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Semper voluendo: seque ipsum inculcat et offert,

Ut bene cognosci possit, doceatque videndo

Qualis eat, doceatque suas attendere leges21.

Unsere Vernunft und unsere menschlichen Schlüsse gleichen der trägen und unfruchtbaren Materie; die Gnade Gottes aber ist die Form dazu: diese gibt derselben die Gestalt und den Wert. Die tugendhaften Handlungen des Sokrates und des Cato bleiben eitel und unnütz, weil sie nicht die gehörige Absicht gehabt, weil sie nicht auf die Liebe und den Gehorsam gegen den wahren Schöpfer aller Dinge abgezielt, und weil sie Gott nicht erkannt haben. Ebenso geht es auch mit unseren Einfällen und Schlüssen. Sie haben einen Körper, der aber ein ungestalter Klump ohne Bildung und ohne Licht ist, wenn nicht die Gnade Gottes und der Glaube dazukommen. Also bestärkt und befestigt der Glaube die Beweise des Sebonde, wenn er sie färbt und erleuchtet. Sie können einem Anfänger nützlich sein und zum ersten Führer dienen, damit er den Weg zu dieser Erkenntnis trifft. Sie bereiten ihn einigermaßen vor; und machen ihn der göttlichen Gnade fähig, vermittelst welcher hernach unser Glaube zu seiner Vollkommenheit gelangt. Ich kenne einen angesehenen und gelehrten Mann, welcher mir gestanden hat, daß er vermittelst der Beweise des Sebonde von den Irrtümern des Unglaubens abgebracht worden sei. Und, wenn man sie auch dieser Zierde, der Hilfe und des Beifalles des Glaubens, beraubt, wenn man sie auch als bloß menschliche Einfälle betrachtet, um diejenigen damit zu bestreiten, die in die abscheuliche und schreckliche Finsternis des Unglaubens gefallen sind: so wird man dem ungeacht noch finden, daß sie so gründlich und so stark sind, als keine anderen von eben dieser Gattung, die man ihnen entgegensetzen kann. Auf diese Art können wir also zu unseren Gegnern sagen,

Si melius quid habes, accerse, vel imperium fer22.

Sie müssen entweder die Stärke unserer Beweisgründe gelten lassen, oder uns, anderswo und bei einem anderen, Beweise, die besser zusammenhängen und von besserem Stoffe sind, zeigen. Ich habe mich unvermerkt schon halb auf dem anderen Einwurf eingelassen, welchen ich mir wegen des Sebonde zu beantworten vorgesetzt hatte.

Einige sagen, seine Beweisgründe wären schwach und nicht imstande, dasjenige zu beweisen, was sie beweisen sollen, und rühmen sich, daß sie dieselben leicht über den Haufen werfen wollten. Diesen muß man ein wenig besser zu Leibe gehen: denn, sie sind gefährlicher und boshafter als die ersten. Man bedient sich gerne anderer Leute Worte zur Bestärkung seiner eigenen vorgefaßten Meinungen. Einem Gottesleugner scheinen alle Schriften auf die Gottesleugnung abzuzielen. Er steckt die unschuldigste Materie mit seinem eigenen Gifte an. Diese Leute können wegen ihrer Vorurteile an des Sebonde Gründen keinen Geschmack finden. Übrigens glauben sie, man gäbe ihnen gewonnen Spiel, wenn man ihnen die Freiheit verstattet, unsere Religion mit bloß menschlichen Waffen anzugreifen, welche sie sich in ihrer vollkommen ansehnlichen und gebieterischen Majestät nicht anzutasten getrauen. Das Mittel, welches ich diese Raserei zu dämpfen ergreife und welches ich für das bequemste halte, ist dieses, daß ich den Hochmut und die menschliche Verwegenheit zerschmettere und unter die Füße trete; daß ich ihnen die Nichtigkeit, die Eitelkeit und Geringschätzigkeit des Menschen zeige; daß ich ihnen die elenden Waffen ihrer Vernunft aus den Händen reiße; daß ich sie zwinge, sich vor der göttlichen Majestät gehorsam und ehrerbietig zu bücken und zu Boden zu werfen. Dieser ist ganz allein alle Wissenschaft und Weisheit eigen, diese ganz allein kann sich selbst hochschätzen; und wir entziehen ihr, was wir uns beimessen, und uns herausnehmen23, Οὐ γὰρ ἐᾷ φρονέειν μέγα ὁ θεὸς ἄλλον ἢ ἑωυτόν. Laßt uns diese Einbildung, welche der erste Grund der Tyrannei des bösen Geistes ist, niederschlagen24. Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. Die Götter, sagt Plato25, besitzen völligen Verstand, die Menschen aber gar keinen, oder sehr wenig. Inzwischen ist es doch ein großer Trost für einen Christen, wenn er sieht, daß sich unsere sterblichen und vergänglichen Werkzeuge so schön zum Dienste unseres heiligen und göttlichen Glaubens schicken, daß sie nicht einmal mit mehr vereinter und größerer Kraft wirken, wenn man sie bei Dingen gebraucht, die ihrer Natur nach sterblich und vergänglich sind. Laßt uns also sehen, ob der Mensch stärkere Gründe in seiner Gewalt hat, als des Sebonde Gründe sind; ja, ob er durch Gründe und Vernunftschlüsse zu einiger Gewißheit gelangen kann. Der heilige Augustin26 nimmt, wenn er wider diese Leute schreibt, Gelegenheit, ihnen ihre Unbilligkeit zu verweisen, daß sie diejenigen Stücke unseres Glaubens, welche unsere Vernunft nicht erweisen kann, für falsch halten. Er zeigt ihnen, daß viele Dinge sein können und gewesen sind, deren Natur und Ursachen unsere Vernunft nicht ergründen kann; und stellt ihnen gewisse bekannte und ungezweifelte Erfahrungen vor, welche die Menschen ihrem eigenen Geständnisse nach nicht einsehen. Er hat dabei, so wie bei allen anderen Gelegenheiten, eine sorgfältige und sinnreiche Wahl beobachtet. Allein man muß noch mehr tun, und ihnen zeigen, daß man sich, um ihre Vernunft der Schwäche zu überführen, nicht erst lange nach seltenen Beispielen umsehen darf. Man muß ihnen zeigen, daß sie so mangelhaft und so blind ist, daß ihr auch das klarste nicht klar genug ist; daß das leichte und das schwere für sie eines wie das andere ist; daß alle Gegenstände ohne Unterschied, so wie die Natur überhaupt, ihre Herrschaft und Vermittlung nicht erkennen. Was befiehlt uns die Wahrheit, wenn sie uns die weltliche Philosophie zu fliehen befiehlt27; wenn sie uns so oft einschärft28, daß unsere Weisheit für Gott nichts als Torheit ist; daß der Mensch unter allen eiteln Dingen das allereitelste ist; daß der Mensch, der sich etwas auf sein Wissen einbildet, noch nicht einmal weiß, was Wissen ist; und daß der Mensch, der nichts ist, sich selbst betrügt und sich selbst verführt, wenn er sich etwas zu sein einbildet? Diese Aussprüche des Heiligen Geistes drücken das, was ich behaupte, so klar und lebhaft aus, daß ich gar keines anderen Beweises benötigt wäre, wenn ich mit Leuten zu tun hätte, die sich ihm mit aller Demut und allem Gehorsam unterwerfen wollten.

Allein, diese Leute wollen mit ihrer eigenen Rute gepeitscht sein, und wollen ihre Vernunft nicht anders als durch sie selbst bestreiten lassen. Laßt uns demnach gegenwärtig den Menschen ganz allein und für sich, ohne fremde Hilfe, bloß mit seinen eigenen Waffen gerüstet und ohne die Gnade und Erkenntnis Gottes, die alle seine Ehre, alle seine Stärke, ja den Grund seines Wesens ausmacht, betrachten. Laßt uns sehen, wie er sich in dieser schönen Rüstung halten wird. Er zeige mir also durch die Stärke seiner Vernunft, auf was für Grund er diese großen Vorzüge, die er vor den anderen Geschöpfen zu haben denkt, gebaut hat. Wer hat ihn beredet, daß das bewundernswürdige Herumdrehen des Himmelsgewölbes, das ewige Licht der so kühn über seinem Haupte hinlaufenden Fackeln, die furchtbaren Bewegungen des unermeßlichen Meeres bloß zu seiner Bequemlichkeit und zu seinem Dienste gemacht sind und soviele hundert Jahre fortgedauert haben? Kann man sich etwas so Lächerliches einbilden, als dieses, daß sich ein so elendes und armseliges Geschöpf, welches nicht einmal über sich selbst Herr ist und von allen Dingen verletzt werden kann, einen Beherrscher und Regenten der ganzen Welt nennt, von welcher es nicht einmal den geringsten Teil erkennt, geschweige denn regieren kann? Und wer hat denn dem Menschen das Vorrecht gegeben, welches er sich selbst anmaßt, daß er in diesem großen Gebäude ganz allein geschickt sei, desselben Schönheit und Teile zu erkennen, ganz allein geschickt, dem Baumeister dafür Dank zu sagen und von dem Nutzen und Gebrauch der Welt Rechenschaft zu geben? Er muß uns die Bestallung zu diesem wichtigen und großen Amte zeigen. Ist sie nur den Weisen zum besten ausgefertigt worden? Alsdann geht sie wenig Leute an. Sind die Toren und Ruchlosen einer so außerordentlichen Gnade würdig; und verdienen sie, da sie der schlimmste Teil der Welt sind, allen übrigen Teilen vorgezogen zu werden? Wollen wir einem Weltweisen hierinnen glauben29? Quorum igitur causa quis dixerit effectum esse mundum? Eorum scilicet animantium, quae ratione utuntur. Hi sunt dii et homines, quibus profecto nihil est melius. Diese unverschämte Verbindung kann niemals genug belacht werden. Allein, was hat dann der arme Mensch an sich, das eines solchen Vorzuges würdig ist? Man betrachte nur die unverwesliche Dauer der himmlischen Körper, ihre Schönheit, ihre Größe, ihre beständige und so regelmäßige Bewegung

Cum suspicimus magni coetestia mundi

Templa super, stellisque micantibus aethera fixum,

Et venit in mentem Lunae Solisque viarum30.

Man betrachte nur die Herrschaft und Gewalt, welche diese Körper nicht allein über unser Leben und die Glücksgüter, - Facta etenim et vitas hominum suspendit ab astris31 - sondern auch sogar über unsere Neigungen, unsere Schlüsse, und unseren Willen haben; welchen sie durch ihre Einflüsse regieren, antreiben, und bewegen, wie uns unsere Vernunft lehrt, und erkennt:

... Speculataque longe

Deprendit tacitis dominantia legibus astra,

Et totum alterna mundum ratione moveri,

Fatorumque vices certis discernere signis32.

Man gebe nur acht, wie nicht allein ein Mensch, nicht allein ein König, sondern ganze Monarchien, ganze Reiche, durch die geringsten himmlischen Bewegungen in Bewegung gesetzt werden, Quantaque quam parui faciant discrimina motus33; Tantum est hoc regnum quod Regibus imperat ipsis34.

Wenn unsere Tugend, unsere Laster, unsere Geschicklichkeit und Wissenschaft und selbst diese Betrachtung, die wir über die Macht der Sterne anstellen, und die Vergleichung zwischen ihnen und uns, wenn alles dieses, wie unsere Vernunft urteilt, durch ihre Wirkung und Gunst geschieht,

... Furit alter amore,

Et pontum tranare potest et vertere Troiam:

Alterius sors est scribendis legibus apta:

Ecce patrem nati perimunt, natosque parentes,

Mutuaque armati coeunt in vulnera fratres:

Non nostrum hoc bellum est: coguntur tanta movere,

Inque suas ferri poenas, lacerandaque membra

...

Hoc quoque fatale est, sie ipsum expendere fatum35.

Wenn uns der Teil der Vernunft, den wir besitzen, von dem Himmel zugeteilt ist: wie kann er uns demselben gleich machen? Wie können wir zu einer Wissenschaft von seinem Wesen und seinen verschiedenen Eigenschaften gelangen? Alles, was wir an jenen Körpern sehen, setzt uns in Erstaunen: quae molitio, quae ferramenta, qui vectes, quae machinae, qui ministri tanti operis fuerunt36? Warum wollen wir ihnen Seele, Leben und Vernunft absprechen? Haben wir irgendeine unbewegliche und unempfindliche Blödsinnigkeit an ihnen bemerkt, da wir weiter nichts mit ihnen zu schaffen haben, als daß wir ihnen gehorchen müssen? Wollen wir sagen, daß wir bei keinem anderen Geschöpfe als bei dem Menschen, den Gebrauch einer vernünftigen Seele gesehen haben? Was? Haben wir irgendetwas gesehen, das der Sonne ähnlich ist? Ist sie deswegen nicht, weil wir nichts ähnliches gesehen haben? Hat sie nicht wirkliche Bewegungen, wenn es gleich keine anderen gleichförmigen gibt? Wenn dasjenige nicht ist, was wir nicht gesehen haben, so hat unsere Wissenschaft sehr enge Grenzen37. Quae sunt tantae animi angustiae! Sind es nicht Träume der menschlichen Eitelkeit, wenn man aus dem Monde eine himmlische Erde macht? Wenn man, wie Anaxagoras, Berge und Täler darinnen vermutet? Wenn man daselbst, wie Plato und Plutarch, Wohnungen für Menschen anlegt und Pflanzstädte zu unserer Bequemlichkeit errichtet? Wenn man aus unserer Erde ein leuchtendes und helles Gestirn macht? Inter caetera mortalitatis incommoda, et hoc est, caligo mentium: nec tantum necessitas errandi, sed errorum amor ... Corruptibile corpus aggravat animam, et deprimit terrena inhabitatio sensum multa cogitantem38.

Der Hochmut ist ein uns natürlicher und angeborener Fehler. Der Mensch ist das elendeste und gebrechlichste unter allen Geschöpfen: und dennoch ist er das hoffärtigste. Er merkt und sieht, daß er hier in dem Schlamm und Unflat der Welt wohnt, daß er an das schlechteste, lebloseste, und trägste Teil dieses Ganzen, an das unterste und von dem Himmelsgewölbe am weitesten entlegene Stockwerk nebst denjenigen Tieren, welche von der schlechtesten Art unter den dreien sind39, gebunden und angenagelt ist. Nichtsdestoweniger will er sich durch seine Einbildung über den Kreis des Monds schwingen, und den Himmel unter seine Füße bringen.

Durch eben diese eitle Einbildung macht er sich Gott gleich, legt sich göttliche Eigenschaften bei, sondert sich selbst von dem Haufen der anderen Geschöpfe ab, schneidet den Tieren, seinen Mitbrüdern und Gesellen ihren Teil zu und gibt ihnen so viel Vermögen und Kräfte, als ihm gutdünckt. Wie, erkennt er denn durch die Stärke seines Verstandes die innerlichen und verborgenen Regungen der Tiere? Aus was für einer Vergleichung zwischen uns und ihnen folgert er dann die Dummheit, die er ihnen beilegt? Wer weiß, wenn ich mit meiner Katze spiele, ob sie sich die Zeit nicht mehr mit mir vertreibt, als ich mir dieselbe mit ihr vertreibe? Wir treiben wechselsweise miteinander Possen. Gleichwie ich nach Gefallen anfangen oder aufhören kann, so kann sie es auch. Plato40 zählt in seiner Abbildung der güldenen Zeit unter dem Saturn den Umgang der Menschen mit den Tieren, bei welchen sie sich erkundigten, belehren ließen und jeder Art ihre wahren Eigenschaften und Charakter erfuhren, mit unter die hauptsächlichsten Vorzüge der damaligen Menschen: weil sie auf diese Art eine sehr vollkommene Erkenntnis und Klugheit erlangten und daher ein ungemein glücklicher Leben führten, als wir zu führen imstande sind. Brauchen wir einen besseren Beweis von der menschlichen Unverschämtheit in Ansehung der Tiere? Dieser große Schriftsteller hat dafür gehalten, daß die Natur meistenteils bei der ihnen erteilten Leibesbildung bloß auf die gewöhnlichen Vorbedeutungen gesehen habe, die man zu seiner Zeit darinnen suchte. Warum liegt der Fehler, welcher den Umgang zwischen uns und ihnen hindert, nicht ebenso wohl an uns als an ihnen? Es ist noch nicht ausgemacht, an wem der Fehler liegt, daß wir einander nicht verstehen: denn wir verstehen sie ebenso wenig, als sie uns verstehen. Sie können uns aus eben dem Grunde für unvernünftig halten, aus welchem wir sie dafür halten. Es ist kein großes Wunder, wenn wir sie nicht verstehen. Wir verstehen ja auch die Biscayer und die Troglodyten41 nicht. Indessen haben sich doch einige sie zu verstehen gerühmt, als Apollonius von Thyana42, Melampus43, Tiresias, Thales44 und andere. Und wenn, wie die Erdbeschreiber berichten45, gewisse Völker einen Hund zu ihrem Könige machen: so müssen sie doch wohl seine Stimme und seine Bewegungen zu verstehen glauben.

Wir müssen nur auf die Gleichheit, die zwischen uns und ihnen ist, Achtung geben. Wir verstehen mittelmäßig, was die Tiere haben wollen; und fast ebenso gut verstehen auch uns die Tiere. Sie schmeicheln, sie drohen, sie ersuchen uns: und dieses tun wir auch gegen sie. Übrigens sehen wir sehr deutlich, daß unter ihnen ein vollkommenes Verständnis ist; und daß nicht nur diejenigen, die von einerlei Art sind, sondern auch Tiere von verschiedenen Arten einander verstehen.

Et mutae pecudes et denique secla ferarum.

Dissimiles fuerunt voces variasque cluere,

Cum metus aut dolor est, aut cum iam gaudia gliscunt46.

Aus einem gewissen Bellen des Hundes erkennt das Pferd, daß er zornig ist; vor einer anderen Stimme von ihm entsetzt es sich nicht. Selbst bei denjenigen Tieren, die keine Stimme haben, können wir aus den gegenseitigen Dienstbezeigungen leichtlich schließen, daß sie durch irgendein anderes Mittel ein Verständnis miteinander unterhalten müssen. Ihre Bewegungen reden.

Non alia longe ratione atque ipsa videtur

Protrahere ad gestum pueros infantia linguae47.

Warum geht dieses alles nicht eben sowohl an, als daß unsere Stummen miteinander disputieren, Schlüsse machen, und Geschichte durch Zeichen erzählen? Ich habe unterschiedliche gesehen, die hierinnen so geschickt und fertig waren, daß sie sich in der Tat vollkommen verständlich erklären konnten. Die Verliebten zürnen, versöhnen sich wieder, bitten, danken einander, bestellen einander und sagen einander alles mit den Augen.

E'l silentio ancor suole

Hauer prieghie parole48.

Was tun wir nicht alles mit den Händen? Wir ersuchen, versprechen, rufen, beurlauben, drohen, bitten, flehen, verneinen, versagen, fragen, bewundern, zählen, bekennen, bereuen, fürchten, schämen, zweifeln, unterweisen, befehlen, reizen, ermuntern, schwören, bezeugen, beschuldigen, verdammen, sprechen los, schimpfen, verachten, trotzen, zürnen, schmeicheln, loben, segnen, demütigen, spotten, versöhnen, empfehlen, erhöhen, empfangen, erfreuen, beklagen, betrüben, verzweifeln, erstaunen, rufen aus, schweigen stille. Wir verändern und vervielfältigen die Bewegungen derselben so gut als die Bewegungen der Zunge. Mit dem Kopfe rufen wir und fertigen auch wieder ab. Mit dem Kopfe bekennen, leugnen, widersprechen, bewillkommen, ehren, verehren, verachten, fordern, verweigern, erfreuen, trauern, liebkosen, schelten, trotzen, ermahnen, drohen, versichern, fragen wir. Was tun wir nicht mit den Augenbrauen? Was nicht mit den Schultern? Alle Bewegungen reden, und zwar eine ohne allen Unterricht verständliche Sprache, eine ganz gemeine Sprache. Hieraus ist zu schließen, wenn man die Verschiedenheit und den mannigfaltigen Gebrauch der anderen Sprachen betrachtet, daß diese hier der menschlichen Natur gemäßer sein muß. Ich übergehe dasjenige, was besonders die Not diejenigen geschwind davon lehrt, die es brauchen: sowohl als die Fingeralphabete und Sprachlehren in Gebärden, nebst den Wissenschaften, welche bloß durch dieselbigen ausgeübt und ausgedrückt werden. Ich will auch derjenigen Völker nicht gedenken, von denen Plinius sagt49, daß sie gar keine andere Sprache hätten. Als ein Abgesandter der Stadt Abdera lange vor dem Könige zu Sparta, Agis, geredet hatte und ihn endlich fragte: Nun Herr, was soll ich unseren Bürgern für eine Antwort bringen?, so antwortete dieser50: Dass ich dich alles, was du gewollt hast und solange du gewollt hast, habe sagen lassen, ohne ein einziges Wort zu reden. War dieses nicht ein redendes und sehr verständliches Schweigen?

Ferner, welche Art von unserer Geschicklichkeit nehmen wir nicht in den Verrichtungen der Tiere wahr? Kann eine Polizei ordentlicher eingerichtet sein, mehr verschiedene Ämter und Bedienungen haben und beständiger unterhalten werden, als diejenige, die unter den Bienen ist? Können wir uns einbilden, daß diese so ordentliche Einteilung der Arbeiten und Verrichtungen ohne Vernunft und ohne Klugheit gemacht werden könne?

His quidam signis atque haec exempla sequuti.

Esse apibus partem divinae mentis, et haustus

Aethereos dixere51.

Suchen wohl die Schwalben, die wir bei wiederkommenden Frühling alle Winkel unserer Häuser ausspähen sehen, ohne Beurteilung; und wählen sie ohne Einsicht unter tausend Plätzen denjenigen, der zu ihrer Wohnung der bequemste ist? Können sich die Vögel bei ihrem schönen und wunderbaren Nestbaue vielmehr einer viereckigen als runden Figur, vielmehr eines stumpfen als eines rechten Winkels bedienen, ohne derselben Beschaffenheit und Wirkungen zu verstehen? Nehmen sie bald Wasser und bald darauf Ton, ohne zu urteilen, daß das Harte in der Nässe weich wird? Belegen sie den Boden ihrer Paläste mit Moos oder Pflaumenfedern, ohne vorher zu sehen, daß die zarten Glieder ihrer Jungen weicher und bequemer darauf liegen werden? Verwahren sie sich vor dem Regenwinde und bauen ihre Wohnungen gegen Morgen, ohne die verschiedene Beschaffenheit dieser Winde zu erkennen und zu überlegen, daß ihnen einer heilsamer ist als der andere? Warum macht die Spinne ihr Gewebe an einem Orte dick und an dem anderen dünne? Warum bedient sie sich bald dieser, bald jener Art von Knoten, wenn sie weder überlegen, noch denken, noch schließen kann?

Wir erkennen aus ihren meisten Werken hinlänglich, wie viel vorzügliches die Tiere vor uns besitzen und wie wenig wir ihnen durch unsere Kunst nachzuahmen imstande sind. Wir wissen indessen, was für Kräfte wir zu unseren plumpem Werken anwenden und daß sich unsere Seele aller ihrer Stärke dabei bedient. Warum glauben wir nicht, daß es bei ihnen ebenso ist? Warum legen wir ihre Werke, die alles übertreffen, was wir durch die Natur und Kunst hervor bringen können, ich weiß nicht was für einer natürlichen und gezwungenen Neigung bei? Hiedurch räumen wir ihnen unwissend einen sehr großen Vorzug vor uns ein. Wir nehmen an, daß sie die Natur zu allen Handlungen und Bequemlichkeiten ihres Lebens mit einer mütterlichen Zärtlichkeit begleitet und gleichsam bei der Hand führt, uns hingegen dem Zufall und dem Glück überläßt und die zu unserer Erhaltung nötigen Dinge durch die Kunst suchen heißt: ja, daß sie uns zugleich die Mittel versagt, durch einige Unterweisung, und einiges Nachdenken zu der natürlichen Geschicklichkeit der Tiere zu gelangen, dergestalt, daß ihre viehische Dummheit in allen vorteilhaften Stücken dasjenige übertrifft, wozu unser göttlicher Verstand gelangen kann. Wahrhaftig, nach dieser Rechnung hätten wir wohl Ursache, sie eine sehr ungerechte Stiefmutter zu nennen. Allein, die Sache verhält sich nicht so. Unsere Umstände sind nicht so schlimm und ungleich.

Die Natur hat allen ihren Geschöpfen gleiche Liebe bezeigt; und es ist kein einziges darunter, welches sie nicht mit allen zur Erhaltung seines Wesens nötigen Mitteln vollkommen versehen hätte. Die Menschen führen gemeiniglich allerhand Klagen, die von ihrer frechen Art zu denken herrühren, welche sie bald über die Wolken erhebt, bald wieder bis zu den Gegenfüßern erniedrigt. Der Mensch, sprechen sie, ist das einzige verlassene Tier, das auf der bloßen Erde bloß, gebunden, und gefesselt liegt und sich mit nichts bewaffnen und bedecken kann, als mit dem was es anderen Tieren auszieht. Hingegen hat die Natur alle anderen Geschöpfe mit Schalen, Hülsen, Rinde, Haaren, Wolle, Stacheln, Leder, Pelze, Federn, Schuppen, Fellen und Borsten nach Notdurft versehen und sie zum Angriffe und zur Verteidigung mit Klauen, Zähnen, und Hörnern bewaffnet. Ja, sie hat ihnen sogar, das, was ihnen anständig ist, schwimmen, laufen, fliegen, singen gelernt - dahingegen der Mensch ohne fremden Unterricht weder gehen, noch reden, noch essen, und nichts als weinen kann.

Tum porro puer, ut saevis proiectus ab undis

Navita, nudus humi iacet infans, indigus omni

Are sens