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Spumantemque dari pecora inter inertia votis

Optat aprum, aut fulvum descendere monte leonem63 -:

wer urteilt hier nicht, daß dieses von einer jähen Hitze einer aus ihrer ordentlichen Lage gebrachten Herzhaftigkeit herrühre? Unsere Seele kann sich von ihrem ordentlichen Sitze nicht so weit erheben, sie muß denselben verlassen, sich in die Höhe schwingen, den Zügel in das Maul nehmen und also ihren Mann so weit wegführen und fortreißen, daß er sich hernach selbst über seine Tat wundert. Ebenso treibt im Kriege die Hitze des Treffens mutige Soldaten öfters an, so gefährliche Gänge zu wagen, daß sie, wenn sie wieder zu sich selbst kommen, die ersten sind, die vor Erstaunen darüber erzittern. Ebenso geraten die Poeten oft über ihre eigenen Werke in Verwunderung und haben die Spur vergessen, auf welcher sie eine so schöne Bahn zurückgelegt haben - welches man auch bei ihnen Hitze und Begeisterung nennt. Und ebenso wie Plato sagt64, daß ein gesetzter Mann vergeblich vor der Türe der Poesie anklopfe, so spricht auch Aristoteles, keine ausnehmende Seele sei von aller Vermischung mit Narrheit frei. Er hat auch recht, wenn er eine jede übertriebene Handlung, die unsere eigene Vernunft und den Verstand übersteigt, so lobenswürdig sie auch sein mag, eine Narrheit nennt, weil die Weisheit eine ordentliche Führung unserer Seele ist und dieselbe nach einem gewissen Maße und Verhältnisse regiert und sich selbst davon Rechenschaft gibt. Plato schließt daher65, weil die Gabe zu weissagen über unser Vermögen ist, wir müßten außer uns sein, wenn wir sie haben: unsere Klugheit müßte entweder durch den Schlaf, oder durch eine Krankheit verdunkelt sein, oder sie müßte durch eine himmlische Entzückung außer sich gesetzt werden.

Die Geschäfte bis morgen

Ich gebe mit Recht, wie mich dünkt, dem Jacob Amiot vor allen unseren französischen Schriftstellern den Vorzug. Hierzu veranlaßt mich nicht allein seine natürliche und reine Schreibart66, als worinnen er alle andere übertrifft, seine Geduld bei einer so langwierigen Arbeit, seine große Einsicht, vermittelst welcher er einen schweren und dunklen Schriftsteller so glücklich hat entwickeln können (denn man sage was man will, ich verstehe zwar nichts vom Griechischen, aber ich sehe doch in seiner Übersetzung überall einen so guten Zusammenhang, daß er entweder ganz gewiß des Verfassers wahre Meinung verstanden, oder sich einen allgemeinen Begriff von Plutarchs Meinungen durch einen langen Umgang mit ihm eingeprägt haben muß; zum wenigsten läßt er ihn nichts sagen, was ihn verriete oder ihm widerspräche ), sondern ich weiß es ihm besonders Dank, daß er ein Buch ausgesucht und gewählt hat, das so würdig und so geschickt war, seine Lande damit zu beschenken. Wir ungelehrte Leute wären verloren gewesen, wenn uns dieses Buch nicht aus dem Moraste geholfen hätte. Ihm haben wir es zu danken, daß wir uns jetzt zu reden und zu schreiben unterstehen dürfen. Die Damen lehren jetzt die Schulleute daraus. Es ist unser Handbuch. Wenn dieser ehrliche Mann noch lebte, so wollte ich ihm den Xenophon abtreten, daß er es mit demselben ebenso machen sollte. Dies wäre eine leichtere Arbeit und also desto bequemer für sein Alter. Überdies kommt es mir, ich weiß selbst nicht wie, vor, als ob seine Schreibart, ungeacht er sich auch aus schlimmen Orten mit Gewalt und gut heraus hilft, dennoch gleichförmiger wäre, wenn sie nicht gezwungen ist, sondern frei fort laufen kann.

Ich war eben jetzt über der Stelle67, wo Plutarch von sich selbst sagt, daß Rusticus, als er einmal zu Rom in einer seiner Reden gewesen, ein Paket von dem Kaiser bekommen, dasselbe nicht eher eröffnet, bis alles vorbei gewesen wäre. Worüber, wie er sagt, die ganze Versammlung das gesetzte Wesen dieses Mannes besonders gelobt hätte. Es handelt eben von der Neugierde und der nach Neuigkeiten begierigen und hungrigen Leidenschaft, derzufolge wir so unterschieden und ungeduldig alle Dinge liegen lassen, um mit einem neu Angekommenen zu reden und allen Respekt und Wohlstand vergessen, um geschwind, wir mögen sein wo wir wollen, die erhaltenen Briefe zu erbrechen. Also hat er Ursache gehabt, das gesetzte Wesen des Rusticus zu loben; und hätte noch ein Lob für seine Gefälligkeit und Höflichkeit beifügen können, daß er seine Rede nicht hat unterbrechen wollen. Aber ich zweifle, ob man ihn wegen seiner Klugheit loben kann. Denn da er unversehens Briefe, und besonders von einem Kaiser bekam, hätte es ihm leicht sehr nachteilig sein können, daß er sie nicht gleich las. Der Fehler, wenn er der Neugierde entgegensteht, ist die Unachtsamkeit, zu der ich von Natur augenscheinlich geneigt bin; und welcher viele Leute, wie ich gesehen habe, gewaltig ergeben sind, daß man nach drei bis vier Tagen die erhaltenen Briefe noch versiegelt in ihrer Tasche gefunden hat. Ich habe niemals einen erbrochen, nicht allein von denen, die man mir anvertraut hat, sondern sogar von denen, die mir das Glück in die Hände geführt hat. Ich mache mir ein Gewissen daraus, wenn meine Augen versehentlich aus wichtigen Briefen, die ein großer Herr, bei dem ich stehe, liest, etwas heraus stehlen. Niemals hat sich ein Mensch weniger um anderer Leute Händel bekümmert oder darnach geforscht.

Zu unserer Väter Zeit hätte beinahe der Herr von Boutieres Turin verloren, weil er in einer guten Gesellschaft bei einer Abendmahlzeit war und nicht gleich68 eine Nachricht las, welche eine wider diese Stadt, in der er kommandierte, angestellte Verräterei betraf. Und eben der Plutarch hat mich gelehrt69, daß sich Julius Cäsar gerettet haben würde, wenn er an eben dem Tage, da er von den Verschworenen ermordet wurde, ehe er in den Rat ging, eine ihm überreichte Schrift gelesen hätte. Er erzählt auch von dem Tyrannen zu Theben, Archias, daß70 ihm noch den Abend vor der Ausführung des Unternehmens, welches Pelopidas ihn umzubringen und sein Vaterland in Freiheit zu setzen gefaßt hatte, alles Stück für Stück durch einen anderen Archias aus Athen sei geschrieben worden, was man wider ihn vorhätte; daß er aber, weil ihm dieses Paket während der Abendmahlzeit gegeben worden, die Eröffnung desselben aufgeschoben und die Worte gebraucht habe, die nachgehend in Griechenland zu einem Sprichwort wurden: Die Geschäfte bis morgen. Meiner Meinung nach kann ein weiser Mann anderen zum Besten - zum Exempel, um eine Gesellschaft nicht auf eine unanständige Weise zu trennen, so wie Rusticus tat, oder, um nicht eine andere wichtige Sache abzubrechen - das, was man ihm Neues bringt, anzuhören verschieben. Aber, wer es um seines eigenen Nutzens oder Vergnügens willen tut, um nicht beim Mittagsmahle oder im Schlaf gestört zu werden, der verdient keine Entschuldigung, zumal, wenn er ein öffentliches Amt verwaltet.

Vor Alters war zu Rom der so genannte Konsulplatz der vornehmste an der Tafel, weil einer da freier saß, und diejenigen, welche sich während der Mahlzeit einfanden, um mit ihm zu sprechen, am leichtesten zu ihm kommen konnten. Dies ist ein Beweis, daß sie sich bei Tische gar nicht anderer Geschäfte und vorfallender Dinge entschlagen haben. Doch es ist schwer, wenn man auch alles gesagt hat, bei den menschlichen Handlungen aus Vernunftgründen eine so richtige Regel zu geben, daß das Glück sein Recht nicht dabei behaupten sollte.

Von dem Gewissen

Als mein Bruder, der Herr de la Brousse und ich während unserer bürgerlichen Kriege einmal miteinander reisten, so begegnete uns ein Edelmann von gutem Ansehen. Er war von unserer Gegenpartei; aber ich wußte es nicht, weil er sich verstellte. Das Schlimmste bei dergleichen Kriegen ist dieses, daß die Karten so sehr gemischt sind, weil sich unser Feind durch kein einziges merkliches Kennzeichen, weder durch die Sprache, noch durch die Gebärden von uns unterscheidet, sondern nach eben den Gesetzen, Sitten, in eben dem Lande erzogen ist, und also Verwirrung und Unordnung dabei schwerlich zu vermeiden sind. Dies machte, daß ich mich selber fürchtete, wir möchten an einem Orte, wo wir nicht bekannt wären, auf unsere Völker stoßen, weil ich nicht gerne den Verdruß haben wollte, meinen Namen anzugeben, und wohl gar was Schlimmeres zu erfahren. So ist es mir ehedem schon ergangen: denn durch einen dergleichen Irrtum verlor ich sowohl Leute als Pferde, und unter anderem brachte man mir einen Pagen elendiglich um, der ein Italiener von Adel war, und den ich sorgfältig erzog, welcher das Leben in einer sehr schönen und hoffnungsvollen Jugend einbüßte. Allein dieser Edelmann fürchtete sich so erstaunlich davor, und tat so ängstlich, so oft uns Leute zu Pferde begegneten oder wir durch Städte mußten, die es mit dem Könige hielten, daß ich endlich mutmaßte, er müßte ein unruhiges Gewissen haben. Dieser arme Mensch glaubte, man würde durch seine Maske und durch die Kreuze auf seinem Steifrocke hindurch in sein Herz sehen, und seine geheime Gesinnungen darinnen lesen. So wunderbar ist die Gewalt des Gewissens. Es macht, daß wir uns selbst verraten, anklagen und bestreiten; und führt uns, wenn kein fremder Zeuge da ist, selbst wider uns zu Zeugen auf,

Occultum quatiens animo tortore flagellum71.

Folgende Erzählung führen schon die Kinder im Munde. Als dem Bessus, einem Pöonier72, vorgeworfen wurde, er hätte ein Nest Sperlinge mutwillig heruntergeworfen und sie umgebracht, sagte er, er hätte Recht dazu gehabt, weil diese kleine Vögel nicht aufhörten, ihn fälschlich eines an seinem Vater verübten Mordes zu beschuldigen. Dieser Vatermord war bis dahin verborgen und unbekannt geblieben; aber die rächenden Furien des Gewissens machten, daß ihn derjenige, welcher die Strafe dafür leiden sollte, selbst an den Tag bringen mußte.

Hesiodus verbessert Platons Gedanken73, daß die Strafe sehr nahe auf die Sünde folge: denn er sagt, sie würde zugleich mit der Sünde eben den Augenblick geboren. Wer die Strafe erwartet74, leidet sie, und wer sie verdient hat, erwartet sie. Die Bosheit bereitet sich selbst Martern:

Malum consilium consultori pessimum75.

Ebenso wie die Wespe andere sticht und verletzt, zugleich aber sich selbst am meisten schadet, weil sie darüber ihren Stachel und ihre Stärke auf immer verliert, Vitasque in vulnere ponunt76.

Die Spanischen Fliegen haben durch eine Widerwärtigkeit der Natur einen gewissen Teil an sich, der wider ihrem Gift zum Gegengifte dient77. Ebenso entsteht, wenn man ein Vergnügen an dem Laster findet, ein entgegengesetztes Mißvergnügen in dem Gewissen, welches uns mit vielerlei beschwerlichen Einbildungen martert, wir mögen wachen oder schlafen:

Quippe ubi se multi per somnia saepe loquentes

Aut morbo delirantes procraxe ferantur

Et celata diu in medium peccata dedisse78.

Apollodor träumte79, er sähe sich den Skythen die Haut abziehen und darauf in einem Topfe kochen, und hörte sein Herz murmeln und sagen: Ich bin Ursache an allem diesem Unglücke. Kein Schlupfwinkel hilft den Bösen etwas, sagte Epikur, weil sie sich nicht versichern können, daß sie verborgen sind, da sie das Gewissen ihnen selbst entdeckt: Prima est haec ultio, quod se ludice nemo nocens absolvitur80.

Gleichwie es uns nun mit Furcht erfüllt, so erfüllt es uns ebenfalls mit Zuversicht und gutem Vertrauen. Und ich kann sagen, daß ich bei verschiedenen gefährlichen Gängen weit beherzter zugeschritten bin, weil ich insgeheim von meinem guten Willen und der Unschuld meiner Absichten überzeugt war.

Conscia mens ut cuique sua est, ita concipit intra

Pectora pro facto, spemque metumque suo81.

Es gibt hiervon tausend Exempel: allein es wird genug sein, deren drei von einer einzigen Person anzuführen. Als Scipio einst vor dem römischen Volke wegen wichtiger Sachen angeklagt worden war, sagte er, anstatt sich zu entschuldigen oder seinen Richtern zu schmeicheln, zu ihnen82: Es steht euch recht wohl an, daß ihr euch unterfangt, über das Leben eines Mannes zu urteilen, durch den ihr die Gewalt habt, über die ganze Welt zu urteilen. Und ein andermal sagte er, statt aller Antwort auf die Beschuldigungen, die ihm ein Zunftmeister aufbürdete, anstatt seine Sache gerichtlich auszuführen83: Wohlan, ihr Bürger, laßt uns hingehen und den Göttern für den Sieg danken, den sie mir eben an dem heutigen Tage wider die Karthaginenser verliehen haben. Da er nun nach dem Tempel ging, so folgte ihm die ganze Versammlung und selbst seine Ankläger begleiteten ihn. Als ein andermal Petilius von dem Cato aufgehetzt worden war, daß er ihm die Rechnung über das Geld, so er in der Provinz des Antiochus unter den Händen gehabt hatte, abfordern sollte, und Scipio84 in dieser Absicht in den Rat gekommen war, zog er das Rechnungsbuch, welches er unter seinem Rock hatte, hervor, und sagte, dieses Buch enthielte seine wahrhaftige Einnahme und Ausgabe. Da man es aber von ihm verlangte, um es in das Ratsbuch einzutragen, schlug er es unter dem Vorwand ab, er wollte sich nicht selbst diesen Schimpf antun; und riß es in Gegenwart des Rats mit eigenen Händen in Stücken. Ich glaube nicht, daß sich eine gebrandmarkte Seele so dreist hätte stellen können. Sein Herz war schon von Natur allzu großmütig und zu allzu hohem Glücke gewöhnt85, sagt Titus Livius, als daß er einen Verbrecher vorzustellen, oder sich mit der niederträchtigen Bemühung, seine Unschuld zu verteidigen, einzulassen gewußt hätte.

Die Folter ist eine gefährliche Erfindung und scheint mehr ein Mittel zu sein, die Geduld, als die Wahrheit zu prüfen. Derjenige, welcher sie ausstehen kann, verbirgt die Wahrheit ebenso als derjenige, der sie nicht ausstehen kann. Denn warum soll mich der Schmerz viel mehr die wahren Umstände, als erdichtete Umstände zu sagen zwingen? Umgekehrt, wenn der Unschuldige Geduld genug besitzt, die Martern auszustehen - warum soll sie nicht auch der Schuldige besitzen, da so ein schöner Lohn, wie das Leben ist, darauf steht? Ich vermute, daß der Grund dieser Erfindung in der Betrachtung der Gewalt des Gewissens liegt. Bei dem Schuldigen scheint es auf der Folter dazu zu helfen, daß er sein Verbrechen bekennt, und ihn schwach zu machen. Gegenteils aber scheint es den Unschuldigen wider die Tortur zu stärken. Die Wahrheit zu sagen, so ist dieses Mittel sehr ungewiß und gefährlich. Was sollte man nicht sagen, was sollte man nicht tun, um so gewaltigen Schmerzen zu entgehen?

Etiam innocentes cogit mentiri dolor86.

Daher kommt es, daß der Richter denjenigen, den er gefoltert hat, um ihn nicht unschuldig hinrichten zu lassen, oft unschuldig und gefoltert hinrichten läßt. Tausend und Abertausend haben sich durch ein falsches Bekenntnis den Tod zugezogen, unter welche ich den Philotas rechne87, wenn ich die Umstände des Prozesses, den ihm Alexander machen ließ, und den Fortgang seiner Folter überlege. Man mag immerhin sagen, daß dieses das kleinste Übel sei, welches die menschliche Schwachheit habe erfinden können: meiner Meinung nach ist es doch eine sehr unnütze Erfindung.

Viele Völker, die hierinnen nicht so barbarisch sind als das griechische und römische Volk, welche jene also nannten, halten es für abscheulich und grausam, einen Menschen wegen eines noch ungewissen Verbrechens zu martern und zu zerstossen. Was kann er für unsere Unwissenheit? Ist es nicht ungerecht, wenn man, um ihn nicht ohne Ursache zu töten, was Ärgeres als den Tod antut? Wollen wir uns überzeugen, daß es wirklich so geht, so dürfen wir nur betrachten, wie oft ein solcher Mensch lieber ohne Ursache sterben, als diese Untersuchung ausstehen will, die weit schmerzlicher als die Todesstrafe ist, und durch ihre Härte der Todesstrafe öfters zuvor kommt und sie vollzieht. Ich weiß nicht, woher88 ich folgende Erzählung habe, sie stellt aber die Billigkeit unseres Verfahrens, das wir in diesem Stücke beobachten, sehr gut vor. Eine Bauersfrau klagte bei einem General89, der ein großer Liebhaber der Gerechtigkeit war, einen Soldaten an, daß er ihren kleinen Kindern das bißchen Mus genommen hätte, welches ihr noch zu deren Erhaltung übrig geblieben wäre, nachdem die Armee alles verheert hätte. Ein Beweis war nicht da. Der General ermahnte90 also erst die Frau, alles wohl zu überlegen, weil sie sich durch ihre Anklage, wenn sie löge, strafbar machen würde. Da sie nun darauf bestand, ließ er dem Soldaten den Bauch öffnen, um wegen der Wahrheit der Sache Licht zu bekommen. Es fand sich auch, daß die Frau91 Recht gehabt hatte. Dies war eine lehrreiche Verurteilung.


Schutzschrift für Raimond von Sebonde

1

Die Wissenschaft ist in der Tat ein sehr nützliches und wichtiges Stück. Diejenigen, welche sie verachten, geben ihre Dummheit genugsam zu erkennen. Dennoch aber schätze ich sie nicht so übermäßig hoch, als einige tun, unter welche der Philosoph Herill2 gehört, der das höchste Gut in ihr suchte und behauptete, sie könnte uns weise und vergnügt machen. Ich glaube dieses ebenso wenig als das, was andere gesagt haben, daß die Wissenschaft die Mutter aller Tugenden sei, und daß alle Laster von der Unwissenheit herkämen. Wenn dieses wahr ist, so braucht es einer weitläuftigen Erklärung. Mein Haus ist seit langer Zeit gelehrten Leuten offen und deswegen im Rufe gewesen. Denn mein Vater, der dasselbe fünfzig Jahre und drüber regiert hat und durch den neuen Eifer angefeuert wurde, mit welchem sich der König Franciscus I. der Wissenschaften annahm und sie in Ansehen brachte, suchte gelehrter Leute Umgang sehr emsig und mit großen Kosten. Er nahm sie als heilige Leute, die eine besondere Eingebung von der göttlichen Weisheit hätten, zu sich, sammelte ihre Urteile und Reden wie Göttersprüche, und dieses desto ehrerbietiger und eifriger, je weniger er davon urteilen konnte: Denn er hatte, sowenig als seine Vorfahren einige Kenntnis von den Wissenschaften. Ich meines Teils liebe sie zwar, ich bete sie aber nicht an. Unter anderem beschenkte ihn einmal Peter Bunel, ein Mann, der zu seiner Zeit wegen seiner Gelehrsamkeit in großem Rufe stand, als er sich nebst anderen seinesgleichen einige Tage bei meinem Vater zu Montagne aufgehalten hatte, bei seinem Abschiede mit einem Buche, welches den Titel hat: Theologia naturalis; sive, Liber creaturarum Magistri Raimondi de Sebonde. Weil die italienische und spanische Sprache meinem Vater geläufig waren und dieses Buch in einem gebrochenen Spanischen mit lateinischen Endungen geschrieben ist, so hoffte er, daß sich mein Vater dasselbe mit ganz geringer Beihilfe zu Nutzen machen könnte, und empfahl es ihm als ein bei den damaligen Zeitläuften sehr nützliches und nötiges Buch. Damals fingen eben Luthers Neuerungen in Ansehen zu kommen und an vielen Orten unseren alten Glauben wankend zu machen, an. Er hatte also dabei eine sehr gute Absicht, weil er aus vernünftigen Gründen wohl voraussah, daß dieses Übel mit der Zeit leichtlich in eine abscheuliche Gottesleugnung ausschlagen könnte. Denn der Pöbel ist nicht fähig, die Sachen nach ihrer wahren Beschaffenheit zu beurteilen, sondern läßt sich durch das Glück und den äußerlichen Schein dahinreißen. Wenn man ihm also nur einmal die Freiheit verstattet, diejenigen Meinungen, vor welchen er sonst die größte Ehrfurcht gehabt hat - dergleichen diejenigen sind, auf welchen seine Seligkeit beruht -, zu verachten und zu tadeln, und wenn man nur einmal einige von seinen Glaubensartikeln zweifelhaft und streitig gemacht hat, so sieht er gar bald alle übrige Stücke seines Glaubens für ebenso ungewiß an, weil sie ebenso wenig Gewicht und ebenso wenig Grund bei ihm haben als diejenigen, die man wankend gemacht hat. Er wirft alle Eindrücke, welche das Ansehen der Gesetze oder die Ehrerbietung für die alten Gebräuche bei ihm gemacht hatten, als ein tyrannisches Joch von sich:

Nam cupide conculcatur nimis ante metutum3.

Er geht alsdenn gleich weiter und will gar nichts mehr annehmen, wenn er nicht seinen Bescheid und seine Stimme dazu gegeben hat. Mein Vater fand gedachtes Buch etliche Tage vor seinem Tode ungefähr unter einem Haufen anderer beiseite gelegter Papiere und befahl mir, ihm dasselbe ins Französische zu übersetzen. Schriftsteller wie dieser, bei denen man nichts als den Inhalt auszudrücken hat, sind sehr gut zu übersetzen; hingegen ist es ein sehr gefährliches Unternehmen, wenn sie sich der Annehmlichkeit und Zierlichkeit der Sprache sehr befleißigt haben, besonders, wenn man sie in eine schwächere Sprache bringen soll. Diese Beschäftigung war mir etwas Ungewohntes und Neues; allein, zu gutem Glücke hatte ich damals nichts zu tun, und machte es, weil ich dem besten Vater, der jemals gewesen ist, nichts abschlagen konnte, so gut es mir möglich war. Er schöpfte hierüber ein besonderes Vergnügen und befahl, daß man es drucken lassen sollte; welches auch nach seinem Tode vollzogen wurde4. Ich fand die Gedanken dieses Schriftstellers schön, in dem Werke selbst einen guten Zusammenhang und das Unternehmen voller Gottesfurcht. Da sich viele Leute, und besonders das Frauenzimmer, dem wir am meisten zu dienen verbunden sind, mit dem Lesen dieses Buches beschäftigen, so habe ich öfters Gelegenheit gehabt, ihnen zu Hilfe zu kommen und ihr Buch wider zwei Haupteinwürfe, die man dagegen macht, zu verteidigen. Der Endzweck desselben ist kühn und herzhaft.

Der Verfasser untersteht sich, alle Artikel der christlichen Religion durch menschliche und natürliche Gründe wider die Atheisten zu bestätigen und festzusetzen. Er tut dieses auch, die Wahrheit zu sagen, so stattlich und so glücklich, daß es meines Erachtens in diesem Stücke nicht besser gemacht werden kann: ja, ich glaube, daß es ihm niemand gleich getan hat5. Dieses Werk kam mir für einen Verfasser, dessen Name so wenig bekannt ist und von dem wir bloß so viel wissen, daß er ein Spanier gewesen und ungefähr vor zweihundert Jahren zu Toulouse die Arzneikunst getrieben hat, allzu schön und gelehrt vor. Ich erkundigte mich daher einmal bei dem Adrian Turnebus, der alles wußte, was es mit diesem Buche für eine Beschaffenheit hätte. Er antwortete mir, seiner Meinung nach wäre es eine Quintessenz aus dem hl. Thomas von Aquino. Denn in der Tat, dieser mit einer so unendlichen Gelehrsamkeit und wundernswürdigen Tiefsinnigkeit begabte Geist war allein zu dergleichen Gedanken fähig. So viel ist gewiß, daß der Verfasser und Erfinder, er sei wer er wolle (indessen kann man dem Sebonde dieses Werk ohne eine wichtigere Ursache nicht mit Grunde absprechen), ein überaus geschickter Mann gewesen ist und viele treffliche Eigenschaften besessen hat.

Der erste Vorwurf, den man seinem Werke macht, ist dieser, die Christen täten sich selbst Schaden, wenn sie ihre Religion durch menschliche Gründe unterstützen wollten, weil diese allein durch den Glauben und durch einen besondern Beistand der göttlichen Gnade begriffen würde. Dieser Einwurf scheint von einem heiligen Eifer her zu kommen. Aus dieser Ursache müssen wir denjenigen, welche ihn vortragen, mit desto mehr Sanftmut und Achtung Genüge zu tun suchen. Dieses Unternehmen würde sich freilich besser für einen in der Gottesgelahrheit bewanderten Mann als für mich schicken, weil ich davon nichts verstehe. Ich meines Teils bin allerdings der Meinung, bei einer so göttlichen, so hohen und den menschlichen Verstand so weit übersteigenden Sache, wie diejenige Wahrheit ist, von welcher uns die Güte Gottes einiges Licht hat geben wollen, sei es sehr nötig, daß er uns noch ferner durch eine außerordentliche und besondere Gnade Beistand verleiht, damit wir dieselbe begreifen und ihr in uns Raum geben können. Ich glaube auch nicht, daß die bloß menschlichen Mittel hierzu im geringsten zureichend sind: denn, wenn sie dieses wären, so würden so viel seltene und vortreffliche und mit allen natürlichen Gaben reichlich versehene Seelen in den alten Zeiten gewiß durch ihre Vernunft zu dieser Erkenntnis gelangt sein. Der Glaube allein faßt die hohen Geheimnisse unserer Religion freudig und zuversichtlich. Allein, dies ist nicht so zu verstehen, als ob es nicht eine sehr schöne und sehr lobenswürdige Unternehmung wäre, wenn man auch die natürlichen und menschlichen Werkzeuge, die uns Gott gegeben hat, zum Dienste unseres Glaubens anwendet. Ohne Zweifel können wir sie nicht herrlicher anwenden. Ja, keine Beschäftigung und kein Vornehmen kann einem Christen anständiger sein, als wenn alles sein Studieren und Denken auf die Verschönerung, Erweiterung, und Bestärkung der Wahrheit seines Glaubens abzielt. Wir begnügen uns nicht, Gott im Geiste und mit der Seele zu dienen. Wir sind ihm überdies noch eine leibliche Verehrung schuldig und erzeigen ihm auch dieselbe. Wir wenden sogar unsere Glieder, unsere Bewegungen, und die äußerlichen Dinge zu seiner Ehre an. Ebenso müssen wir es hier auch machen und unseren Glauben mit aller in uns befindlichen Vernunft vergesellschaften, aber beständig mit dieser Einschränkung, daß wir nicht glauben, unsere Kräfte und Beweisgründe könnten eine so übernatürliche und göttliche Wissenschaft erreichen. Wenn sie uns nicht durch eine außerordentliche Eingebung zu Teile wird, wenn wir sie nicht allein durch die Vernunft, sondern noch überdies durch menschliche Mittel erlangen, so besitzen wir sie nicht in ihrer wahren Hoheit und in ihrem völligen Glanze. Und gewiß, ich befürchte immer, wir möchten sie bloß durch diesen leztern Weg erhalten haben. Wenn wir Gott vermittelst eines lebendigen Glaubens anhingen, wenn wir Gott durch seinen Trieb, und nicht aus eigenem Triebe anhingen, wenn wir durch göttlichen Beistand festen Fuß und Grund hätten: so würden uns die menschlichen Zufälle nicht so, wie sie es wirklich tun, wankend machen. Wir würden uns nicht auf einen so schwachen Angriff ergeben. Die Liebe zur Neuerung, die Gewalttätigkeit der Fürsten, das gute Glück einer Partei, die vermessene und ungefähre Veränderung unserer Meinungen würden unseren Glauben nicht erschüttern und ändern können. Wir würden uns durch einen neuen Beweisgrund und durch das Zureden aller Redekunst, die jemals gewesen ist, darinnen nicht stören lassen. Wir würden diese Wellen mit einer festen und unbeweglichen Standhaftigkeit aushalten.

Illisos fluctus rupes ut vasta refundit,

Et varias circum latrantes dissipat undas

Mole sua6.

Wenn dieser Strahl der Gottheit uns einigermaßen rührte, so würde sich dieses bei uns allen zeigen. Nicht allein unsere Worte, sondern auch unsere Handlungen würden dadurch Schimmer und Glanz bekommen. Man würde alles, was von uns herkäme, von diesem edlen Lichte erleuchtet sehen. Wir sollten uns schämen, wenn wir bedenken, daß niemals ein Anhänger einer menschlichen Sekte gewesen, der, wenngleich seine Lehre noch so schwere und widersinnige Sachen in sich gehalten, seine Aufführung und sein Leben nicht einigermaßen darnach eingerichtet hat; und daß eine so göttliche und himmlische Unterweisung die Christen durch nichts als durch ihre Sprache kenntlich macht. Will man dieses sehen? Man vergleiche nur einmal unsere Sitten mit den Sitten eines Mahomedaners oder eines Heiden. Wir werden immer den Kürzeren ziehen, anstatt daß wir uns wegen des Vorzugs unserer Religion ganz ausnehmend und unvergleichlich vor ihnen hervortun sollten, damit es hieße: Sie sind so gerecht, sie sind so liebreich, sie sind so gütig! Sie sind also gewiß Christen. Alles übrige scheinbar haben alle Religionen miteinander gemeinschaftlich: Hoffnung, Vertrauen, Begebenheiten, Zeremonien. Bußübungen, Märtyrer. Das besondere Kennzeichen unserer Wahrheit sollte unsere Tugend sein, gleichwie sie auch das himmlische und schwerste Kennzeichen und die herrlichste Frucht der Wahrheit ist. Demnach tat weiland unser König Ludwig der Heilige Recht, daß er einen Tartarischen König, der ein Christ geworden, und willens war nach Lyon zu gehen, um dem Papst die Füße zu küssen und daselbst diejenige Heiligkeit zu sehen, die er in unseren Sitten zu finden hoffte, inständigst davon abmahnte7, aus Furcht unsere ausgelassene Lebensart möchte ihm vielmehr einen so heiligen Glauben zuwider machen. Indessen ereignete sich doch nachgehends einmal gerade das Gegenteil bei einem anderen, der in eben dieser Absicht nach Rom gegangen war, und als er daselbst das liederliche Leben der Prälaten und des damaligen Volks sah8, desto mehr in unserer Religion bestärket wurde, weil er überlegte, wie viel Stärke und Göttlichkeit sie besitzen müßte, da sie ihre Hoheit und ihren Glanz unter einem so großen Verderbnisse und unter so gottlosen Händen erhielte. Wenn wir nur einen einzigen Tropfen Glauben hätten, so würden wir, sagt das Wort Gottes, Berge von ihrer Stelle bewegen können. Unsere von der Gottheit geleiteten und begleiteten Handlungen, würden alsdenn nicht bloß menschliche Handlungen sein, sondern, ebenso wie unser Glaube, etwas Wunderbares an sich haben - Brevis est institutio vitae honestae beataeque, si credas9. Einige bereden die Welt, daß sie etwas glauben, was sie wirklich nicht glauben. Andere aber, und zwar die meisten, überreden sich dieses selbst, weil sie nicht ergründen können, was glauben heißt.

Es befremdet uns, wenn wir in den Kriegen, welche jetzt unser Reich beunruhigen, sehen, daß das Glück, wie gemeiniglich und ordentlich, unbeständig und abwechselnd ist. Dies kommt daher, daß wir nichts als das unsrige dabei tun. Die Gerechtigkeit, welche bei einer Partei ist, dient nur zur Zierde und zum Deckmantel. Diese führt sie zwar an, nimmt sie aber nicht auf, beherbergt sie nicht und verbindet sich nicht mit ihr. Die Gerechtigkeit ist daselbst wie in dem Munde eines Sachwalters, nicht wie in dem Herzen der Partei. Gott ist seinen außerordentlichen Beistand dem Glauben und der Religion, nicht aber unseren Leidenschaften schuldig.

Die Menschen sind in diesen Kriegen Anführer und bedienen sich dabei der Religion: gleichwohl sollte es gerade umgekehrt sein. Gebe einer einmal acht, ob wir nicht aus ihr machen, was wir wollen. Wann hat man so viele einander zuwider laufende Figuren, nicht anders als wenn sie wächsern wären, nach einer so geraden und so festen Richtschnur ziehen sehen, als jetziger Zeit in Frankreich? Sowohl diejenigen, welche sie links, als diejenigen, welche sie rechts angreifen, sowohl die, welche sie schwarz machen, als die, welche sie weiß brennen, bedienen sich ihrer zu ihren gewalttätigen und ehrgeizigen Unternehmungen auf eine so ähnliche Weise und sind einander an Ausschweifungen und Ungerechtigkeit so gleich, daß es zweifelhaft und schwer zu glauben wird, daß sie ihrem Vorgeben nach von derjenigen Sache, auf welcher die Einrichtung und Verfassung unseres Lebens beruht, verschiedene Meinungen hegen sollen. Kann man wohl von einerlei Schule und von einerlei Unterricht ähnlichere und gleichförmigere Sitten erwarten? Man sehe nur, mit was für einer erschrecklichen Unverschämtheit wir auf die göttlichen Wahrheiten hineinstürmen; und wie frech wir sie bald verworfen, bald wieder angenommen haben, je nachdem uns das Glück bei diesen allgemeinen Stürmen bald hie bald dahin geschmissen hat! Man erinnere sich nur, was für Leute den berüchtigten Satz: Ob sich ein Untertan zur Verteidigung der Religion wider seinen Landesherrn empören und bewaffnen dürfe, noch das abgewichene Jahr bejaht und denselben als die Stütze einer Partei im Munde geführt, und was für eine Partei die Verneinung desselben zur Stütze gebraucht hat. Nun höre man aber gegenwärtig10, was beide Parteien jetzt für eine Sprache führen, und ob die Waffen auf einer Seite weniger Geräusch machen als auf der anderen. Wir verbrennen diejenigen, welche sagen, die Wahrheit müsse sich unter das Joch unserer Notdurft schicken: und macht es nicht Frankreich viel ärger, als wenn es dieses sagte? Laßt uns die Wahrheit gestehen: Wer in dem Kriegsheere sogar der gerechten Partei diejenigen aussuchen wollte, die bloß aus gottseligem Eifer zu Felde ziehen, und ferner diejenigen, die bloß auf die Verteidigung ihrer Landesgesetze oder auf den Dienst ihres Landesherren sehen, würde kaum eine vollständige Kompagnie Soldaten herausbringen. Woher kommt es, daß man so wenig Leute findet, die bei unseren öffentlichen Unruhen einerlei Neigung und einerlei Bezeigen beobachtet haben; und daß wir sie bald nur ihren ordentlichen Schritt gehen, bald aber in vollem Rennen laufen sehen? Ja, woher kommt es, daß einerlei Leute unsere Sachen bald durch ihre Gewalttätigkeit und Strengigkeit, bald aber durch ihre Kaltsinnigkeit, Gelindigkeit und Trägheit verderben? Woher kommt dieses, sage ich, als daher, daß sie durch besondere und zufällige Absichten dazu angetrieben werden, nach deren Verschiedenheit sie sich auch verschiedentlich bewegen.

Ich sehe es augenscheinlich, daß sich meistenteils unsere Andacht nur durch solche Pflichten äußert, die unseren Leidenschaften schmeicheln. Keine Feindseligkeit ist ausnehmender, als die christliche. Unser Eifer tut Wunder, wenn er unsere Neigung zum Hass, zur Grausamkeit, zur Ehrbegierde, zum Geiz, zur Lästerung und zum Aufruhr befördert. Gegenteils aber will es gar nicht fort, wenn er sich durch Guttätigkeit und Mäßigung zeigen soll, und ihn nicht eine seltene Gemütsbeschaffenheit als wie durch ein Wunderwerk dazu antreibet. Unsere Religion ist die Laster auszurotten gestiftet: allein sie bahnet ihnen den Weg, unterhält, und reizet sie. Man darf Gott keinen strohernen Bart machen, wie man im Sprichworte sagt. Wenn wir ihn glaubten, ich sage nicht mit einem wahrhaftigen, sondern nur mit einem gemeinen Glauben, ja, und ich sage es zu unserer großen Schande, wenn wir ihn so glaubten und erkannten, wie eine andere Sache oder wie einen von unseren guten Freunden, so würden wir ihn wegen der unendlichen Güte und Schönheit, die an ihm hervorleuchtet, über alle Dinge lieben. Zum wenigsten würde er unsere Zuneigung mit den Reichtümern, den Ergötzlichkeiten, der Ehre und unseren guten Freunden teilen. Allein, der beste unter uns scheuet sich nicht so sehr ihn zu beleidigen, als er sich seinen Nachbarn, seinen Anverwandten, seinen Herrn zu beleidigen scheuet. Ist einer wohl so einfältig, daß er, wenn er auf einer Seite eine von unseren lasterhaften Belustigungen vor Augen hätte und auf der anderen ebenso gut von dem Zustande einer ewigen Herrlichkeit überzeugt wäre, eines gegen das andere vertauschen sollte? Und dennoch begeben wir uns desselben aus bloßer Verachtung. Denn, was für eine Lust reizet uns zur Gotteslästerung an, wenn es nicht etwa selbst die Lust ist, die wir an der Beleidigung finden? Als man den Philosophen Antisthenes zu den Geheimnissen des Orpheus einweihte und der Priester zu ihm sagte, daß diejenigen, die sich diesem Dienste widmeten, nach ihrem Tode ewige und vollkommene Güter zu hoffen hätten, fragte er denselben11: Warum stirbst du denn also nicht selbst, wenn du dieses glaubest? Diogenes antwortete seiner Art nach ungestümmer und nicht so geschickt zu unserer gegenwärtigen Materie dem Priester, der ihm ebenfalls vorpredigte, daß er zu seinem Orden übertreten sollte, damit er dadurch die Güter der zukünftigen Welt erlangte12: Willst du mich bereden, daß Agesilaus und Epaminondas, die so großen Männer, werden dereinst elend, und du armer Schöps hingegen, ungeacht du nichts taugliches tust, wirst glücklich sein, weil du ein Priester bist? Wenn die großen Verheißungen von der ewigen Seligkeit nur ebenso viel bei uns gälten, als eine philosophische Betrachtung, so würden wir uns nicht so sehr vor dem Tode entsetzen, als wir wirklich tun.

Non iam se moriens dissolvi conquereretur

Sed magis ire foras, vestemque relinquere ut anguis

Gauderet, praelonga senex aut cornua cervus13.

Wir würden sagen14: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Jesu Christo zu sein. Die Stärke des Platonischen Gespräches von der Unsterblichkeit der Seelen trieb einige seiner Zuhörer zum Tode an, damit sie desto geschwinder der Hoffnung, die er ihnen machte, teilhaftig werden möchten. Alles dieses ist ein sehr deutliches Zeichen, daß wir unsere Religion bloß nach unserer Art und mit unseren Händen, und nicht anders annehmen, als die anderen Religionen ergriffen werden. Wir befinden uns in einem Lande, wo sie eingeführt ist; oder sehen auf ihr Altertum, oder auf das Ansehen der Menschen die sie unterstützt haben; oder fürchten uns vor denen den Ungläubigen gedrohten Strafen; oder gehen ihren Verheißungen nach. Diese Betrachtungen müssen zwar bei unserem Glauben, aber doch nur als Nebengründe zu Hilfe gezogen werden: dieses sind bloß menschliche Verbindungen. Ein anderes Land, andere Zeugen, ähnliche Verheißungen und Drohungen könnten uns durch eben den Weg einen ganz widrigen Glauben beibringen. Wir sind mit eben dem Rechte Christen, mit welchem wir Gasconier oder Deutsche sind. Das, was Platon sagte, daß wenig Leute in der Gottesleugnung so hartnäckig wären, daß sie nicht eine augenscheinliche Gefahr wieder zur Erkenntnis der göttlichen Macht brächte, findet bei einem wahren Christen gar nicht statt. Nur sterbliche und menschliche Religionen werden durch eine menschliche Anführung angenommen. Was für einen Glauben können die Feigheit und Schwäche des Herzens in uns pflanzen und gründen? Ein artiger Glaube, der das, was er glaubt, nur deswegen glaubt, weil er das Herz nicht hat, dasselbe nicht zu glauben. Kann denn eine fehlerhafte Leidenschaft, dergleichen die Unbeständigkeit und das Erschrecken sind, eine ordentliche Wirkung in unserer Seele hervor bringen? Sie behaupten, sagt Platon15, aus Vernunftgründen, daß dasjenige, was man von der Hölle und den zukünftigen Strafen erzählt, erdichtet sei: allein, wenn sich die Gelegenheit dasselbe zu erfahren zeigt, und wenn sie das Alter oder die Krankheiten näher zu ihrem Tode führen, erfüllet sie die Furcht vor dem Tode durch das Schrecken über ihren künftigen Zustand mit einem neuen Glauben. Und weil dergleichen Vorstellungen die Gemüter furchtsam machen16, so verbietet er in seinen Gesetzen dergleichen Drohungen zu brauchen oder jemand zu bereden, daß dem Menschen von den Göttern ein Leid widerfahren könne, es geschähe denn zu seinem größten Nutzen und so, daß es ihm gleichsam zu einer Arznei dienet. Man erzählt vom Bion, daß er Theodors atheistische Meinungen eingesogen und lange Zeit gottesfürchtige Leute verlacht habe; daß er aber, als ihn der Tod überfallen, höchst abergläubisch17 geworden sei: gerade, als wenn sich die Götter18, je nachdem sie Bion brauchte, abschaffen und wieder annehmen ließen. Platon und diese Beispiele zeigen, daß wir entweder durch die Vernunft, oder mit Gewalt einen Gott zu glauben gezwungen werden. Da die Gottesleugnung in einem Satze besteht, der nicht nur widernatürlich und ungeheuer, sondern auch schwer und dem menschlichen Gemüte, so frech und unordentlich es auch immer sein mag, nicht leicht beizubringen ist, so haben sich Leute genug gefunden, die aus Eitelkeit und Übermut Gottesleugner haben vorstellen wollen, damit es das Ansehen hätte, als ob sie ungemeine Meinungen begreifen könnten und die ganze Welt zu bessern geschickt wären. Indessen, wenn sie gleich närrisch genug sind, daß sie dieselbe ihrem Gewissen eingeprägt haben, so sind sie doch nicht stark genug. Sie werden dennoch ihre Hände gefalten gen Himmel heben, wenn sie einen guten Stoß mit dem Degen in die Brust bekommen. Sie werden ganz gewiß sich anders besinnen und ganz bescheiden dem gemeinen Glauben und den gemeinen Beispielen folgen, wenn die Furcht oder die Krankheit die ausschweifende Hitze eines flatterhaften Gemüts niedergeschlagen und gedämpfet haben wird. Anders verhält es sich mit einem ernstlich überlegten Lehrsatze, anders mit diesen leichtsinnigen Einfällen, die ihren Ursprung von der Unordnung eines ausgelassenen Gemüts haben und in der Einbildungskraft unordentlich herum schwimmen. Elende und rasende Menschen, die sich ärger zu sein bemühen, als sie sein können!

Der heidnische Irrtum und die Unwissenheit unserer heiligen Wahrheit hat verursacht, daß diese große Seele 19, die aber doch nur eine menschliche Größe besessen hat, noch in einen anderen mit dem ersten nahe verwandten Irrtum gefallen ist, daß sich nämlich die Kinder und die Alten am besten zur Religion schickten, gerade als ob sie ihren Ursprung und ihr Ansehen von unserer Schwachheit hätte. Das Band, welches unseren Verstand und Willen binden, welches unsere Seele mit unserm Schöpfer verknüpfen und vereinigen sollte, sollte billig seine Festigkeit und Stärke nicht von unseren Vorstellungen, von unseren Gründen und Leidenschaften, sondern von einer göttlichen und übernatürlichen Verknüpfung haben; es sollte nur einerlei Gestalt, einerlei Ansehen und einerlei Glanz haben, welches die Macht Gottes und seine Gnade ist. Wenn nun der Glaube unser Herz und unsere Seele einmal regiert und lenkt, so ist es natürlich, daß er alle unsere übrigen Kräfte, jede nach ihrer Beschaffenheit, zur Erhaltung seines Endzweckes anwendet.

Es ist auch nicht glaublich, daß dieser ganzen Maschine nicht hie und da einige Kennzeichen von der Hand des großen Baumeisters sollten eingeprägt worden sein; und daß sich in den Dingen der Welt nicht ein dem Werkmeister, der dieselben gebaut und gebildet hat, einigermaßen ähnliches Bild finden sollte. Er hat allerdings den Charakter seiner Gottheit in diesen großen Werken hinterlassen, und es liegt bloß an unserer Schwachheit, daß wir denselben nicht wahrnehmen. Er selbst sagt es uns, daß er uns seine unsichtbaren Wirkungen durch die sichtbaren offenbart. Sebonde hat sich diese edle Untersuchung angelegen sein lassen und zeigt uns, daß kein einziges Stück in der Welt seinen Werkmeister verleugnet. Die göttliche Güte würde dadurch verletzt werden, wenn nicht das Weltgebäude mit unserm Glauben übereinstimmte. Der Himmel, die Erde, die Elemente, unser Leib und unsere Seele, alle Dinge kommen darinnen überein. Wir müssen nur ein Mittel finden, uns derselben zu bedienen. Sie lehren uns, wenn wir nur imstande sind, sie zu verstehen. Diese Welt ist ein sehr heiliger Tempel, in welchen der Mensch hinein geführt wird, daß er die darinnen befindlichen Bildsäulen betrachten soll, die von keiner sterblichen Hand verfertigt, sondern von dem göttlichen Verstande unseren Sinnen dargestellt worden sind, damit sie uns die unsichtbaren vorstellen sollen: die Sonne, die Sterne, die Wasser und die Erde. Gottes unsichtbares Wesen, sagt der heilige Paulus20, wird an der Schöpfung der Welt ersehen, wenn man seine ewige Weisheit und Gottheit an den Werken wahrnimmt.

Atque adeo faciem coeli non invidet orbi

Ipse Deus, vult usque suos corpusque recludit

Are sens