Das Vergehen gegen Gott und gegen das Gewissen wäre ebenso groß im Vorsatz als in der Vollbringung; und dazu noch sind es Handlungen, die ohnehin insgeheim und im verborgenen geschehen, und wäre es also sehr leicht, daß sie einige derselben der Wissenschaft anderer entzögen, wovon die Ehre abhängt, wenn sie keine andere Achtung für ihre Pflicht hätten, und für die Neigung, die sie für die Keuschheit hegen. Jeder ehrliche Mensch würde eher den Verlust seiner Ehre wählen als den Verlust eines reinen Gewissens.
Von der Gewissensfreiheit.
Man sieht sehr gewöhnlich, daß gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten. In dem Streit, durch welchen Frankreich anjetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei ohne Zweifel diejenige, welche die alte Religion und alte Verfassung des Landes verficht. Gleichwohl sieht man unter den redlichen Leuten, welche daran hängen (denn ich spreche nicht von solchen, die sich derselben zum Vorwand bedienen, um teils ihre persönliche Rache zu befriedigen, teils ihrem Geiz oder dem günstigen Glück der Prinzen zu folgen, sondern von denen, die aus wahrem Eifer für ihre Religion handeln und aus inniger Liebe zum Frieden und Wohl ihres Vaterlandes), von diesen, sage ich, sieht man viele, welche durch Leidenschaft die Grenzen der Billigkeit überschreiten und zuweilen ungerechte, gewalttätige und dabei unüberlegte Entschlüsse fassen. Es ist dabei wahr, daß zu den ersten Zeiten, da unsere Religion anfing, mit den Gesetzen ein hohes Ansehen zu gewinnen, der Eifer vieler Leute gegen alle Arten von heidnischen Büchern bewaffnete, wodurch die Literatur einen ungeheuren Verlust erlitten hat. Meines Bedünkens hat diese Wut der Gelehrsamkeit mehr Schaden zugefügt als alles Feuer der Barbaren. Cornelius Tacitus ist davon ein glaubwürdiger Zeuge: denn obgleich der Kaiser Tacitus, sein Anverwandter, mit seinen Annalen, durch ausdrückliches Gebot, alle Bibliotheken der Welt geziert hatte: so hat doch nicht ein einziges vollständiges Exemplar den gierigen Klauen derjenigen entwischen können, welche solche unterdrücken wollten, weil sich fünf oder sechs wenig bedeutende Stellen darin befanden, die unserer Religion nachteilig schienen. Auch das hatten sie an sich, daß sie allen Kaisern, die uns günstig waren, gern und leicht falsche Lobsprüche beilegten und durchgängig alle Handlungen derer verdammten, welche es nicht mit uns hielten, wie leicht zu ersehen ist am Kaiser Julian, dem sie den Beinamen der Apostat oder der Abtrünnige beigelegt haben. Es war in der Tat ein sehr großer und seltener Mann, ein Mann, der seine Seele mit den Grundsätzen der Philosophie erfüllt hatte und öffentlich bekannte, daß er nach solchen alle seine Handlungen einrichte; und in der Tat wüßte ich keine Art von Tugend, von welcher er nicht ein sehr merkwürdiges Beispiel hinterlassen hätte. In Absicht auf die Keuschheit, wovon der Lauf seines Lebens ein sehr helles Zeugnis gibt, liest man von ihm einen ähnlichen Zug wie vom Alexander und vom Scipio. Er wollte von verschiedenen schönen weiblichen Gefangenen nicht einmal eine einzige sehen, da er noch in der Blüte seiner Jugend stand (denn er ward von den Parthern getötet, da er noch nicht volle einunddreißig Jahre war). In Absicht auf Gerechtigkeit gab er sich selbst die Mühe, die Parteien anzuhören, und ob er gleich aus Neugierde diejenigen, die vor ihn kamen, zu fragen pflegte, von welcher Religion sie wären, so gab doch die Feindschaft, die er gegen die unsrige hegte, der Waagschale nicht den geringsten Ausschlag. Er machte selbst verschiedene gute Gesetze und erließ einen großen Teil der Subsidien oder Auflagen, welche seine Vorweser erhoben hatten.
Wir haben zwei gute Geschichtschreiber, die Augenzeugen von seinen Handlungen waren. Einer derselben, Marcellinus, erklärt sich an verschiedenen Stellen seiner Geschichte sehr bitter über eine Verordnung, durch welche er allen christlichen Rhetorikern und Grammatikern die Hörsäle verbot und verschloß, und Marcellinus sagt dabei, er wünsche, daß diese Handlung Julians in Vergessenheit begraben werden möchte. Es ist wahrscheinlich, daß wenn Julian etwas Bitteres gegen uns unternommen hätte, Marcellinus es nicht verschwiegen haben würde, weil er unserer Partei sehr geneigt war. Der Kaiser war uns freilich nichts weniger als gewogen, gleichwohl war er kein grausamer Feind, denn selbst unsere Anhänger erzählen von ihm folgende Geschichte. Als er eines Tages um die Stadt Chalcedon spazierenging, unterstand sich Maris, der Bischof des Ortes, ihn einen Gottlosen, einen Verräter Christi zu nennen. Er tat hierauf weiter nichts, als daß er ihm antwortete: »Geh, Elender, und beweine den Verlust deiner Augen!« Worauf der Bischof abermals versetzte: »Ich danke meinem Herrn Jesus Christus, daß er mir das Gesicht benommen, um dein unverschämtes Gesicht nicht zu sehen«; wobei der Kaiser, wie sie sagen, eine philosophische Geduld affektiert haben soll. Was aber auch daran sei, so kann man doch dieses nicht wohl unter die Grausamkeiten aufzählen, die er, wie man sagt, gegen uns verübt haben soll. Er war, sagt Eutropius (mein zweiter Zeuge), ein Feind der Christenheit, aber ohne Blut zu vergießen. Und um hier auf seine Gerechtigkeit zu kommen, so kann man daran weiter nichts tadeln als die Strenge, womit er im Anfang seiner Regierung diejenigen behandelte, welche der Partei des Constantinus, seines Vorwesers, gefolgt waren. Was seine Mäßigkeit anbetrifft, so führte er beständig das Leben eines Kriegsmannes und nährte sich in vollem Frieden als ein Mann, welcher sich auf die Beschwerlichkeiten und den Mangel des Krieges vorbereiten und daran gewöhnen will.
Seine Enthaltsamkeit vom Schlaf ging so weit, daß er die Nacht in drei oder vier Teile einteilte, davon er den kürzesten dem Schlaf überließ, die übrigen wandte er an, selbst in Person sein Lager und seine Wachposten zu untersuchen und zum Studieren; denn unter anderen seiner seltenen Eigenschaften befand sich auch die, daß er in allen Arten von Literatur etwas Vorzügliches leistete. Man erzählt von Alexander dem Großen, daß er ein Gefäß vor sein Bett setzen lassen und aus Besorgnis, daß ihn der Schlaf in seinen Gedanken und Studieren überschleichen möchte, wenn er in seinem Bett lag, in eine seiner Hände eine kupferne Kugel nahm, die er hinaushielt, damit, wenn ihn der Schlaf überfiel und die Finger erschlaffen, das Geräusch, welches diese Kugel durch ihren Fall in das Gefäß machte, ihn aufwecke. Julian spannte seine Seele so stark auf das, was er wollte, und war durch seine besondere Enthaltsamkeit so frei von aller Benebelung, daß er dieses Kunststückchens nicht bedurfte.
In Rücksicht seiner Kriegswissenschaft war er in allem, was ein großer Feldherr wissen muß, vortrefflich. Auch war er fast sein ganzes Leben hindurch unaufhörlich mit dessen Ausübung beschäftigt, und den größten Teil desselben bei uns in Frankreich, gegen die Alemannen und Franken. Wir finden schwerlich Nachricht von einem Mann, der mehr Gefahren überstanden oder seine Person öfters bloßgestellt hätte. Sein Tod hat etwas Ähnliches mit dem Tode des Epaminondas; denn er ward von einem Pfeil getroffen und versuchte ihn auszureißen; er hatte es auch getan, da aber der Pfeil scharf war, so verwundete ihm solcher die Hand und machte sie unbrauchbar. Er befahl alsobald, daß man ihn wieder ins Treffen tragen mußte, um seine Soldaten anzufeuern, welche diese Schlacht ohne ihn sehr herzhaft solange unterhielten, bis die Nacht die kämpfenden Heere trennte. Der Philosophie verdankte er eine sonderbare Verachtung, die er für das Leben und die Dinge dieser Welt hatte. Er glaubte fest an die Unsterblichkeit der Seele.
In Absicht der Religion war er ganz und gar tadelnswürdig. Man hat ihn den Apostaten oder den Abtrünnigen genannt, weil er die unsrige verlassen: gleichwohl scheint mir die Meinung wahrscheinlicher, daß er solche niemals in seinem Herzen gehegt habe, sondern aus Gehorsam gegen die Gesetze nur äußerlich vorgegeben, bis er zur Regierung gekommen. In der seinigen war er so abergläubisch, daß selbst seine Mitgläubigen, die zu seiner Zeit lebten, darüber spotteten; und sagte man, wenn er den Sieg über die Parther erhalten hätte, würde er das Geschlecht der Rinder in der Welt ausgerottet haben, um seiner Opferlust ein Genüge zu tun. Ebenso betört war er von den übernatürlichen Wissenschaften und begünstigte alle Arten von Wahrsagerei. Unter anderm sagte er auf seinem Sterbelager: Er wisse es den Göttern herzlichen Dank, daß sie ihn nicht hätten plötzlich sterben lassen wollen und daß sie ihm Ort und Stunde lange vorher verkündigt hätten: auch keines weichlichen oder feigherzigen Todes, der sich mehr für müßige, verwöhnte Menschen schicke, noch eines schmachtenden, langen oder schmerzhaften, und daß sie ihn würdig befunden hätten, eines edlen Todes zu sterben, auf der Bahn seiner Siege und in der Blüte seines Ruhms. Er hatte eine ähnliche Erscheinung gehabt wie Marcus Brutus, die ihm zuerst in Gallien drohte und hernach wieder in Persien, kurz vor seinem Tode, erschien. Die Worte, welche man ihm in den Mund legt, als er verwundet war: »Du hast gesiegt, Nazaräer«, oder nach anderen: »Sei zufrieden, Nazaräer!«, würden schwerlich vergessen worden sein, wenn solche von meinen Zeugen für wahr gehalten worden, welche sich in der Armee befanden, und alles, bis auf die geringsten Bewegungen und Worte bei seinem Ende angemerkt haben. Sie würden solche ebenso wenig vergessen haben als gewisse andere Wunderbegebenheiten, die man damit verknüpft.
Und, um wieder auf mein Thema zu kommen! Er brütete schon seit langer Zeit, sagt Marcellinus, über dem Heidentum; weil aber sein Heer aus Christen bestand, wagte er es nicht, laut zu werden. Als er sich endlich stark genug sah, um seinen Vorsatz öffentlich kund werden zu lassen, ließ er die Götzentempel wieder eröffnen und tat sein möglichstes, der Abgötterei die Oberhand zu verschaffen. Und um zu seinem Zweck zu gelangen, ließ er die obersten Geistlichen der Christen, von denen, wie er bemerkt hatte, das Volk in Konstantinopel sich getrennt und die wie die Kirche unter sich selbst uneinig waren, zu sich an sein Hoflager kommen und ermahnte sie dringendst, diese inneren Zwistigkeiten beizulegen und jeden ohne Hindernis und Furcht bei seiner Religion verbleiben zu lassen. Diese große Mühe gab er sich in der Hoffnung, daß jene Freiheit die Anzahl der streitenden Kabalen vermehren und das Volk verhindern würde, sich zu vereinigen, und folglich durch Eintracht und allgemeines Einverständnis sich gegen ihn zu verstärken; indem er durch die Grausamkeit einiger Christen bereits erfahren hatte, daß kein Tier dem Menschen fürchterlicher sei als der Mensch.
Das sind ungefähr seine Worte; wobei besonders merkwürdig ist, daß der Kaiser Julian sich, um die Flammen der öffentlichen bürgerlichen Unruhen anzuzünden, eben des Rezeptes der Gewissensfreiheit bediente, welches unsre Könige seit kurzem angewendet haben, um solche zu dämpfen. Einerseits kann man sagen, verschiedenen Parteien den Zügel schießen zu lassen, um in ihren Meinungen fortzugehen, heiße, den Samen der Trennung allenthalben ausstreuen und ihrer Vermehrung die Hand bieten, weil alsdann keine Macht und Zwang der Gesetze mehr vorhanden, welche der Zwietracht Ziel und Grenze setzten. Andererseits könnte man aber auch sagen, daß, wenn man den Parteien die Freiheit lasse, bei ihren Meinungen zu bleiben, man sie durch die Leichtigkeit und Bequemlichkeit abspanne und erschlaffe, und den Sporn stumpfe, der sich durch Seltenheit, Neuheit und Schwierigkeit nur immer mehr schärft. Und so will ich lieber zur Ehre der Frömmigkeit unserer Könige glauben, daß, weil sie nicht konnten, was sie wollten, sie getan haben, was sie konnten.
Was nützlich ist und was ehrlich.
Kein Mensch ist davon frei, daß er nicht zuweilen Lappereien sagen sollte, das Unglück ist nur, daß die meisten solche gar zierlich geben wollen:
Nae iste magno conatu magnas nugas dixerit172.
Mich trifft das aber nicht, die meinigen entfallen mir und machen mir ebenso wenig Mühe, als sie wert sind. Das ist ihnen auch zu raten, denn sobald sie mich nur im geringsten etwas kosteten, so sagte ich ihnen alsobald Heide und Weide auf! Ich mag für solche Spielereien nicht mehr geben und nehmen, als sie wägen. Ich spreche mit meinem Papier, wie ich mit dem ersten besten spreche, den ich bei dem Knopf fasse. Daß das wahr sei, was ich sage, das ist die Hauptsache.
Wem muß die schurkische Hinterlist nicht abscheulich sein, da selbst Tiber sich ihrer nicht bedienen wollte, obgleich ihm solche so vorteilhaft werden konnte? Man schrieb ihm aus Germanien, daß, wenn er wollte, man ihm den Hermann oder Arminius durch Gift vom Halse schaffen wollte. Dies war der mächtigste Feind der Römer, welcher sie unter dem Varus so häßlich zugerichtet hatte, und der einzige, der sie hinderte, sich in jenem Lande auszubreiten. Tiberius ließ antworten, das römische Volk sei gewohnt, sich an seinen Feinden öffentlich, mit den Waffen in der Hand und nicht durch hämische List insgeheim zu rächen; er entsagte dem Nützlichen und wählte das Ehrliche. Es war, wird man mir sagen, ein Großschwätzer. Ich glaube es, das ist von Leuten seiner Profession eben kein Wunder. Aber ein Zeugnis für die Tugend ist im Munde eines Menschen, der sie haßt, nicht weniger gültig, umso mehr, weil ihm die Wahrheit solches wider Willen entreißt und er, wenn er dieselbe auch nicht in seinem Herzen aufnehmen mag, sich doch damit als mit einer Zierde bekleidet.
Unser Bauwerk, es gehe ins Große oder Kleine, ist voller Unvollkommenheit, aber in der Natur ist nichts unnütz, selbst nicht das Unnütze; in dieses Weltall ist nichts hineingelegt, das nicht an seinem rechten Platze stehe. Unser Wesen ist aus kränklichen Eigenschaften zusammengesetzt; Ehrgeiz, Eifersucht, Neid, Rachbegier, Aberglaube, Verzweiflung wohnen uns bei und haben uns in einem so natürlichen Besitze, daß das Bild davon sich sogar an den Tieren wahrnehmen läßt; ja selbst die Grausamkeit, welche ein so unnatürliches Laster ist; denn bei allem unseren Mitleiden fühlen wir doch innerlich eine gewisse sauersüße Empfindung von boshafter Wollust, wenn wir andere neben uns leiden sehen; selbst Kinder fühlen sie:
Suave mari magno, turbantibus aequora ventis,
E terra magnum alterius spectare laborem173.
Und wer den Samen dieser Eigenschaften im Menschen ausrotten wollte, würde die Hauptbedingungen unseres Lebens stören. Ebenso gibt es in allen bürgerlichen Einrichtungen notwendige Ämter, die nicht nur niedrig, sondern sogar widrig sind. Diese Widrigkeiten spielen darin ihre Rolle, und man bedient sich ihrer als Räte in unserer Verbindung, wie man sich des Gifts zur Erhaltung unserer Gesundheit bedient. Wenn sie dadurch Entschuldigung verdienen, weil sie nötig werden, und das Bedürfnis des gemeinen Wesens ihre wahre Eigenschaft vertilgt, so muß man diese Rollen von stärkeren und weniger furchtsamen Bürgern ausführen lassen, welche ihre Ehre und ihr Gewissen aufopfern, wie jene Männer des Altertums ihr Leben fürs Heil ihres Vaterlandes aufopferten; wir anderen, Schwächern übernehmen gern solche Rollen, die leichter und mit weniger Gefahr verbunden sind. Das öffentliche Wohl verlangt, daß man verrate, daß man lüge und daß man metzele. Solche Aufträge wollen wir gehorsameren und geschmeidigeren Leuten überlassen.
Wahrhaftig! Ich habe oft meinen eigenen Ärger darüber gehabt, wenn ich so gesehen, daß Richter durch List oder vorgespiegelte Hoffnung von Gnade und Verzeihung den Verbrecher verleiteten, seine Tat zu bekennen, und dabei allerlei unverschämte Tücke anwendeten. Es würde der Gerechtigkeitspflege zum Vorteil gereichen und selbst dem Plato, der diesen Gebrauch begünstigt, wenn sie mir andere Mittel, die mehr nach meinem Sinne wären, an die Hand geben wollten. Es ist eine hämische Gerechtigkeit, und nach meiner Meinung wird sie durch sich selbst ebensowohl beleidigt als durch andere. Ich antwortete noch vor kurzem, daß ich kaum einen Prinzen eines Privatmanns wegen verraten möchte, dem es sehr leid tun würde, irgendeinen Privatmann eines Prinzen wegen zu verraten, und ich hasse nicht nur alle Betrügereien überhaupt, sondern ich hasse es auch, daß man sich in mir betrüge, und mag dazu nicht einmal weder Stoff noch Anlaß geben.
Bei demjenigen, was ich bei den Parteien und Unterparteien, die uns jetzt zerreißen, unter unseren Prinzen zu verhandeln gehabt habe, nahm ich keine Larve vor und trachtete sorgfältig zu vermeiden, daß sie mich nicht mißverstanden. Die diplomatischen Männer halten sich immer sehr zugeknöpft und stellen sich jederzeit so nachgebend und der Vereinigung so nahe als möglich; ich äußere immer meine Meinung aufs lebhafteste und auf eine mir ganz eigene Art, als gewissenhafter Unterhändler und als ein Neuling, der lieber seinem Geschäft als sich selbst zu nahe treten mag. Unterdessen geschah es bis auf diese Stunde mit solchem Glück (denn das Glück hat dabei den größten Anteil), daß wenige Verhandlungen mit geringerem Verdacht, mit mehr Leichtigkeit und größerer Verschwiegenheit von einer Hand in die andere gegangen sind. Ich habe eine offenherzige Weise, der es leicht wird, Beifall zu finden und sich gleich bei der ersten Bekanntschaft Glauben zu erwerben. Treuherzigkeit und reine Wahrheit fanden zu jederzeit und finden noch ihren Ort und ihre Gelegenheit, wo sie wohl angebracht sind. Dabei ist auch die Freimütigkeit solcher Menschen, welche dergleichen Geschäfte ohne allen eigenen Vorteil besorgen, wenig verdächtig und gehässig, und können solche nach aller Wahrheit die Antwort anwenden, welche Hyperides den Atheniensern gab, als sich solche über den hohen Ton seiner Sprache beschwerten: »Meine Herren, achten sie nicht darauf, ob ich frei rede, sondern darauf, ob ich es tue, ohne etwas zu nehmen und ohne dadurch meine Umstände im geringsten zu verbessern.« Meine Freimütigkeit hat mich auch leicht aus allem Verdacht der Verstellung gesetzt, weil sie nachdrücklich war (denn ich sagte alles frei heraus, es mochte noch so derbe, noch so treffend sein, ich hätte hinter dem Rücken nichts Härteres sagen können) und weil ihr Unbefangenheit und Einfalt deutlich anzusehen war. Von mei nen Verhandlungen suche ich keine anderen Früchte als die Verhandlungen selbst, und begehre solche nicht durch allerlei Verfänglichkeiten in die Länge zu ziehen. Jede hat bei mir ihren besondern Zweck, den sie erreichen mag, wenn sie kann. Übrigens treibt mich keine Leidenschaft, weder des Hasses noch der Vorliebe gegen die Großen, habe auch keinen weder durch Beleidigungen noch Verbindlichkeiten gebundenen Willen. Ich verehre unsere Könige mit bloß gesetzlicher und bürgerlicher Anhänglichkeit, und treibt mich kein besonderer Eigennutz, weder für noch gegen sie zu sein, wofür ich mir selbst vielen Dank weiß. Auch die allgemeine und gerechte Sache zieht mich nur mäßig und ohne Fieberhitze an sich. Ich bin eben nicht zu tiefen und engen Verbindungen und Verpflichtungen geneigt; Wut und Haß liegen nicht in den Pflichten der Gerechtigkeit, und sind Leidenschaften, welche bloß denjenigen dienen, welche nicht aus bloßen Vernunftgründen an ihren Pflichten hangen: utatur motu animi, qui uti ratione non potest174. Alle rechtmäßigen Vorsätze sind an und für sich gemäßigt; wo nicht, so werden sie unrechtmäßig und empörend. Dieserhalben gehe ich allenthalben mit emporgerichtetem Haupt und mit offenem Gesicht und Herzen. Freilich, und ich fürchte nicht, es zu gestehen, würde ich im Notfalle dem St. Michael eine Wachskerze bringen und eine andere seinem Drachen, wenn es den Abend vorher so ausgemacht wäre; der gerechten Partei würde ich bis an den Scheiterhaufen folgen, aber nur bis hinan, wenn es bei mir stände. Mag Montaigne mit dem gemeinen Wesen zugrunde gehen, wenn es die Not heischt; wenn es aber die Not nicht heischt, so will ich es dem Glück sehr wohl nehmen, wenn er gerettet wird. Und so viel Tau, wie mir meine Pflicht in der Hand läßt, werde ich anwenden, ihn über Wasser zu halten. Rettete sich nicht Atticus, der es mit der gerechten Partei, welche unterlag, hielt, durch seine Mäßigung aus dem allgemeinen Schiffbruche der Welt, unter so vielem Wandel und Wechsel der Dinge? Privatmännern, wie er war, ist das leicht, und in solcher Art von Geschäften finde ich, daß man mit Recht und Ehrgeiz entsagen kann, sich freiwillig und von selbst in die Händel zu mischen.
Bei öffentlichen Unruhen und in den Streitigkeiten der Parteien seines Landes hin und her schwankend zu bleiben, sich zu keiner zu halten und sich durch nichts aus seinem Gleichgewicht bringen zu lassen, das finde ich weder schön noch bieder: Ea non media, sed nulla via est, velut eventum exspectantium, quo fortunae consilia sua applicent175. Das mag in Ansehung der Streitigkeiten unter Nachbarn erlaubt sein, und Gelon, Tyrann von Syrakus, ließ solchergestalt seine Gesinnung bei dem Kriege der Barbaren gegen die Griechen unentschieden, indem er zu Delphi eine Gesandtschaft bereithielt, mit Geschenken für diejenige Partei, welcher das Glück zufallen würde, und diesem Gesandtschaftsbefehle, den Zeitpunkt des Sieges wohl wahrzunehmen, um ihn mit den Siegern zu befreunden. In eigenen einheimischen Unruhen, an welchen man notwendigerweise teilnehmen muß, wäre dies eine Art von Verräterei; an einem Mann aber, der dabei weder Amt noch Befehlshaberstelle hat, finde ich es eher zu entschuldigen, wenn er nicht allenthalben hinten und vorn ist; doch bedarf ich dieser Entschuldigung nicht für mich als wie in einem fremden Kriege, an dem nach unseren Gesetzen jedermann nach eigenem Belieben teilnehmen oder nicht teilnehmen darf. Gleichwohl können diejenigen, welche sich gänzlich darauf einlassen, es mit solcher Ordnung und mit solcher Mäßigung tun, daß das Gewitter über ihren Kopf wegziehen kann, ohne sie zu beschädigen. Hatten wir nicht recht, dasselbe vom verstorbenen Bischof von Orléans, Herrn von Morvilliers, zu hoffen? Und ich kenne einige tapfere Krieger unserer Tage von so billigem und sanftem Benehmen, daß sie deswegen immer aufrecht stehenbleiben werden, was für Unfall oder traurigen Glückwechsel der Himmel uns auch vorbereitet. Nach meinem Dafürhalten ist es eigentlich nur die Sache der Könige, es mit anderen Königen aufzunehmen, und lache ich über die unruhigen Köpfe, welche sich so mutwilligerweise in so ungleichen Kampf einlassen; denn man fängt mit einem Prinzen keinen persönlichen Hader an, wenn man öffentlich und herzhaft, der Ehre und seiner Pflicht wegen, gegen ihn zu Felde zieht; wenn der Prinz einen solchen Mann nicht liebt, so tut er noch etwas Besseres, er achtet ihn. Und vorzüglicherweise hat die Sache der Gesetze und die Verteidigung der alten Verfassung dies immer für sich, daß selbst diejenigen, welche aus besondern Nebenabsichten dagegen streiten, deren Verteidiger wenigstens entschuldigen, wenn sie dieselben auch nicht ehren.
Man muß aber nicht, wie wir täglich zu tun pflegen, eine innere Bitterkeit, die aus persönlichem Vorteil und Leidenschaft entspringt, Pflicht nennen; noch ein verräterisches, heimtückisches Betragen Mut und Tapferkeit. Auch nennen die Menschen ihren Hang zur Bosheit und Grausamkeit gern Eifer. Es ist nicht die vermeinte gerechte Sache, welche sie erhitzt, es ist ihr Interesse; sie zetteln den Krieg an, nicht weil der Krieg gerecht ist, sondern weil es Krieg ist.
Nichts steht im Wege, daß man sich nicht ganz gemächlich und gesetzmäßig zwischen Menschen durchbringen könne, welche einander feind sind; man benehme sich nur unter ihnen, wo nicht mit völlig gleicher Freundschaft (denn diese verträgt ein verschiedenes Maß), zum wenigsten so gemäßigt, daß man einem Teil nicht so völlig anhange, daß er von uns alles fordern könne, und begnüge man sich gleichfalls mit einem gemäßigten Anteil an der Gunst beider, und in trübem Wasser hinzugleiten, ohne darin fischen zu wollen.
Die andere Art und Weise, sich dem einen oder dem anderen mit aller seiner Stärke anzubieten, ist noch weniger klug als gewissenhaft. Derjenige, dem zu Gefallen man einen verrät, dem man ebenso willkommen ist, weiß er nicht, daß man bei Gelegenheit es mit ihm ebenso machen wird? Er hält euch für einen ruchlosen Menschen; indes hört er euch an, forscht euch aus, und zieht seinen Nutzen aus eurer Unredlichkeit. Denn die Menschen, welche auf beiden Achseln tragen, sind solange nützlich, als sie zubringen; man muß sich aber wohl hüten, daß sie nicht mehr mitnehmen, als sie sollen.
Ich sage dem einen nichts, was ich dem anderen zu seiner Zeit nicht auch sagen könnte, vielleicht mit etwas verändertem Ton, und erzähle keinem, mit dem ich Verhandlung habe, andere als bekannte und gleichgültige Sachen, oder solche, die allen Teilen nützlich sind. Aber ich wüßte keinen Nutzen, weswegen ich mir erlauben möchte, ihnen eine Unwahrheit zu sagen. Was man meinem Stillschweigen anvertraut hat, das verwahre ich aufs heiligste; aber ich weiche auch soviel als möglich aus, mir Geheimnisse anvertrauen zu lassen. Es ist eine beschwerliche Arbeit für jemanden, der dabei nichts zu schaffen hat, das Geheimnis eines Fürsten zu bewachen. Ich lasse mir gern die Bedingungen gefallen, daß sie mir wenig vertrauen, aber mir fest in alledem trauen, was ich ihnen vortrage. Ich habe immer noch mehr erfahren, als ich gewollt habe. Eine offenherzige, treuherzige Rede erweckt eine ebensolche Gegenrede und macht offen und vertraut wie der Wein und die Liebe. Philippides antwortete nach meiner Meinung dem König Lysimachus sehr weise, als ihn dieser fragte: »Was soll ich dir von meinen Schätzen mitteilen?« – »Was du willst, nur keins von deinen Geheimnissen!« Ich sehe, daß jedermann es übelnimmt, wenn man ihm den Grund der Geschäfte verbirgt, wobei man sich seiner bedient, oder wenn man sich dabei einen oder den anderen Punkt vorbehält; ich meinesteils aber bin damit zufrieden, daß man mir weiter nichts sage, als soviel man will, daß ich ins Licht stellen soll, und verlange nicht, daß das, was ich weiß, meine Worte überschreiten oder ängstlich machen soll. Soll ich ja als ein Werkzeug des Betrugs dienen, so lasse man wenigstens mein Gewissen aus dem Spiele. Ich verbitte es, mich für einen so treuergebenst gehorsamsten Diener zu halten, daß ich dazu tüchtig und geschickt erfunden werde, irgendeinen Menschen zu betrügen. Wer sich selbst untreu ist, der wird es auch leicht seinem Herrn. Aber es sind Fürsten, welche die Menschen nicht halb brauchen wollen und die Dienste verachten, die man ihnen mit Einschränkungen und Bedingungen leisten will. Dagegen hilft nichts. Ich sage ihnen ganz aufrichtig heraus, wie weit ich gehen kann; denn Sklave soll ich nur von der Vernunft sein, und auch das will mir nicht einmal immer glücken; und sie haben unrecht, von einem freien Mann ebensolche Unterwürfigkeit zu ihren Diensten zu fordern und ebensolche Verbindlichkeit als von einem, den sie zum Sklaven gemacht oder gekauft haben oder den das Glück ganz besonders und ausdrücklich an ihren Willen gefesselt hat. Die Gesetze haben mich einer großen Mühe überhoben; sie haben mir einen Herrn gegeben und eine Partei für mich gewählt. Alle andere Oberherrschaft und andere Verbindlichkeit, die nicht damit in Verhältnis steht, ist mir ungültig. Doch will ich damit nicht sagen, daß ich, wenn mich meine Neigung anders leiten wollte, augenblicklich die Hände dazu bieten würde. Der Wille und das Verlangen sind sich selbst Gesetz; die Handlungen aber sind den öffentlichen Gesetzen unterworfen. Dieses mein ganzes Verfahren stimmt nicht so ganz völlig mit unseren Formen überein; es möchte damit nicht auf die Dauer gut gehen und keine große Wirkungen hervorbringen; die Unschuld in leiblicher Gestalt möchte zu unserer Zeit nicht wohl ohne Verstellung negoziieren noch mit wahrem Ja und Nein feilschen und handeln können. Auch sind öffentliche Geschäfte nichts weniger als Wild für meine Lieblingsjagd. Soviel mir meine Lage davon aufträgt, leiste ich in der prunklichsten Form, die mir möglich ist. Als Kind noch ward ich bis über die Ohren hinein versenkt, und es glückte mir; indessen machte ich mich beizeiten davon los. Ich bin nachher oft der Gelegenheit ausgewichen, mich damit zu befassen, habe selten welche angenommen, nie mich dazu gedrängt und habe immer dem Ehrgeiz den Rücken zugekehrt gehalten, freilich nicht wie die Ruderleute, welche rücklings vorwärts treiben, doch auf eine solche Weise, daß wenn ich mich nicht darauf eingelassen habe, ich solches weniger meinem Entschluß als meinem guten Glück zu verdanken habe; denn es gibt Wege, die meinem Geschmack nicht so sehr zuwider und meinen Kräften angemessener sind; und wenn es mich ehedem auf diesen zum öffentlichen Dienst der Welt und dadurch zu Ansehen und Würden hätte berufen wollen, so weiß ich, daß ich über die Gründe meiner Vernunft hinweggeschritten sein würde, um dem Rufe zu folgen. Diejenigen, welche gewöhnlich gegen mein Bekenntnis sagen, was ich in meinen Sitten Freimütigkeit, Unbefangenheit und Einfachheit nenne, sei Kunst und feine Verschlagenheit und vielmehr Klugheit als Güte, mehr studiertes als natürliches Betragen, mehr Verstand als Glück, die legen mir dadurch mehr Ehre bei, als sie mir entziehen; gewiß aber machen sie meine Feinheit gar zu fein, und wer mir auf der Spur gefolgt und in der Nähe mich beleuchtet hat, dem will ich gewonnen geben, wenn er nicht eingestehen muß, daß es in ihrer Schule keine Regel gibt, welche diese natürliche Bewegung hervorbringen und den Anschein von zwangloser Freiheit behaupten könne, die bei alle den krummen und verschiedenen Wegen sich immer so gleich und unverschroben wäre, und daß all ihr Sinnen, Bestreben und alle ihre Werkzeuge es nicht bis dahin bringen können. Der Pfad der Wahrheit ist einfach und gerade; der Weg des persönlichen Nutzens und des Heils der Geschäfte, welches man auf sich hat, ist doppelt, ungerade und ungewiß. Ich habe oft eine nachgemachte, erkünstelte Freimütigkeit anwenden gesehen, die meiste Zeit aber ohne allen Erfolg. Es geht damit gern wie dem Esel beim Aesop, welcher, um dem Hund es gleichzutun, sich gar liebreicherweise mit beiden Vorderklauen über die Schultern seines Herrn herwarf; aber indessen der Hund über eine ähnliche Freundlichkeit geliebkoset ward, erhielt der arme Esel dafür doppelt soviel Prügel. Id maxime quemque decet, quod est cuiusque suum maxime176. Ich will der Betrügerei ihre Würde nicht nehmen, das hieße sich sehr schlecht auf die Welt verstehen; ich weiß, daß sie sehr oft sehr nützliche Dienste geleistet hat und daß sie die meisten Stände der Menschen er nährt und erhält. Es gibt Untaten, die als gesetzlich erlaubt im Schwange gehen, so wie viele Handlungen, die entweder gut oder zu entschuldigen sind, von den Gesetzen bestraft werden.
Die an sich natürliche und allgemeine Gerechtigkeit hat an und für sich bessere und edlere Regeln als die andere spezielle und Nationalgerechtigkeit, welche unter dem Zwange der Staatseinrichtung steht: Veri juris germanaeque justitiae solidam et expressam effigiem nullam tenemus; umbra et imaginibus utimur177. So meinte der weise Dandamys, als er die Lebensbeschreibung des Sokrates, Pythagoras und Diogenes vorlesen hörte, es wären in allem übrigen sehr große Männer gewesen, nur hätten sie eine zu große Unterwürfigkeit gegen die Gesetze bezeigt; weil die wahre Tugend, um die Gesetze in Ansehen zu erhalten und solche zu unterstützen, so viel von ihrer ursprünglichen Kraft aufopfern müsse, und weil verschiedene Schlechtigkeiten nicht nur durch ihre Erlaubnis, sondern durch ihre Verfügung stattfänden. Ex senatusconsultis plebisquescitis scelera exercentur178. Ich folge der gewöhnlichen Sprache, welche einen Unterschied unter nützlichen und ehrlichen Dingen macht, indem sie natürliche Handlungen, die nicht nur nützlich, sondern auch notwendig sind, unredlich und schmutzig nennt.
Aber laß uns bei unserm Beispiel von Verräterei bleiben; zwei Prätendenten zum Thrakischen Reiche gerieten in Händel über ihre Rechte. Der Kaiser verhinderte sie, zu den Waffen zu greifen; aber einer von beiden, unter dem Vorwand, einen friedlichen Vergleich zu treffen, wenn sie sich persönlich sprächen, hatte seinen Mitwerber zu einem Gastmahl in sein Haus gebeten, ließ ihn gefangennehmen und töten. Die Gerechtigkeit verlangte, daß die Römer diese Missetat bestraft hätten; die Schwierigkeit, die dabei war, verhinderte den gewöhnlichen Weg. Was die Römer nicht gesetzmäßig, ohne Krieg und ohne Wagstück vermochten, unternahmen sie, durch eine Verräterei auszurichten; was sie auf eine redliche Weise nicht konnten, taten sie auf eine nützliche Weise, wozu sich ein gewisser Pomponius Flaccus geschickt befand. Dieser, als er unter verstellten Worten und Versicherungen den Mann in sein Netz gelockt hatte, schickte ihn, anstatt der versprochenen Ehre und Gunst, an Händen und Füßen gebunden gen Rom. Ein Verräter verriet den anderen gegen die tägliche Gewohnheit; denn sie sind gewöhnlich sehr mißtrauisch und es hält hart, sie in ihrer Kunst zu übertölpeln; wie die schwere Hand der Erfahrung uns belehrt.
Sei Pomponius Flaccus wer da will, und es mag wohl viele geben, die es sein wollen. Ich meinesteils behaupte, mein Wort und meine Treue müsse, wie alle übrigen Stücke, von einem Tuch sein. Ihr bester Endzweck ist zum Dienst des gemeinen Wesens, das halte ich einmal für allemal für vorausgesetzt; eben aber so, wie wenn man mir beföhle, ich sollte Oberrichter und Prokurator und Advokat zugleich sein, ich antworten würde: Ich versteh' das nicht; oder wenn man wollte, ich sollte die Schanzgräber bei einer Festung anführen, ich sagen würde: Ich bin zu einer würdigeren Rolle berufen; ebenso wenn mich jemand gebrauchen wollte, zu lügen, zu verraten, einen Meineid zu schwören, um irgendeines wichtigen Nutzen willen, wenn auch gleich kein Meuchelmord oder keine Vergiftung dabei von mir gefordert würde, so würde ich sagen: Hab' ich jemanden beraubt oder bestohlen, so schickt mich lieber hin auf die Galeeren; denn es ist einem ehrlichen Mann erlaubt, ebenso zu reden wie die Lakedämonier in ihren Unterhandlungen mit dem, welcher sie geschlagen hatte: Du kannst uns zu schweren und drückenden Verrichtungen verdammen, das steht in deinem Willen, aber zu schimpflichen und entehrenden, das steht keinesweges, auch wenn du es noch so sehr willst, in deiner Gewalt. Jedermann muß sich selbst zugeschworen haben, was die ägyptischen Könige die Richter ihres Landes aufs feierlichste beschwören ließen, daß sie niemals ihrem Gewissen entgegenhandeln wollten, die Könige möchten ihnen auch noch so sehr das Gegenteil befehlen. Bei solchen Aufträgen liegt immer offenbar Schimpf und Schande zugrunde, und wer euch solche gibt, ist euer Ankläger, und gibt sie euch, wenn ihr es recht begreift, als Bestrafung. Soviel die öffentlichen Angelegenheiten durch eine solche Verrichtung sich bessern, ebenso sehr verschlimmern sich die eurigen. Je besser ihr einen solchen Auftrag ausrichtet, je größer ist der Schimpf, den er euch zuzieht, und es wird eben nichts Neues sein, auch vielleicht nicht ohne scheinbare Gerechtigkeit, daß euch derjenige selbst bestraft, der euch dazu angestellt hat.
Wenn in irgendeinem Fall Verräterei zu entschuldigen wäre, so möchte es in dem einzigen sein, wenn sie dazu angewandt wird, einen Verräter zu verraten und zu bestrafen. Es gibt der Fälle genug, wo Verräterei nicht nur von denjenigen selbst, denen zum Besten sie geschehen sollte, abgelehnt, sondern sogar bestraft wurde. Wer kennt nicht das Urteil des Fabricius über einen Arzt des Pyrrhus?
Aber auch das findet man noch, daß jemand den Verrat befahl, und solchen hernach an dem, welchen er dazu angestellt hatte, aufs strengste bestrafte, indem er es nicht an sich kommen lassen wollte, daß er eine so grenzenlose Macht besäße und einen so niederträchtigen, knechtischen, bübischen Gehorsam verlangt habe. Jaropolk, russischer Zar, beredete einen ungarischen Edelmann, den König Boleslaus von Polen zu verraten, und ihn entweder zu ermorden oder den Russen Gelegenheit zu verschaffen, ihm eine starke Schlappe anzuhängen. Dieser Ungar übernahm die Sache mit vieler Geschicklichkeit und diente dem König noch emsiger als zuvor, so daß er in seinen geheimen Rat und unter seine Treuesten aufgenommen wurde. Bei diesen Vorzügen und weil er die gelegene Zeit wahrnahm, da sein König abwesend war, verriet er den Russen Wisilicz, eine große und reiche Stadt, welche ganz verheert und zum Schutthaufen verkehrt wurde, wobei nicht nur alle ihre Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts und Alters niedergemacht wurden, sondern auch noch ein Teil des umherwohnenden Adels, den er des Endes dahin versammelt hatte. Jaropolk, nachdem er seine Rache und seinen Zorn, welche gleichwohl nicht ohne Grund waren (denn Boleslaus hatte ihn stark und durch ein ähnliches Verfahren beleidigt), nun an der Furcht dieser Verräterei gesättigt und die Häßlichkeit derselben nackt und bloß vor sich sah und mit kaltem, nicht weiter von seiner Leidenschaft brausenden Blicke betrachtete, empfand darüber eine so starke Reue und einen so heftigen Unwillen, daß er ihrem Vollstrecker die Augen ausstechen und Zunge und Schamteile ausreißen ließ.
Antigonus überredete die Soldaten des Argyraspides, ihm den Eumenes, ihren obersten Befehlshaber, seinen Gegner, in die Hände zu liefern. Aber kaum hatte er solchen, nachdem sie ihn überliefert, töten lassen, als er selbst den Bevollmächtigten der göttlichen Gerechtigkeit vorstellen wollte, um ein so abscheuliches Verbrechen zu bestrafen, und die Verräter den Händen des Statthalters der Provinz mit dem ausdrücklichen Befehl übergab, sie zu töten und hinzurichten, auf welche Weise es auch geschehen möge. Dergestalt, daß von der ganzen großen Anzahl dieser Soldaten nicht ein einziger den Boden von Mazedonien wieder betrat. Je besser sie ihn bedient hatten, desto boshafter und strafbarer hielt er sie.
Der Sklave des P. Sulpicius, der den heimlichen Aufenthalt seines Herrn verraten hatte, wurde, freilich nach dem Versprechen des Sylla, freigelassen, aber um zugleich dem Versprechen der Staatsgerechtigkeit genugzutun, vom tarpejischen Felsen gestürzt.
Und unser König Chlodowig ließ die drei Bedienten des Cannacres aufhängen, anstatt ihnen die goldnen Waffen zu geben, die er ihnen versprochen hatte, als er sie überredete, ihren Herrn zu verraten. Man läßt die Verräter an den Galgen hängen und bindet ihnen die Beutel an den Hals, worin sich die Bezahlung ihres Bubenstücks befindet. Wenn man seinem zweiten und besondern Versprechen ein Genüge getan, so leistet man auch dem ersten und der allgemeinen Gerechtigkeit ein Genüge.
Als Mohammed der Zweite sich wegen Sicherstellung der Thronfolge, nach dieses Stammes Gewohnheit, seines Bruders entledigen wollte, bediente er sich dazu eines Offiziers, welcher denselben dadurch aus der Welt brachte, daß er ihn eine Menge Wasser auf einmal hinunterschlucken ließ, woran er erstickte. Als das geschehen war, übergab Mohammed den Mörder zum Versöhnungsopfer des Totschlagens der Mutter des Erwürgten (denn sie waren Brüder von einem Vater und zwei Müttern). Diese schnitt in seiner Gegenwart dem Mörder den Leib auf, griff hinein und riß ihm das Herz aus, welches sie den Hunden vorwarf. Selbst solchen Menschen, die im Grunde nichts taugen, kommt es süß vor, nachdem sie einmal Vorteil aus einer schlechten Handlung gezogen haben, einen Zug von Güte und Gerechtigkeit daran heften zu können, der sie nicht viel kostet und das Ansehen gibt, als ob ihr Gewissen zarter geworden sei und sie sich bessern wollten. Dazu kommt noch, daß sie die Werkzeuge solcher scheußlichen Untaten als Leute betrachten, die ihnen solche vorwerfen und daher durch ihren Tod die Zeugen und Mithelfer dieser schändlichen Ränke aus der Welt schaffen.
Oder wenn man vielleicht einem Verräter den Lohn seiner Mühe erteilt, um im Notfall für das Wohl des Staates ein solches außerordentliches und verzweifeltes Mittel wieder anwenden zu können, so hält derjenige, der diesen Lohn erteilt, den Verräter, wenn er es nicht selbst ist, für ein verruchtes Scheusal und verabscheut ihn noch weit mehr als selbst derjenige, an welchem er den Verrat verübte. Denn er greift ja die Bosheit des Verräters mit Händen, der sich gegen ihn keinesweges verstellen kann; gleichwohl bedient er sich seiner, gerade wie man sich eines verlornen Menschen bedient als eines Vollstreckers der Urteile des Kriminalrichters, welches zwar ein nützliches Gewerbe ist, aber dennoch für unehrlich gehalten wird. Außer der Schimpflichkeit solcher Aufträge läuft auch etwas mit unter, was das Gewissen befleckt. Als die Tochter des Sejanus, nach gewissen rechtlichen Formen, die in Rom üblich waren, nicht mit dem Tode bestraft werden konnte, weil sie Jungfrau war, ward sie, um den Rechten freien Weg zu lassen, vom Nachrichter geschwächt, bevor er sie erdrosselte; nicht nur die Hand, sondern auch die Seele eines solchen Büttels sind blinde Werkzeuge, deren sich der Staat zu seiner Bequemlichkeit bedient.
Als Amurath der Erste, um die Strafe derjenigen noch peinlicher zu machen, welche zu dem vatermörderischen Aufruhr seines Sohnes die Hände gereicht hatten, befahl, daß die nächsten Anverwandten diese ihre Hinrichtung mit eigenen Händen vollziehen sollten, fanden sich einige dieser Verwandten, welche sich lieber ungerechterweise für Mitschuldige des Vatermordes halten lassen als der Gerechtigkeit durch eigenen Verwandtenmord dienen wollten, und das war nach meiner Meinung ehrlich gehandelt. Und wenn ich in einigen elenden Festungen, die man zu meiner Zeit einnahm, Schurken gesehen habe, welche, um ihr Leben zu schonen, sich es gefallen ließen, ihre Freunde und Mitgenossen aufzuhängen, so habe ich sie für elendere Geschöpfe gehalten als die gehängten. Man sagt, daß Witthold, ein litauischer Fürst, bei seiner Nation die Gewohnheit einführte, daß ein zum Tode verurteilter Verbrecher sich mit seiner eigenen Hand abtun müsse, weil er es für unbillig hielt, daß ein Dritter, an dem Vergehen Unschuldiger, sein Gewissen mit einem Menschenmord belästigen sollte.
Ein Fürst, der durch dringende Umstände oder durch irgendeinen unerwartet hereinbrechenden Zufall, der seinen Staat in Gefahr setzt, sich genötigt sieht, sein Wort und seine Zusage zu brechen oder sonst auf eine andere Weise gegen seine gewöhnlichen Pflichten zu handeln, muß diese Notwendigkeit für eine göttliche Strafrute halten. Laster ist es nicht, denn er hat seinen eigenen Willen und seine eigene Meinung dem allgemeinen und stärkern Willen unterworfen; aber ein Unglück ist es gewiß. Und einem, der mich fragte, was ist dagegen für ein Mittel, antwortete ich: »Gar keins, wenn er wirklich zwischen beiden Extremen keine Wahl hatte.« Sed videat, ne quaeratur latebra periurio179. Er mußte so handeln; handelte er aber so ohne Widerwillen, war ihm wohl dabei zumute, da er so handelte, so ist das ein Zeichen, daß es mit seinem Gewissen mißlich steht. Fände sich einer, dessen Gewissen so zart wäre, daß ihm keine Heilung eines so verzweifelten Mittels wert schiene, den würde ich deswegen nicht weniger verehren. Er könnte sich auf keine ruhmwürdigere und redlichere Weise zugrunde richten. Wir können nicht alles, so oder so müssen wir oft unser Schiff der bloßen Führung des Himmels, als dem letzten Notanker, anvertrauen. Welcher gerechteren Not spart ein solcher Fürst sich auf? Was ist ihm weniger möglich zu tun als das, was er nicht anders als auf Kosten seiner öffentlichen Treue und seiner Ehre tun kann? Dinge, welche ihm vielleicht lieber sein müssen als seine eigene zeitliche Wohlfahrt und die Wohlfahrt seines Volks. Wenn er mit in den Schoß gelegten Händen weiter nichts tut, als Gott um seine Hilfe anrufen, muß er da nicht hoffen, daß die göttliche Güte ihre außerordentliche Hilfe einer reinen und gerechten Hand am wenigsten versagen werde? Es sind gefährliche Beispiele; seltene und ungebührliche Ausnahmen von unseren natürlichen Regeln; man muß ihnen nachgeben, aber mit großer Mäßigung und Behutsamkeit. Kein persönlicher Vorteil verdient, daß wir ihm zu Gefallen diesen Zwang unserm Gewissen antun; der Vorteil des Staats mache es, wenn er sehr offenbar und sehr wichtig ist.
Timoleon stellte sich glücklich in Sicherheit, aber das Auffallende bei seiner Tat, dadurch, daß er helle Tränen weinte und sich erinnerte, daß eine brüderliche Hand den Tyrannen getötet habe, das war es, was billigerweise sein Gewissen folterte, daß er in der Notwendigkeit gewesen, die öffentliche Wohlfahrt um den Preis der Ehrlichkeit seiner Sitten zu erkaufen. Der Senat selbst, der durch ihn von der Dienstbarkeit befreit worden, wagte es nicht, über eine so ungewöhnliche Tat geradehin zu entscheiden, und war über diesen doppelten Gesichtspunkt derselben in großer Uneinigkeit und Verlegenheit. Als aber die Syrakuser gerade um diese Zeit Gesandte geschickt hatten, um die Korinther um ihren Schutz und um einen Feldherrn zu bitten, der es würdig sei, ihre Stadt wieder in ihrem vorigen Glanz herzustellen, und Sizilien von verschiedenen Tyrannen zu säubern, die es drückten, so deputierte der Rat den Timoleon mit dieser etwas neugewendeten Erklärung: je nachdem er sich wohl oder übel in seiner neuen Stelle betrüge, würde ihr künftiger Ausspruch entweder zugunsten des Befreiers seines Vaterlandes oder zum Nachteil des Brudermörders ausfallen. Diese grillenhafte Entscheidung läßt sich wohl ein wenig entschuldigen; wegen der Gefahr des Beispiels und wegen der Wichtigkeit einer Tat, die auf so widersprechenden Gründen beruht, tat der Senat recht, darüber sein Urteil von sich abzuwenden und auf etwas anderes zu stützen und von anderen Erwägungen abhängig zu machen. Nun aber brachte das Betragen des Timoleon auf dieser Reise ein helleres Licht in seine Sache; denn er betrug sich in allen seinen Unternehmungen und in allen Rücksichten höchst edel und würdig. Und das Glück, welches ihn bei den schwierigsten Unternehmungen begleitete und womit er alle überwand, schien ihm von den Göttern zugesandt zu sein, seine völlige Rechtfertigung zu begünstigen. Der Endzweck der Tat des Timoleon entschuldigt sie, wenn irgendeine entschuldigt werden kann.
Der Vorteil aber, die öffentliche Einnahme zu vermehren, welche der römische Senat bei jener schmutzigen Entscheidung zum Vorwand nahm, die ich im Begriff bin zu erzählen, war nicht wichtig genug, einer solchen Ungerechtigkeit ein Mäntelchen umzuhängen. Gewisse Städte hatten sich auf Verordnung und mit Bewilligung des Senates aus den Händen des L. Sulla losgekauft und für einen bestimmten Preis wieder frei gemacht. Als die Sache von neuem zur Umsprache kam, unterwarf sie der Senat durch seinen Ausspruch von neuem allen Abgaben und erklärte sie des für ihre Freiheit gezahlten Lösegeldes verlustig. Die bürgerlichen Kriege erzeugen oft solche schändliche Beispiele, daß wir die Menschen bestrafen, weil sie uns für ehrlich gehalten haben, wenn wir es nicht waren, und daß ein und derselbe Richter uns die Folgen seiner Sinnesänderungen fühlen läßt, wofür wir nichts konnten. Der Schulmeister stäupt seinen Schüler wegen seiner Gelehrigkeit und der Leiter seinen Blinden; entsetzliches Bild der Gerechtigkeit.