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Risi successu posse carere dolos159.

Als Paulus Ämilius nach seinem glorreichen Mazedonischen Feldzuge aufbrach, ermahnte er vor allen Dingen das römische Volk, über seine Handlungen die Zunge im Zaum zu halten, solange er abwesend sei! O welch eine große Störerin ist nicht die Zügellosigkeit im Urteilen! Umso größer, weil nicht jeder die Standhaftigkeit des Fabius gegen die widrige beleidigende Volksstimme besitzt, welche lieber seine Macht von den eitlen Einfällen der Menschen vermindern ließ, als seinen Auftrag mit günstigerm Ruhme und Volksbeifall weniger gut ausrichten wollte. Es liegt ein gewisses unnennbares, süßes Gefühl darinnen, sich loben zu hören; allein wir legen dennoch viel zuviel hinein.

Laudari haut metuam, neque enim mihi cornea fibra est,

Sed recti finemque extremumque esse recuso,

Euge tuum et belle160.

Ich kümmere mich nicht so viel darum, wie ich mit anderen stehe, als ich mich darum bekümmere, wie ich mit mir selbst stehe. Ich will reich sein für mich und nicht auf Borg. Fremde sehen nur den äußern Schein und äußere Begebenheiten; ein jeglicher kann eine äußerliche gute Miene annehmen und innerlich voller Fieber und Schrecken sein, man sieht mir nicht ins Herz, man sieht nur meine Miene. Man hat recht, die Heuchelei zu verschreien, welche im Krieg ihr Wesen hat; denn was ist für einen Menschen, der die Schliche kennt, leichter, als den Gefahren auszuweichen und bei einem feigen Herzen den Bramarbas zu spielen? Es gibt so viele Mittel, den Gelegenheiten auszuweichen, bei welchen man seine eigene Person wagen müßte, daß man die Welt tausendmal betrogen haben kann, bevor man sich nur in ein Wagestück eingelassen hat, und selbst dann, wenn man darin verflochten ist, weiß man für dieses Mal auch sein Spiel mit guter Miene und mit unerschrockenen Worten zu verdecken, obgleich die ganze Seele in uns zittert. Und viele würden, wenn sie den platonischen Ring besäßen, welcher denjenigen unsichtbar machte, der ihn am Finger trug und den Stein nach der Innenseite der Hand drehte, sich oft genug da verbergen, wo sie sich am meisten stellen sollten, und würden es sehr bereuen, sich an solche Ehrenposten gestellt zu sehen, wo die Not sie herzhaft machte.

Falsus honor juvat, et mendax infamia terret

Quem, nisi mendosum et mendacem161?

Hieraus sieht man, wie alle die Urteile, die sich auf einen äußern Schein gründen, im höchsten Grade ungewiß und zweifelhaft sind, und wie kein Zeugnis so sicher ist, als was sich ein jeder selbst geben muß. Und wie viele Troßbuben haben wir nicht zu Genossen unseres Ruhms? Derjenige, der sich in einer offenen Tranchee festhält, was tut er damit, das nicht vor ihm fünfzig arme Schanzgräber tun, die ihm den Weg öffnen und für fünf Dreier täglichen Sold mit ihrem Körper decken.

Non, quidquid turbida Roma

Elevet, accedas; examenque improbum in illa

Castiges trutina: nec te quaesiveris extra162.

Wir nennen es Vergrößerung unseres Namens, wenn wir ihn in vieler Mund bringen; wir wünschen, daß er mit Ehrerbietung ausgesprochen werde und daß diese seine Erhebung ihm nützlich werden möge. Nun, das mag denn das schlimmste bei der Sache noch nicht sein, aber das Übermaß dieser Krankheit geht so weit, daß manche suchen, von sich sprechen zu lassen, in welchem Sinne es auch sei. Trogus Pompejus sagt vom Herostratus und Titus Livius vom Manlius Capitolinus, daß sie begieriger nach einem großen als nach einem guten Namen gewesen. Dies Gebrechen ist gewöhnlich. Wir geben uns mehr Mühe darum, daß man, als wie man von uns spreche, und es genügt uns schon, daß unser Name durch der Leute Mäuler laufe, wie auch der Lauf beschaffen sein möge. Es scheint, man gebe schon gewissermaßen sein Leben und dessen Dauer in die Verwahrung der Menschen, denen man bekannt geworden. Ich meinesteils halte dafür, daß ich nur bei mir daheim bin, und von meinem anderen Leben, das in der Bekanntschaft meiner Freunde besteht, wenn ich solches ohne Schleier und bloß an und für sich selbst betrachte, so fühle ich, daß ich davon keinen anderen Nutzen oder Genuß ziehe als durch die Eitelkeit einer phantastischen Meinung. Und wenn ich tot bin, werde ich noch weit weniger davon empfinden und also den Gebrauch der wirklichen Nutzbarkeiten, die zuweilen zufälligerweise daraus entstehen, ganz rein verlieren. Ich werde keinen Berührungspunkt mehr finden, woran ich den Ruhm fassen, noch der Ruhm, woran er mich fassen, noch zu mir gelangen könne. Denn mir zu versprechen, daß mein Name ihn erlangen werde, so habe ich erstlich keinen Namen, der so ganz ausschließlich der meinige wäre; von den beiden, die ich habe, ist der erste meinem ganzen Geschlecht gemein, ja sogar noch einigen anderen: es gibt eine Familie in Paris und eine in Montpellier, welche den Zunamen Montaigne führen, eine andere in Bretagne und Saintonge, die sich de la Montaigne nennt. Die Versetzung einer einzigen Silbe kann unsere Wappenschilder so vermischen, daß ich teil an ihrem Ruhm und sie vielleicht an meiner Schande nehmen, und wenn die Meinigen ehedem noch den Zunamen Eyquem geführt haben, so ist das ein Name, den noch eine bekannte Familie in England führt. Was meinen zweiten Namen betrifft, so gehört er jedem zu, der Lust hat, ihn zu nehmen. Also ehre ich vielleicht einen Karrenschieber an meiner Stelle. Und endlich, wenn ich auch ein besonderes Merkzeichen für mich allein hätte, was kann es dann bezeichnen, wenn ich nicht mehr bin; kann es die Nichtigkeit bezeichnen und begünstigen?

Nunc levior cippus non imprimit ossa

Laudat posteritas; nunc non e manibus illis,

Nunc non e tumulo fortunataque favilla,

Nascuntur violae163?

Doch hierüber habe ich schon anderwärts gesprochen. Im übrigen, wenn in einer Schlacht zehntausend Mann zu Krüppeln oder totgeschossen worden, so spricht man kaum von fünfzehn. Es gehört eine gewisse Größe des Standes und der Geburt oder irgendeine wichtige Folge dazu, welche das Glück miteinander verbindet, um eine Tat nicht nur eines Gemeinen, sondern eines Offiziers von Rang mit Ruhm zu erheben. Denn ein oder zwei oder zehn Menschen zu töten oder sich dem Tode tapfer entgegen zu stellen, ist zwar schon für jeden von uns etwas, denn wir setzen alles gegen alles; für die Welt aber sind das sehr gewöhnliche Sachen; sie sieht derselben täglich so viele, und es gehört so vieles dergleichen dazu, um eine auf fallende Wirkung zu tun, daß wir keinen besondern Ruhm und Empfehlung erwarten dürfen.

Casus multis hic cognitus, ac iam

Tritus, et e medio fortunae ductus acervo164.

Von soviel tausendmal tausend tapfern Männern, welche in Frankreich seit fünfzehnhundert Jahren mit den Waffen in der Hand gestorben sind, sind keine hundert, deren Gedächtnis bis auf uns gekommen ist. Die Namen nicht nur der Kriegshäupter, sondern selbst der Schlachten und Siege sind in Vergessenheit begraben. Die Besitzungen des halben Teils der Welt rücken aus Mangel an Registern nicht aus ihrer Stelle und verschwinden ohne Dauer. Wenn ich die unbekannten Begebenheiten aufgezeichnet besäße, so glaube ich, wollte ich damit sehr leicht die bekannten in allen Arten von Beispielen verdrängen. Wie, daß selbst von den Römern und Griechen, von so vielen seltenen und edlen Taten, welche so viele Zeugen und Schriftsteller hatten, so wenige auf uns gekommen sind?

Ad nos vix tenuis famae perlabitur aura165.

So wird es schon sehr viel sein, wenn in hundert Jahren von hier man sich nur noch so obenhin erinnert, daß zu unseren Zeiten in Frankreich bürgerliche Kriege geführt worden sind. Die Lakedämonier opferten, wenn sie in ein Treffen gingen, den Musen, damit ihre Taten schön und würdig beschrieben werden möchten, und hielten dafür, es sei nicht gemeine Gunst der Götter, wenn schöne Heldentaten Zeugen fänden, welche solchen Leben und Unsterblichkeit geben könnten. Meinen wir, daß bei jeder Flintenkugel, die uns trifft, oder bei jeder Gefahr, die uns überkommt, gleich ein Notarius bei der Hand sei, der darüber ein Protokoll aufnehme? Und hundert solche Protokollisten möchten sich dennoch darunter finden, deren Tagebücher wohl nicht über acht Tage alt werden und keinem Menschen zu Gesicht kommen würden. Wir haben von den Schriften der Alten nicht den tausendsten Teil. Es ist das Glück, welches ihnen ein längeres oder kürzeres Leben schenkte, nachdem es ihm beliebte; und es ist uns erlaubt zu zweifeln, ob das, was wir davon besitzen, nicht gerade das schlechteste sei, da wir das übrige nicht gesehen haben. Von geringfügigen Dingen schreibt man keine Geschichte. Der Held muß ein Heer geführt haben, womit er ganze Königreiche und Provinzen erobern konnte; er muß zweiunddreißig große Schlachten gewonnen haben und immer in schwächerer Anzahl als die Feinde, wenn er es dem Cäsar gleichtun will, in dessen Gefolge zehntausend brave Waffenbrüder, unter denen sich große Feldherrn befanden, tapfer und herzhaft in den Tod gingen und deren Namen nicht länger gedauert haben, als solange ihre Weiber und Kinder lebten.

Quos fama obscura recondit166.

Selbst von denjenigen, die vor unseren Augen großtun, spricht man nach drei Monaten oder drei Jahren, nachdem sie geblieben, ebenso wenig, als ob sie gar nicht dagewesen wären. Ein jeder, der nach richtigem Maß und Verhältnis beobachtet, von was für Leuten und von was für Taten sich Andenken und Ruhm in den Büchern erhält, wird befinden, daß in unserm Jahrhundert wenig Taten geschehen und wenig Personen vorhanden gewesen, die darauf mit Recht Anspruch machen könnten. Wieviel tapfere und tugendhafte Menschen haben wir ihren Ruhm überleben gesehen, welche es erduldeten, daß in ihrer Gegenwart der Ruhm und die Glorie erlosch, die sie mit allem Recht in jüngeren Jahren erworben hatten? Und um drei Jahre eines solchen phantastischen Lebens in der Einbildung sollten wir unser wahres, wesentliches Leben in die Schanze schlagen und uns zu einem immerwährenden Tode verbinden? Der Weise setzt sich bei einer so wichtigen Unternehmung einen schöneren und gerechteren Zweck vor. Recte facti, fecisse merces est: officii fructus, ipsum officium est167. Es wäre vielleicht einem Maler oder anderen Künstler oder auch an einem Rhetoriker oder Grammatiker zu entschuldigen, wenn er Schweiß und Mühe darauf verwendete, sich durch seine Werke einen großen Namen zu machen. Handlungen der Tapferkeit und Tugend aber sind schon an und für sich zu edel, um einen anderen Lohn zu suchen als in ihrem eigenen Wert, am wenigsten solchen in der Nichtigkeit menschlicher Urteile zu suchen. Wenn gleichwohl diese falsche Meinung dem Publikum dazu dient, die Menschen in ihrer Pflicht zu erhalten; wenn das Volk dadurch zur Tugend erweckt wird; wenn es den Großen der Erde zu Herzen geht, zu sehen, wie die Welt das Andenken eines Trajanus segnet und das eines Nero verwünscht, wenn es sie erschüttert, daß der Name dieses großen Scheusals, welches einst so fürchterlich und schrecklich war, jetzt durch den ersten besten Schüler, der es unternehmen will, so dreist und frei verflucht und beschimpft wird, so mag sie immerhin zunehmen und mag man sie sosehr in Ansehen erhalten, als man nur immer kann.

Und Plato, der alles anwendet, seine Bürger tugendhaft zu machen, rät ihnen gleichfalls, die gute Meinung der Völker nicht zu verachten, und sagt, es geschehe durch eine göttliche Eingebung, daß selbst nichtswürdige Menschen zuweilen in Worten und Meinungen die guten und bösen Handlungen richtig zu unterscheiden wissen. Dieser große Mann und sein Pädagog sind darum vortreffliche und kühne Werkmeister, daß sie allenthalben die göttliche Vermittelung und Offenbarung hinzutun, wo menschliche Kräfte zu kurz kämen. (Aus dieser Ursache geschah es vielleicht, daß ihn Timon spottweise den großen Orakeldrechsler hieß.) Ut tragici poëtae confugiunt ad Deum, cum explicare argumenti exitum non possunt168. Weil die Menschen wegen ihres Unvermögens sich nicht hinlänglich mit guter Münze bezahlen können, so mag man immerhin falsche dazu nehmen. Alle Gesetzgeber haben sich dieses Mittels bedient, und gibt es keine Staatsverfassung, worin man nicht einige Beimischung fände, entweder von feierlicher Eitelkeit oder trüglichen Meinungen, welche zum Zügel dienen, um das Volk in Pflicht und Ordnung zu erhalten. Und daher kommt es, daß die meisten ihren fabelhaften Ursprung und Anfang haben und reich sind an übernatürlichen Mysterien. Das ist es, was die unechten Religionen in Aufnahme gebracht und ihnen die Gunst auch der Verständigen verschafft hat; und daher, um ihre Menschen zu besseren Gläubigern zu machen, speisten Numa und Sertorius dieselben mit der dummen Erzählung, der eine, daß ihm die Nymphe Egeria, der andere, daß ihm sein weißes Reh alle die Ratschläge von den Göttern zubrächte, welche er ihnen bekanntmache; und daher auch das Ansehen, welches Numa seinen Gesetzen, unter Vorspiegelung des Schutzes dieser Göttin, erwarb. Zoroaster, Gesetzgeber der Baktrianer und Perser, gab seine Gesetze den Seinigen unter dem Namen des Gottes Oromazes; Trismegistus den Ägyptern unter dem Namen der Vesta; Charondas, der Gesetzgeber der Chalcidier, wollte seine Gesetze vom Saturnus haben; Minos, der Gesetzgeber der Candier, vom Jupiter; Lykurg, der Lakedämonier, vom Apoll. Draco und Solon, der Athenienser, von der Minerva. Und jede Staatseinrichtung hat ihren Gott an der Spitze; einen falschen die übrigen, einen wahren diejenige, welche Moses dem jüdischen Volke beim Ausgang aus Ägypten gab. Die Religion der Beduinen, wie der Reisebeschreiber de Joinville erzählt, lehrt unter anderen Dingen, daß die Seele desjenigen unter ihnen, der für seinen Prinzen stürbe, in einen anderen glücklicheren, schöneren und stärkeren Körper fahre, als sein voriger gewesen: vermittelst dieses Glaubens waren sie weit williger, ihr Leben zu wagen.

In ferrum mens prona viris, animaeque capaces

Mortis, et ignavum est rediturae parcere vitae169.

Das nenne ich mir doch einen heilsamen Glauben! Laß ihn so trüglich sein, als er will! Jede Nation findet bei sich von dergleichen Beispielen mehr als eins; aber dieser Gegenstand verdient eine eigene Abhandlung. Um nur noch ein Wort über meinen ersten Satz zu sagen: Ich würde dem weiblichen Geschlecht ebenso wenig raten, ihre Pflichten mit dem Namen Ehre zu belegen: Ut enim consuetudo loquitur, id solum dicitur honestum, quod est populari fama gloriosum170. Ihre Pflicht ist das Mark; ihre Ehre ist nur die Rinde. Auch rate ich ihnen nicht, uns diese Entschuldigung als Zahlung für ihre Weigerung zu geben; denn ich setze voraus, daß ihre Absichten, ihr Wunsch und Wille, Dinge, mit denen die Ehre nichts zu schaffen hat, weil solche nicht äußerlich auffallen, noch strenger geordnet sind als ihr Tun und Lassen.

Quae, quia non liceat, non facit, illa facit171.

Das Vergehen gegen Gott und gegen das Gewissen wäre ebenso groß im Vorsatz als in der Vollbringung; und dazu noch sind es Handlungen, die ohnehin insgeheim und im verborgenen geschehen, und wäre es also sehr leicht, daß sie einige derselben der Wissenschaft anderer entzögen, wovon die Ehre abhängt, wenn sie keine andere Achtung für ihre Pflicht hätten, und für die Neigung, die sie für die Keuschheit hegen. Jeder ehrliche Mensch würde eher den Verlust seiner Ehre wählen als den Verlust eines reinen Gewissens.

 

Von der Gewissensfreiheit.

Man sieht sehr gewöhnlich, daß gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten. In dem Streit, durch welchen Frankreich anjetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei ohne Zweifel diejenige, welche die alte Religion und alte Verfassung des Landes verficht. Gleichwohl sieht man unter den redlichen Leuten, welche daran hängen (denn ich spreche nicht von solchen, die sich derselben zum Vorwand bedienen, um teils ihre persönliche Rache zu befriedigen, teils ihrem Geiz oder dem günstigen Glück der Prinzen zu folgen, sondern von denen, die aus wahrem Eifer für ihre Religion handeln und aus inniger Liebe zum Frieden und Wohl ihres Vaterlandes), von diesen, sage ich, sieht man viele, welche durch Leidenschaft die Grenzen der Billigkeit überschreiten und zuweilen ungerechte, gewalttätige und dabei unüberlegte Entschlüsse fassen. Es ist dabei wahr, daß zu den ersten Zeiten, da unsere Religion anfing, mit den Gesetzen ein hohes Ansehen zu gewinnen, der Eifer vieler Leute gegen alle Arten von heidnischen Büchern bewaffnete, wodurch die Literatur einen ungeheuren Verlust erlitten hat. Meines Bedünkens hat diese Wut der Gelehrsamkeit mehr Schaden zugefügt als alles Feuer der Barbaren. Cornelius Tacitus ist davon ein glaubwürdiger Zeuge: denn obgleich der Kaiser Tacitus, sein Anverwandter, mit seinen Annalen, durch ausdrückliches Gebot, alle Bibliotheken der Welt geziert hatte: so hat doch nicht ein einziges vollständiges Exemplar den gierigen Klauen derjenigen entwischen können, welche solche unterdrücken wollten, weil sich fünf oder sechs wenig bedeutende Stellen darin befanden, die unserer Religion nachteilig schienen. Auch das hatten sie an sich, daß sie allen Kaisern, die uns günstig waren, gern und leicht falsche Lobsprüche beilegten und durchgängig alle Handlungen derer verdammten, welche es nicht mit uns hielten, wie leicht zu ersehen ist am Kaiser Julian, dem sie den Beinamen der Apostat oder der Abtrünnige beigelegt haben. Es war in der Tat ein sehr großer und seltener Mann, ein Mann, der seine Seele mit den Grundsätzen der Philosophie erfüllt hatte und öffentlich bekannte, daß er nach solchen alle seine Handlungen einrichte; und in der Tat wüßte ich keine Art von Tugend, von welcher er nicht ein sehr merkwürdiges Beispiel hinterlassen hätte. In Absicht auf die Keuschheit, wovon der Lauf seines Lebens ein sehr helles Zeugnis gibt, liest man von ihm einen ähnlichen Zug wie vom Alexander und vom Scipio. Er wollte von verschiedenen schönen weiblichen Gefangenen nicht einmal eine einzige sehen, da er noch in der Blüte seiner Jugend stand (denn er ward von den Parthern getötet, da er noch nicht volle einunddreißig Jahre war). In Absicht auf Gerechtigkeit gab er sich selbst die Mühe, die Parteien anzuhören, und ob er gleich aus Neugierde diejenigen, die vor ihn kamen, zu fragen pflegte, von welcher Religion sie wären, so gab doch die Feindschaft, die er gegen die unsrige hegte, der Waagschale nicht den geringsten Ausschlag. Er machte selbst verschiedene gute Gesetze und erließ einen großen Teil der Subsidien oder Auflagen, welche seine Vorweser erhoben hatten.

Wir haben zwei gute Geschichtschreiber, die Augenzeugen von seinen Handlungen waren. Einer derselben, Marcellinus, erklärt sich an verschiedenen Stellen seiner Geschichte sehr bitter über eine Verordnung, durch welche er allen christlichen Rhetorikern und Grammatikern die Hörsäle verbot und verschloß, und Marcellinus sagt dabei, er wünsche, daß diese Handlung Julians in Vergessenheit begraben werden möchte. Es ist wahrscheinlich, daß wenn Julian etwas Bitteres gegen uns unternommen hätte, Marcellinus es nicht verschwiegen haben würde, weil er unserer Partei sehr geneigt war. Der Kaiser war uns freilich nichts weniger als gewogen, gleichwohl war er kein grausamer Feind, denn selbst unsere Anhänger erzählen von ihm folgende Geschichte. Als er eines Tages um die Stadt Chalcedon spazierenging, unterstand sich Maris, der Bischof des Ortes, ihn einen Gottlosen, einen Verräter Christi zu nennen. Er tat hierauf weiter nichts, als daß er ihm antwortete: »Geh, Elender, und beweine den Verlust deiner Augen!« Worauf der Bischof abermals versetzte: »Ich danke meinem Herrn Jesus Christus, daß er mir das Gesicht benommen, um dein unverschämtes Gesicht nicht zu sehen«; wobei der Kaiser, wie sie sagen, eine philosophische Geduld affektiert haben soll. Was aber auch daran sei, so kann man doch dieses nicht wohl unter die Grausamkeiten aufzählen, die er, wie man sagt, gegen uns verübt haben soll. Er war, sagt Eutropius (mein zweiter Zeuge), ein Feind der Christenheit, aber ohne Blut zu vergießen. Und um hier auf seine Gerechtigkeit zu kommen, so kann man daran weiter nichts tadeln als die Strenge, womit er im Anfang seiner Regierung diejenigen behandelte, welche der Partei des Constantinus, seines Vorwesers, gefolgt waren. Was seine Mäßigkeit anbetrifft, so führte er beständig das Leben eines Kriegsmannes und nährte sich in vollem Frieden als ein Mann, welcher sich auf die Beschwerlichkeiten und den Mangel des Krieges vorbereiten und daran gewöhnen will.

Seine Enthaltsamkeit vom Schlaf ging so weit, daß er die Nacht in drei oder vier Teile einteilte, davon er den kürzesten dem Schlaf überließ, die übrigen wandte er an, selbst in Person sein Lager und seine Wachposten zu untersuchen und zum Studieren; denn unter anderen seiner seltenen Eigenschaften befand sich auch die, daß er in allen Arten von Literatur etwas Vorzügliches leistete. Man erzählt von Alexander dem Großen, daß er ein Gefäß vor sein Bett setzen lassen und aus Besorgnis, daß ihn der Schlaf in seinen Gedanken und Studieren überschleichen möchte, wenn er in seinem Bett lag, in eine seiner Hände eine kupferne Kugel nahm, die er hinaushielt, damit, wenn ihn der Schlaf überfiel und die Finger erschlaffen, das Geräusch, welches diese Kugel durch ihren Fall in das Gefäß machte, ihn aufwecke. Julian spannte seine Seele so stark auf das, was er wollte, und war durch seine besondere Enthaltsamkeit so frei von aller Benebelung, daß er dieses Kunststückchens nicht bedurfte.

In Rücksicht seiner Kriegswissenschaft war er in allem, was ein großer Feldherr wissen muß, vortrefflich. Auch war er fast sein ganzes Leben hindurch unaufhörlich mit dessen Ausübung beschäftigt, und den größten Teil desselben bei uns in Frankreich, gegen die Alemannen und Franken. Wir finden schwerlich Nachricht von einem Mann, der mehr Gefahren überstanden oder seine Person öfters bloßgestellt hätte. Sein Tod hat etwas Ähnliches mit dem Tode des Epaminondas; denn er ward von einem Pfeil getroffen und versuchte ihn auszureißen; er hatte es auch getan, da aber der Pfeil scharf war, so verwundete ihm solcher die Hand und machte sie unbrauchbar. Er befahl alsobald, daß man ihn wieder ins Treffen tragen mußte, um seine Soldaten anzufeuern, welche diese Schlacht ohne ihn sehr herzhaft solange unterhielten, bis die Nacht die kämpfenden Heere trennte. Der Philosophie verdankte er eine sonderbare Verachtung, die er für das Leben und die Dinge dieser Welt hatte. Er glaubte fest an die Unsterblichkeit der Seele.

In Absicht der Religion war er ganz und gar tadelnswürdig. Man hat ihn den Apostaten oder den Abtrünnigen genannt, weil er die unsrige verlassen: gleichwohl scheint mir die Meinung wahrscheinlicher, daß er solche niemals in seinem Herzen gehegt habe, sondern aus Gehorsam gegen die Gesetze nur äußerlich vorgegeben, bis er zur Regierung gekommen. In der seinigen war er so abergläubisch, daß selbst seine Mitgläubigen, die zu seiner Zeit lebten, darüber spotteten; und sagte man, wenn er den Sieg über die Parther erhalten hätte, würde er das Geschlecht der Rinder in der Welt ausgerottet haben, um seiner Opferlust ein Genüge zu tun. Ebenso betört war er von den übernatürlichen Wissenschaften und begünstigte alle Arten von Wahrsagerei. Unter anderm sagte er auf seinem Sterbelager: Er wisse es den Göttern herzlichen Dank, daß sie ihn nicht hätten plötzlich sterben lassen wollen und daß sie ihm Ort und Stunde lange vorher verkündigt hätten: auch keines weichlichen oder feigherzigen Todes, der sich mehr für müßige, verwöhnte Menschen schicke, noch eines schmachtenden, langen oder schmerzhaften, und daß sie ihn würdig befunden hätten, eines edlen Todes zu sterben, auf der Bahn seiner Siege und in der Blüte seines Ruhms. Er hatte eine ähnliche Erscheinung gehabt wie Marcus Brutus, die ihm zuerst in Gallien drohte und hernach wieder in Persien, kurz vor seinem Tode, erschien. Die Worte, welche man ihm in den Mund legt, als er verwundet war: »Du hast gesiegt, Nazaräer«, oder nach anderen: »Sei zufrieden, Nazaräer!«, würden schwerlich vergessen worden sein, wenn solche von meinen Zeugen für wahr gehalten worden, welche sich in der Armee befanden, und alles, bis auf die geringsten Bewegungen und Worte bei seinem Ende angemerkt haben. Sie würden solche ebenso wenig vergessen haben als gewisse andere Wunderbegebenheiten, die man damit verknüpft.

Und, um wieder auf mein Thema zu kommen! Er brütete schon seit langer Zeit, sagt Marcellinus, über dem Heidentum; weil aber sein Heer aus Christen bestand, wagte er es nicht, laut zu werden. Als er sich endlich stark genug sah, um seinen Vorsatz öffentlich kund werden zu lassen, ließ er die Götzentempel wieder eröffnen und tat sein möglichstes, der Abgötterei die Oberhand zu verschaffen. Und um zu seinem Zweck zu gelangen, ließ er die obersten Geistlichen der Christen, von denen, wie er bemerkt hatte, das Volk in Konstantinopel sich getrennt und die wie die Kirche unter sich selbst uneinig waren, zu sich an sein Hoflager kommen und ermahnte sie dringendst, diese inneren Zwistigkeiten beizulegen und jeden ohne Hindernis und Furcht bei seiner Religion verbleiben zu lassen. Diese große Mühe gab er sich in der Hoffnung, daß jene Freiheit die Anzahl der streitenden Kabalen vermehren und das Volk verhindern würde, sich zu vereinigen, und folglich durch Eintracht und allgemeines Einverständnis sich gegen ihn zu verstärken; indem er durch die Grausamkeit einiger Christen bereits erfahren hatte, daß kein Tier dem Menschen fürchterlicher sei als der Mensch.

Das sind ungefähr seine Worte; wobei besonders merkwürdig ist, daß der Kaiser Julian sich, um die Flammen der öffentlichen bürgerlichen Unruhen anzuzünden, eben des Rezeptes der Gewissensfreiheit bediente, welches unsre Könige seit kurzem angewendet haben, um solche zu dämpfen. Einerseits kann man sagen, verschiedenen Parteien den Zügel schießen zu lassen, um in ihren Meinungen fortzugehen, heiße, den Samen der Trennung allenthalben ausstreuen und ihrer Vermehrung die Hand bieten, weil alsdann keine Macht und Zwang der Gesetze mehr vorhanden, welche der Zwietracht Ziel und Grenze setzten. Andererseits könnte man aber auch sagen, daß, wenn man den Parteien die Freiheit lasse, bei ihren Meinungen zu bleiben, man sie durch die Leichtigkeit und Bequemlichkeit abspanne und erschlaffe, und den Sporn stumpfe, der sich durch Seltenheit, Neuheit und Schwierigkeit nur immer mehr schärft. Und so will ich lieber zur Ehre der Frömmigkeit unserer Könige glauben, daß, weil sie nicht konnten, was sie wollten, sie getan haben, was sie konnten.

Was nützlich ist und was ehrlich.

Kein Mensch ist davon frei, daß er nicht zuweilen Lappereien sagen sollte, das Unglück ist nur, daß die meisten solche gar zierlich geben wollen:

Nae iste magno conatu magnas nugas dixerit172.

Mich trifft das aber nicht, die meinigen entfallen mir und machen mir ebenso wenig Mühe, als sie wert sind. Das ist ihnen auch zu raten, denn sobald sie mich nur im geringsten etwas kosteten, so sagte ich ihnen alsobald Heide und Weide auf! Ich mag für solche Spielereien nicht mehr geben und nehmen, als sie wägen. Ich spreche mit meinem Papier, wie ich mit dem ersten besten spreche, den ich bei dem Knopf fasse. Daß das wahr sei, was ich sage, das ist die Hauptsache.

Wem muß die schurkische Hinterlist nicht abscheulich sein, da selbst Tiber sich ihrer nicht bedienen wollte, obgleich ihm solche so vorteilhaft werden konnte? Man schrieb ihm aus Germanien, daß, wenn er wollte, man ihm den Hermann oder Arminius durch Gift vom Halse schaffen wollte. Dies war der mächtigste Feind der Römer, welcher sie unter dem Varus so häßlich zugerichtet hatte, und der einzige, der sie hinderte, sich in jenem Lande auszubreiten. Tiberius ließ antworten, das römische Volk sei gewohnt, sich an seinen Feinden öffentlich, mit den Waffen in der Hand und nicht durch hämische List insgeheim zu rächen; er entsagte dem Nützlichen und wählte das Ehrliche. Es war, wird man mir sagen, ein Großschwätzer. Ich glaube es, das ist von Leuten seiner Profession eben kein Wunder. Aber ein Zeugnis für die Tugend ist im Munde eines Menschen, der sie haßt, nicht weniger gültig, umso mehr, weil ihm die Wahrheit solches wider Willen entreißt und er, wenn er dieselbe auch nicht in seinem Herzen aufnehmen mag, sich doch damit als mit einer Zierde bekleidet.

Unser Bauwerk, es gehe ins Große oder Kleine, ist voller Unvollkommenheit, aber in der Natur ist nichts unnütz, selbst nicht das Unnütze; in dieses Weltall ist nichts hineingelegt, das nicht an seinem rechten Platze stehe. Unser Wesen ist aus kränklichen Eigenschaften zusammengesetzt; Ehrgeiz, Eifersucht, Neid, Rachbegier, Aberglaube, Verzweiflung wohnen uns bei und haben uns in einem so natürlichen Besitze, daß das Bild davon sich sogar an den Tieren wahrnehmen läßt; ja selbst die Grausamkeit, welche ein so unnatürliches Laster ist; denn bei allem unseren Mitleiden fühlen wir doch innerlich eine gewisse sauersüße Empfindung von boshafter Wollust, wenn wir andere neben uns leiden sehen; selbst Kinder fühlen sie:

Suave mari magno, turbantibus aequora ventis,

E terra magnum alterius spectare laborem173.

Und wer den Samen dieser Eigenschaften im Menschen ausrotten wollte, würde die Hauptbedingungen unseres Lebens stören. Ebenso gibt es in allen bürgerlichen Einrichtungen notwendige Ämter, die nicht nur niedrig, sondern sogar widrig sind. Diese Widrigkeiten spielen darin ihre Rolle, und man bedient sich ihrer als Räte in unserer Verbindung, wie man sich des Gifts zur Erhaltung unserer Gesundheit bedient. Wenn sie dadurch Entschuldigung verdienen, weil sie nötig werden, und das Bedürfnis des gemeinen Wesens ihre wahre Eigenschaft vertilgt, so muß man diese Rollen von stärkeren und weniger furchtsamen Bürgern ausführen lassen, welche ihre Ehre und ihr Gewissen aufopfern, wie jene Männer des Altertums ihr Leben fürs Heil ihres Vaterlandes aufopferten; wir anderen, Schwächern übernehmen gern solche Rollen, die leichter und mit weniger Gefahr verbunden sind. Das öffentliche Wohl verlangt, daß man verrate, daß man lüge und daß man metzele. Solche Aufträge wollen wir gehorsameren und geschmeidigeren Leuten überlassen.

Wahrhaftig! Ich habe oft meinen eigenen Ärger darüber gehabt, wenn ich so gesehen, daß Richter durch List oder vorgespiegelte Hoffnung von Gnade und Verzeihung den Verbrecher verleiteten, seine Tat zu bekennen, und dabei allerlei unverschämte Tücke anwendeten. Es würde der Gerechtigkeitspflege zum Vorteil gereichen und selbst dem Plato, der diesen Gebrauch begünstigt, wenn sie mir andere Mittel, die mehr nach meinem Sinne wären, an die Hand geben wollten. Es ist eine hämische Gerechtigkeit, und nach meiner Meinung wird sie durch sich selbst ebensowohl beleidigt als durch andere. Ich antwortete noch vor kurzem, daß ich kaum einen Prinzen eines Privatmanns wegen verraten möchte, dem es sehr leid tun würde, irgendeinen Privatmann eines Prinzen wegen zu verraten, und ich hasse nicht nur alle Betrügereien überhaupt, sondern ich hasse es auch, daß man sich in mir betrüge, und mag dazu nicht einmal weder Stoff noch Anlaß geben.

Are sens