wir haben dich gesucht«, kreischten die Schlamuffen mit verzerrten Clownsgesichtern, »wir wollten dich einholen, ehe du dich aus dem Staub machen kannst. Und jetzt haben wir dich eingeholt. Und wir werden dich nicht mehr in Ruhe lassen, ehe du nicht unser Häuptling geworden bist. Du mußt unser Ober-Schlamuffe werden, unser Haupt-Schlamuffe, unser General-Schlamuffe! Alles, was du willst!«

»Aber warum denn, warum?« flüsterte der Junge flehend.

Und der Chor der Clowns kreischte zurück:

»Wir wollen, daß du uns Befehle gibst, daß du uns herumkommandierst, daß du uns zu irgend etwas zwingst, daß du uns irgend etwas verbietest!

Wir wollen, daß unser Dasein zu irgend etwas da ist!«

»Das kann ich nicht! Warum wählt ihr nicht einen von euch?«

»Nein, nein, dich wollen wir, großer Wohltäter! Du hast doch aus uns gemacht, was wir jetzt sind!«

»Nein!« keuchte der Junge, »ich muß fort von hier. Ich muß zurückkehren!« »Nicht so schnell, großer Wohltäter!« schrien die

Clownsmünder, »du entkommst uns nicht. Das könnte dir so passen - dich einfach aus Phantasien verdrücken!«

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