Tandem efficaci do manus scientiae273!
Die Künste, welche versprechen, unseren Körper und unsere Seele gesund zu erhalten, versprechen sehr viel. Dafür wüßte ich aber auch nichts, was weniger sein Versprechen hielte. Und zu unserer Zeit beweisen diejenigen, welche von diesen Künsten bei uns Profession machen, weniger tätige Wirkung derselben als alle übrigen Menschen. Man kann höchstens von ihnen sagen, daß sie heilkräftige Kräuter und Tränke verkaufen; daß sie aber Ärzte wären, kann man nicht sagen. Ich habe lange genug gelebt, um von der Gewohnheit Rechenschaft ablegen zu können, die mich bis hieher gebracht hat. Wer sie gleichfalls versuchen will, dem habe ich vorgekostet und bin sein Kredenzer. Hier sind einige Artikel, wie sie mir das Gedächtnis an die Hand gibt. Ich klebe an keiner Gewohnheit, die ich nicht nach den Veranlassungen abgeändert hätte; aber ich zeichne nur diejenigen auf, welche ich am meisten herrschend gefunden habe, denen ich bis auf diese Stunde am treuesten geblieben bin.
Meine Art zu leben ist in gesunden und kranken Tagen einerlei. Ich bediene mich desselben Bettes, halte einerlei Stunde, genieße einerlei Speise und einerlei Getränk. Ich füge dabei nichts hinzu, sondern mäßige mich nur mehr oder weniger nach Beschaffenheit meiner Kräfte und meines Hungers. Meine Gesundheit besteht darin, daß ich in meinem gewöhnlichen Zustand nicht gestört werde. Ich sehe, daß die Krankheit an einer Seite mich daraus versetzt; wenn ich den Ärzten glaubte, so würden die mich auf der anderen Seite davon abkehren, und so wäre ich denn durch Zufall und Kunst völlig aus meinem Weg gebracht. Ich glaube nichts gewisser als dies, daß mir solche Dinge nicht schaden können, an die ich seit langer Zeit gewohnt bin. Es ist die Gewohnheit, welche unserer Lebensart eine Form gibt, wie es ihr gefällt. Sie kann hierin alles. Sie ist der Zaubertrank der Circe, welcher unsere Natur verändert wie er will. Wie viele Nationen, kaum um etliche Schritte weit von uns entfernt, halten die Furcht vor der Nachtluft, die uns augenscheinlich nachteilig ist, für lächerlich, und unsere Landleute und Schiffer lachen gleichfalls darüber. Man macht einen Deutschen krank, wenn man ihm Matratzen zum Schlafen unterlegt, einen Italiener durch Federbetten und einen Franzosen, wenn ihm Vorhänge und Kaminfeuer gebrechen. Der Magen eines Spaniers hält unsere Tafel nicht aus, so wie der unsrige nicht das schweizerische Trinken. Ein Deutscher machte mir zu Augsburg das Vergnügen, die Unbequemlichkeit unserer Kamine mit eben den Gründen darzutun, deren wir uns gewöhnlich bedienen, um ihre Stubenöfen zu verwerfen. Denn in der Tat beschwert diese eingeschlossene Hitze und dabei der Geruch des erhitzten Stoffes, woraus sie bestehen, die Köpfe der meisten Menschen, welche nicht daran gewöhnt sind. Mir nicht. In der Tat mag sich auch diese anhaltende, allenthalben gleich verbreitete Wärme, ohne daß der Glanz der Flamme die Augen blendet, ohne Rauch und ohne die Zugluft, die wir durch die Öffnung unserer Kamine empfinden, in mehr als einer Rücksicht gar wohl mit denselben messen. Warum ahmen wir nicht die römische Bauart nach? Denn man sagt, daß sie vor alters in ihren Häusern von außen und unten einheizten und daß die Wärme durch Röhren innerhalb der Mauern in alle Zimmer geleitet wurde, die geheizt werden sollten, wie ich es beim Seneca, ich weiß nicht wo, ganz deutlich angezeigt gefunden habe. Als der vorbesagte Mann in Augsburg mich die Vorzüge und Schönheiten seiner Stadt rühmen hörte (wie sie es wirklich verdient), begann er mich zu beklagen, daß ich sie verlassen müßte, und die Hauptbeschwerlichkeit, die er mir anführte, setzte er in die Schwere des Kopfs, welche mir anderwärts die Kamine veranlassen würden. Er hatte jemand darüber klagen gehört und meinte, es sei unser Fall, weil er aus Gewohnheit in seiner Heimat dergleichen nicht fühlte.
Alle Wärme, die vom Feuer kommt, schwächt mich und macht mich schläfrig. Dennoch sagte Evenus, die beste Würze des Lebens wäre das Feuer. Ich wähle lieber alle anderen Mittel gegen die Kälte.
Wir fürchten die Neige des Weines; in Portugal liebt man dieses betäubende Getränk und setzt es auf die fürstliche Tafel. In summa: jede Nation hat verschiedene Gewohnheiten und Gebräuche, welche einer anderen Nation nicht nur unbekannt, sondern unerhört und barbarisch scheinen. Was sollen wir diesem Volke sagen, welches keine anderen als gedruckte Zeugnisse annimmt, welches den Menschen nichts glaubt, als was sie aus Büchern beweisen können, auch keine Wahrheit annimmt, wenn sie nicht von hinlänglichem Alter ist? Wir geben unseren Narrheiten eine Würde, wenn wir sie in Formen gießen. Es klingt viel wichtiger, wenn man sagt: Ich habe gelesen, als wenn man sagt: Ich habe sagen gehört. Ich aber, weil ich gegen den Mund eines Menschen nicht leichtgläubiger bin als gegen seine Hand, weil ich weiß, daß man ebenso leichtsinnig schreibt als spricht, und weil ich unsere Zeiten für so gut halte als die vergangenen, führe ebenso lieb einen meiner Freunde an als den Aulus Gellius oder Macrobius; und was ich gesehen habe, ebensogern, als was sie geschrieben haben. Und was man von der Tugend sagt, daß sie deswegen nicht größer sei, weil sie länger ist, das halte ich auch von der Wahrheit, daß sie deswegen, weil sie älter ist, nicht weiser sei. Ich sage oft, daß es platte Torheit ist, die uns nach fremden und schulgerechten Beispielen anjagt. Ihre Fruchtbarkeit ist zu dieser Stunde noch ebenso groß als zu den Zeiten Homers und Platos. Aber suchen wir nicht vielleicht mehr die Ehre der Bekanntschaft mit anderen Schriftstellern als die Wahrheit eines Satzes? Als ob mehr daran läge, unsere Beweise aus dem Laden eines Buchhändlers zu entlehnen, als von dem, was wir in unserm Dorfe sehen und haben können. Oder wir haben wenigstens nicht den erforderlichen Sinn, das, was vor uns liegt, gehörig zu untersuchen, ihm seinen Wert zu geben und solches richtig zu beurteilen, um es zum Beispiel aufzustellen. Sagen wir aber, es fehle uns an gehörigem Ansehen, um unserm Zeugnisse Glauben zu verschaffen, so sagen wir es mit Unrecht. Denn, nach meiner Meinung, können aus den gewöhnlichsten, gemeinsten und bekanntesten Dingen, wenn wir sie ins gehörige Licht zu stellen wissen, die größten Wunderwerke der Natur und die erhabensten Beispiele hergeleitet werden, besonders in Rücksicht auf menschliche Handlungen.
Aber wieder zu meiner Sache. Die Beispiele, welche ich aus Büchern weiß, beiseite gesetzt, und dessen nicht zu erwähnen, was Aristoteles vom Andron, dem Argier, erzählt, daß er die libyschen Sandwüsten durchwanderte, ohne zu trinken, so sagte ein Herr von Adel, der mit vieler Würde verschiedene Posten verwaltet hat, in meiner Gegenwart, er sei von Madrid nach Lissabon im Sommer gereist, ohne zu trinken. Er befindet sich für sein Alter bei außerordentlichen Kräften und hat in seiner Lebensart sonst nichts Besonderes als dies, daß er, wie er mir gesagt hat, zwei oder drei Monate, ja wohl ein ganzes Jahr hinbringt, ohne zu trinken. Er spürt wohl Durst, läßt ihn aber vorübergehen, und meint, es sei ein Bedürfnis, welches sich leicht von selbst stille. Dergestalt trinkt er mehr aus Laune als aus Notwendigkeit oder zum Vergnügen.
Hier noch ein anderes Beispiel. Ich traf vor nicht noch langer Zeit einen der gelehrtesten Männer Frankreichs, unter denen von nicht geringem Vermögen darüber an, daß er in einem Winkel des Saales studierte, welchen man durch eine Tapete abgeschlossen hatte, und um ihn her einen Haufen seiner Bedienten in lauter Ausgelassenheit. Er sagte mir (und Seneca sagte fast dasselbe von sich), er gewönne aus diesem Gepolter und Lärmen den Nutzen, daß er dadurch aufgeschreckt, sich fester und enger in sich selbst zum Nachdenken zusammenzöge und dieses Getöse von Stimmen seine Gedanken nach innen treibe. Als er in Padua studierte, bewohnte er solange ein Studierzimmer, welches dem Geräusche der Glocken und dem Getümmel des Marktes ausgesetzt war, daß er dadurch nicht nur alles Geräusch ohne Nachteil seines Studierens ertragen, sondern sogar Vorteil daraus ziehen lernte. Sokrates antwortete dem Alcibiades, der sich darüber wunderte, wie er das unaufhörliche Gekrächze seiner bösköpfigen Frau ertragen könne: »Es geht mir wie einem, der an das gewöhnliche Gekreisch gewöhnt ist, welches die Räder am Brunnen machen, wenn sie das Wasser heraufwinden.« Mit mir ist es gar anders beschaffen. Mein Geist ist zart und kann leicht in Schwung kommen. Wenn er mit sich selbst beschäftigt ist, bringt ihn das geringste Sumsen einer Fliege aus aller Fassung. Seneca hatte in seiner Jugend sich gar fest an das Beispiel des Sextius gehalten, von nichts zu essen, was einen leiblichen Tod erlitten. Er enthielt sich dessen ein Jahr hindurch, wie er sagt, mit Vergnügen, und änderte dieses Verhalten nur deswegen, damit er nicht in Verdacht geriete, als ob er diese Regel aus irgendeiner neuen Religion entlehnt habe, die solche vorschrieb. Nebenher befolgte et noch die Vorschrift des Attalus, nicht mehr auf weichen Pfühlen zu schlafen, welche sich an den Körper schließen, sondern bediente sich in seinem Alter harter Matratzen, auf denen der Körper keinen Eindruck macht. Was ihm seine Zeit als Härte anrechnet, läßt die unsrige uns als Gemächlichkeit betrachten. Man sehe nur den Unterschied zwischen der Lebensart meiner Hausbedienten und der meinigen. Die Skythen und Indianer sind nicht weiter von meiner Kraft und meiner Form entfernt. Ich erinnere mich, daß ich Bettelbuben von der Gasse genommen habe, um sie zu meiner Aufwartung zu gebrauchen. Diese haben bald darauf meinen Dienst und meine Küche verlassen und meine Livree ausgezogen, bloß um wieder zu ihrer vorigen Lebensart zurückzukehren. Einen fand ich in der Folge, der zu seinem Mahl Luderfleisch vom Schindanger aufsuchte, den ich aber weder durch Bitten noch Drohungen von dem Wohlbehagen abwendig machen konnte, das er an der Dürftigkeit empfand. Die Bettler haben ebensowohl ihre Pracht und Wollüste als die Reichen und, wie man sagt, sogar ihre eigenen Würden und Polizeiordnungen, alles Wirkungen der Gewohnheit. Diese kann uns nicht nur in alle Formen schmiegen, die ihr gefallen (unterdessen sagen die Weisen, sollten wir uns in die beste stellen, und sie wird uns solche alsobald erleichtern), sondern auch zum Wechsel und zur Veränderung, welches das Beste und Nützlichste ihrer Lehrschule ist. Das Beste an meiner körperlichen Beschaffenheit besteht darin, daß ich biegsam und nachgiebig bin. Ich habe Neigungen, die mir eigentümlicher, gewöhnlicher und angenehmer sind als andere; aber ich kann mich ihrer ohne große Anstrengung entschlagen und gleite ganz gemächlich zum Gegenteil über. Ein junger Mensch muß seine Gewohnheiten unterbrechen, um seine Kräfte zu erwecken, sich wenigstens vor Schimmeln und Faulen bewahren; und keine Lebensart ist so kindisch und närrisch als die Lebensart nach Schnur und Uhr:
Ad primum lapidem vectari cum placet, hora
Sumitur ex libro; si prurit frictus ocelli
Angulus, inspecta genesi, collyria quaerit274.
Wenn der Jüngling mir glauben will, so wird er zuweilen sogar ausschweifen. Sonst macht ihn der geringste Hieb über die Schnur unglücklich, und er wird unangenehm und unerträglich im Umgang. Die widerlichste Eigenschaft eines ehrlichen Mannes ist die Verzärtelung und die Gewohnheit an eine gewisse ausschließliche Lebensweise. Ausschließlich wird jede, welche nicht biegsam und gefügig ist. Man muß sich schämen, wenn man aus Unvermögen nicht mitmachen kann oder zu tun wagt, was die Genossen tun können. Laß solche Menschen in der Nähe ihrer eigenen Küche bleiben. Für jedermann ist so etwas unschicklich. Für einen Mann vom Kriegshandwerk aber ist es gar schimpflich und unverzeihlich. Denn ein solcher muß sich, wie Philopoemen sagte, an alle Verschiedenheiten und Ungleichheiten des Lebens gewöhnen.
Gleichwohl, so sehr ich, wie es sich tun ließe, an Verschiedenheit und Freiheit gewöhnt worden bin, habe ich dennoch aus Fahrlässigkeit, da ich älter geworden bin, gewisse Formen angenommen (meine alten Tage leiden keine Erziehung mehr und wollen sich auf nichts anderes mehr einlassen als auf ihre Erhaltung), und die Gewohnheit hat gewissen Dingen, ohne daran zu denken, ihren Charakter so stark eingeprägt, daß ich es Ausschweifung nenne, wenn ich davon abgehen soll. Ich kann nicht mehr, ohne mir wehe zu tun, spät in den Tag hinein schlafen noch zwischen den Mahlzeiten essen, noch frühstücken, noch mich schlafen legen ohne große Zwischenräume, nämlich ungefähr drei Stunden nach dem Abendessen, noch für meine Nachkommenschaft arbeiten, außer vor dem Schlafengehen, noch solches stehend verrichten; noch kann ich ein durchgeschwitztes Hemd auf dem Leibe behalten; noch bloßes Wasser oder unvermischten Wein trinken; ebenso wenig lange mit bloßem Kopfe bleiben oder mich nach der Mahlzeit scheren lassen. Und ich entbehrte ebenso gern des Hemdes als der Handschuhe und des Händewaschens beim Aufstehen als nach Tische, und äußerst notwendiger Bedürfnisse als des Himmelbettes und der Vorhänge. Ich könnte mein Essen ohne Tischtuch zu mir nehmen; aber sehr mit Widerwillen ohne reine Serviette, wie die Deutschen. Ich mache meine Serviette schmutziger wie sie und die Welschen und bediene mich des Löffels und der Gabel sehr wenig. Es tut mir leid, daß man nicht eine Gewohnheit befolgt hat, die ich bei den Königen eingeführt gesehen, daß man bei jedem Gange so wie reine Teller auch reine Servietten auflegt. Wir wissen von dem tätigen Soldaten Marius, daß er mit zunehmendem Alter immer leckerer im Trinken wurde und nie anders als aus seinem eigenen Becher trank. So mag ich gern aus besondern Gläsern trinken und ebenso ungern aus einem solchen, welches der Reihe nach herumgeht, als ich aus der Hand eines anderen trinken würde. Kein Metall gefällt mir so gut als helles, durchsichtiges Glas, welches ja auch meinen Augen ihren eigentümlichen Genuß gewährt. Dergleichen Weichlichkeiten mehr bin ich der Gewohnheit schuldig. Andre hat mir die Natur verliehen; wie zum Beispiel, daß ich nicht mehr zwei volle Mahlzeiten ertragen kann, ohne meinen Magen zu überladen, noch auch mich völlig einer Mahlzeit enthalten kann, ohne Blähungen zu empfinden, einen trocknen Mund zu bekommen oder meinem Appetit wehe zu tun; daß ich nicht lange in der Nachtluft bleiben kann, ohne daß es mir nachteilig werde. Denn wenn ich die ganze Nacht bei dem Herrndienst des Krieges, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, aufsitzen muß, so fängt seit einigen Jahren, nach fünf oder sechs Stunden, mein Magen an unruhig zu werden, ich empfinde heftige Kopfschmerzen und reiche nicht bis zum Tagesanbruch, ohne mich zu übergeben. Wenn die anderen zum Frühstück gehen, so muß ich mich schlafen legen und bin nachher wieder so munter wie vorher. Ich hatte beständig gehört, die Nachtluft träte erst mit Anbruch der Nacht selbst ein; aber da ich seit den letzten Jahren sehr lange und vertraut mit einem Herrn umging, der mit dem Glauben angesteckt war, solche Luft sei am schlimmsten und nachteiligsten, wenn sich die Sonne neige, eine oder zwei Stunden vor ihrem Untergang, weswegen er dieselbe sorgfältig vermeidet und weiter auf die Nacht nicht achtet, so hat er mir beinahe nicht sowohl seine Gründe als seine Empfindung eingeflößt; denn der Zweifel selbst und die Untersuchung macht unsere Einbildung rege und verursacht Veränderungen in uns. Wer solchen Gedanken plötzlich und auf einmal Raum gibt, zieht seinen völligen Untergang auf sich. Ich beklage mehr als einen Mann von Stande, der sich durch die Dummheit seiner Ärzte in früher gesunder Jugend dem Lazarett übergeben hat. Besser wäre es noch, eine Erkältung davonzutragen, als durch Entwöhnung auf zeitlebens des menschlichen Umgangs bei so wichtigen Vorfallenheiten entsagen müssen. Es ist eine schädliche Wissenschaft, welche uns die angenehmsten Stunden des Tages verschreit. Laßt uns unseren Besitz durch die äußerste Anstrengung erkämpfen. Die meiste Zeit härtet man sich ab, wenn man sich durch nichts irremachen läßt, und verbessert seine körperliche Beschaffenheit; wie Cäsar sich dadurch von der fallenden Sucht heilte, daß er nicht darauf achtete und ihr niemals nachgab. Man muß sich die beste Lebensweise vorschreiben, aber ihr sich nicht knechtisch unterwerfen; es sei denn einer solchen, deren Verpflichtung und Beobachtung nützlich ist.
Könige und Philosophen müssen zu Stuhle gehen und die Damen gleichfalls. Das Leben öffentlicher Personen ist an Zeremonien gebunden; mein unbeachtetes einzelnes Leben genießt aller natürlichen Freiheiten. Als Soldat und Gaskognier darf ich auch schon ein Wort mehr sagen. Deswegen will ich auch dieser Verrichtung hier erwähnen. Es ist notwendig, derselben gewisse bestimmte nächtliche Stunden anzuweisen und sich durch Gewohnheit dazu zu zwingen und zu binden, wie ich getan habe; aber nicht wie ich in meinem Alter getan habe, sich an eine gewisse Bequemlichkeit des Orts und Sitzes zu gewöhnen und solche durch langes Verweilen und Weichlichkeit unbequem zu machen. Gleichwohl ist es bei den schmutzigsten Verrichtungen gewissermaßen zu entschuldigen, wenn man darauf mehr Sorgfalt und Reinlichkeit verwendet: natura homo mundum et elegans animal est275. Bei allen natürlichen Verrichtungen mag ich am ungernsten in dieser unterbrochen werden. Ich habe Kriegsleute gekannt, die von der Unordnung ihres Stuhlganges sehr beschwert wurden, indes ich und der meinige uns niemals verfehlen und zu rechter Zeit zutreffen, nämlich beim Aufsteigen aus dem Bett, wenn nicht eine wichtige Beschäftigung oder Krankheit dazwischenkommt.
Ich weiß also, wie schon gesagt, einem Kranken nichts Besseres und mehr Sicheres anzuraten, als daß er sich ruhig bei der Lebensweise verhalte, worin er geboren und erzogen ist. Alle Veränderung, sie bestehe, worin sie wolle, greift an und tut weh. Man bilde sich nur ein, daß die Kastanien einem Perigurdiner oder einem Lucceser schädlich seien, oder Milch und Käse den Bergbewohnern, so wird man ihnen nicht nur eine neue, sondern eine höchst schädliche Diät vorschreiben, eine Veränderung, die selbst einem Gesunden übel bekommen müßte. Man verschreibe einem siebzigjährigen Bretagner Brunnenwasser; man sperre einen seefahrenden Mann ein in eine Badstube, man verbiete einem Bedienten aus Biskaya spazieren zu gehen, man raube ihnen Bewegung und endlich Luft und Licht,
An vivere tanti est?
Cogimur a suetis animum suspendere rebus,
Atque, ut vivamus, vivere desinimus ...
Hoc superesse reor, quibus et spirabilis aër,
Et lux, qua regimur, redditur ipsa gravis276.
Wenn man damit keinen anderen Nutzen schafft, so wird man so viel wenigstens bewirken, daß man die Kranken beizeiten auf den Tod vorbereitet und nach und nach den Gebrauch ihres Lebens untergräbt und abschneidet.
Gesund oder krank habe ich immer gern die Gelüste befolgt, wovon ich mich gedrungen fühlte. Ich räume meinen Begierden und Verlangen ein großes Recht ein. Ich mag nicht gern Übel durch Übel heilen. Ich hasse die Mittel, welche beschwerlicher sind als die Krankheit Wollte ich mich, weil ich mit Steinschmerzen geplagt bin, auch des Vergnügens berauben, Austern zu essen, so erlitte ich zwei Übel statt eines. Die Krankheit zwickt auf einer Seite und die Verordnung auf der anderen. Da wir einmal das Wagestück bestehen, uns zu verrechnen, so wagen wir einmal etwas für das Vergnügen. Die Welt tut das Gegenteil, hält nichts für nützlich, was nicht weh tut, und was leicht wird, ist ihr verdächtig. Mein Appetit in verschiedenen Dingen hat sich glücklicherweise von selbst gefügt und sorgt für die Gesundheit meines Magens. In meiner Jugend fand ich viel Gefallen an scharfen und hochgewürzten Brühen. Da sich in der Folge mein Magen nicht damit vertragen wollte, veränderte sich alsobald auch mein Geschmack. Wein ist dem Kranken schädlich. Auch ist er das erste, womit sich mein Mund nicht vertragen kann und wovor er einen unüberwindlichen Ekel bekommt. Alles, was ich mit Widerwillen zu mir nehme, ist mir schädlich, und nichts ist mir undienlich, was ich mit Hunger und Wohlgeschmack genieße. Ich habe niemals Nachteil von einer Handlung gespürt, die mir viel Wohlbehagen verursacht hatte; und deshalb habe ich auch meinem Vergnügen alle medizinischen Verordnungen bei weitem nachgesetzt und mich von Jugend an -
Quem circumcursans huc atque huc saepe Cupido
Fulgebat crocina splendidus in tunica277 -
ebenso leichtsinnig und unbedachtsam meinen Begierden und Verlangen überlassen wie irgendjemand -
Et militavi non sine gloria278 -,
mehr indessen in der Dauer und anhaltend als durch Heftigkeit des ersten Angriffs:
Sex me vix memini sustinuisse vices279.
Bei alledem ist es, wie ich gestehe, ein Unglaube und ein Wunder, daß ich bei sogar frühen Jahren schon der ersten Neigung dieser Art den Zügel schießen ließ. Der Zufall tat alles dabei. Denn es geschah lange vor der Zeit der Erkenntnis und der Wahl. Ich kann mich selbst nicht einmal so weit zurückerinnern, und man mag mein Geschick sehr wohl mit dem der Quartilla vergleichen, die sich ihrer Jungfräulichkeit nicht mehr erinnern konnte:
Inde tragus, celeresque pili, mirandaque matri
Barba meae280.
Die Ärzte beugen gewöhnlich mit Nutzen ihre Vorschriften nach der Heftigkeit der Begierden, welche ihren Kranken aufstoßen. Die Begierde mag so befremdlich und tadelhaft sein, als sich immer denken läßt, die Natur ist sicherlich im Spiele. Wieviel gewinnt man überdem dabei, wenn man die Einbildungskraft befriedigt? Nach meiner Meinung kommt alles darauf an, zum wenigsten mehr wie auf alles übrige. Die drückendsten und häufigsten Übel sind diejenigen, womit die Einbildungskraft uns belastet. Aus vielen Ursachen gefällt mir das spanische Sprichwort: Defiendame Dios de mú281. Bin ich krank, so tut mir's leid, wenn ich kein Gelüste habe, welches mir das Vergnügen machen könnte, es zu befriedigen. Es wird den Ärzten schwer werden, mich davon abzuhalten. Ebenso geht mir's, wenn ich gesund bin. Ich kenne nichts Besseres als zu wollen und zu wünschen. Es ist Elend genug, wenn sogar die Wünsche schwach und matt werden.
Mit der Arzneikunst ist es noch nicht so weit gediehen, daß wir nicht bei allem unseren Tun und Lassen noch Autoritäten voraushaben sollten. Sie ist anders nach den Himmelsgegenden, nach den Mondphasen und nach diesem oder jenem Arzt. Wenn der eurige nicht für gut findet, daß ihr schlafet, daß ihr Wein trinkt oder diese oder jene Speise eßt, so seid deswegen unbesorgt; ich will euch schon einen anderen zuführen, der nicht seiner Meinung sein soll. Die Verschiedenheit der medizinischen Gründe und Meinungen ist unermeßlich. Ich kannte einen elenden Kranken, welcher, um zu genesen, vor Durst fast verschmachtete und umkam und deswegen nachher von einem anderen Arzt ausgelacht wurde, der diese Vorschrift als schädlich verwarf. Hatte er seine große Enthaltsamkeit nicht sehr nützlich angewandt? Es ist neulich ein Mitglied dieses Ordens am Stein gestorben, der sich großer Enthaltsamkeit befliß, um seine Krankheit zu bekämpfen. Dahingegen sagen seine Kollegen, er habe sich durch seine Fasten ausgedörrt und den Grieß in seinen Nieren gebrannt.
Ich habe wahrgenommen, daß mich bei Wunden und Krankheiten das Sprechen erhitzt und mir schädlicher ist als alle übrigen Verstöße. Das Sprechen wird mir schwer und ermüdet mich; denn ich rede laut und mit solcher Anstrengung, daß vornehme Personen, mit denen ich von wichtigen Angelegenheiten gesprochen habe, mich oft erinnern mußten, leiser zu sprechen.
Folgende Erzählung verdient, daß ich sie zu meinem Vergnügen anführe. Ein gewisser Mensch in einer Schule von Griechenland sprach laut wie ich. Der Zeremonienmeister ließ ihm sagen, er sollte leiser reden. »Laß ihn mir«, sagte dieser, »den Ton zuschicken, in welchem ich nach seiner Meinung reden soll.« Der andere versetzte: »Nimm deinen Ton von den Ohren desjenigen, mit dem du sprichst.« Das war gut gesagt, wenn es soviel heißen soll: Sprich nach Maßgabe dessen, was du deinem Zuhörer zu sagen hast. Denn wenn es heißen soll: Es sei dir genug, daß er dich hört, oder richte dich nach ihm, so bin ich damit nicht einverstanden. Ton und Bewegung der Stimme haben einen gewissen Ausdruck und Bedeutung reinen Sinnes. Diese muß ich also aufbieten, wenn sie mich vertreten sollen. Es gibt eine Stimme zum Unterrichten, eine Stimme zum Schmeicheln oder Schelten. Ich will, daß meine Stimme nicht bloß zu einem anderen gelange, sondern vielleicht, daß sie ihn treffe und durchdringe. Wenn ich meinen Bedienten ausfilze und dabei meine Stimme laut und schreiend ist, darf er mir nicht sagen: »Herr, schreien Sie nicht so, ich höre Sie ja wohl.« Est quaedam vox ad auditum accommodata, non magnitudine, sed proprietate282. Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört. Dieser muß sich darauf gefaßt machen, es in der Bewegung aufzufangen, worin es ihm zukommt. Wie beim Ballspiel der Anfänger den Schläger und dessen Bewegung zur Richtschnur der seinigen macht und nach derselben seine eigene Geschwindigkeit abmißt.
Die Erfahrung hat mich auch noch dies gelehrt, daß wir uns durch Ungeduld zugrunde richten. Jedes Ungemach hat sein Leben und seine Grenzen, seine Krankheit und seine Gesundheit. Die Beschaffenheit der Krankheiten richtet sich nach der Beschaffenheit des tierischen Körpers. Ihre Dauer und Tagezeit ist ihnen von ihrem Ursprung an vorgeschrieben. Wer es darauf anlegt, sie gewaltsamer, herrschsüchtigerweise abzukürzen und ihren Lauf zu hemmen, der verlängert, vervielfältigt und verbittert sie, anstatt sie zu beschwichtigen. Ich bin der Meinung Crantors, daß man sich den Übeln weder eigensinnig wie ein Wildfang widersetzen, noch ihnen weichlich unterliegen, sondern ganz natürlich ihrer und unserer Beschaffenheit gemäß nachgeben müsse. Man muß den Krankheiten ihren Weg offenlassen; und ich finde, daß sie kürzer bei mir verweilen, will ich sie ihren Gang gehen lassen. Ich habe einige von denen, welche man für die hartnäckigsten hält, von selbst verloren, ohne Hilfe und Kunst und gegen die gewöhnliche Regel. Laß doch die Natur sich selbst helfen. Sie versteht ihre Sache besser zu machen als wir. Dieser oder jener ist daran gestorben. Nun, euch wird's nicht besser gehen, wo nicht an dieser, doch an einer anderen Krankheit. Wie viele sind nicht daran gestorben, ungeachtet sie drei Ärzte auf dem Halse hatten? Das Beispiel ist ein allgemeiner, trüglicher Spiegel, in welchem man alles erblickt. Ist etwas eine angenehme Medizin, so gebraucht solche. Sie ist immer ein gegenwärtiges Gut. Ich werde mich nie beim Namen noch bei der Farbe aufhalten, wenn sie wohlschmeckend und appetitlich ist. Das Vergnügen ist immer der hauptsächlichste Vorteil. Ich habe bei mir alt werden und eines natürlichen Todes sterben lassen: Schnupfen, Flüsse, Gicht, Durchlauf, Herzklopfen, Kopfschmerzen und andere Zufalle, die ich verloren, als ich schon halb darauf gefaßt war, sie zu ernähren. Man beschwört sie besser durch Höflichkeit als durch Trotz. Man muß die Schmerzen, die uns nach den Gesetzen unseres Zustandes überkommen, geduldig ertragen. Wir sind einmal da, um alt, schwach und krank zu werden, trotz aller Arznei. Es ist die erste Lehre, welche die Mexikaner ihren Kindern geben, wenn sie solche beim Austritt aus ihrer Mutter Schoß folgendergestalt bewillkommen: Kind, du bist auf die Welt gekommen, um zu dulden; dulde, leide und schweig! Es ist ungerecht, sich zu beklagen, daß einem etwas überkommen sei, was jedem überkommen kann: Indignare, si quid in te inique proprie constitutum est283.
Man sehe doch den Alten, welcher sein Gebet darauf richtet, der liebe Gott solle ihn bei völliger kräftiger Gesundheit erhalten! Heißt das nicht soviel, er solle ihn wieder verjüngen?
Stulte, quid haec frustra votis puerilibus optas284?
Ist es nicht Torheit? Seine Verhältnisse erlauben es ja nicht. Zipperlein, Steinschmerzen, Magenschwäche sind die Begleiter von langen Jahren, wie Hitze, Regen und Winde die Begleiter langer Reisen sind. Plato glaubt nicht, daß Äsculap sich sehr darum bekümmert habe, ob er durch seine Vorschriften die Lebensdauer verdorbenen, geschwächten Körpern erhalten könne, die ihrem Vaterland unnütz, unnütz für ihre Berufsgeschäfte und unnütz waren, gesunde und starke Kinder auf die Welt zu setzen, und findet diese Sorge der göttlichen Gerechtigkeit und Weisheit gemäß, welche alle Dinge zu nützlichen Zwecken leiten soll. Mein guter alter Mann, es ist vorbei. Man kann dir nicht wieder auf die Füße helfen. Höchstens kann man dich ein wenig aufpflastern, von neuem anschienen und dein Elend um ein paar Minuten verlängern:
Non secus instantem cupiens fulcire ruinam,
Diversis contra nititur objicibus,