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Die Ärzte beugen gewöhnlich mit Nutzen ihre Vorschriften nach der Heftigkeit der Begierden, welche ihren Kranken aufstoßen. Die Begierde mag so befremdlich und tadelhaft sein, als sich immer denken läßt, die Natur ist sicherlich im Spiele. Wieviel gewinnt man überdem dabei, wenn man die Einbildungskraft befriedigt? Nach meiner Meinung kommt alles darauf an, zum wenigsten mehr wie auf alles übrige. Die drückendsten und häufigsten Übel sind diejenigen, womit die Einbildungskraft uns belastet. Aus vielen Ursachen gefällt mir das spanische Sprichwort: Defiendame Dios de mú281. Bin ich krank, so tut mir's leid, wenn ich kein Gelüste habe, welches mir das Vergnügen machen könnte, es zu befriedigen. Es wird den Ärzten schwer werden, mich davon abzuhalten. Ebenso geht mir's, wenn ich gesund bin. Ich kenne nichts Besseres als zu wollen und zu wünschen. Es ist Elend genug, wenn sogar die Wünsche schwach und matt werden.

Mit der Arzneikunst ist es noch nicht so weit gediehen, daß wir nicht bei allem unseren Tun und Lassen noch Autoritäten voraushaben sollten. Sie ist anders nach den Himmelsgegenden, nach den Mondphasen und nach diesem oder jenem Arzt. Wenn der eurige nicht für gut findet, daß ihr schlafet, daß ihr Wein trinkt oder diese oder jene Speise eßt, so seid deswegen unbesorgt; ich will euch schon einen anderen zuführen, der nicht seiner Meinung sein soll. Die Verschiedenheit der medizinischen Gründe und Meinungen ist unermeßlich. Ich kannte einen elenden Kranken, welcher, um zu genesen, vor Durst fast verschmachtete und umkam und deswegen nachher von einem anderen Arzt ausgelacht wurde, der diese Vorschrift als schädlich verwarf. Hatte er seine große Enthaltsamkeit nicht sehr nützlich angewandt? Es ist neulich ein Mitglied dieses Ordens am Stein gestorben, der sich großer Enthaltsamkeit befliß, um seine Krankheit zu bekämpfen. Dahingegen sagen seine Kollegen, er habe sich durch seine Fasten ausgedörrt und den Grieß in seinen Nieren gebrannt.

Ich habe wahrgenommen, daß mich bei Wunden und Krankheiten das Sprechen erhitzt und mir schädlicher ist als alle übrigen Verstöße. Das Sprechen wird mir schwer und ermüdet mich; denn ich rede laut und mit solcher Anstrengung, daß vornehme Personen, mit denen ich von wichtigen Angelegenheiten gesprochen habe, mich oft erinnern mußten, leiser zu sprechen.

Folgende Erzählung verdient, daß ich sie zu meinem Vergnügen anführe. Ein gewisser Mensch in einer Schule von Griechenland sprach laut wie ich. Der Zeremonienmeister ließ ihm sagen, er sollte leiser reden. »Laß ihn mir«, sagte dieser, »den Ton zuschicken, in welchem ich nach seiner Meinung reden soll.« Der andere versetzte: »Nimm deinen Ton von den Ohren desjenigen, mit dem du sprichst.« Das war gut gesagt, wenn es soviel heißen soll: Sprich nach Maßgabe dessen, was du deinem Zuhörer zu sagen hast. Denn wenn es heißen soll: Es sei dir genug, daß er dich hört, oder richte dich nach ihm, so bin ich damit nicht einverstanden. Ton und Bewegung der Stimme haben einen gewissen Ausdruck und Bedeutung reinen Sinnes. Diese muß ich also aufbieten, wenn sie mich vertreten sollen. Es gibt eine Stimme zum Unterrichten, eine Stimme zum Schmeicheln oder Schelten. Ich will, daß meine Stimme nicht bloß zu einem anderen gelange, sondern vielleicht, daß sie ihn treffe und durchdringe. Wenn ich meinen Bedienten ausfilze und dabei meine Stimme laut und schreiend ist, darf er mir nicht sagen: »Herr, schreien Sie nicht so, ich höre Sie ja wohl.« Est quaedam vox ad auditum accommodata, non magnitudine, sed proprietate282. Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört. Dieser muß sich darauf gefaßt machen, es in der Bewegung aufzufangen, worin es ihm zukommt. Wie beim Ballspiel der Anfänger den Schläger und dessen Bewegung zur Richtschnur der seinigen macht und nach derselben seine eigene Geschwindigkeit abmißt.

Die Erfahrung hat mich auch noch dies gelehrt, daß wir uns durch Ungeduld zugrunde richten. Jedes Ungemach hat sein Leben und seine Grenzen, seine Krankheit und seine Gesundheit. Die Beschaffenheit der Krankheiten richtet sich nach der Beschaffenheit des tierischen Körpers. Ihre Dauer und Tagezeit ist ihnen von ihrem Ursprung an vorgeschrieben. Wer es darauf anlegt, sie gewaltsamer, herrschsüchtigerweise abzukürzen und ihren Lauf zu hemmen, der verlängert, vervielfältigt und verbittert sie, anstatt sie zu beschwichtigen. Ich bin der Meinung Crantors, daß man sich den Übeln weder eigensinnig wie ein Wildfang widersetzen, noch ihnen weichlich unterliegen, sondern ganz natürlich ihrer und unserer Beschaffenheit gemäß nachgeben müsse. Man muß den Krankheiten ihren Weg offenlassen; und ich finde, daß sie kürzer bei mir verweilen, will ich sie ihren Gang gehen lassen. Ich habe einige von denen, welche man für die hartnäckigsten hält, von selbst verloren, ohne Hilfe und Kunst und gegen die gewöhnliche Regel. Laß doch die Natur sich selbst helfen. Sie versteht ihre Sache besser zu machen als wir. Dieser oder jener ist daran gestorben. Nun, euch wird's nicht besser gehen, wo nicht an dieser, doch an einer anderen Krankheit. Wie viele sind nicht daran gestorben, ungeachtet sie drei Ärzte auf dem Halse hatten? Das Beispiel ist ein allgemeiner, trüglicher Spiegel, in welchem man alles erblickt. Ist etwas eine angenehme Medizin, so gebraucht solche. Sie ist immer ein gegenwärtiges Gut. Ich werde mich nie beim Namen noch bei der Farbe aufhalten, wenn sie wohlschmeckend und appetitlich ist. Das Vergnügen ist immer der hauptsächlichste Vorteil. Ich habe bei mir alt werden und eines natürlichen Todes sterben lassen: Schnupfen, Flüsse, Gicht, Durchlauf, Herzklopfen, Kopfschmerzen und andere Zufalle, die ich verloren, als ich schon halb darauf gefaßt war, sie zu ernähren. Man beschwört sie besser durch Höflichkeit als durch Trotz. Man muß die Schmerzen, die uns nach den Gesetzen unseres Zustandes überkommen, geduldig ertragen. Wir sind einmal da, um alt, schwach und krank zu werden, trotz aller Arznei. Es ist die erste Lehre, welche die Mexikaner ihren Kindern geben, wenn sie solche beim Austritt aus ihrer Mutter Schoß folgendergestalt bewillkommen: Kind, du bist auf die Welt gekommen, um zu dulden; dulde, leide und schweig! Es ist ungerecht, sich zu beklagen, daß einem etwas überkommen sei, was jedem überkommen kann: Indignare, si quid in te inique proprie constitutum est283.

Man sehe doch den Alten, welcher sein Gebet darauf richtet, der liebe Gott solle ihn bei völliger kräftiger Gesundheit erhalten! Heißt das nicht soviel, er solle ihn wieder verjüngen?

Stulte, quid haec frustra votis puerilibus optas284?

Ist es nicht Torheit? Seine Verhältnisse erlauben es ja nicht. Zipperlein, Steinschmerzen, Magenschwäche sind die Begleiter von langen Jahren, wie Hitze, Regen und Winde die Begleiter langer Reisen sind. Plato glaubt nicht, daß Äsculap sich sehr darum bekümmert habe, ob er durch seine Vorschriften die Lebensdauer verdorbenen, geschwächten Körpern erhalten könne, die ihrem Vaterland unnütz, unnütz für ihre Berufsgeschäfte und unnütz waren, gesunde und starke Kinder auf die Welt zu setzen, und findet diese Sorge der göttlichen Gerechtigkeit und Weisheit gemäß, welche alle Dinge zu nützlichen Zwecken leiten soll. Mein guter alter Mann, es ist vorbei. Man kann dir nicht wieder auf die Füße helfen. Höchstens kann man dich ein wenig aufpflastern, von neuem anschienen und dein Elend um ein paar Minuten verlängern:

Non secus instantem cupiens fulcire ruinam,

Diversis contra nititur objicibus,

Donec certa dies, omni compage soluta,

Ipsum cum rebus subruat auxilium285.

Man muß ertragen lernen, was man nicht vermeiden kann. Unser Leben ist, wie die Harmonie der Welt aus widersprechenden Dingen, gleichfalls aus verschiedenen, langen und kurzen, hohen und tiefen, weichen und rauhen Tönen zusammengesetzt. Der Tonsetzer, welchem nur einige Tonarten gefielen, würde mit seiner Kunst nicht viel ausrichten. Er muß sich ihrer insgesamt zu bedienen und solche zu vermischen wissen. So müssen wir das Gute und das Übel verbinden, aus denen die Wesenheit des Lebens besteht. Unser Dasein kann ohne diese Vermischung nicht bestehen, und eine Saite ist ebenso nötig dazu als die andere. Gegen den Stachel der Notwendigkeit anlöcken wollen, heißt die Torheit des Ctesiphon teilen, der sich unterfing, sich mit seinem Maultiere auf den Huf zu schlagen.

Aus dem Zweiten Buch

(1580)

Nach der Übersetzung von J. D. Tietz

(1753/54)

Von der Unbeständigkeit unserer Handlungen

Diejenigen, welche sich die menschlichen Handlungen zu beurteilen üben, finden nirgends so viele Schwierigkeit, als wenn sie dieselben miteinander vergleichen und ihnen einerlei Anstrich geben wollen. Denn sie widersprechen gemeiniglich einander so sehr, daß sie dem Ansehen nach unmöglich sollten aus einerlei Werkstatt haben kommen können. Der junge Marius bezeigt sich bald als einen Sohn des Mars, bald als einen Sohn der Venus1. Der Papst Bonifacius VIII. ist, wie man sagt, zu seiner Würde wie ein Fuchs gelangt, hat sich darinnen wie ein Löwe gehalten, und ist wie ein Hund gestorben. Und wer sollte glauben, daß Nero, das vollkommene Bild der Grausamkeit, als man ihm die Verurteilung eines Missetäters nach Gewohnheit zu unterschreiben vorlegte, zur Antwort gegeben hätte2: Wollte Gott, ich hätte niemals schreiben gelernt. So bang war es ihm um das Herze, daß er einen Menschen zum Tode verurteilen sollte. Alles ist so voll von solchen Beispielen, von welchen auch jeder selbst genug finden kann, daß es mich manchmal befremdet, wenn ich sehe, daß sich verständige Leute Mühe geben, diese Stücke miteinander zu vergleichen, da ich doch die Unentschlossenheit für den allergemeinsten und sichtlichsten Fehler unserer Natur halte, nach dem bekannten Vers des Publius Mimus:

Malum Consilium est quod mutari non potest3.

Es ist wahrscheinlich, daß man von einem Menschen durch Hilfe der gemeinsten Handlungen in seinem Leben ein Urteil fällen kann. Aber in Betrachtung der natürlichen Unbeständigkeit unserer Sitten und unserer Meinungen hat mich oft gedünkt, selbst die guten Schriftsteller hätten Unrecht getan, wenn sie mit Gewalt eine sichere und gründliche Abbildung von uns haben machen wollen. Sie wählen eine allgemeine Gestalt. Nach dieser Vorstellung ordnen und erklären sie alle Handlungen eines Menschen und rechnen diejenigen, welche sich nicht genug drehen lassen wollen, unter die verstellten. Augustus ist ihnen dennoch entwischt. Denn man findet bei diesem Manne eine so augenscheinliche, jählinge und beständige Verschiedenheit in seinen Handlungen sein ganzes Leben durch, daß ihm die allerkühnsten Richter nichts anhaben können und nichts entscheiden. Ich traue den Menschen nichts weniger zu als die Beständigkeit, und nichts eher als die Unbeständigkeit. Wer sie einzeln, besonders und Stück vor Stück beurteilte, würde öfters finden, daß ich die Wahrheit sage. In dem ganzen Altertum wird man schwerlich zwölf Männer aufweisen können, die ihr Leben auf einen gewissen und bestimmten Fuß gesetzt hätten, welches doch der Hauptzweck der Weisheit ist. Denn ein Alter sagt4, um sie in einem einzigen Worte zusammenzufassen und um alle Lebensregeln in eine einzige einzuschließen, sie besteht darinnen, daß man immer einerlei will, und einerlei nicht will. Ich brauche nicht, spricht er, dazuzusetzen, wofern unser Wille gerecht ist: denn, wenn er nicht gerecht ist, kann er unmöglich immer einerlei sein. Ich habe in der Tat ehedem gelernt, daß das Laster nichts anderes als eine Unordnung und ein Mangel des rechten Maßes sei. Folglich kann unmöglich einige Beständigkeit dabei statt haben. Demosthenes hat, wie es heißt5, gesagt, Überlegung und Beratschlagung wären der Anfang aller Tugenden, und das Ende und die Vollkommenheit derselben wäre die Beständigkeit. Wenn wir mit Vernunft einen gewissen Weg erwählten, so würden wir den schönsten wählen; aber daran denkt niemand.

Quod petiit, spernit, repetit quod nuper omisit,

Aestuat, vitae disconvenit ordine toto6.

Gemeiniglich gehen wir unseren Neigungen nach, links, rechts, bergauf, bergab, je nachdem uns der Wind der Gelegenheiten führt. Wir denken nicht eher an das, was wir wollen, als in dem Augenblicke, da wir es wollen; und verändern uns wie jenes Tier, das die Farbe des Ortes annimmt, an welchen man es bringt. Wir ändern den einmal gefaßten Vorsatz gar bald und kehren bald wieder um. Es ist nichts als Wanken und Unbestand:

Ducimur ut nervis alienis mobile lignum7.

Wir gehen nicht, sondern werden fortgerissen, wie schwimmende Körper, bald still, bald heftig, je nachdem das Wasser reißend oder still ist.

Nonne videmus,

Quid sibi quisque velit nescire, quaerere semper,

Commutare locum quasi onus deponere possit8.

Alle Tage haben wir einen neuen Einfall, und unsere Neigungen ändern sich beständig mit der Zeit.

Tales sunt hominum mentes, quali pater ipse

Jupiter auctifero lustravit lumine terras9.

Wir schweben zwischen verschiedenen Meinungen. Wir wollen nichts frei, nichts unbedingt, nichts beständig10. Wenn sich jemand gewisse Gesetze und eine gewisse Ordnung in seinem Kopfe vorgeschrieben und festgesetzt hätte, so würden wir überall in seinem ganzen Leben eine Gleichheit der Sitten, eine Ordnung und eine unbetrügliche Verbindung der Dinge bei ihm hervorleuchten sehen. Empedokles bemerkte diese Ungleichheit an den Agrigentinern11, welche den Ergötzlichkeiten nachhingen, als wenn sie den anderen Tag sterben sollten, und so bauten, als wenn sie niemals sterben würden. Man würde gar leicht davon urteilen können, wie man an dem jungen Cato sieht. Eine Saite klingt wie die andere. Es ist eine beständige Harmonie sehr zusammenstimmender Töne. Hingegen, so viele Handlungen wir tun, so viel besondere Urteile fällen wir auch. Das sicherste nach meiner Meinung wäre, daß man dabei auf die nächsten Umstände sähe, ohne sich in eine weitläuftigere Untersuchung einzulassen, und ohne weitere Folgen daraus zu ziehen.

Während der Unordnungen unseres armen Staats hat sich, wie man mir erzählt, ein Mädchen nahe bei dem Orte, wo ich war, aus dem Fenster herabgestürzt, um der Gewalt eines Soldaten, der bei ihr einquartiert war, zu entgehen. Sie hatte sich nicht zu Tode gefallen, wollte sich aber, um ihre Unternehmung zu verdoppeln, ein Messer in die Kehle stoßen, wurde aber daran verhindert. Unterdessen bekannte sie doch selber, nachdem sie sich dadurch sehr beschädiget hatte, daß der Soldat mit nichts als mit Anhalten, Bitten und Geschenken in sie gesetzet hätte, allein sie hätte besorgt, er möchte endlich mit Gewalt kommen. Ihre Worte, ihre Gebärden, und das zum Zeugnisse ihrer Tugend vergossene Blut machten sie also zu einer anderen Lucretia. Gleichwohl weiß ich gewiß, daß sie sowohl vorher als hernach nicht so gar ehrenfest gewesen ist. Es verhält sich hier, wie man in dem Sprichworte sagt: Du magst noch so schön und ehrbar sein, du darfst nicht gleich schließen, wenn der Anschlag mißlingt, daß deine Liebste eine unverletzliche Keuschheit besitzt. Vielleicht kann einmal ein Mauleseltreiber sein Glück bei ihr machen.

Antigonus hatte auf einen seiner Soldaten wegen seines guten Verhaltens und seiner Tapferkeit eine besondere Liebe geworfen und befahl daher seinen Ärzten, daß sie ihn von einer langwierigen und innerlichen Krankheit heilen sollten, die ihn lange Zeit gequält hatte. Da er aber nach seiner Genesung wahrnahm, daß er weit kaltsinniger an seine Verrichtungen ging, fragte er ihn, was ihn so verändert und feige gemacht hätte12? Du selbst, Herr, antwortete ihm der Soldat, da du mich von den Übeln befreit hast, um welcher willen ich mein Leben nicht achtete.

Lucull hatte einen Soldaten, der sich, als er von den Feinden geplündert worden war, um sich zu rächen, einen schönen Streich tapfer gegen sie ausführte. Als nun sein Verlust wieder ersetzt war und Lucull, der hierdurch eine gute Meinung von ihm bekam, ihn zu einer anderen gefährlichen Unternehmung durch die schönsten Vorstellungen, auf die er sich nur besinnen konnte, anfrischte -

Verbis quae timido quoque possent addere mentem13 -,

antwortete er: Brauche dazu einen armen ausgeplünderten Soldaten -

Quantumvis rusticus, ibit,

Ibit eo quo vis, qui zonam perdidit, inquit14 -

und weigerte sich schlechterdings zu gehen. Wenn wir lesen, daß Mahomet den Chasan, das Haupt seiner Janitscharen, sehr hart angesehen, als er gefunden, daß die Ungarn in seinen Haufen eingedrungen waren und er sich feig im Treffen bezeigt hatte, und daß Chasan statt aller Antwort rasend, ganz allein, so wie er war mit seinem Gewehr in der Faust in den ersten Haufen Feinde, die ihm vorgekommen, hineingesetzt habe, von welchen er auch sogleich niedergemacht worden, so war dieses vielleicht nicht sowohl eine Rechtfertigung, als eine Sinnesänderung, nicht sowohl eine natürliche Tapferkeit, als ein neuer Verdruß. Man lasse es sich nicht befremden, wenn man einen, der sich gestern so verwegen stellte, heute so furchtsam sehen tut. Entweder der Zorn, oder die Not, oder die Gesellschaft, oder der Wein, oder der Ton einer Trompete hatten ihm Herz gemacht. Dies Herz kam von keiner Überlegung. Die Umstände haben es ihm gestärkt: Es ist kein Wunder, wenn er jetzt ein ganz anderer Mensch geworden ist, weil sich die Umstände geändert haben. Diese so leichte Veränderung und dieser sein Widerspruch, den man bei uns sieht, hat verursacht, daß uns einige zwei Seelen, andere zwei Mächte angedichtet haben, die uns begleiteten und lenkten, jede nach ihrer Art, die eine zum Guten, die andere zum Bösen: weil sich eine so tolle Verschiedenheit in einem einfachen Dinge nicht wohl miteinander vergleichen läßt.

Nicht allein der Wind der Zufälle bewegt mich, je nachdem er geht; sondern, was noch mehr ist, ich bewege und beunruhige mich selbst durch meine wankelhafte Stellung. Wer genau Achtung gibt, wird sich schwerlich zweimal in einerlei Zustande antreffen. Ich gebe meiner Seele bald dieses bald wieder ein anderes Ansehen, je nachdem ich sie auf eine oder die andere Seite lege. Daß ich verschiedentlich von mir rede, kommt daher, daß ich mich verschiedentlich betrachte. Ich finde in mir alle einander entgegengesetzten Eigenschaften, nach einer gewissen Reihe und auf gewisse Weise. Ich bin schamhaft, unverschämt, keusch, wollüstig, geschwätzig, verschwiegen, arbeitsam, weichlich, sinnreich, dumm, verdrießlich, aufgeräumt, verlogen, wahrhaftig, gelehrt, unwissend, freigebig, geizig und verschwenderisch. Alles dieses sehe ich gewissermaßen bei mir, je nachdem ich mich betrachte. Jeder, der sich aufmerksam ausforscht, findet an sich und an seiner Urteilskraft selbst diese Unbeständigkeit und Verschiedenheit. Ich kann nichts von mir vollkommen, schlechterdings und gewiß, ohne Verwirrung und ohne Vermischung und mit einem Worte sagen. Distinguo ist das allgemeine Glied meiner Logik.

Ungeacht ich beständig geneigt bin, von dem Guten gutes zu reden und viel eher auch diejenigen Dinge, welche gut sein können, gut auslege, so macht doch unser seltsamer Zustand, daß wir oft durch das Laster selbst etwas Gutes zu tun angetrieben werden, wofern nicht die Güte einer Handlung nach der Absicht allein müßte beurteilt werden. Daher darf man einen wegen einer tapfern Tat nicht gleich für einen tapfern Mann halten. Wer eigentlich tapfer ist, wird es beständig und bei allen Gelegenheiten sein. Wenn es eine angewohnte Tugend und nicht eine jähe Hitze wäre, so würde sie einen Menschen bei allen Zufällen gleich beherzt machen. Er würde, wenn er allein wäre, ebenso sein, wie er in Gesellschaft ist. Er würde sich in einem Turniere genauso als in einem Treffen bezeigen, denn man mag sagen was man will: eben die Tapferkeit, welche sich auf dem Pflaster zeigt, zeigt sich auch in freiem Felde. Ein wahrhaftig tapferer Mensch würde ebenso beherzt eine Krankheit in seinem Bette als eine Wunde im Felde ertragen; er würde sich vor dem Tode sowenig in seinem Hause als in einem Sturme fürchten. Wir würden nicht sehen, daß ein Mann, der mutig Sturm läuft, sich hernach wie ein Weib über den Verlust eines Prozesses oder eines Sohnes quälte. Wenn einer keinen Schimpf ertragen kann und standhaft in der Armut ist, wenn sich einer vor dem Barbiermesser scheut, aber den feindlichen Degen nicht achtet, so ist zwar die Handlung aber nicht der Mensch lobenswürdig. Viele Griechen, sagt Cicero15, haben nicht das Herz dem Feinde unter die Augen zu gehen, bezeigen sich aber in Krankheiten standhaft. Bei den Cimbrern und Celtiberiern ist es umgekehrt16, nihil enim potest esse aequabile quod non a certa ratione proficiscatur.

Alexander war in seiner Art ausnehmend tapfer; aber auch nur in seiner Art, und nicht überall vollkommen und durchgängig tapfer. So unvergleichlich seine Tapferkeit war, so hatte sie doch ihre Mängel. Dies machte, daß wir ihn bei den geringsten Mutmaßungen, als ob ihm die Seinigen nach dem Leben stünden, so erstaunlich bestürzt finden; und daß er bei dergleichen Untersuchungen so gewalttätige und unbesonnene Ungerechtigkeiten beging und eine Furcht blicken ließ, die seine natürliche Vernunft in Unordnung brachte. Auch der Aberglaube, womit er so stark eingenommen war, kommt der Kleinmütigkeit sehr nahe. Die ausschweifende Reue, die er über die Hinrichtung des Klytus bezeigte, zeugt ebenfalls von der Ungleichheit seines Mutes. Unsere ganze Sache ist nichts als Stückwerk, und wir suchen uns fälschlich Ehre zu erwerben.

Die Tugend will bloß ihretwegen gesucht sein und reißt uns ihre Maske, wenn wir sie zuweilen bei einer anderen Gelegenheit entlehnen, alsobald wieder von dem Gesicht. Sie ist eine lebhafte und feste Farbe, wenn sie einmal recht in unsere Seele eingedrungen ist, und die niemals wieder ausgeht. Daher muß man, wenn man von einem Menschen urteilen will, seiner Lebensart lange und sorgfältig nachspüren. Wenn die Beständigkeit nicht bloß auf ihrem eigenen Grunde beruht17, cui vivendi via considerata atque provisa est, wenn ihn die Mannigfaltigkeit der Vorfälle einen anderen Schritt zu gehen veranlaßt (ich meine einen anderen Weg; denn die Schritte können geschwinde oder langsam sein), so lasse man ihn laufen: er geht dem Winde nach, wie die Überschrift unseres Talebot sagt.

Es ist kein Wunder, sagt ein Alter18, daß der Zufall so viel über uns vermag, weil wir nur auf ein Geratewohl leben. Wer sein Leben nicht überhaupt nach einem gewissen Endzwecke eingerichtet hat19, kann unmöglich die einzelnen Handlungen gehörig ordnen. Unmöglich kann einer die Teile in Ordnung bringen, wenn er nicht einen Entwurf zu dem Ganzen gemacht hat. Was hilft es, daß man sich Farben in Vorrat anschafft, wenn man nicht weiß, was man zu malen hat? Niemand bestimmt sein Leben zu etwas Gewissem, sondern wir beratschlagen uns nur stückweise darüber. Der Bogenschütze muß erst wissen, wohin er zielt, und danach kann er erst die Hand, den Bogen, die Sehne, den Pfeil und die Bewegungen danach einrichten. Unsere Anschläge schlagen fehl, weil sie keine gewisse Richtschnur und kein Ziel vor sich haben. Wer sich keinen gewissen Hafen vorgesetzt hat, dem ist kein Wind günstig.

Ich stimme nicht mit dem Urteile überein, welches man zum Vorteile des Sophokles gefällt und worinnen man geschlossen20 hat, er müßte imstande sein, seine häuslichen Geschäfte wohl in Obacht zu nehmen, ungeachtet ihn sein Sohn angeklagt hatte, weil man eine von seinen Tragödien gesehen hatte. Auch finde ich die Mutmaßung der Parier, die zur Verbesserung der Milesier abgeschickt worden waren, nicht zureichend zu dem Schlusse, den sie daraus zogen. Da diese die Insel besichtigten, merkten sie sich die am besten gebauten Felder, und die am besten bestellten Lusthäuser auf dem Lande an. Als sie nun die Namen von den Herren dieser Güter aufgezeichnet und die Bürger in der Stadt versammelt hatten21, ernannten sie diese Besitzer zu neuen Regenten und Obrigkeiten, in der Meinung, Leute, welche das Ihrige wohl in acht nähmen, würden sich auch die öffentlichen Angelegenheiten angelegen sein lassen. Wir sind alle aus verschiedenen Lappen zusammengesetzt und sind so ungestalt und so ungleich zusammengesetzt, daß jedes Stück von uns jeden Augenblick sein Spiel treibt. Ja, wir sind uns selbst sowenig als anderen gleich. Magnam rem puta, unum hominem agere22.

Weil der Ehrgeiz den Menschen sowohl die Tapferkeit, als die Mäßigkeit und die Freigebigkeit, ja selbst die Gerechtigkeit lehren kann; weil der Geiz einem Kramdiener, der doch hinter dem Ofen und im Müßiggang erzogen worden ist, soviel Mut einpflanzen kann, daß er sich so ferne von seinem Hause der Willkür der Wellen und des erzürnten Neptuns in einem zerbrechlichen Schiffe anvertraut; weil der Geiz selbst Klugheit und Verschwiegenheit lehrt; weil die Venus sogar die Jugend, die noch unter der Zucht und unter der Rute steht, mit Herzhaftigkeit und Kühnheit versieht und das zarte Herz der Mädchen, die ihren Müttern noch im Schoße sitzen, bewaffnet

- Haec duce custodes furtim transgressa iacentes

Ad iuvenem tenebris sola puella venit23 -:

Are sens