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Bei demjenigen, was ich bei den Parteien und Unterparteien, die uns jetzt zerreißen, unter unseren Prinzen zu verhandeln gehabt habe, nahm ich keine Larve vor und trachtete sorgfältig zu vermeiden, daß sie mich nicht mißverstanden. Die diplomatischen Männer halten sich immer sehr zugeknöpft und stellen sich jederzeit so nachgebend und der Vereinigung so nahe als möglich; ich äußere immer meine Meinung aufs lebhafteste und auf eine mir ganz eigene Art, als gewissenhafter Unterhändler und als ein Neuling, der lieber seinem Geschäft als sich selbst zu nahe treten mag. Unterdessen geschah es bis auf diese Stunde mit solchem Glück (denn das Glück hat dabei den größten Anteil), daß wenige Verhandlungen mit geringerem Verdacht, mit mehr Leichtigkeit und größerer Verschwiegenheit von einer Hand in die andere gegangen sind. Ich habe eine offenherzige Weise, der es leicht wird, Beifall zu finden und sich gleich bei der ersten Bekanntschaft Glauben zu erwerben. Treuherzigkeit und reine Wahrheit fanden zu jederzeit und finden noch ihren Ort und ihre Gelegenheit, wo sie wohl angebracht sind. Dabei ist auch die Freimütigkeit solcher Menschen, welche dergleichen Geschäfte ohne allen eigenen Vorteil besorgen, wenig verdächtig und gehässig, und können solche nach aller Wahrheit die Antwort anwenden, welche Hyperides den Atheniensern gab, als sich solche über den hohen Ton seiner Sprache beschwerten: »Meine Herren, achten sie nicht darauf, ob ich frei rede, sondern darauf, ob ich es tue, ohne etwas zu nehmen und ohne dadurch meine Umstände im geringsten zu verbessern.« Meine Freimütigkeit hat mich auch leicht aus allem Verdacht der Verstellung gesetzt, weil sie nachdrücklich war (denn ich sagte alles frei heraus, es mochte noch so derbe, noch so treffend sein, ich hätte hinter dem Rücken nichts Härteres sagen können) und weil ihr Unbefangenheit und Einfalt deutlich anzusehen war. Von mei nen Verhandlungen suche ich keine anderen Früchte als die Verhandlungen selbst, und begehre solche nicht durch allerlei Verfänglichkeiten in die Länge zu ziehen. Jede hat bei mir ihren besondern Zweck, den sie erreichen mag, wenn sie kann. Übrigens treibt mich keine Leidenschaft, weder des Hasses noch der Vorliebe gegen die Großen, habe auch keinen weder durch Beleidigungen noch Verbindlichkeiten gebundenen Willen. Ich verehre unsere Könige mit bloß gesetzlicher und bürgerlicher Anhänglichkeit, und treibt mich kein besonderer Eigennutz, weder für noch gegen sie zu sein, wofür ich mir selbst vielen Dank weiß. Auch die allgemeine und gerechte Sache zieht mich nur mäßig und ohne Fieberhitze an sich. Ich bin eben nicht zu tiefen und engen Verbindungen und Verpflichtungen geneigt; Wut und Haß liegen nicht in den Pflichten der Gerechtigkeit, und sind Leidenschaften, welche bloß denjenigen dienen, welche nicht aus bloßen Vernunftgründen an ihren Pflichten hangen: utatur motu animi, qui uti ratione non potest174. Alle rechtmäßigen Vorsätze sind an und für sich gemäßigt; wo nicht, so werden sie unrechtmäßig und empörend. Dieserhalben gehe ich allenthalben mit emporgerichtetem Haupt und mit offenem Gesicht und Herzen. Freilich, und ich fürchte nicht, es zu gestehen, würde ich im Notfalle dem St. Michael eine Wachskerze bringen und eine andere seinem Drachen, wenn es den Abend vorher so ausgemacht wäre; der gerechten Partei würde ich bis an den Scheiterhaufen folgen, aber nur bis hinan, wenn es bei mir stände. Mag Montaigne mit dem gemeinen Wesen zugrunde gehen, wenn es die Not heischt; wenn es aber die Not nicht heischt, so will ich es dem Glück sehr wohl nehmen, wenn er gerettet wird. Und so viel Tau, wie mir meine Pflicht in der Hand läßt, werde ich anwenden, ihn über Wasser zu halten. Rettete sich nicht Atticus, der es mit der gerechten Partei, welche unterlag, hielt, durch seine Mäßigung aus dem allgemeinen Schiffbruche der Welt, unter so vielem Wandel und Wechsel der Dinge? Privatmännern, wie er war, ist das leicht, und in solcher Art von Geschäften finde ich, daß man mit Recht und Ehrgeiz entsagen kann, sich freiwillig und von selbst in die Händel zu mischen.

Bei öffentlichen Unruhen und in den Streitigkeiten der Parteien seines Landes hin und her schwankend zu bleiben, sich zu keiner zu halten und sich durch nichts aus seinem Gleichgewicht bringen zu lassen, das finde ich weder schön noch bieder: Ea non media, sed nulla via est, velut eventum exspectantium, quo fortunae consilia sua applicent175. Das mag in Ansehung der Streitigkeiten unter Nachbarn erlaubt sein, und Gelon, Tyrann von Syrakus, ließ solchergestalt seine Gesinnung bei dem Kriege der Barbaren gegen die Griechen unentschieden, indem er zu Delphi eine Gesandtschaft bereithielt, mit Geschenken für diejenige Partei, welcher das Glück zufallen würde, und diesem Gesandtschaftsbefehle, den Zeitpunkt des Sieges wohl wahrzunehmen, um ihn mit den Siegern zu befreunden. In eigenen einheimischen Unruhen, an welchen man notwendigerweise teilnehmen muß, wäre dies eine Art von Verräterei; an einem Mann aber, der dabei weder Amt noch Befehlshaberstelle hat, finde ich es eher zu entschuldigen, wenn er nicht allenthalben hinten und vorn ist; doch bedarf ich dieser Entschuldigung nicht für mich als wie in einem fremden Kriege, an dem nach unseren Gesetzen jedermann nach eigenem Belieben teilnehmen oder nicht teilnehmen darf. Gleichwohl können diejenigen, welche sich gänzlich darauf einlassen, es mit solcher Ordnung und mit solcher Mäßigung tun, daß das Gewitter über ihren Kopf wegziehen kann, ohne sie zu beschädigen. Hatten wir nicht recht, dasselbe vom verstorbenen Bischof von Orléans, Herrn von Morvilliers, zu hoffen? Und ich kenne einige tapfere Krieger unserer Tage von so billigem und sanftem Benehmen, daß sie deswegen immer aufrecht stehenbleiben werden, was für Unfall oder traurigen Glückwechsel der Himmel uns auch vorbereitet. Nach meinem Dafürhalten ist es eigentlich nur die Sache der Könige, es mit anderen Königen aufzunehmen, und lache ich über die unruhigen Köpfe, welche sich so mutwilligerweise in so ungleichen Kampf einlassen; denn man fängt mit einem Prinzen keinen persönlichen Hader an, wenn man öffentlich und herzhaft, der Ehre und seiner Pflicht wegen, gegen ihn zu Felde zieht; wenn der Prinz einen solchen Mann nicht liebt, so tut er noch etwas Besseres, er achtet ihn. Und vorzüglicherweise hat die Sache der Gesetze und die Verteidigung der alten Verfassung dies immer für sich, daß selbst diejenigen, welche aus besondern Nebenabsichten dagegen streiten, deren Verteidiger wenigstens entschuldigen, wenn sie dieselben auch nicht ehren.

Man muß aber nicht, wie wir täglich zu tun pflegen, eine innere Bitterkeit, die aus persönlichem Vorteil und Leidenschaft entspringt, Pflicht nennen; noch ein verräterisches, heimtückisches Betragen Mut und Tapferkeit. Auch nennen die Menschen ihren Hang zur Bosheit und Grausamkeit gern Eifer. Es ist nicht die vermeinte gerechte Sache, welche sie erhitzt, es ist ihr Interesse; sie zetteln den Krieg an, nicht weil der Krieg gerecht ist, sondern weil es Krieg ist.

Nichts steht im Wege, daß man sich nicht ganz gemächlich und gesetzmäßig zwischen Menschen durchbringen könne, welche einander feind sind; man benehme sich nur unter ihnen, wo nicht mit völlig gleicher Freundschaft (denn diese verträgt ein verschiedenes Maß), zum wenigsten so gemäßigt, daß man einem Teil nicht so völlig anhange, daß er von uns alles fordern könne, und begnüge man sich gleichfalls mit einem gemäßigten Anteil an der Gunst beider, und in trübem Wasser hinzugleiten, ohne darin fischen zu wollen.

Die andere Art und Weise, sich dem einen oder dem anderen mit aller seiner Stärke anzubieten, ist noch weniger klug als gewissenhaft. Derjenige, dem zu Gefallen man einen verrät, dem man ebenso willkommen ist, weiß er nicht, daß man bei Gelegenheit es mit ihm ebenso machen wird? Er hält euch für einen ruchlosen Menschen; indes hört er euch an, forscht euch aus, und zieht seinen Nutzen aus eurer Unredlichkeit. Denn die Menschen, welche auf beiden Achseln tragen, sind solange nützlich, als sie zubringen; man muß sich aber wohl hüten, daß sie nicht mehr mitnehmen, als sie sollen.

Ich sage dem einen nichts, was ich dem anderen zu seiner Zeit nicht auch sagen könnte, vielleicht mit etwas verändertem Ton, und erzähle keinem, mit dem ich Verhandlung habe, andere als bekannte und gleichgültige Sachen, oder solche, die allen Teilen nützlich sind. Aber ich wüßte keinen Nutzen, weswegen ich mir erlauben möchte, ihnen eine Unwahrheit zu sagen. Was man meinem Stillschweigen anvertraut hat, das verwahre ich aufs heiligste; aber ich weiche auch soviel als möglich aus, mir Geheimnisse anvertrauen zu lassen. Es ist eine beschwerliche Arbeit für jemanden, der dabei nichts zu schaffen hat, das Geheimnis eines Fürsten zu bewachen. Ich lasse mir gern die Bedingungen gefallen, daß sie mir wenig vertrauen, aber mir fest in alledem trauen, was ich ihnen vortrage. Ich habe immer noch mehr erfahren, als ich gewollt habe. Eine offenherzige, treuherzige Rede erweckt eine ebensolche Gegenrede und macht offen und vertraut wie der Wein und die Liebe. Philippides antwortete nach meiner Meinung dem König Lysimachus sehr weise, als ihn dieser fragte: »Was soll ich dir von meinen Schätzen mitteilen?« – »Was du willst, nur keins von deinen Geheimnissen!« Ich sehe, daß jedermann es übelnimmt, wenn man ihm den Grund der Geschäfte verbirgt, wobei man sich seiner bedient, oder wenn man sich dabei einen oder den anderen Punkt vorbehält; ich meinesteils aber bin damit zufrieden, daß man mir weiter nichts sage, als soviel man will, daß ich ins Licht stellen soll, und verlange nicht, daß das, was ich weiß, meine Worte überschreiten oder ängstlich machen soll. Soll ich ja als ein Werkzeug des Betrugs dienen, so lasse man wenigstens mein Gewissen aus dem Spiele. Ich verbitte es, mich für einen so treuergebenst gehorsamsten Diener zu halten, daß ich dazu tüchtig und geschickt erfunden werde, irgendeinen Menschen zu betrügen. Wer sich selbst untreu ist, der wird es auch leicht seinem Herrn. Aber es sind Fürsten, welche die Menschen nicht halb brauchen wollen und die Dienste verachten, die man ihnen mit Einschränkungen und Bedingungen leisten will. Dagegen hilft nichts. Ich sage ihnen ganz aufrichtig heraus, wie weit ich gehen kann; denn Sklave soll ich nur von der Vernunft sein, und auch das will mir nicht einmal immer glücken; und sie haben unrecht, von einem freien Mann ebensolche Unterwürfigkeit zu ihren Diensten zu fordern und ebensolche Verbindlichkeit als von einem, den sie zum Sklaven gemacht oder gekauft haben oder den das Glück ganz besonders und ausdrücklich an ihren Willen gefesselt hat. Die Gesetze haben mich einer großen Mühe überhoben; sie haben mir einen Herrn gegeben und eine Partei für mich gewählt. Alle andere Oberherrschaft und andere Verbindlichkeit, die nicht damit in Verhältnis steht, ist mir ungültig. Doch will ich damit nicht sagen, daß ich, wenn mich meine Neigung anders leiten wollte, augenblicklich die Hände dazu bieten würde. Der Wille und das Verlangen sind sich selbst Gesetz; die Handlungen aber sind den öffentlichen Gesetzen unterworfen. Dieses mein ganzes Verfahren stimmt nicht so ganz völlig mit unseren Formen überein; es möchte damit nicht auf die Dauer gut gehen und keine große Wirkungen hervorbringen; die Unschuld in leiblicher Gestalt möchte zu unserer Zeit nicht wohl ohne Verstellung negoziieren noch mit wahrem Ja und Nein feilschen und handeln können. Auch sind öffentliche Geschäfte nichts weniger als Wild für meine Lieblingsjagd. Soviel mir meine Lage davon aufträgt, leiste ich in der prunklichsten Form, die mir möglich ist. Als Kind noch ward ich bis über die Ohren hinein versenkt, und es glückte mir; indessen machte ich mich beizeiten davon los. Ich bin nachher oft der Gelegenheit ausgewichen, mich damit zu befassen, habe selten welche angenommen, nie mich dazu gedrängt und habe immer dem Ehrgeiz den Rücken zugekehrt gehalten, freilich nicht wie die Ruderleute, welche rücklings vorwärts treiben, doch auf eine solche Weise, daß wenn ich mich nicht darauf eingelassen habe, ich solches weniger meinem Entschluß als meinem guten Glück zu verdanken habe; denn es gibt Wege, die meinem Geschmack nicht so sehr zuwider und meinen Kräften angemessener sind; und wenn es mich ehedem auf diesen zum öffentlichen Dienst der Welt und dadurch zu Ansehen und Würden hätte berufen wollen, so weiß ich, daß ich über die Gründe meiner Vernunft hinweggeschritten sein würde, um dem Rufe zu folgen. Diejenigen, welche gewöhnlich gegen mein Bekenntnis sagen, was ich in meinen Sitten Freimütigkeit, Unbefangenheit und Einfachheit nenne, sei Kunst und feine Verschlagenheit und vielmehr Klugheit als Güte, mehr studiertes als natürliches Betragen, mehr Verstand als Glück, die legen mir dadurch mehr Ehre bei, als sie mir entziehen; gewiß aber machen sie meine Feinheit gar zu fein, und wer mir auf der Spur gefolgt und in der Nähe mich beleuchtet hat, dem will ich gewonnen geben, wenn er nicht eingestehen muß, daß es in ihrer Schule keine Regel gibt, welche diese natürliche Bewegung hervorbringen und den Anschein von zwangloser Freiheit behaupten könne, die bei alle den krummen und verschiedenen Wegen sich immer so gleich und unverschroben wäre, und daß all ihr Sinnen, Bestreben und alle ihre Werkzeuge es nicht bis dahin bringen können. Der Pfad der Wahrheit ist einfach und gerade; der Weg des persönlichen Nutzens und des Heils der Geschäfte, welches man auf sich hat, ist doppelt, ungerade und ungewiß. Ich habe oft eine nachgemachte, erkünstelte Freimütigkeit anwenden gesehen, die meiste Zeit aber ohne allen Erfolg. Es geht damit gern wie dem Esel beim Aesop, welcher, um dem Hund es gleichzutun, sich gar liebreicherweise mit beiden Vorderklauen über die Schultern seines Herrn herwarf; aber indessen der Hund über eine ähnliche Freundlichkeit geliebkoset ward, erhielt der arme Esel dafür doppelt soviel Prügel. Id maxime quemque decet, quod est cuiusque suum maxime176. Ich will der Betrügerei ihre Würde nicht nehmen, das hieße sich sehr schlecht auf die Welt verstehen; ich weiß, daß sie sehr oft sehr nützliche Dienste geleistet hat und daß sie die meisten Stände der Menschen er nährt und erhält. Es gibt Untaten, die als gesetzlich erlaubt im Schwange gehen, so wie viele Handlungen, die entweder gut oder zu entschuldigen sind, von den Gesetzen bestraft werden.

Die an sich natürliche und allgemeine Gerechtigkeit hat an und für sich bessere und edlere Regeln als die andere spezielle und Nationalgerechtigkeit, welche unter dem Zwange der Staatseinrichtung steht: Veri juris germanaeque justitiae solidam et expressam effigiem nullam tenemus; umbra et imaginibus utimur177. So meinte der weise Dandamys, als er die Lebensbeschreibung des Sokrates, Pythagoras und Diogenes vorlesen hörte, es wären in allem übrigen sehr große Männer gewesen, nur hätten sie eine zu große Unterwürfigkeit gegen die Gesetze bezeigt; weil die wahre Tugend, um die Gesetze in Ansehen zu erhalten und solche zu unterstützen, so viel von ihrer ursprünglichen Kraft aufopfern müsse, und weil verschiedene Schlechtigkeiten nicht nur durch ihre Erlaubnis, sondern durch ihre Verfügung stattfänden. Ex senatusconsultis plebisquescitis scelera exercentur178. Ich folge der gewöhnlichen Sprache, welche einen Unterschied unter nützlichen und ehrlichen Dingen macht, indem sie natürliche Handlungen, die nicht nur nützlich, sondern auch notwendig sind, unredlich und schmutzig nennt.

Aber laß uns bei unserm Beispiel von Verräterei bleiben; zwei Prätendenten zum Thrakischen Reiche gerieten in Händel über ihre Rechte. Der Kaiser verhinderte sie, zu den Waffen zu greifen; aber einer von beiden, unter dem Vorwand, einen friedlichen Vergleich zu treffen, wenn sie sich persönlich sprächen, hatte seinen Mitwerber zu einem Gastmahl in sein Haus gebeten, ließ ihn gefangennehmen und töten. Die Gerechtigkeit verlangte, daß die Römer diese Missetat bestraft hätten; die Schwierigkeit, die dabei war, verhinderte den gewöhnlichen Weg. Was die Römer nicht gesetzmäßig, ohne Krieg und ohne Wagstück vermochten, unternahmen sie, durch eine Verräterei auszurichten; was sie auf eine redliche Weise nicht konnten, taten sie auf eine nützliche Weise, wozu sich ein gewisser Pomponius Flaccus geschickt befand. Dieser, als er unter verstellten Worten und Versicherungen den Mann in sein Netz gelockt hatte, schickte ihn, anstatt der versprochenen Ehre und Gunst, an Händen und Füßen gebunden gen Rom. Ein Verräter verriet den anderen gegen die tägliche Gewohnheit; denn sie sind gewöhnlich sehr mißtrauisch und es hält hart, sie in ihrer Kunst zu übertölpeln; wie die schwere Hand der Erfahrung uns belehrt.

Sei Pomponius Flaccus wer da will, und es mag wohl viele geben, die es sein wollen. Ich meinesteils behaupte, mein Wort und meine Treue müsse, wie alle übrigen Stücke, von einem Tuch sein. Ihr bester Endzweck ist zum Dienst des gemeinen Wesens, das halte ich einmal für allemal für vorausgesetzt; eben aber so, wie wenn man mir beföhle, ich sollte Oberrichter und Prokurator und Advokat zugleich sein, ich antworten würde: Ich versteh' das nicht; oder wenn man wollte, ich sollte die Schanzgräber bei einer Festung anführen, ich sagen würde: Ich bin zu einer würdigeren Rolle berufen; ebenso wenn mich jemand gebrauchen wollte, zu lügen, zu verraten, einen Meineid zu schwören, um irgendeines wichtigen Nutzen willen, wenn auch gleich kein Meuchelmord oder keine Vergiftung dabei von mir gefordert würde, so würde ich sagen: Hab' ich jemanden beraubt oder bestohlen, so schickt mich lieber hin auf die Galeeren; denn es ist einem ehrlichen Mann erlaubt, ebenso zu reden wie die Lakedämonier in ihren Unterhandlungen mit dem, welcher sie geschlagen hatte: Du kannst uns zu schweren und drückenden Verrichtungen verdammen, das steht in deinem Willen, aber zu schimpflichen und entehrenden, das steht keinesweges, auch wenn du es noch so sehr willst, in deiner Gewalt. Jedermann muß sich selbst zugeschworen haben, was die ägyptischen Könige die Richter ihres Landes aufs feierlichste beschwören ließen, daß sie niemals ihrem Gewissen entgegenhandeln wollten, die Könige möchten ihnen auch noch so sehr das Gegenteil befehlen. Bei solchen Aufträgen liegt immer offenbar Schimpf und Schande zugrunde, und wer euch solche gibt, ist euer Ankläger, und gibt sie euch, wenn ihr es recht begreift, als Bestrafung. Soviel die öffentlichen Angelegenheiten durch eine solche Verrichtung sich bessern, ebenso sehr verschlimmern sich die eurigen. Je besser ihr einen solchen Auftrag ausrichtet, je größer ist der Schimpf, den er euch zuzieht, und es wird eben nichts Neues sein, auch vielleicht nicht ohne scheinbare Gerechtigkeit, daß euch derjenige selbst bestraft, der euch dazu angestellt hat.

Wenn in irgendeinem Fall Verräterei zu entschuldigen wäre, so möchte es in dem einzigen sein, wenn sie dazu angewandt wird, einen Verräter zu verraten und zu bestrafen. Es gibt der Fälle genug, wo Verräterei nicht nur von denjenigen selbst, denen zum Besten sie geschehen sollte, abgelehnt, sondern sogar bestraft wurde. Wer kennt nicht das Urteil des Fabricius über einen Arzt des Pyrrhus?

Aber auch das findet man noch, daß jemand den Verrat befahl, und solchen hernach an dem, welchen er dazu angestellt hatte, aufs strengste bestrafte, indem er es nicht an sich kommen lassen wollte, daß er eine so grenzenlose Macht besäße und einen so niederträchtigen, knechtischen, bübischen Gehorsam verlangt habe. Jaropolk, russischer Zar, beredete einen ungarischen Edelmann, den König Boleslaus von Polen zu verraten, und ihn entweder zu ermorden oder den Russen Gelegenheit zu verschaffen, ihm eine starke Schlappe anzuhängen. Dieser Ungar übernahm die Sache mit vieler Geschicklichkeit und diente dem König noch emsiger als zuvor, so daß er in seinen geheimen Rat und unter seine Treuesten aufgenommen wurde. Bei diesen Vorzügen und weil er die gelegene Zeit wahrnahm, da sein König abwesend war, verriet er den Russen Wisilicz, eine große und reiche Stadt, welche ganz verheert und zum Schutthaufen verkehrt wurde, wobei nicht nur alle ihre Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts und Alters niedergemacht wurden, sondern auch noch ein Teil des umherwohnenden Adels, den er des Endes dahin versammelt hatte. Jaropolk, nachdem er seine Rache und seinen Zorn, welche gleichwohl nicht ohne Grund waren (denn Boleslaus hatte ihn stark und durch ein ähnliches Verfahren beleidigt), nun an der Furcht dieser Verräterei gesättigt und die Häßlichkeit derselben nackt und bloß vor sich sah und mit kaltem, nicht weiter von seiner Leidenschaft brausenden Blicke betrachtete, empfand darüber eine so starke Reue und einen so heftigen Unwillen, daß er ihrem Vollstrecker die Augen ausstechen und Zunge und Schamteile ausreißen ließ.

Antigonus überredete die Soldaten des Argyraspides, ihm den Eumenes, ihren obersten Befehlshaber, seinen Gegner, in die Hände zu liefern. Aber kaum hatte er solchen, nachdem sie ihn überliefert, töten lassen, als er selbst den Bevollmächtigten der göttlichen Gerechtigkeit vorstellen wollte, um ein so abscheuliches Verbrechen zu bestrafen, und die Verräter den Händen des Statthalters der Provinz mit dem ausdrücklichen Befehl übergab, sie zu töten und hinzurichten, auf welche Weise es auch geschehen möge. Dergestalt, daß von der ganzen großen Anzahl dieser Soldaten nicht ein einziger den Boden von Mazedonien wieder betrat. Je besser sie ihn bedient hatten, desto boshafter und strafbarer hielt er sie.

Der Sklave des P. Sulpicius, der den heimlichen Aufenthalt seines Herrn verraten hatte, wurde, freilich nach dem Versprechen des Sylla, freigelassen, aber um zugleich dem Versprechen der Staatsgerechtigkeit genugzutun, vom tarpejischen Felsen gestürzt.

Und unser König Chlodowig ließ die drei Bedienten des Cannacres aufhängen, anstatt ihnen die goldnen Waffen zu geben, die er ihnen versprochen hatte, als er sie überredete, ihren Herrn zu verraten. Man läßt die Verräter an den Galgen hängen und bindet ihnen die Beutel an den Hals, worin sich die Bezahlung ihres Bubenstücks befindet. Wenn man seinem zweiten und besondern Versprechen ein Genüge getan, so leistet man auch dem ersten und der allgemeinen Gerechtigkeit ein Genüge.

Als Mohammed der Zweite sich wegen Sicherstellung der Thronfolge, nach dieses Stammes Gewohnheit, seines Bruders entledigen wollte, bediente er sich dazu eines Offiziers, welcher denselben dadurch aus der Welt brachte, daß er ihn eine Menge Wasser auf einmal hinunterschlucken ließ, woran er erstickte. Als das geschehen war, übergab Mohammed den Mörder zum Versöhnungsopfer des Totschlagens der Mutter des Erwürgten (denn sie waren Brüder von einem Vater und zwei Müttern). Diese schnitt in seiner Gegenwart dem Mörder den Leib auf, griff hinein und riß ihm das Herz aus, welches sie den Hunden vorwarf. Selbst solchen Menschen, die im Grunde nichts taugen, kommt es süß vor, nachdem sie einmal Vorteil aus einer schlechten Handlung gezogen haben, einen Zug von Güte und Gerechtigkeit daran heften zu können, der sie nicht viel kostet und das Ansehen gibt, als ob ihr Gewissen zarter geworden sei und sie sich bessern wollten. Dazu kommt noch, daß sie die Werkzeuge solcher scheußlichen Untaten als Leute betrachten, die ihnen solche vorwerfen und daher durch ihren Tod die Zeugen und Mithelfer dieser schändlichen Ränke aus der Welt schaffen.

Oder wenn man vielleicht einem Verräter den Lohn seiner Mühe erteilt, um im Notfall für das Wohl des Staates ein solches außerordentliches und verzweifeltes Mittel wieder anwenden zu können, so hält derjenige, der diesen Lohn erteilt, den Verräter, wenn er es nicht selbst ist, für ein verruchtes Scheusal und verabscheut ihn noch weit mehr als selbst derjenige, an welchem er den Verrat verübte. Denn er greift ja die Bosheit des Verräters mit Händen, der sich gegen ihn keinesweges verstellen kann; gleichwohl bedient er sich seiner, gerade wie man sich eines verlornen Menschen bedient als eines Vollstreckers der Urteile des Kriminalrichters, welches zwar ein nützliches Gewerbe ist, aber dennoch für unehrlich gehalten wird. Außer der Schimpflichkeit solcher Aufträge läuft auch etwas mit unter, was das Gewissen befleckt. Als die Tochter des Sejanus, nach gewissen rechtlichen Formen, die in Rom üblich waren, nicht mit dem Tode bestraft werden konnte, weil sie Jungfrau war, ward sie, um den Rechten freien Weg zu lassen, vom Nachrichter geschwächt, bevor er sie erdrosselte; nicht nur die Hand, sondern auch die Seele eines solchen Büttels sind blinde Werkzeuge, deren sich der Staat zu seiner Bequemlichkeit bedient.

Als Amurath der Erste, um die Strafe derjenigen noch peinlicher zu machen, welche zu dem vatermörderischen Aufruhr seines Sohnes die Hände gereicht hatten, befahl, daß die nächsten Anverwandten diese ihre Hinrichtung mit eigenen Händen vollziehen sollten, fanden sich einige dieser Verwandten, welche sich lieber ungerechterweise für Mitschuldige des Vatermordes halten lassen als der Gerechtigkeit durch eigenen Verwandtenmord dienen wollten, und das war nach meiner Meinung ehrlich gehandelt. Und wenn ich in einigen elenden Festungen, die man zu meiner Zeit einnahm, Schurken gesehen habe, welche, um ihr Leben zu schonen, sich es gefallen ließen, ihre Freunde und Mitgenossen aufzuhängen, so habe ich sie für elendere Geschöpfe gehalten als die gehängten. Man sagt, daß Witthold, ein litauischer Fürst, bei seiner Nation die Gewohnheit einführte, daß ein zum Tode verurteilter Verbrecher sich mit seiner eigenen Hand abtun müsse, weil er es für unbillig hielt, daß ein Dritter, an dem Vergehen Unschuldiger, sein Gewissen mit einem Menschenmord belästigen sollte.

Ein Fürst, der durch dringende Umstände oder durch irgendeinen unerwartet hereinbrechenden Zufall, der seinen Staat in Gefahr setzt, sich genötigt sieht, sein Wort und seine Zusage zu brechen oder sonst auf eine andere Weise gegen seine gewöhnlichen Pflichten zu handeln, muß diese Notwendigkeit für eine göttliche Strafrute halten. Laster ist es nicht, denn er hat seinen eigenen Willen und seine eigene Meinung dem allgemeinen und stärkern Willen unterworfen; aber ein Unglück ist es gewiß. Und einem, der mich fragte, was ist dagegen für ein Mittel, antwortete ich: »Gar keins, wenn er wirklich zwischen beiden Extremen keine Wahl hatte.« Sed videat, ne quaeratur latebra periurio179. Er mußte so handeln; handelte er aber so ohne Widerwillen, war ihm wohl dabei zumute, da er so handelte, so ist das ein Zeichen, daß es mit seinem Gewissen mißlich steht. Fände sich einer, dessen Gewissen so zart wäre, daß ihm keine Heilung eines so verzweifelten Mittels wert schiene, den würde ich deswegen nicht weniger verehren. Er könnte sich auf keine ruhmwürdigere und redlichere Weise zugrunde richten. Wir können nicht alles, so oder so müssen wir oft unser Schiff der bloßen Führung des Himmels, als dem letzten Notanker, anvertrauen. Welcher gerechteren Not spart ein solcher Fürst sich auf? Was ist ihm weniger möglich zu tun als das, was er nicht anders als auf Kosten seiner öffentlichen Treue und seiner Ehre tun kann? Dinge, welche ihm vielleicht lieber sein müssen als seine eigene zeitliche Wohlfahrt und die Wohlfahrt seines Volks. Wenn er mit in den Schoß gelegten Händen weiter nichts tut, als Gott um seine Hilfe anrufen, muß er da nicht hoffen, daß die göttliche Güte ihre außerordentliche Hilfe einer reinen und gerechten Hand am wenigsten versagen werde? Es sind gefährliche Beispiele; seltene und ungebührliche Ausnahmen von unseren natürlichen Regeln; man muß ihnen nachgeben, aber mit großer Mäßigung und Behutsamkeit. Kein persönlicher Vorteil verdient, daß wir ihm zu Gefallen diesen Zwang unserm Gewissen antun; der Vorteil des Staats mache es, wenn er sehr offenbar und sehr wichtig ist.

Timoleon stellte sich glücklich in Sicherheit, aber das Auffallende bei seiner Tat, dadurch, daß er helle Tränen weinte und sich erinnerte, daß eine brüderliche Hand den Tyrannen getötet habe, das war es, was billigerweise sein Gewissen folterte, daß er in der Notwendigkeit gewesen, die öffentliche Wohlfahrt um den Preis der Ehrlichkeit seiner Sitten zu erkaufen. Der Senat selbst, der durch ihn von der Dienstbarkeit befreit worden, wagte es nicht, über eine so ungewöhnliche Tat geradehin zu entscheiden, und war über diesen doppelten Gesichtspunkt derselben in großer Uneinigkeit und Verlegenheit. Als aber die Syrakuser gerade um diese Zeit Gesandte geschickt hatten, um die Korinther um ihren Schutz und um einen Feldherrn zu bitten, der es würdig sei, ihre Stadt wieder in ihrem vorigen Glanz herzustellen, und Sizilien von verschiedenen Tyrannen zu säubern, die es drückten, so deputierte der Rat den Timoleon mit dieser etwas neugewendeten Erklärung: je nachdem er sich wohl oder übel in seiner neuen Stelle betrüge, würde ihr künftiger Ausspruch entweder zugunsten des Befreiers seines Vaterlandes oder zum Nachteil des Brudermörders ausfallen. Diese grillenhafte Entscheidung läßt sich wohl ein wenig entschuldigen; wegen der Gefahr des Beispiels und wegen der Wichtigkeit einer Tat, die auf so widersprechenden Gründen beruht, tat der Senat recht, darüber sein Urteil von sich abzuwenden und auf etwas anderes zu stützen und von anderen Erwägungen abhängig zu machen. Nun aber brachte das Betragen des Timoleon auf dieser Reise ein helleres Licht in seine Sache; denn er betrug sich in allen seinen Unternehmungen und in allen Rücksichten höchst edel und würdig. Und das Glück, welches ihn bei den schwierigsten Unternehmungen begleitete und womit er alle überwand, schien ihm von den Göttern zugesandt zu sein, seine völlige Rechtfertigung zu begünstigen. Der Endzweck der Tat des Timoleon entschuldigt sie, wenn irgendeine entschuldigt werden kann.

Der Vorteil aber, die öffentliche Einnahme zu vermehren, welche der römische Senat bei jener schmutzigen Entscheidung zum Vorwand nahm, die ich im Begriff bin zu erzählen, war nicht wichtig genug, einer solchen Ungerechtigkeit ein Mäntelchen umzuhängen. Gewisse Städte hatten sich auf Verordnung und mit Bewilligung des Senates aus den Händen des L. Sulla losgekauft und für einen bestimmten Preis wieder frei gemacht. Als die Sache von neuem zur Umsprache kam, unterwarf sie der Senat durch seinen Ausspruch von neuem allen Abgaben und erklärte sie des für ihre Freiheit gezahlten Lösegeldes verlustig. Die bürgerlichen Kriege erzeugen oft solche schändliche Beispiele, daß wir die Menschen bestrafen, weil sie uns für ehrlich gehalten haben, wenn wir es nicht waren, und daß ein und derselbe Richter uns die Folgen seiner Sinnesänderungen fühlen läßt, wofür wir nichts konnten. Der Schulmeister stäupt seinen Schüler wegen seiner Gelehrigkeit und der Leiter seinen Blinden; entsetzliches Bild der Gerechtigkeit.

In der Philosophie gibt es falsche und unhaltbare Regeln. Das Beispiel, welches man uns vorlegt, um den persönlichen Vorteil wichtiger zu machen als die gegebene Zusage, erhält von den Umständen, unter welchen man den Fall voraussetzt, nicht Gewicht genug. Räuber haben uns gefangen, in Freiheit gesetzt und einen Eid abgenommen, ihnen eine gewisse Summe zu bezahlen. Man hat unrecht, zu sagen, daß ein ehrlicher Mann seinen Eid nicht zu halten und das Geld nicht zu bezahlen brauche, wenn er ihren Händen entgangen ist. Das ist falsch. Das, was die Furcht mich einmal hat wollen lassen, bin ich gehalten, auch ohne Furcht zu wollen, und hätte die Furcht auch nur meine Zunge gezwungen, ohne den Willen, so bin ich dennoch gehalten, meinen Worten treu zu sein. Was mich betrifft, wenn zuweilen meine Zunge unüberlegterweise früher gesprochen, als ich gedacht hatte, habe ich mir dennoch immer ein Gewissen daraus gemacht, sie Lügen zu strafen. Sonst würden wir nach und nach dahin geraten, alle Rechte zu vernichten, die ein Dritter aus unseren Versprechungen erhält. Quasi vero forti viro vis possit adhiberi180.

In einem einzigen Punkt hat das persönliche Interesse das Gesetz für sich, und wir können uns mit gutem Gewissen berechtigt halten, unsere Zusage zu brechen, wenn wir nämlich etwas, das an sich unrecht und schädlich ist, versprochen haben. Denn das Recht der Tugend geht dem Rechte unserer Verbindlichkeit vor.

Oben habe ich den Epaminondas auf die höchste Stufe vortrefflicher Menschen gesetzt, und nehme mein Wort nicht zurück. Bis wie weit kam bei ihm die Erwägung seiner eigenen Pflichten in Anschlag? Niemals tötete er einen Menschen, den er überwunden hatte. Nicht einmal des unschätzbaren Gutes wegen, seinem Vaterland die Freiheit wieder zu schaffen, konnte er es über sein Gewissen bringen, einen Tyrannen oder seine Helfershelfer ohne vorgängige gerichtliche Untersuchung zu töten, und hielt denjenigen für einen schlechten Menschen, so ein guter Bürger derselbe übrigens auch sein mochte, der unter seinen Feinden und selbst in der Feldschlacht seinen Freund oder nur Gastfreund nicht verschonte. Er hatte wirklich eine höchst vortreffliche Seele. Er vereinigte mit den härtesten, gewaltsamsten Handlungen der Menschheit Güte und Menschenfreundlichkeit, ja die allersanfteste, die man nur in der Schule der Philosophen lernen kann. War es Natur oder Kunst, welche diesen so großen Mut, der sich gegen Schmerz, Tod und Armut so mächtig steifte, bis zu dem Grade einer außerordentlichen Sanftheit und Gutherzigkeit abschliff? Fürchterlich durch Stahl und Blut beugte und demütigte er eine Nation, welche jedem unüberwindlich war, nur ihm nicht, und ließ mitten in dem Getümmel solcher Schlacht seine Freunde und Gastfreunde unversehrt davonkommen. Traun, der schickt sich wohl am besten zum Führer des Krieges, der solchem das Gebiß der Sanftmut im Augenblick seiner größten Hitze ins Maul legen kann, so erhitzt er auch sei und so sehr er vor Wut und Blutdurst schäumen mag. Es ist höchst selten, mit dergleichen Handlungen nur einigen Schein von Gerechtigkeit verbinden zu können; aber allein der Unbiegsamkeit des Epaminondas war es möglich, Sanftheit und Leichtigkeit der weichsten Sitten und der reinsten Unschuld damit zu verbinden. Pompejus sagte zu den Mamertinern, daß Statuten gegen bewaffnete Menschen keine Gültigkeit hätten, Cäsar zu einem Tribun des Volks, daß die Zeiten der Gerechtigkeit und die Zeiten des Krieges ganz verschieden wären, Marius, das Geräusch der Waffen hindre ihn, die Stimme des Gesetzes zu vernehmen; Epaminondas aber ward nicht einmal verhindert, die Stimme der Höflichkeit und Gesittetheit zu vernehmen. Borgte er nicht von seinen Feinden den Gebrauch, den Musen zu opfern, wenn er in den Krieg zog, um durch ihre holde Sanftmut die Heftigkeit und Wut des Krieges zu mildern? Laßt uns nach einem so großen Lehrer nicht fürchten, die Meinung zu gestehen, daß man sich gewisse Dinge selbst gegen den Feind nicht erlauben dürfe; daß das gemeinsame Interesse nicht alles von allen gegen das persönliche Interesse verlangen dürfe - Manente memoria, etiam in dissidio publicorum foederum, privati juris181, Et nulla potentia vires Praestandi, ne quid peccet amicus, habet182-; und daß einem Biedermann weder für den Dienst seines Königs noch für das allgemeine Beste und die Gesetze gleich alles erlaubt sei. Non enim patria praestat omnibus officiis, ... et ipsi conducit pios habere cives in parentes183. Es ist eine Lehrvorschrift zu rechter Zeit. Wir brauchen unsere Herzen nicht durch eiserne Klingen zu verhärten; genug, wenn unsere Schultern nur eisern sind, genug, daß wir unsere Federn in Tinte tunken, wozu soll das Schreiben mit Blut? Wenn es Größe des Mutes ist und Wirkung einer sonderbar ausgezeichneten, seltenen Tapferkeit, die Freundschaft zu verachten, seiner geselligen Verhältnisse, Verwandten und Zusagen wegen des allgemeinen Bestens und des Gehorsams gegen die Obrigkeit zu vergessen, so kann es uns wahrhaftig schon hinlänglich entschuldigen, wenn wir nach dieser Größe nicht sehr lüstern sind, daß sie sich mit dem Mut des Epaminondas nicht vertragen konnte. Ich verabscheue das wütende Aufhetzen jener anderen schändlichen Seele:

... Dum tela micant, non vos pietatis imago

Ulla, nec adversa conspecti fronte parentes

Commoveant; vultus gladio turbate verendos184.

Laß uns den ruchlosen, blutgierigen und falschen Gemütern diesen Vorwand des Rechts benehmen! Fort mit dem ungeheuren Rechte, das an sich selbst nagt, und halten wir uns an menschlichere Nachbildungen. Wieviel vermögen nicht Zeit und Beispiele! In einem Scharmützel während des bürgerlichen Krieges gegen den Cinna hatte ein Soldat des Pompejus, ohne es zu wollen, seinen Bruder getötet, der sich in der Gegenpartei befand, und erstach sich selbst auf der Stelle vor Scham und Reue. Einige Jahre nachher, während eines anderen bürgerlichen Krieges unter demselben Volk, begehrte ein anderer Soldat von seinen Anführern eine Belohnung dafür, daß er seinen Bruder getötet habe.

Man urteilt nicht richtig von der Schönheit und Rühmlichkeit einer Tat, wenn man bloß auf ihren Nutzen Rücksicht nimmt, und es ist ein Fehlschluß, wenn man meint, wenn eine Tat nur nützlich sei, so sei gleich jedermann dazu verpflichtet, und sei sie für jedermann ehrlich:

Omnia non pariter rerum sunt omnibus apta185.

Wir wollen die notwendigste und nützlichste Verbindung des geselligen Lebens zum Beispiel nehmen, das ist der Ehestand. Gleichwohl hat man im Rat der Heiligen das Gegenteil ausgemacht! Hält den ehelosen Stand für ehrlicher und untersagt den Ehestand der ehrwürdigsten Klasse von Männern, gerade als ob wir in unseren Stutereien nur die schlechtesten Hengste zu Beschälern aufstellen wollten.

Über die Nachteile, welche mit Hoheit und Größe verknüpft sind.

Weil sie uns nicht ins Maul fallen will, so wollen wir uns durch Nackenschläge rächen, und doch heißt es nicht ganz und gar eine Sache afterreden, wenn man Mängel und Fehler daran findet. Die finden sich an allen Dingen, sie mögen noch so schön und bewundernswürdig sein. Überhaupt genommen haben Hoheit und Größe diesen sichtlichen Vorzug, daß sie sich herablassen, wenn es ihnen gefällt, und so ziemlich die Wahl haben, hoch oder niedrig zu stehen. Denn man fällt nicht von jeder Höhe herab; es gibt deren, von welchen man herabsteigen kann, ohne zu fallen. Wohl deucht es mich, daß wir ihr einen zu großen Wert beilegen und auch die Entschlossenheit derjenigen überhoch schätzen, von welchen wir gesehen und gehört haben, daß sie die Hoheit verachtet oder sich derselben freiwillig begeben haben. Das Wesen der Hoheit bringt ersichtlicherweise so vielen Vorteil nicht, daß man derselben ohne Wunder nicht entsagen könnte. Ich finde es viel schwerer, das Unglück zu ertragen. Mit einem Mittelmaß von Glück hingegen zufrieden zu sein und Größe und Hoheit zu fliehen, daran sehe ich nichts Schwieriges. Das ist eine Tugend, deucht mich, zu der ich, ob ich gleich nur ein Gimpel bin, mich ohne große Anstrengung hinaufschwingen könnte. Was sollten es nicht diejenigen, welche noch den Ruhm in Anschlag bringen, der mit dieser Entbehrung verbunden ist, und vielleicht mehr Ehrgeiz besitzen als Verlangen und Empfindung nach Größe und Empfänglichkeit für ihren Genuß? Umso mehr, da der Ehrgeiz mit seinen Begierden gern auf Schleifwegen einhergeht.

Ich stärke Herz und Sinn zur Geduld und schwäche sie gegen ihre Begierden. Mir bleibt ebenso viel zu wünschen übrig als einem anderen, und ich lasse meinen Wünschen ebenso viel Freiheit und Unbesonnenheit. Bei alledem ist mir's noch niemals eingefallen, mir Reiche und Kronen zu wünschen noch die Höhe der Herrscherstellen. So vornehme Dinge mir zu wünschen, dazu hab' ich mich zu lieb. Wenn ich denke, zu wachsen, so geht es immer im niedrigen Wachstum, unter Messer und Schere, dergleichen sich für mich schickt, an Entschlossenheit, an Klugheit, an Gesundheit, an Schönheit und auch wohl an Reichtum. Aber das hohe Ansehen und die mächtige Größe erdrücken meine Einbildungskraft. Und als Cäsars Widerspiel würde ich lieber der Zweite oder Dritte in meiner Provinz als der Erste in der Hauptstadt sein; und gewiß und wahrhaftig wäre ich lieber der Dritte als der Erste an Amt und Würden in Paris. Ich mag nicht so arm und unbekannt sein, daß ich mich mit dem Schweizer an der Tür herumkabeln müßte noch mir durch das dicke Gedränge, welches Verehrung um mich sammelt, den Weg öffnen lassen. Die Mittelstraße, auf welche mein Schicksal mich versetzt, ist ganz nach meinem Geschmack. Auch bewies ich durch meine Aufführung, daß ich nicht sowohl suchte als vielmehr vermied, über die Stufen des Glücks hinwegzuschreiten, auf welche der liebe Gott mich durch meine Geburt versetzte. Alle natürliche Verfassung ist an sich gleich gerecht und leicht. So habe ich eine etwas träge Seele und messe das gute Glück nicht nach seiner Höhe, sondern nach der Leichtigkeit, mit welcher ich es erreichen kann.

Aber, bin ich auch nicht hochherzig, so bin ich doch offenen Herzens, und es befiehlt mir, seine Schwachheit dreist bekanntzumachen. Wenn ich eine Vergleichung anstellen sollte zwischen dem Leben des L. Thorius Balbus, eines biedern, schönen, gelehrten, gesunden Mannes, dem alle Arbeiten von Genuß und Vergnügen reichlich zu Gebote standen, der ein ruhiges unabhängiges Leben führte, dessen Seele fest war gegen Tod, gegen Aberglauben, gegen Schmerzen und was sonst noch für Sorgen des Lebens sein mögen, der endlich in einer Schlacht, mit den Waffen in der Hand, zur Verteidigung seines Vaterlandes starb, und dem Leben des Marcus Regulus, groß und herrlich und weltkundig wie sein treffliches Ende, das erste ohne Namen und Würde, das andere exemplarisch und in höchstem Grade berühmt: so würde ich gewiß wie Cicero darüber sprechen, wenn ich mich ebensogut auszudrücken verstünde. Sollte ich aber eine Anwendung davon auf mein eigenes Leben machen, so würde ich auch sagen, das erste sei ebenso sehr meinen Wünschen und Fähigkeiten gemäß, weil ich meine Wünsche nach meinen Fähigkeiten einschränke, wie das zweite weit über dieselben hinaus; an dieses zweite reicht nur meine Bewunderung, jenes erste möchte meine Nachahmung gern erreichen.

Kehren wir wieder zu unserer zeitlichen Größe zurück, von welcher wir ausgingen. Ich bin des Befehlens und Gehorchens müde. Otanes, einer der Sieben, welche recht hatten, auf das Persische Reich Anspruch zu machen, ergriff eine Maßregel, die ich auch gern ergriffen hätte. Er überließ seinen Mitwerbern sein Recht, dazu durch Wahl oder durchs Los zu gelangen, mit dem Bedinge, daß er und die Seinigen in diesem Reich ohne alle Unterwürfigkeit und Herrlichkeit leben könnten, ausgenommen gegen die alten Gesetze, und jede Freiheit genießen sollten, welche diesen nicht widerspräche. Er mochte ebenso wenig befehlen, als unter Befehlen stehen.

Das sauerste und schwerste Handwerk der Welt ist nach meiner Meinung die würdige Verwaltung des Königtums. Ich entschuldige an einem König viel mehr Fehler, als man gewöhnlich zu tun pflegt, wenn ich die ungeheure Last seiner Pflichten erwäge, vor der ich erschrecke. Es ist schwer, bei einer so ungemessenen Gewalt das rechte Maß zu halten. Gleichwohl ist es selbst für solche Personen, deren Herz und Geist nicht von der höchsten Vortrefflichkeit sind, ein sonderbarer Reiz zur Tugend, auf einen Platz gestellt zu sein, woselbst man keine edle Handlung ausübt, die nicht in Rechnung gebracht werde und auf welchem jede, auch die geringste Wohltat auf so viele Menschen Einfluß hat; wo Geschicklichkeit im Benehmen, wie bei den Predigern, hauptsächlich an das Volk gerichtet ist, an einen Richter, der es nicht sehr genau nimmt, der leicht zu täuschen und leicht zu befriedigen ist. Es gibt wenige Dinge, die wir ganz richtig beurteilen können, weil es wenige gibt, an welchen wir nicht auf eine oder die andere Weise einen persönlichen Anteil nehmen. Das Herrschen und das Gehorchen, die Herrlichkeit und die Untertänigkeit sind zu gegenseitiger Eifersucht und Widerspenstigkeit verbunden; sie müssen sich beständig einander beengen. Ich glaube keiner von beiden, wenn sie mir die Rechte der anderen erklären will. Laß die Vernunft darüber sprechen, welche unparteiisch und unbestechbar ist, wenn wir es nur dahinbringen können, ihre Stimme zu vernehmen. Es ist noch keinen Monat her, als ich zwei Werke von Schottländern durchblätterte, die sich über diesen Gegenstand zankten. Der Volksfreund setzt den König tiefer herab als einen Kärrner; der Königsfreund erhebt ihn an Gewalt und Machtvollkommenheit einige Klafter hoch über die Gottheit.

Die Beschwerlichkeit der Größe aber, welche ich wegen einiger Veranlassungen, die mir kürzlich darüber aufstiegen, hier zu bemerken mir vorgesetzt habe, besteht in folgendem. In dem Umgang mit Menschen ist vielleicht nichts lustiger anzuschauen als der Eifer um Ehre und Tapferkeit, womit wir in Leibes-oder Geistesübungen einer dem anderen zuvoreifern. Daran nimmt die Fürstengröße niemals wahren Anteil. In der Tat ist es mir oft vorgekommen, als behandle man dabei aus übergroßem Respekt die Prinzen niedrig und verächtlich. Denn was mich in meiner Kindheit unendlich verdroß, daß meine Gegner nie Ernst aus der Sache machten, weil sie mich für unwürdig hielten, ihre Kräfte gegen mich anzuwenden, das widerfährt den Fürsten alle Tage, weil sich jedermann für unwürdig hält, sich mit ihnen zu messen. Wenn man es ihnen nur im geringsten anmerkt, daß sie in irgendeiner Sache gern den Vorzug haben möchten, so beeifert sich gleich jedermann, ihnen solchen zu lassen, und schlägt lieber seinen eigenen Ruhm in die Schanze, als daß er ihnen den ihrigen nicht ganz lassen sollte. Man beut gegen sie gerade nur so viel Kraft auf, als nötig ist, sie mit Ehren gewinnen zu lassen. Welchen Anteil haben sie an einem Gefecht, wo jedermann für sie ficht? Mich deucht, ich sehe die Ritter der Vorwelt mit bezauberten Leibern und Waffen zum Ringen und Fechten in die Schranken treten. Crisson, der mit dem Alexander um die Wette lief, ließ ihn mit Fleiß überwinden. Alexander schalt ihn darüber; aber er hätte ihn dafür sollen geißeln lassen. In dieser Hinsicht sagte Carneades: Fürstenkinder lernen nichts gründlich als Pferde behandeln; denn in allen anderen Übungen gibt jeder ihnen nach und gewonnen. Ein Pferd aber, welches weder ein Schmeichler noch Hofschranz ist, wirft den Sohn eines Königs ebensogut ab als den Sohn eines Karrenschiebers.

Homer hat sich genötigt gesehen, die Venus, eine so zarte, süße Heilige, im Kampf vor Troja verwundet werden zu lassen, um ihren Mut und ihre Dreistigkeit preisen zu können; Eigenschaften, die niemandem zukommen, der von aller Gefahr befreit ist. Man stellt die Götter vor, wie sie sich erzürnen, fürchten, fliehen, eifersüchtig sind, wehklagen, etwas heftig wünschen und hitzig werden, um sie mit den Tugenden zu beehren, welche unter uns aus diesen Unvollkommenheiten entspringen. Wer nicht teil an der Beschwerlichkeit und dem Wagnis nimmt, kann auch keinen Teil an der Ehre und dem Vergnügen nehmen, welche auf gewagte Handlungen erfolgen. Es ist ein Elend, so allvermögend zu sein, daß sich gleich jedes Ding nach seinem Willen fügt. Der Stand der Großen entfernt sie zu weit von aller Geselligkeit und Gesellschaft und stellt sie zu sehr allein. Diese sogar mühelose Leichtigkeit, alles unter seinen Willen zu beugen, ist eine Feindin aller Arten von Vergnügen. Das heißt fortgleiten, aber nicht gehen, schlafen, aber nicht leben. Man stelle sich einen Menschen vor, der mit Allmacht begabt wäre; er wäre dadurch höchst unglücklich. Er wird gedrungen werden, um Hindernisse und Widerstand wie um Almosen zu bitten. Sein Wesen und sein Vermögen besteht in Dürftigkeit. Die guten Eigenschaften der Fürsten sind erstorben und verloren; denn man erkennt jene nicht als durch Vergleichung, und diese sind über alle Vergleichungen hinaus. Sie haben nur wenige Kunst vom Lobe, weil sie mit beständigem und gleichförmigem wahrem Beifall betäubt werden. Haben sie mit dem Dümmsten ihrer Untertanen zu schaffen, so haben sie nicht die geringste Gelegenheit, sich einen Vorteil über ihn zuzuschreiben; denn wenn er sagt: »Es ist ja mein Herr«, so meint er damit zur Genüge gesagt zu haben, daß er selbst die Hand dazu geboten, sich überwinden zu lassen. Diese Eigenschaft erstickt und vernichtet alle anderen wahren und wesentlichen Eigenschaften; sie sind alle im Königtum vergraben, und man läßt ihnen, um sich eigenen Wert zu geben, nichts übrig als Handlungen, die sich unmittelbar auf sie selbst beziehen und ihnen zu den Verrichtungen ihres königlichen Amtes behilflich sind. Sie sind so sehr Könige, daß sie weiter nichts als Könige sind. Dieser fremde Schein, welcher sie umringt, verbirgt sie und entzieht sie unserm Gesicht. Unser Blick wird durch dieses grelle Licht gebrochen und verstreut. Der Senat sprach dem Tiberius den Preis der Beredsamkeit zu. Dieser schlug ihn aus, weil er dafür hielt, ein so wenig freies Urteil, wenn er es auch verdient hätte, könne ihm keine Ehre machen.

So wie man ihnen alle Vorzüge der Ehre einräumt, so bestärkt und bestätigt man sie auch in allen Fehlern und Lastern, die sie an sich haben, nicht bloß durch Beifall, sondern auch durch Nachahmung. Alexanders ganzes Gefolge trug den Hals schief wie er. Die Schmeichler des Dionysius traten sich in seiner Gegenwart auf die Füße, stießen sich an die Köpfe und warfen alles um, was ihnen vor die Füße kam, um dadurch anzudeuten, sie hätten alle ein ebenso kurzes Gesicht als er. Auch Bruchbänder haben zuweilen zu fürstlichen Gnaden und Gunsten empfohlen. Und weil der Herr seine Gemahlin haßte, so erlebte Plutarch, daß die Hofschranzen den ihrigen, die sie liebten, den Scheidebrief gaben. Was noch mehr ist, der Ehebruch hat seine Zeit gehabt, wo er, wie alle übrigen Liederlichkeiten, in Ehren und Ansehen stand. Desgleichen Falschheit, Gotteslästerung, Grausamkeit, Ketzerei, Aberglauben und Unglauben, Weichlichkeit und noch schlimmere Laster, wenn es schlimmere Laster gibt. Noch gefährlicher war dieses Beispiel als das der Schmeichler des Mithridates, die, weil ihr Herr auf die Ehre Anspruch machte, ein guter Arzt zu sein, sich von ihm schneiden und brennen ließen; denn jene ließen ihre Seelen schneiden und brennen, welche doch ein edlerer und zarterer Teil ist. Aber um zu enden wie ich anfing: Als der Kaiser Adrian mit dem Philosophen Favorinus über die Erklärung eines Worts stritt, gab ihm Favorinus ziemlich bald recht. Seine Freunde beschwerten sich darüber: »Was wollt ihr denn«, antwortete der, »sollte er nicht gelehrter sein als ich? Er hat dreißig Legionen zu seinem Befehl.« Augustus schrieb Verse gegen den Asinius Pollio. »Ich«, sagte Pollio, »lasse das wohl bleiben. Es wäre nicht klüglich, gegen den zu schreiben, der meine Acht unterschreiben kann.« Die Leute hatten beide recht. Als Dionysius dem Philoxenus in der Dichtkunst und dem Plato in der Wohlredenheit nicht gleichkommen konnte, schickte er jenen in die Steinbrüche und ließ diesen als Sklaven auf der Insel Ägina verkaufen.

Man muß seinen Willen beschränken.

Im Vergleich mit gewöhnlichen Menschen rühren mich wenige Dinge, oder um besser zu sagen, fesseln mich wenige. Denn es ist ganz recht, sich von ihnen rühren zu lassen, wenn sie uns nur nicht besitzen. Ich tue mein möglichstes, dieses schon von Natur bei mir ziemlich große Privilegium der Unempfindlichkeit durch Studieren und Nachdenken zu vergrößern. Gar selten will ich daher etwas mit Wärme und bin auf wenig Dinge leidenschaftlich erpicht. Mein Gesicht ist hell, aber ich hefte es auf wenige Gegenstände. Mein Sinn ist zart und weich; meine Fassungskraft aber und ihre Anwendung ist hart und spröde. Es hält hart, ehe ich mich zu etwas verbinde. Soviel ich kann, beziehe ich gern alles auf mich selbst, und selbst hierin möchte ich gern meine Neigung zügeln und im Zaum halten, um nicht von ihr fortgerissen zu werden. Denn am Ende kann ich diese Neigung nicht anders als durch Vergünstigung anderer befriedigen, und das Glück hat darüber ein größeres Recht als ich selbst. Dergestalt, daß selbst in Ansehung der Gesundheit, auf welche ich einen so hohen Wert setze, es mir wohl nötig wäre, sie nicht so heftig zu wünschen und so ängstlich darauf bedacht zu sein, daß ich die Krankheiten unerträglich finde. Man muß in dem Hasse widriger und der Liebe zu angenehmen Empfindungen. Mäßigung beobachten. Auch schreibt Plato einen Mittelweg unter beiden vor.

Was aber solche Empfindungen anbelangt, die mich zerstreuen und an andere heften, so widersetze ich mich ihnen gewiß aus allen Kräften. Meine Meinung ist, man müsse sich anderen Menschen borgen und nur sich selbst zum Eigentum geben. Ich könnte es nicht ausstehen, wenn mein Wille und meine Zuneigung sich so leicht verpfänden und anweisen ließen. Ich bin von Natur und durch Gewohnheit zu weichlich:

Fugax rerum, securaque in otia natus186.

Ein Ringen, wobei ich starken, steifen Widerstand fände, der zuletzt meine Gegner obsiegen machte, ein Ausgang, welcher mein warmes Streben mit Schande überhäufte, würden mein Herz wahrscheinlich bitter nagen. Wenn ich mich so leicht anließe wie andere, so würde meine Seele niemals die Stärke haben, die Unruhen und Gemütsbewegungen zu ertragen, welche denjenigen auf dem Fuße folgen, die sich mit vielerlei Dingen abgeben. Sie würde alsbald durch solche innerliche Bewegungen verrenken. Brachte man mich zuweilen dahin, fremde Geschäfte zu betreiben, so versprach ich solche in die Hände zu nehmen, aber nicht in Lunge und Leber; mich damit zu beladen, nicht, sie mir einzuverleiben; allerdings dafür zu sorgen, aber nicht mich dafür in Feuer und Flammen zu setzen. Ich gab darauf Achtung, aber ich brütete nicht darüber. Ich habe genug damit zu tun, den innern Drang, der mir so nahe in meinen Adern liegt, zu leiten und zu ordnen, ohne fremden Drang auf mich zu nehmen, unter welchem ich erliegen würde, und bin ich schon geplagt genug mit meinen wesentlichen eigenen und natürlichen Angelegenheiten, ohne fremde von den Gassen und Zäunen hereinzurufen. Wer da weiß, wieviel er sich selbst schuldig, zu wieviel Pflichten er gegen sich verbunden ist, findet, daß die Natur ihm einen hinlänglich schweren Auftrag gegeben hat, der keinen Müßiggänger voraussetzt. Du hast reichlich zu schaffen in deinem eigenen Hause, entferne dich von demselben nicht. Die Menschen vermieten sich. Ihre Kräfte dienen nicht ihnen selbst, sondern denjenigen, denen sie sich zu Knechten machen. Ihre Mietsherren wohnen daheim, sie sind in fremden Häusern. Diese gewöhnliche Stimmung gefällt mir nicht. Wir müssen mit der Freiheit! unserer Seele bedächtiglich umgehen und sie niemals verpfänden als bei gerechten Veranlassungen. Und die sind gar nicht häufig, wenn wir sie richtig beurteilen. Man sehe nur die Leute, die so gelehrig sind, sich einnehmen und hinreißen zu lassen, die sind allezeit fertig, zu kleinen Dingen wie zu großen, bei solchen, die sie nichts angehen, wie bei solchen, die sie betreffen. Sie mischen sich ohne Unterschied in alles, wo es nur etwas zu tun gibt, und sind wie ohne Leben, wenn sie ohne unruhige Bewegung sind. In negotiis sunt, negotii causa187. Sie suchen Geschäfte, um geschäftig zu sein. Das geschieht nicht sowohl deswegen, weil sie gehen wollen, sondern weil sie sich nicht ruhig halten können; nicht mehr und nicht weniger, wie ein von der Höhe herabgewälzter Stein sich solange fortbewegt, bis er die Tiefe erreicht hat. Beschäftigung ist für eine gewisse Art Leute ein Zeichen der Geschicklichkeit und Würde. Ihr Geist sucht Ruhe in der Schaukel wie die Kinder in der Wiege. Sie können sich rühmen, gegen ihre Freunde ebenso dienstfertig als sich selbst überlästig zu sein. Niemand verteilt sein Geld unter andere, jedermann seine Zeit und sein Leben. Mit nichts in der Welt sind wir so verschwenderisch als mit diesen Dingen, womit allein zu geizen nützlich und löblich wäre. Ich denke hierin ganz verschieden. Ich lebe in mich selbst gekehrt, wünsche gewöhnlich nur schwach, was ich wünsche, und wünsche wenig. So beschäftige und verwende ich mich auch selten und gleichmütig. Alles, was andre wollen und lenken, wollen sie mit Heftigkeit und Gewalt. Es gibt auf dem Wege des menschlichen Lebens der schlimmen Stellen so viel, daß man um größerer Sicherheit willen nur leicht und oberflächlich auftreten muß; daß es besser ist, hinüberzugleiten als einzusinken. Die Wollust selbst ist schmerzhaft in ihrer Tiefe:

Incedis per ignes Suppositos cineri doloso188.

Der Rat von Bordeaux erwählte mich zum Maire seiner Stadt, als ich fern von Frankreich und noch ferner von solchen Gedanken war. Ich verbat es. Man belehrte mich aber, daß ich unrecht habe, und der Befehl des Königs kam hinzu. Es ist ein Amt, das umso herrlicher scheinen muß, weil dabei kein anderer Gehalt oder Gewinn ist als die Ehre der Verwaltung. Es dauert zwei Jahr, kann aber durch eine neue Wahl verlängert werden, was jedoch selten geschieht. Bei mir geschah es und war vorher nur zweimal geschehen. Vor einigen Jahren dem Herrn de Lansac und neuerdings dem Herrn von Biron, Marschall von Frankreich, an dessen Stelle ich kam. Mir folgte Herr von Matignon, gleichfalls Marschall von Frankreich. Ich war ganz ruhmselig über eine solche edle Genossenschaft.

Uterque bonus pacis bellique minister189.

Das Glück wollte durch diesen sonderbaren Umstand, den es selbst veranlaßte und der gar nicht unbedeutend war, teil an meiner Erhebung nehmen. Denn Alexander wies die Gesandten von Korinth, die ihm die Bürgerschaft ihrer Stadt antrugen, verächtlich ab; als sie ihm aber vorstellten, auch Bacchus und Herkules ständen auf ihrer Rolle, nahm er das Anerbieten mit freundlichem Dank an.

Bei meiner Ankunft gab ich mich treu und gewissenhaft, so wie ich mich fühle und wie ich bin, zu erkennen, ohne Gedächtnis, ohne wachsamen Fleiß, ohne Erfahrung und ohne starke Tätigkeit, so auch ohne Haß, ohne Ehrsucht, ohne Geldgeiz und ohne Gewalttätigkeit; damit die Bürger richtig unterrichtet wären und wüßten, was sie von meiner Anführung zu erwarten hätten. Und weil die Kenntnis von meinem seligen Vater und sein ehrenvolles Andenken sie allein zu diesem Schritt gebracht hatte, so fügte ich mit klaren Worten hinzu, daß es mir sehr leid tun sollte, wenn irgend etwas einen so starken Eindruck auf meinen Willen machte, als ehedem ihre Angelegenheiten und ihre Stadt auf den seinigen gemacht hätten, während er solche in ebender Stelle, wozu sie mich berufen, regierte. Ich erinnerte mich, ihn in meiner Kindheit als einen alten Mann gesehen zu haben, dessen Seele gar sehr durch die öffentlichen Geschäfte hin und her getrieben wurde; der die sanfte Luft seines Hauses vergaß, wo ihn die Schwäche seiner Jahre schon lange Zeit vorher hingeheftet hatte; der seiner Haushaltung vergaß und seiner Gesundheit und gewiß sein Leben nicht achtete, das er in ihrem Dienst auf langen und mühsamen Reisen beinahe verloren hätte. Aber so war er, und diese Art zu denken entstand bei ihm aus einer großen natürlichen Güte des Herzens. Ich habe niemals eine liebreichere, menschenfreundlichere Seele gekannt. Diese Art zu handeln und zu leben, die ich an einem anderen rühme und preise, mag ich selbst nicht gern befolgen, und bin darüber nicht ohne Entschuldigung. Er hatte sagen gehört, man müsse sein Selbst dem Nächsten zuliebe vergessen, und das Einzelne komme gegen das Ganze in keine Betrachtung.

Der größte Teil aller Regeln und Vorschriften der Welt nimmt diese Wendung, um uns aus unserer Ruhe, auf öffentliche Stellen, zum Dienst der bürgerlichen Gesellschaft zu treiben. Sie meinen, was Rechtes getan zu haben, wenn sie uns von uns selbst abwendig machen und zerstreuen, in der Voraussetzung, daß wir nur zu fest an uns selbst hielten, durch ein zu natürliches Band, und haben nichts versäumt, was zu diesem Behuf gesagt werden konnte. Denn es ist für die Weisen nichts Neues, die Dinge so zu predigen, wie sie nützlich, nicht wie sie eigentlich an und für sich sind. Die Wahrheit hat bei uns ihre Hindernisse, ihre Beschwerden und ihre Unvertragsamkeit. Wollen wir uns nicht oft betrügen, so müssen wir oft betrügen, die Augen verbinden und unseren Verstand betäuben, um solche zu berichtigen und zu verbessern. Imperiti enim judicant, et qui frequenter in hoc ipsum fallendi sunt, ne errent190. Wenn sie uns vorschreiben, drei, vier, fünfzig Rangordnungen von Dingen lieber zu haben als uns selbst, so ahmen sie die Kunst der Bogenschützen nach, welche, um einen gewissen Punkt zu erreichen, weit über die vorgesetzte Grenze wegzielen. Wer ein krummes Stück Holz gerademachen will, biegt es nach der gegenseitigen Richtung.

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