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Unsre so starken Verbindlichkeiten müssen wir auflösen; dann und wann dies lieben und jenes: aber kein ewiges Band als mit uns selbst knüpfen; das heißt, das übrige sei unser, nur nicht so mit uns verfugt und verleimt, daß es nicht anders von uns abgetrennt werden könne, als daß unsre Haut dran klebe oder ein Stück von uns selbst daran hängenbleibe. Es ist Zeit, uns von der Gesellschaft loszusagen, weil wir ihr nicht weiter frommen können. Denn wer nicht mehr leihen kann, der muß sich nicht erlauben, auf Borg zu nehmen. Unsre Kräfte schwinden: laß uns davon sparen und zusammenhalten, was noch übrig ist. Wer solch eine Menge Pflichten der Freundschaft und der Geselligkeit durcheinandermengen und in seinem Unvermögen verwechseln und auf sich selbst ziehen kann, der mag es tun. In diesem Unfall aber, der ihn seinen Freunden unnütz, lästig und beschwerlich macht, mag er sich in acht nehmen, daß er nicht ihm selbst unnütz werde und beschwerlich und lästig. Mag er sich streicheln und liebkosen, besonders aber den Zügel anhalten, damit er vor seiner Vernunft und seinem Gewissen die gehörige Ehrfurcht erhalte und sich scheue, in ihrer Gegenwart zu straucheln. Rarum est enim, ut satis se quisque vereatur120.

Sokrates sagt: Jünglinge müssen sich belehren lassen, Männer sich üben, richtig zu handeln; die Alten sich aber von allen Kriegs- oder Staatsgeschäften abziehen, nach ihren eigenen Einsichten leben, ohne zu gewissen Pflichten genötigt zu sein!

Unter den verschiedenen Temperamenten sind einige nach diesen Vorschriften für die Einsamkeit tauglicher als andre. Diejenigen, welche von langsamem, schlaffem Geiste sind, von so verweichelten Neigungen und verzärteltem Willen, daß sie sich nicht leicht an Steuer und Ruder stellen lassen, worunter ich mit gehöre, sowohl von Natur als aus Überlegung; die werden sich diesem Rate eher fügen als die wirksamen, tätigen Seelen, welche alles umfassen, sich in alles einlassen, an allem warmen Anteil nehmen; welche ihren Beistand anbieten, herbeieilen und bei jeder Gelegenheit sich hergeben. Man muß sich der zeitlichen Güter, so zufällig und unsicher sie an sich sein mögen, bedienen, solange sie uns Vergnügen machen, aber niemals daraus unsre Hauptstütze machen; das verbieten Natur und Vernunft. Und warum wollten wir, gegen deren Gebot, unsre Zufriedenheit von einer fremden Gewalt abhängig machen? Gegen ihr Gebot schon im voraus die Schläge des Glücks fühlen? Uns der Gemächlichkeiten berauben, die wir in Händen haben, wie solches schon viele aus Andächtelei und einige Philosophen aus Vernünftelei getan haben? – Sich ohne alle Bedienung behelfen? Auf hartem Lager schlafen? Sich selbst die Augen ausstechen? Seine Reichtümer in den Fluß werfen? Sich mit Fleiß Schmerzen machen? – Wenn dies einige tun, um gegen Qualen dieses Lebens die Seligkeiten eines anderen einzutauschen, und andre wieder, um, wenn sie sich auf die niedrigste Stufe stellen, gegen einen neuen Sturz umso sicherer zu sein: so sind das Handlungen einer übermäßigen Tugend. Laß andre, die steifer und stärker sind, selbst ihre Abgeschiedenheit von der Welt zum glänzenden Beispiele erheben.

Tuta et parvula laudo,

Cum res deficiunt, satis inter vilia fortis:

Verum, ubi quid melius contingit et unctius, idem

Hos sapere, et solos aio bene vivere, quorum

Conspicitur nitidis fundata pecunia villis121.

Mir wird es schon sauer genug, ohne so weit zu gehen. Mir genügt es schon, wenn ich mich während der Gunst des Glücks auf seine Ungnade vorbereiten kann und mir, solange mir's wohl ist, das künftige widrige Schicksal, soweit meine Einbildung reicht, vorstellen kann: so ungefähr, wie wir uns an Ringen und Fechten gewöhnen und mitten im tiefen Frieden Kriegsspiele treiben. Ich schätze den Philosophen Arcesilaus deswegen nicht minder, weil ich weiß, daß er aus goldnen und silbernen Gefäßen aß und trank, da es ihm seine Glücksumstände verstatteten, und halte ihn umso höher, weil er sich derselben mit Bescheidenheit und Freigebigkeit bediente, als wenn er seinen Reichtum im Kasten verschlossen hätte.

Ich kenne die Schranken der natürlichen Bedürfnisse, und wenn ich den armen Bettler vor meiner Tür betrachte, der oft froher und gesunder ist als ich, so versetz' ich mich an seine Stelle und versuche, wie meine Seele in seinen Schuhen gehen würde; und indem ich die anderen Beispiele durchlaufe, so gut ich auch denke, daß Tod, Armut, Verachtung und Krankheiten mir auf den Versen folgen, so wird mir doch der Vorsatz leicht, nicht vor Unfällen zu erschrecken, die ein Geringerer als ich so geduldig ertragen kann; und ich will und mag nicht glauben, daß ein eingeschränkter Verstand mehr vermöge als ein stärkerer oder daß die Wirkung des Nachdenkens und der Überlegung nicht so weit reichen sollte als die Wirkung der Gewohnheit. Und da ich einsehe, an wie dünnen Faden die Nebengüter hängen, so ist mitten in meinem vollen Genuß meine vornehmste Bitte, die ich zu Gott schicke, er möge mich bei der Zufriedenheit mit mir selbst und mit den Gütern, die in mir selbst liegen, erhalten. Ich kenne junge, starke und frische Leute, welche gleichwohl einen Teig zu Pillen in ihren Koffern bei sich führen, um sich derselben zu bedienen, wenn sie ein Schnupfen befallen sollte; welchen sie dann umso weniger fürchten, weil sie in ihren Gedanken das Mittel dagegen bei der Hand haben. So muß man's machen und noch dazu, wenn man sich einer schlimmern Krankheit unterworfen fühlt, und sich mit solchen Mitteln versorgen, welche das kranke Glied betäuben und einschläfern.

Die Beschäftigung, die man für ein einsames Leben wählt, muß weder ermüdend noch langweilig sein; sonst haben wir vergebens darauf gerechnet, darin zu verweilen. Das hängt aber ab von dem besondern Geschmacke eines jeden. Der meinige verträgt sich gar nicht mit der Landwirtschaft. Wer sie liebt, muß sich mit großer Mäßigung darauf legen.

Conentur sibi res, non se submittere rebus122.

Sonst ist's, wie Sallust es nennt, Knechtswerk. Sie hat Teile, die angenehmer sind; wie z.B. die Gartenpflege, wie solche Xenophon dem Cyrus zuschreibt, und es läßt sich ein Mittelweg denken zwischen dieser niedrigen, angestrengten und immerwährenden Sorge, die man an den Menschen wahrnimmt, welche sich ganz hineinwerfen, und zwischen der tiefen und äußersten Nachlässigkeit, die man an anderen bemerkt, welche alles zugrunde und zu Boden gehen lassen:

Democriti pecus edit agellos

Cultaque, dum peregre est animus sine corpore velox123.

Aber laß uns den Rat vernehmen, welchen der jüngere Plinius seinem Freunde Cornelius Rufus in Ansehung dieser Art von Einsamkeit erteilt: »Ich rate dir, in dieser fruchtbaren und fetten Einsiedelei, worin du bist, deinen Leuten die niedrige und verächtliche Aufsicht über die Landwirtschaft zu überlassen und dich aufs Studium der Wissenschaften zu legen, um von diesen etwas zu ernten, welches ganz dir eigen gehöre.« Er versteht darunter den Ruhm im Sinne des Cicero, welcher sagt, er wolle seine Einsamkeit und Ruhe von öffentlichen Geschäften dazu anwenden, um sich durch seine Schriften die Unsterblichkeit zu erwerben.

Usque adeone

Scire tuum nihil est, nisi te sire hoc, sciat alter124?

Soviel scheint billig zu sein, da man doch einmal davon spricht, sich der Welt zu entziehen, sie zu betrachten, als ob sie uns nichts weiter angehe. Diese Herren tun das aber nur halb; sie werben schon um einen Anhang, auf die Zeit, da sie nicht mehr auf der Welt sein werden. Die Früchte ihrer Bemühungen wollen sie gleichwohl noch dann von der Welt ziehen, wenn sie nicht mehr da sind. Das ist eine lächerliche Ungereimtheit.

Die Imagination, welche die Herzen derer, die aus frommer Andacht die Einsamkeit suchen, mit der Gewißheit der göttlichen Verheißungen des zukünftigen Lebens erfüllt, ist viel heiliger gestimmt. Ihr Verlangen ist auf Gott als auf das unendlich gütige und allmächtige Wesen gerichtet. Die Seele findet hier reichliche und freie Nahrung für ihre Wünsche. Die Leiden und Schmerzen gedeihen zu ihrem Vorteil, indem sie dafür ewige Gesundheit und unvergängliche Freuden erlangen, und die fleischlichen Begierden sind bald durch Enthaltung gedämpft und eingeschläfert; denn nichts unterhält sie stärker als die Befriedigung. Dieser einzige Zweck eines zukünftigen seligen und ewigen Lebens verdient mit Recht, daß wir den Ergötzlichkeiten und Gemächlichkeiten dieses unseres gegenwärtigen Lebens entsagen. Und wer seine Seele wirklich und anhaltend von diesem lebendigen Glauben und dieser festen Hoffnung erwärmen kann, der baut sich in der Einsamkeit ein so herrliches Freudenleben, daß kein andres damit zu vergleichen ist. Vom Rate des Plinius gefallen mir hingegen weder der Zweck noch die Mittel. Wir fallen dabei aus der Traufe in den Schlagregen.

Diese Beschäftigung mit den Büchern ist ebenso beschwerlich als eine jede andre und der Gesundheit ebenso zuwider, auf welche doch hauptsächlich Rücksicht zu nehmen ist. Und muß man sich auch von dem Vergnügen nicht einschläfern lassen, das man daran findet. Gerade das Vergnügen ist es, das dem Landwirt, dem Geizhals, dem Wollüstling, dem Ehrsüchtigen so schädlich wird. Die Weisen lehren uns genug, uns vor der Verräterei unsrer Begierden hüten, und die wahren, unverfälschten Freuden von den gemischten und mit allerlei Mühseligkeit aufgefärbten Vergnügen unterscheiden. Denn die meisten Vergnügungen, sagen sie, kitzeln uns und umarmen uns nur, um uns zu ersticken, wie die Räuber taten, welche die Ägypter Phileten nannten; und wenn uns die Kopfschmerzen vor dem Rausche überfielen, so würden wir uns hüten, zuviel zu trinken; da geht aber die Wollust vorauf und verbirgt uns ihr Gefolge. Die Bücher sind angenehm allerdings; wenn aber der Umgang mit denselben uns zuletzt um unsre Munterkeit und Gesundheit bringt, welche das Beste sind, was wir haben, so laß uns sie weglegen! Ich gehöre zu denen, welche meinen, ihr Nutzen könne diesen Verlust nicht aufwägen. So wie Menschen, welche sich lange Zeit her von kränklichen Umständen geschwächt fühlen, sich endlich der Kunst des Arztes überlassen und sich Gesundheitsregeln vorschreiben lassen, um solche genau zu befolgen, so muß auch derjenige, der sich, weil er der Dinge satt und müde ist, dem gemeinen Leben entziehen will, die Einsamkeit den Vorschriften der Vernunft unterwerfen und solche im voraus nach reiflicher Überlegung einrichten. Er muß von aller Art Arbeit Abschied genommen haben, unter welcher Gestalt sie sich auch darbiete; und ganz vorzüglich alle Leidenschaften fliehen, welche die Ruhe des Leibes und der Seele stören, und dem Wege folgen, der seiner Sinnesart am besten behagt:

Unusquisque sua noverit ire via125.

In der Wirtschaft, beim Studieren, auf der Jagd und bei allen anderen Übungen muß er sich innerhalb der äußersten Grenzen des Vergnügens halten und sich hüten, so weit hinauszugehen, wo sich der Verdruß darunter mischt.

Man muß sich so viel leichte Arbeit und Beschäftigung ausspüren, als nötig ist, um sich in Atem zu erhalten und sich vor der Unlust zu schützen, welche das andre Übermaß vom trägen, schläfrigen Müßiggang nach sich zieht. Es gibt trockne und heiklige Wissenschaften, die meistens nur Büchermacherwerk für Druckerpressen sind, die muß man denen überlassen, die im Dienste der Welt stehen. Ich, meinesteils, liebe nur die angenehmen, leichten Bücher, welche mich aufmuntern, oder solche, die mich trösten und mir Rat erteilen, wie ich es mit meinem Leben und mit meinem Tode halten soll.

Tacitum silvas inter reptare salubres,

Curantem, quidquid dignum sapiente bonoque est126.

Weisere Leute, die eine starke rüstige Seele haben, mögen sich eine ganz geistige Ruhe zuschneiden: bei meiner gemeinen Seele muß ich, um mich aufrechtzuerhalten, die körperlichen Bequemlichkeiten zu Hilfe nehmen, und da das Alter mir fast alle geraubt hat, die mehr nach meinem Gefallen waren, so richte und schärfe ich meinen Appetit auf solche, welche mehr mit meinen Jahren bestehen. Mit Zähnen und Fäusten muß man den Genuß der Vergnügungen des Lebens festhalten, welche uns unsre Jahre, eins nach dem anderen, mit starken Klauen wegreißen:

Carpamus dulcia; nostrum est.

Quod vivis; cinis et manes et fabula fies127.

Was nun aber den Zweck des Ruhms anlangt, den Cicero und Plinius uns vorhalten, so ist solcher weit entfernt von meiner Rechnung. Die allerunverträglichste Gemütsart mit der Einsamkeit ist der Ehrgeiz. Ruhm und Ruhe sind Gäste, die nicht unter einem Dache herbergen können. Nachdem, was ich sehe, bleiben Seele und Absicht solcher Menschen, die nur Arme und Beine befreit haben, ärger in den Banden verstrickt als jemals.

Tun', vetule, auriculis alienis colligis escas128?

Sie sind nur deswegen zurückgegangen, um einen stärkern Anlauf zu nehmen und durch einen kräftigern Sprung eine größere Lücke in dem Haufen zu tun. Hat man Lust zu sehen, wie sie um ein Gran zu leicht sind? Laß uns die Meinung zweier Philosophen auf die andre Schale legen. Sie waren von zwei sehr verschiedenen Sekten und schrieben, der eine an den Idomenäus, der andre an den Lucilius, ihre Freunde, um solche von der Verwaltung der Staatsgeschäfte abzumahnen, vor Standeshöhe zu warnen und ihnen zur Einsamkeit zu raten. Ihr habt, sagen sie, bisher auf Wellen treibend und schwimmend gelebt, kommt und beschließt euer Leben im Hafen. Euer voriges Leben lebtet ihr in der Sonnenhitze, lebt das folgende im lieblichen Schatten. Es ist unmöglich, den Geschäften zu entsagen, wenn ihr nicht ihren Früchten entsagt; zu diesem Ende entschlagt euch aller Sorgen für einen berühmten Namen. Es ist zu befürchten, daß der Glanz eurer vollbrachten Taten euch nur zu stark umglänze und euch bis in eure Landhütte folge. Mit den übrigen Wollüsten legt auch diejenige ab, welche aus dem Beifall anderer entspringt. Und was eure Gelehrsamkeit und Wissenschaft betrifft, so laßt die euch nicht so tief zu Herzen gehen; sie werden ihre Wirkung nicht verlieren, wenn ihr dadurch bessere Men schen werdet. Erinnert euch jenes Menschen, den man fragte, warum er sich's in einer Kunst so sauer werden lasse, für die es so wenige Kenner gebe. »Ich habe an einigen wenigen genug«, antwortete er, »ich habe genug an einem; ich habe genug an gar keinem.« Er sagte sehr wahr. Ihr und ein Genoß seid euch einander oder euch selbst ein hinlänglicher Schauplatz; das Volk sei euch einer, und einer sei euch ein ganzes Volk. Es ist doch eine ärmliche Ruhmsucht, aus seiner Geschäftslosigkeit und Abgeschiedenheit sich eine Ehre machen wollen. Man sollte es machen wie die Tiere, die vor dem Eingang ihrer Höhle die Spur auskratzen. Darauf kommt es nicht mehr, daß die Welt von euch spreche, sondern darauf, was ihr mit euch selbst zu sprechen habt. Kehrt in euch selbst zurück! Vorher aber bereitet euch darauf, euch da aufzunehmen: es wäre Torheit, euch selbst zu trauen, wenn ihr euch nicht zu beherrschen versteht.

Solange ihr euch nicht selbst dahin gebracht habt, daß ihr es nicht mehr wagt, ohne Zeugen zu straucheln, und bis ihr Ehrfurcht und Scheu vor euch selbst habt, solange könnt ihr so gut in der Einsamkeit unnütze Dinge tun als in voller Gesellschaft. Obversentur species honestae animo129.

Stellt euch beständig in eurer Einbildung den Cato vor, und den Phocion und den Aristides, in deren Gegenwart selbst die Narren ihre Fehler verbargen, und bestellt sie zu Aufsehern aller eurer innern Gedanken. Sollten sie auf Nebenwege geraten, so wird die Ehrfurcht vor solchen Männern sie wieder auf die rechte Bahn leiten. Sie werden euch auf derselben erhalten und euch mit euch selbst zufrieden machen, damit ihr von niemand etwas borgt als von euch selbst, und so werden sich eure Seelen in gewissen gemäßigten Grenzen des Denkens erhalten und befestigen, worin sie sich wohl befinden werden; und wenn sie die wahren Güter richtig kennengelernt haben, deren man nur in dem Maße genießt, wie man sich darauf versteht, so werden sie sich damit begnügen, ohne der Verlängerung des Lebens oder der Vergrößerung des Ruhms zu begehren. So klingt der Rat der wahren und ungeschmückten Philosophie; nicht einer prahlerischen und geschwätzigen wie die Philosophie der anderen beiden Ratgeber.

Unsere Begierden wachsen durch die Schwierigkeiten.

Es gibt keinen Grund, der nicht einen ihm entgegenstehenden habe, sagt die weiseste Partei der Philosophen. Neulich sann ich diesem schönen Spruche nach, den einer der Alten für die Verachtung des Lebens anführt: kein Gut kann uns Vergnügen gewähren, es sei denn dasjenige, auf dessen Verlust wir vorbereitet sind: In aequo est dolor amissae rei, et timor amittendae130; wodurch er erweisen wollte, daß der Genuß des Lebens nicht wirklich angenehm sein könne, wenn wir in Furcht stehen, es zu verlieren. Man könnte indessen gerade im Gegenteil sagen, daß wir das Gute um desto fester umfassen und mit unserer Seele daran hängen, umso ungewisser uns sein Besitz ist, und je mehr wir finden, daß es uns geraubt werde. Denn man fühlt es ganz deutlich, daß, wie das Feuer durch den Beistand der Kälte heftiger wird, auch unser Wollen durch Widerstand sich schärft.

Si nunquam Danaen habuisset ahenea turris,

Non esset Danae de Jove facta parens131.

Und daß unserm Geschmacke natürlicherweise nichts so sehr entgegensteht als die Sattheit, welche aus der Leichtigkeit der Befriedigung entsteht; daß nichts ihn mehr reizt als die Seltenheit und Schwierigkeit. Omnium rerum voluptas ipso quo debet fugare, periculo crescit132. Galla, nega; satiatur amor, nisi gaudia torquent133.

Um die eheliche Liebe in Atem zu erhalten, verordnete Lykurg, daß die verehelichten Lakedämonier sich nicht anders als verstohlenerweise begehen sollten und daß es gleich schimpflich sein solle, sie beide beieinander anzutreffen als mit einer fremden Person. Die Schwierigkeit, sich einander an einen sichern Ort zu bestellen, die Gefahr bei der Überraschung, die Gefahr des Schimpfs des folgenden Tages -

... languor, et silentium,

Arguit, latere petitus imo spiritus134 -:

das ist es, was die Brühe so lecker macht. Wie viele sehr üppig angenehme Spiele entstehen nicht aus der bescheidenen und schamhaften Art, über die Werke der Liebe zu sprechen. Die Wollust selbst sucht sich durch den Stachel der Schmerzen zu reizen; sie ist viel verzuckerter, wenn sie kocht und wenn sie durch die Haut brennt. Die Kebse Flora sagte, sie habe den Pompejus niemals umarmt, ohne daß er Zeichen von ihren Bissen davongetragen habe.

Quod petiere, premunt arcte, faciuntque dolorem

Corporis, et dentes inlidunt saepe labellis ...

Et stimuli subsunt, qui instigant laedere id ipsum,

Quodcumque est, rabies unde illae germina surgunt135.

So geht es mit allem. Schwierigkeiten geben den Dingen einen größern Wert. Die Einwohner der Mark Ancona tun ihr Gelübde lieber dem St. Jakob, und die Einwohner von Galizien unser lieben Frauen von Loretto. Zu Lüttich macht man ein großes Werk aus den Bädern zu Lucca und in Toskana von den Spawassern. Auf den Fechtböden zu Rom sieht man wenig Römer, dagegen sind sie voll von Franzosen. Der große Cato fand sich ebensogut wie wir von seiner Frau bis zum Ekel gesättigt, solange sie die seinige war, und begehrte ihrer, nachdem sie einem anderen angehörte. Ich habe einen alten Hengst aus der Stuterei geworfen, mit dem in seinem Harem nichts mehr anzufangen war. Die Leichtigkeit bei seinen gewöhnlichen Stuten ließ ihn alsbald die Ohren hängen; gegen fremde aber, wenn nur eine an seinem Weideplatz vorbeiging, ließ er sich immer mit seinem schändlichen Wiehern hören und geriet in die wütendste Hitze wie vorher. Unser Gelüsten verachtet, was ihm zur Hand liegt, und fährt darüber hin, um demjenigen nachzuhaschen, was ihm schwer zu erreichen ist.

Transvolant in medio posita, et fugienta capta136.

Uns etwas verbieten, heißt uns darnach lüstern machen.

Are sens