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Nisi tu servare puellam

Incipis, incipiet desinere esse mea137.

Es uns völlig überlassen, heißt es uns verächtlich machen. Mangel und Überfluß tun ebendieselbe Wirkung.

Tibi quod superest, mihi quod defit, dolet138.

Die Begierde und der Genuß sind uns beide drückend. Die strenge Sprödigkeit der Geliebten verursacht uns Verdruß; aber ihre Willigkeit und Nachgiebigkeit tut es, die Wahrheit zu sagen, noch mehr; weil die Unzufriedenheit und der Zorn aus der Hochachtung entspringen, in der bei uns die gewünschte Sache steht, und die Liebe schärfen und erhitzen; die Sättigung aber gebiert Ekel. Es ist eine stumpfe, abgenutzte, müde und schläfrige Leidenschaft.

Se qua volet reguare diu, contemnat amantem.

Contemnite, amantes:

Sic hodie veniet, si qua negavit heri139.

Warum brauchte Poppäa die Erfindung, eine Larve vor ihr schönes Gesicht zu nehmen, als solchem bei ihren Liebhabern einen höhern Wert zu geben? Warum hat man bis über die Absätze diese Schönheiten verhüllt und verschleiert, welche jede zu zeigen wünscht, welche jeden gelüstet zu sehen. Warum verdecken sie mit so vielen Gewändern eins über das andere die Teile, die hauptsächlich der Gegenstand unserer Begierden und der ihrigen sind? Und wozu dienen diese großen Reifen, womit neulich unsre Weiber ihre Hüften bewaffnet haben, als unsre Begierden anzukörnen und uns dadurch anzuziehen, daß sie uns in der Ferne halten.

Et fugit ad salices, et se cupit ante videri140.

Interdum tunica duxit operta moram141.

Wozu dient diese jungfräuliche Verschämtheit? Diese ruhige Kälte, diese strengen Mienen, diese ausgekramte Unwissenheit in Dingen, die sie besser wissen als wir, die wir sie darin unterrichten? Wozu anders, als unseren Wunsch nach ihnen zu verstärken; als unser Verlangen zu erhitzen und ihm endlich alle diese Zeremonien und Schwierigkeiten aufzuopfern? Denn es ist nicht nur Vergnügen, sondern auch Ehre dabei, dieses sanfte Widerstreben, diese kindliche Schamhaftigkeit zu überwinden und zu verführen, und eine kalte und gestrenge Ehrbarkeit der Gnade und Ungnade unserer Begierden zu unterwerfen. Es ist eine Ehre, sagt man, über die Bescheidenheit, die Keuschheit und die Mäßigkeit zu triumphieren: und wer den Weibern rät, diese Sitten abzulegen, der wird an ihnen und an sich selbst zum Verräter. Man muß sich stellen, als glaubte man, ihr Herz zittere vor Schrecken; der Schall unserer Worte beleidige die Reinigkeit ihrer Ohren; daß sie uns hassen und unserm Ungestüm aus notgedrungener Not nachgeben. Die Schönheit, so mächtig sie ist, kann sich doch ohne diese Nebenhilfen nicht recht genießbar machen. Man sehe nur in Italien, wo die meiste und die feinste Schönheit käuflich ist, wie sehr sie nach fremden Mitteln und anderen Künsten suchen muß, um sie angenehm zu machen; und bei dem allen bleibt sie dennoch, was sie auch tun mag, da es eine käufliche Ware ist, schwach und wenig gesucht, gradeso wie es selbst mit der Tugend unter zwei ähnlichen Wirkungen geht. Wir halten diejenige für die schönste und die würdigste, welche die meisten Schwierigkeiten und Gefahren zu überwinden hat. Es ist eine Wirkung der göttlichen Vorsehung, zuzulassen, daß ihre heilige Kirche beunruhigt werde, wie wir sie von so vielen Stürmen und Ungewittern beunruhigt sehen, um durch diesen Kampf die frommen Seelen zu erwecken und aus der Lässigkeit und Schläfrigkeit zu reißen, in welche sie eine so lange Ruhe versenkt hatte. Wenn wir den Verlust, den wir durch die Anzahl derjenigen erlitten haben, welche den Weg des Irrtums betreten, gegen den Gewinn aufwägen, der uns dadurch wird, daß es uns wieder in Atem setzt, unseren Eifer und unsere Kraft von neuem belebt, daß wir Anlaß zum Kampf haben, so weiß ich nicht, ob der Schaden so groß sei als der Nutzen. Wir haben geglaubt, das Band unserer Ehen fester zu knüpfen, dadurch, daß wir es ganz und gar unauflösbar machten; aber in eben dem Maß, wie der Zwang fest zugeschürzt hat, in eben dem Maß hat die Verknüpfung des Willens und der Neigung nachgelassen und ist schlaffer geworden. Und im Gegenteil, was in Rom die Ehen solange Zeit in Ehren und Sicherheit erhielt, war die Freiheit, daß jeder, wer nur wollte, sich scheiden konnte. Sie hielten ihre Weiber besser, weil sie solche verlieren konnten, und bei aller uneingeschränkten Freiheit der Scheidung vergingen fünfhundert und mehr Jahre, ohne daß sich jemand derselben bediente.

Quod licet, ingratum est; quod non licet, acrius urit142.

Zu dem Vorgesagten könnte man auch noch die Meinung eines Alten hinzufügen, daß die Todesstrafen die Verbrechen vielmehr häufen als verringern, daß sie nicht den Willen recht zu tun erzeugen (denn das ist das Werk der Vernunft und der Sittenlehre), sondern bloß die Behutsamkeit, sich nicht über den Übeltaten ertappen zu lassen.

Latius excisae pestis contagia serpunt143.

Ich weiß nicht, ob diese Meinung ganz wahr sei, aber dies weiß ich aus Erfahrung, daß niemals eine Polizei dadurch verbessert worden. Ordnung und Regelmäßigkeit der Sitten hängt von ganz anderen Mitteln ab.

Die griechischen Geschichtschreiber erwähnen der Argippäer, eines in der Nachbarschaft von Skythien wohnenden Volks, welche ohne Ruten und Stöcke zum Schlagen lebten, die sich nicht nur niemand getraute anzugreifen, sondern jeder, der sich zu ihnen flüchtete, war in völliger Freiheit, wegen ihrer Tugend und der Heiligkeit ihres Lebens. Keiner war so kühn, dagegen zu verstoßen. Man wandte sich an sie, um Zwistigkeiten auszugleichen, die anderwärts unter Menschen entstanden. Es gibt Nationen, wo die Befriedigung der Gärten und Felder, die man einschließen will, in einem gesponnenen Faden bestehet, die sich sicherer befinden und eingeschlossener als durch unsere Gräben und Hecken. Furem signata sollicitant ... Aperta effractarius praeterit144. Vielleicht dient auch unter anderem die Leichtigkeit, in mein Haus zu kommen, dazu, es vor Gewalttätigkeiten in unseren bürgerlichen Kriegen zu sichern. Verteidigungsanstalten reizen das Unternehmen und Mißtrauen den Angriff. Ich habe das Vorhaben der Kriegsmächte dadurch geschwächt, daß ich ihnen die Schwierigkeiten aus den Augen rücke und zugleich die Gefahr und jeden anderen Stoff zum militärischen Ruhm, der ihnen gewöhnlicherweise zur Entschuldigung und Rechtfertigung dient. Das, was mit Mut getan wird, führt in den Zeiten, wo die Gerechtigkeit so gut als tot ist, immer Ehre bei sich. Ich mache ihnen die Eroberung meines Hauses zur Niederträchtigkeit und Dieberei. Einem jeden, der anklopft, steht mein Haus offen. Zu meiner ganzen Beschützung habe ich nichts weiter als einen Türsteher nach altem Brauch und alter Sitte, welcher nicht sowohl dazu dient, meine Tür zu verteidigen, als sie freundlicher und anständiger zu eröffnen. Ich habe keine andere Haus- oder Schildwache, als welche die Sterne für mich stehen. Ein Landedelmann hat sehr unrecht zu tun, als ob er sich verteidigen wollte, wenn er sich nicht richtig verteidigen kann. Wer nur von einer Seite schutzlos ist, der ist es allenthalben. Unsere Vorväter hatten keinen Gedanken daran, Grenzfestungen zu bauen. Die Mittel anzugreifen, ich meine unsere Häuser ohne Batterien und Kanonen zu überraschen, werden von Tage zu Tage stärker als die Mittel, sich davor hüten. Die Menschen werden von jener Seite immer pfiffiger. Verheeren und verwüsten ist die Sache fast aller; Verteidigen und Beschirmen bloß die Sache der Wohlhabenden. Mein Landsitz war ziemlich befestigt für die Zeit, da er erbaut wurde; von dieser Seite habe ich nichts hinzugetan und würde fürchten, daß seine Haltbarkeit mir selbst zum Nachteil ausschlagen möchte. Dazu kommt noch, daß friedfertige Zeiten es notwendig machen könnten, die Verteidigungswerke zu vermindern. Es ist gefährlich, sie nicht wiederherstellen zu können, und unsicher, sich darauf zu verlassen. Denn in bürgerlichen Kriegen kann es unser Bedienter mit der Partei halten, die wir fürchten. Und wenn nun gar noch die Religion zum Vorwand dienet, da werden selbst Blutsverwandte unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit Menschen, denen man nicht sicher trauen kann. Der öffentliche Schatz erhält unsere Hausbesatzung nicht. Dadurch würde er völlig erschöpft werden. Wir können solche nicht erhalten, ohne zu verarmen, oder wenigstens mit größerer Beschwerde und Lasten, wenn das Volk nicht dazu beitrüge. Der Staat wird durch meinen Untergang nicht sonderlich viel leiden. Übrigens, wenn man dabei zugrunde geht, so halten sich unsre Freunde selbst mehr über unsere Unvorsichtigkeit und Unklugheit auf, als daß sie uns unsere Unwissenheit und die Vernachlässigung unserer Geschäfte beklagen sollten. Daß so viele bewachte Landsitze zerstört sind, wenn andere sich erhalten haben, läßt mich den Verdacht fassen, daß sie sich dadurch geschadet haben, daß sie bewacht waren. Das gibt die Lust und den Vorwand, sie anzugreifen. Alles Bewachen gibt einen Anschein vom Kriege: der mag auch mich überfallen, wenn Gott es will; so viel ist aber gewiß, daß ich ihn nicht herbeirufen werde. Durch meine Ruhe hoffe ich, vor dem Kriege sicher zu sein. Ich tue, was ich kann, um diesen Winkel vom öffentlichen Sturme zu entfernen, wie ich es mit einem anderen Winkel in meiner Seele mache. Mag doch unser Krieg die Gestalt verwandeln, sich vermehren und in verschiedene Parteien verändern, ich meinesteils wanke nicht aus der Stelle. Unter so vielen Landsitzen, die sich bewaffnet haben, bin ich, soviel ich weiß, der einzige meines Standes, der sich, in Ansehung des Meinigen, einzig und allein auf den Schutz des Himmels verlassen hat. Ich habe nicht einmal weder mein Silberzeug noch meine Familienpapiere oder Tapeten in Sicherheit bringen lassen. Ich will mich weder halb fürchten noch halb mich retten. Wenn ein völliges Vertrauen den Schutz des Himmels erwirbt, so wird er mir bis ans Ende angedeihen, wo nicht, so bin ich lange genug dagewesen, um mein Dasein merk- und denkwürdig zu machen. Wieso? Nun, seit dreißig Jahren her.

Über Lob, Preis und Ruhm.

Der Name ist nicht einerlei mit der Sache. Der Name ist artikulierter Schall, welcher die Sache bezeichnet und andeutet; der Name ist kein Teil der Sache oder ihres Wesens; es ist ein fremdes Teilchen, das der Sache beigefügt wird und außer ihr besteht. Gott, der einzig und allein in seiner eigenen Fülle besteht und die Fülle aller Vollkommenheit ist, kann in sich selbst weder wachsen noch sich vergrößern. Sein Name aber kann wachsen und zunehmen durch das Lob und den Preis, den wir ihm über seine geoffenbarten Werke beilegen: welche Lobpreisung wir ihm umso weniger einkörpern können, weil bei ihm kein Zuwachs am Guten möglich ist. Wir richten solche also an seinen Namen, welcher etwas außer ihm, aber ihm am nächsten ist. Dies ist die Art und Weise, wie Gott allein alles Lob und alle Ehre gebührt. Und nichts ist so fern von aller Vernunft, als das geringste davon für uns selbst zu begehren. Denn, da wir arm und inwendig nackt sind, da unser Wesen unvollkommen und unaufhörlich der Verbesserung bedürftig ist, so ist es dies, worauf unser Fleiß und unsere Beschäftigung gehen muß; wir sind alle leer und hohl, und also sollten wir uns nicht mit Wind und Schall anfüllen, wir bedürfen reeller Substanzen, um unsere Kräfte zu erneuern; ein hungriger Mensch wäre wohl sehr einfältig, wenn er eher nach einem hübschen Kleide langte als nach einer nahrhaften Mahlzeit. Nach dem Notwendigsten muß man trachten, wie unser gewöhnliches Gebet besagt: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen. Wir leiden Mangel an Schönheit, Gesundheit, Weisheit, Tugend und mehr dergleichen wesentlichen Dingen; die äußerlichen Zierden lassen sich nachher suchen, wenn wir für die wesentlichen Bedürfnisse gesorgt haben. Die Theologie handelt weitläufiger und treffender über diesen Gegenstand, ich aber bin nicht sehr darinnen gewiegt. Chrysippus und Diogenes sind die ersten und standhaftesten Schriftsteller in Betracht der Verachtung des Ruhms gewesen, und unter allen Wollüsten, sagten sie, wäre keine gefährlicher und sorgfältiger zu vermeiden als diejenige, welche uns der Beifall anderer Menschen gewährt. Wirklich zeigt uns die Erfahrung dergleichen Verrätereien, welche höchst schädlich waren. Nichts in der Welt vergiftet die Fürsten mehr als die Schmeichelei; es ist nichts, wodurch gottlose Buben sich bei ihnen so leicht in Gunst setzen, und keine Kuppelei ist so geschickt oder gewöhnlicher, die Keuschheit der Weiber zu bestechen, als sie mit ihrem eigenen Lob zu beräuchern und zu nähren. Der vornehmste Zauber, welchen die Sirenen gebrauchen, um den Ulysses zu beschleichen, ist von dieser Natur.

Komm, preisvoller Odysseus, erhabner Ruhm der Achaier,

lenke das Schiff landwärts, um unsre Stimme zu hören145.

Jene Philosophen sagten: aller Ruhm von der ganzen Welt sei nicht so viel wert, daß ein verständiger Mensch nur einen Finger ausstrecke, um ihn aufzuheben.

Gloria quantalibet quid erit, si gloria tantum est146?

Ich spreche von Ruhm an und für sich selbst. Denn er hat oft sehr nützliche Folgen, weswegen er wünschenswürdig werden kann: Er erwirbt uns Wohlwollen und schützt uns einigermaßen vor Anfällen und Beleidigungen von anderen Menschen und so mehr dergleichen. Von dieser Beschaffenheit waren auch die Lehrsätze des Epikur. Denn diese Vorschrift seiner Sekte: verbirg dein Leben, welche den Menschen verbietet, sich mit öffentlichen Ämtern und Verhandlungen zu beladen, setzt auch notwendig voraus, daß man den Ruhm verachten müsse, welcher in dem Beifall besteht, den die Welt uns über die Handlungen erteilt, die wir vor ihren Augen verrichten. Derjenige, der uns gebeut, uns zu verbergen und für nichts anderes Sorge zu tragen als für uns selbst; der nicht will, daß wir anderen bekannt seien, der will auch noch weniger, daß wir von ihm geehrt und gerühmt werden; auch widerrät er dem Idomeneus, sich in seinen Handlungen nach der allgemeinen Meinung und Würdigung einzurichten, es sei denn, anderen zufälligen Unbequemlichkeiten auszuweichen, welche ihm die Verachtung der Menschen zuziehen könnten. Diese Lehren sind meines Bedünkens unendlich wahr und vernünftig; aber wir sind, ich weiß nicht wie, doppelsinnig, welches macht, daß wir nicht glauben, was wir glauben, und daß wir uns von dem, was wir an uns selbst verdammen, nicht losmachen können. Man sehe nur die letzten Worte des Epikur, die er kurz vor seinem Tode sagte; ihr Sinn ist groß und eines solchen Philosophen würdig, indessen haben sie doch einen kleinen Anstrich von Empfehlung seines Namens und von diesem Hang zum Ruhm, welchen er durch seine Lehren so sehr verschrien hatte. Hier ist ein Brief, welchen er kurz vor seinem letzten Hauch in die Feder sagte:

Epikur dem Hermachus.

Alles Heil zuvor.

Derweil ich den glücklichsten und damit den letzten Tag meines Lebens erlebte, schrieb ich dieses unter solchen Schmerzen in der Blase und anderen Eingeweiden, die durch nichts vergrößert werden können, indessen werden sie mir einigermaßen vergolten durch das Vergnügen meiner Seele, wenn ich mich an meine Schriften und Abhandlungen erinnere. Du aber nimm Dich, wie es der Liebe und Zuneigung gebührt, die Du von Kindesbeinen an gegen mich bezeigt hast, nimm Dich der Kinder des Metrodorus an und gewähre ihnen Deinen Schutz.

So weit sein Brief, und das, was mich sein Vergnügen, welches er in seiner Seele über seine Schriften und Abhandlungen zu empfinden sagt, so auslegen läßt, daß er dadurch einigermaßen auf den Ruhm zielt, den er dadurch noch nach seinem Tode zu erhalten hofft, das ist die Verordnung in seinem Testament, worin er verlangt, daß Aminomachus und Timokrates seinen Erben jährlich zur Feier seines Geburtstages im Monat Januar die Kosten auszahlen sollen, die Hermachus dazu bestimmen, und auch den Aufwand, der jeden zwanzigsten Tag im Monat zu einer Mahlzeit für Philosophen aufgehen würde, mit denen er in einem vertraulichen Umgange gelebt, die sich zum Gedächtnis seiner und des Metrodorus versammeln sollten. Carneades war das Haupt der entgegenstehenden Meinung, und hat behauptet, daß der Ruhm an und für sich selbst wünschenswert sei; geradeso, wie wir uns derer ihrer selbst wegen annehmen, die nach unserm Tode geboren werden, die wir nicht kennen und wovon wir gar keinen Genuß haben. Diese Meinung hat nicht ermangelt, einen allgemeinen Beifall zu finden, und am gewöhnlichsten befolgt zu werden, wie es mit denen zu geschehen pflegt, die sich am füglichsten nach unseren Neigungen bequemen. Aristoteles gibt ihm den ersten Rang unter den äußern Gütern und sagt: »Vermeide, als zwei gefährliche Extreme, sowohl Ruhm zu suchen als ihn zu fliehen.« Hätten wir die Bücher, welche Cicero über diesen Gegenstand geschrieben hatte, so glaube ich, würden wir gar herrliche Sachen darüber lesen. Denn dieser Mann war dergestalt von dieser Leidenschaft beherrscht, daß er, wie mich deucht, wenn er sich es nur getrauet hätte, gern in das Übermaß gefallen wäre, in welches die anderen verfielen, daß nämlich die Tugend selbst nur insofern wünschenswürdig sei, als sie uns die Ehre erwirbt, die eine beständige Folge derselben ist.

Paulum sepultae distat inertiae

Celata virtus147.

Welche Meinung aber so falsch ist, daß es mich ärgert, daß sie jemals hat in den Kopf eines Menschen kommen können, der die Ehre hatte, ein Philosoph zu heißen. Wenn sie wahr wäre, so dürfte man nur öffentlich tugendhaft sein, und hätten wir mit dem Bestreben der Seele, worin sich eigentlich der wahre Sitz der Tugend befindet, nichts zu schaffen, um sie in Regel und Ordnung zu erhalten, als nur insofern es zur Kenntnis anderer gelangen müßte. Es käme also nur darauf an, mit Feinheit und Behutsamkeit lasterhaft zu sein. Wenn du weißt, sagt Carneades, daß an der Stelle eine Schlange liegt, wo sich ein Mann, ohne es zu vermuten, niedersetzen will, von dessen Tode du Vorteil hast, so handelst du als ein Bösewicht, wenn du ihn nicht warnest, und zwar umso mehr, weil deine Handlung nur dir allein bekannt bliebe. Wenn wir das Gesetz wohlzutun nicht aus uns selbst hernehmen, wenn Impunität für uns Gerechtigkeit ist; in wie viele Arten von Bosheit werden wir dann nicht täglich Gelegenheit haben, uns zu stürzen. Was S. Peduceus tat, als er dasjenige treu herausgab, was C. Plotius ihm ohne jemandes Mitwissen von seinen Reichtümern anvertraut hatte, und desgleichen ich auch selbst getan habe, das finde ich nicht ebenso vieles Rühmens wert, als ich es schändlich finden würde, wenn wir es nicht getan hätten. Und finde es gut und nützlich zu unseren Tagen, das Beispiel des P. Sextilius Rufus anzuführen, welchen Cicero darüber anklagte, daß er wider besser Wissen und Gewissen eine Erbschaft an sich gerissen, obgleich nicht nur ohne Widerspruch der Gesetze, sondern selbst durch die Gesetze. Und M. Crassus und Q. Hortensius, welche wegen ihrer Macht und ihres Ansehens von einem Fremden angegangen wurden, gewisse Anteile aus einem falschen Testamente sich gefallen zu lassen, damit er daraus des Seinigen desto gewisser sein möchte, begnügten sich damit, daß sie mit der Verfälschung des Testaments nichts zu schaffen haben wollten, schlugen aber den Nutzen nicht aus und hielten sich für genug gedeckt, wenn sie vor Anklagen und vor Zeugen und dem Gesetze sicher wären. Meminerint Deum se habere testem, id est (ut ego arbitror), mentem suam148.

Es wäre um die Tugend ein elend jämmerlich Ding, wenn sie ihren Wert nur aus dem Ruhme zöge. Vergebens bestrebten wir uns, ihr einen eigenen Rang einzuräumen und sie vom Glück unabhängig zu machen; denn was ist wohl zufälliger als ein berühmter Name. Profecto fortuna in omni re dominatur: ea res cunctas ex libidine magis, quam ex vero, celebrat obscuratque149. Zu veranstalten, daß die Handlungen sichtbar und bekannt werden, ist bloß ein Werk des Glücks. Das blinde Glück ist es, welches uns aufs Geratewohl den Ruhm austeilt. Ich habe gesehen, wie es sehr oft vor dem Verdienst hergeht und oft in großer Länge über das Verdienst wegschreitet. Derjenige, welcher zuerst den Einfall hatte, den Ruhm mit einem Schatten zu vergleichen, sagte etwas Besseres, als er sagen wollte: beide sind höchst nichtige Dinge. Er geht zu weilen vor seinem Körper her, und zuweilen dehnt er sich weit über die Länge desselben hinaus. Diejenigen, welche den Adel lehren, in der Tapferkeit nichts anderes als Ehre zu suchen, quasi non sit honestum quod nobilitatum non sit150: Was tun sie damit anders, als ihn anweisen, sich niemals anders in Gefahr zu begeben, als wo er gesehen wird, und wohl darauf zu merken, ob auch Zeugen vorhanden, welche die Zeitung von seiner Tapferkeit ausbreiten können; da sich doch tausend Gelegenheiten zu braven Taten ereignen können, ohne daß man sich dadurch merkwürdig mache. Wie viele schöne Taten von Gemeinen werden nicht im Gewühl einer Schlacht begraben? Wer sich aber damit abgibt, andere in einem solchen Treffen zu bemerken, der ist darin eben nicht sehr geschäftig und führt gegen sich selbst das Zeugnis, was er für das Betragen seiner Waffenbrüder aufstellt. Vera et sapiens animi magnitudo, honestum illud, quod maxime natura sequitur, in factis positum, non in gloria, judicat151. Aller Ruhm, auf den ich über mein Leben Anspruch mache, ist, daß ich solches ruhig durchlebt habe; ruhig, nicht nach der Meinung des Metrodorus oder des Arcesilaus oder des Aristipp, sondern nach meiner eigenen. Da die Philosophen keinen Pfad zu finden vermocht, der zur Ruhe führt und gut und allgemein wäre, so muß jeder einen besondern für sich suchen. Wem anders als dem Glücke haben Cäsar und Alexander die so unermeßliche Größe ihres Nachruhms zu verdanken? Wie viele Menschen hat es bei den ersten Schritten auf ihrer Laufbahn umgeworfen, von welchen wir nie etwas gehört haben, welche ebenso viel Tapferkeit mit dahin brachten als jene, wenn ihr unglückliches Geschick sie nicht im ersten Beginnen ihrer Unternehmung plötzlich aufgehalten hätte. Durch alle die außerordentlichen Gefahren hindurch erinnere ich mich, nicht gelesen zu haben, daß Cäsar nur ein einziges Mal verwundet worden. Tausend sind getötet worden in mindern Gefährlichkeiten als die mindeste, durch welche er gegangen ist. Eine unendliche Anzahl schöner Handlungen müssen aus Mangel an Zeugen verlorengehen, bevor eine ihrem Täter zunutze kommt. Man ist nicht immer auf der Höhe einer Bresche oder an der Spitze eines Heers vor den Augen des Heerführers wie auf einem Schafott. Man wird zwischen einer Hecke und einem Graben überfallen; man muß sein Heil gegen eine Scheure versuchen, man muß vier Lumpen von Schützen aus einer Hütte vertreiben, man muß sich allein von seinem Haufen absondern und allein einen Streich wagen, nachdem es die eintretende Notwendigkeit befiehlt. Und wenn man genau darauf achtet, so wird man finden, wie mich wenigstens dünkt, daß die Erfahrung ergibt, wie die am wenigsten glänzenden Begebenheiten gerade die gefährlichsten sind und daß in den Kriegen, die zu unseren Zeiten geführt worden, mehr ehrliche Leute bei leichten und unwichtigen Gelegenheiten umgekommen sind und mehr bei Belagerungen und Verteidigungen von elenden Nestern als bei berühmten und ehrenvollen Örtern.

Wer sein Leben für verschleudert hält, wenn er es nicht bei ausgezeichneten Gelegenheiten verliert, der verdunkelt viel mehr sein Leben als er seinen Tod rühmlich macht, indem er manchen gerechten Anlaß, sich zu wagen, vorüberstreifen läßt. Und jeder gerechte Anlaß ist rühmlich genug. Das Gewissen wird jedwedem Trompete genug sein. Unser Ruhm aber ist, daß wir ein gutes Gewissen haben, sagt St. Paulus. Wer nur deswegen ein Biedermann ist, daß die Welt es wissen soll und ihn desto höher schätzen möge, nachdem sie es erfahren; wer nur deswegen richtig handelt, daß seine Tugend zur Wissenschaft der Menschen gelange, der ist nicht der Mann, von dem man viele Dienste ziehen wird.

Credo che 'l resto di quel verno cose

Facesse degne di tenerne conto;

Ma fur sin da quel tempo si nascose,

Che non è colpa mia, s'or non le conto;

Perchè Orlando a far l' opre virtuose,

Più ch' a narrarle poi, sempre era pronto:

Nè mai fu alcun de' suoi fatti espresso,

Are sens

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