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Sit ventura dies, mundi quae subruat arces264.

Quaerite, quos agitat mundi labor265.

Auf dieser Universität lasse ich mich als ein unwissender und unwiderstrebender Mensch für das allgemeine Gesetz der Welt zuziehen. Ich erkenne solches hinlänglich, wenn ich es fühle. Mein Wissen kann seinen Weg nicht verändern. Es wird sich aus Liebe zu mir nicht vervielfachen. Torheit wäre es, das zu hoffen, und noch größere Torheit, sich darüber zu kümmern. Denn es muß notwendigerweise gleich, öffentlich und allgemein sein. Die Güte und Kraft des Regenten muß uns rein und völlig der Sorge für die Regierung entschlagen. Das Dichten und Trachten der Philosophie kann zu weiter nichts dienen als zur Nahrung für unsere Wißbegierde. Die Philosophen haben groß recht, uns auf die Vorschriften der Natur zurückzuführen. Aber sie selbst verstehen sich schlecht auf diese erhabene Kunde. Sie verfälschen solche und zeigen uns ihr bemaltes Gesicht geschmückt und verstellt, woraus denn so viele verschiedene Schildereien des nämlichen Gegenstandes entstehen. So wie uns die Natur Füße zum Gehen gegeben hat, muß sie auch Klugheit besitzen, um uns durch das Leben zu leiten. Aber freilich keine so feine, vierschrötige, aufgeblasene Klugheit, als die Philosophen erfinden, sondern verhältnismäßig, leicht, ruhig und heilsam. So entspricht sie demjenigen, was man von ihr rühmt, wenn jemand das Glück hat, solche ohne Spitzfindigkeit und ordentlich anzuwenden, das heißt natürlich, sich der Natur auf die einfältigste Weise überlassen, heißt, sich ihr auf die weiseste Art überlassen. O welch ein weiches, sanftes, gesundes Kissen ist die Unwissenheit und Unneugierigkeit, um einen wohlgeordneten Kopf darauf zu ruhen! Lieber möchte ich mich selbst recht verstehen als den Cicero. Die Erfahrung, welche ich an mir selbst habe, genügt mir, um weise zu werden, wenn ich nur ein guter Schüler wäre. Wer die Ausschweifung seines vergangenen Zorns seinem Gedächtnis anvertraut, und das Übermaß, wozu ihn dieses Fieber trieb, sieht hierin die Häßlichkeit dieser Leidenschaft besser als im Aristoteles und faßt einen viel gerechteren Widerwillen dagegen. Wer sich der Übel erinnert, die er sich zugezogen hat, die ihn bedrohten, der leichten Anlässe, welche ihn aus einer Lage in die andere versetzten, bereitet sich dadurch auf künftige Glückswechsel und auf die richtige Beurteilung seiner Lage. Das Leben Cäsars gewährt uns nicht mehr Beispiel als unser eigenes. Das Leben eines Herrschers ist wie das Leben eines Untertans, ein Leben, welches allem menschlichen Glückswechsel ausgesetzt ist. Laßt uns nur darauf merken. Wir sagen uns alles, wessen wir hauptsächlich bedürfen. Wer sich erinnert, wie oft er sich in seinem eigenen Urteil verrechnet hat, ist der nicht ein Tor, wenn er nicht beständig gegen dasselbe mißtrauisch bleibt? Wenn mich das Urteil anderer überzeugt, daß ich in einer falschen Meinung schwebte, so lerne ich nicht sowohl das Neue, was man mir sagt und die Erkenntnis einer besondern Unwissenheit (denn selbst die Erkenntnis einer besondern Unwissenheit wäre noch kein großer Erwerb) als vielmehr überhaupt meine Schwachheit und die Trüglichkeit meines Verstandes, und daraus folgere ich die Verbesserung des Ganzen. Bei allen meinen übrigen Irrtümern tue ich dasselbe und ziehe aus dieser Regel einen großen Vorteil für mein Leben. Den einzelnen Fall und Menschen betrachte ich nicht als einen Stein, über den ich gestolpert bin, sondern lerne daraus, meinen Gang überhaupt vorsichtiger einrichten und aufmerksamer gehen. Einsehen, daß man eine Narrheit getan oder gesagt habe, will wenig sagen. Man muß lernen, daß man ein Dummkopf ist; eine weit triftigere und wichtigere Lehre. Die falschen Schritte, welche mich mein Gedächtnis oft hat tun lassen, selbst dann, wenn es sich am meisten traute, sind nicht unnützerweise verloren. Es mag mir jetzt seine Zuversichtlichkeit noch so sehr beteuern, so schüttle ich dennoch die Ohren. Das erste, das beste, was man seinem Zeugnis entgegensetzt, macht mich zweifelhaft, und ich wage nicht mehr, über irgendeine wichtige Sache oder über irgendeine fremde Handlung, ihm Glauben beizumessen. Und täten, was ich aus Mangel des Gedächtnisses tue, andere nicht noch öfter aus Mangel an Treue und Glauben, so würde ich über eine Tatsache jedem fremden Munde mehr Wahrheit zutrauen als meinem eigenen. Wenn jedermann auf die Wirkungen und Verhältnisse der Leidenschaften, welche ihn beherrschen, so genau achtgäbe, wie ich auf diejenigen, in welche ich verfiel, so würde er sie von ferne kommen sehen und ihre Heftigkeit und ihren Anlauf ein wenig mäßigen. Sie fallen uns nicht immer unversehens über den Hals. Sie haben ihre Anmeldungen und ihre Stufen:

Fluctus uti primo coepit cum albescere vento,

Paulatim sese tollit mare, et altius undas

Erigit, inde imo consurgit ad aethera fundo266.

Die Urteilskraft hat bei mir ihren obrigkeitlichen Stuhl, wenigstens strebt sie sorgfältig danach. Sie läßt meine Begierden ihren Gang gehen, meinen Haß und meine Freundschaft, sogar diejenigen, welche ich gegen mich selbst hege, ohne sich deswegen zu verändern und zu verschlimmern. Kann sie meine übrigen Bestandteile nicht nach sich verändern, so läßt sie sich wenigstens durch solche nicht entstellen. Sie spielt ihr eigenes Spiel. Die Weisung, daß jeder sich selbst kennenlernen soll, muß von großem Gewicht sein, weil der Gott aller Kenntnis und alles Lichtes solche über dem Eingange seines Tempels eingraben ließ, als ein Wort, welches alles in sich begreife, was er uns zu raten habe. Auch sagt Plato, daß die Klugheit nichts anderes sei als die Befolgung dieser Vorschrift; und Sokrates bekräftigt solches beim Xenophon durch einzelne Beispiele. Dunkelheiten und Schwierigkeiten jeder Wissenschaften werden dann erst bemerkbar, wenn man zu derselben Zutritt gewinnt. Denn es gehört doch immer ein gewisser Grad von Einsicht dazu, um wahrzunehmen, daß man nichts wisse; und man muß an eine Tür geklopft haben, um zu erkennen, daß selbige verschlossen sei. Daher entsteht die Platonische Spitzfindigkeit: derjenige, welcher wisse, dürfe nicht fragen, weil er wisse; derjenige aber, welcher nicht wisse, dürfe nicht fragen, weil er, um fragen zu können, zuvor wissen müsse, wonach er zu fragen habe. Ebenso geht es mit der Selbstkenntnis. Damit ist jedermann fertig und im reinen, darauf glaubt sich jedermann hinlänglich zu verstehen und beweist eben dadurch, wie Sokrates den Euthydemus belehrte, daß er nichts davon versteht. Ich, da ich keine andere Profession treibe, finde diese so unergründlich und mannigfaltig, daß alles mein Lernen mir keinen anderen Nutzen bringt, als daß es mir fühlbar macht, wieviel ich noch zu lernen habe. Meiner oft eingestandenen Schwachheit verdanke ich meinen Hang zur Bescheidenheit, zum Gehorsam gegen den Glauben, welcher mir vorgeschrieben ist, zu einer beständigen Kaltblütigkeit und Mäßigung der Meinung und den Haß der beschwerlichen zänkischen Hoffart, welche sich alles glaubt, auf sich allein vertraut und mit aller Zucht und Wahrheit in ewiger Feindschaft steht. Man höre nur, wie herrisch ihre Anhänger sich äußern. Ihre ärgsten Torheiten tragen sie in der Sprache der Religionen und Gesetze vor: Nihil est turpius, quam cognitioni et perceptioni assertionem approbationemque praecurrere267. Aristarch sagte, daß man vor alters kaum sieben Weise in der Welt habe auffinden können und daß man zu seiner Zeit kaum sieben Unwissende antreffen würde. Hätten wir in unseren Tagen nicht mehr Recht, dasselbe zu sagen, als er? Eigensinn und halsstarriges Behaupten sind ausdrückliche Zeichen der Dummheit. Da ist ein Mensch in einem Tage hundertmal auf die Nase gefallen und besteht ebenso steifsinnig und unverrückt auf seinen Sätzen als vorher. Man sollte sagen, man habe ihm seitdem eine neue Seele und Kraft des Verstandes eingetrichtert; oder es ergehe ihm wie ehemals dem Sohn der Erde, welcher durch jeden Hinsturz neue Kräfte und größere Stärke gewann:

Cui cum tetigere parentem,

Jam defecta vigent renovato robore membra268.

Scheint es nicht, als ob der Steifkopf meint, er nehme einen neuen Geist auf, wenn er einen neuen Wortkampf aufnimmt? Es geschieht aus eigener Erfahrung, daß ich die menschliche Unwissenheit anklage. Sie ist nach meiner Meinung das Zuverlässigste, was man in der Schule der Welt kennenlernt. Diejenigen, welche aus einem so unbedeutenden Beispiele als das meinige, oder das ihrige, nicht an sich kommen lassen wollen, mögen solche am Sokrates, dem Meister aller Meister, erkennen. Denn der Philosoph Antisthenes sagte zu seinen Schülern: Kommt mit mir, den Sokrates zu hören; bei dem bin ich so gut Schüler wie ihr. Und indem er den Lehrsatz der stoischen Sekte behauptete, daß die Tugend allein hinreiche, ein Leben durchaus glücklich zu machen, und nichts bedürfe, fügte er hinzu: als die Stärke des Sokrates. Diese anhaltende Aufmerksamkeit, womit ich mich selbst betrachte, hat mich auch so ziemlich fähig gemacht, nicht ganz übel von anderen zu urteilen; und es gibt wenige Dinge, von denen ich glücklicher und erträglicher zu reden weiß. Es begegnet mir oft, daß ich die Gemütsfassung meiner Freunde genauer einsehe und unterscheide als sie selbst. Ich habe einige durch meine richtige Schilderung derselben in Verwunderung gesetzt und aufmerksam auf sich selbst gemacht. Weil ich mich von Kindesbeinen gewöhnt habe, mein Leben in anderen zu spiegeln, habe ich darin eine gelehrte Fertigkeit erlangt. Und die Wahrheit zu gestehen, lasse ich nichts dergleichen, Gesichtszüge, Launen und Ausdrücke, unbemerkt bei mir vorüberschlüpfen. Ich studiere alles, was ich zu vermeiden und was ich nachzuahmen habe. Also auch entdecke ich meinen Freunden durch ihr Tun und Lassen ihre innigsten Neigungen, bringe die unendliche Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Handlungen unter gewisse Kapitel, und mache Abteilungen und Unterabteilungen, nach bekannten Ordnungen und Gattungen:

Sed neque quam multae species, et nomina quae sint,

Est numerus269.

Die Gelehrten sprechen und bezeichnen ihre Phantasien genauer und im einzelnen. Ich aber, der ich nicht weiter sehe, als was mir der Gebrauch an die Hand gibt, ich lege die meinigen im ganzen dar und wie sie mir aufstoßen. So verfahre ich auch in diesem Buche. Ich fälle mein Urteil in getrennten Sätzen. Ich weiß nicht alles auf einmal in Bausch und Bogen zu sagen. Zusammenhang und Gleichförmigkeit finden sich nicht bei so gemeinen Alltagsseelen wie die unsrigen. Die Weisheit ist ein festes, ganzes Gebäude, in welchem jedes Stück seinen gehörigen Platz und seine eigene Nummer hat: sola sapientia in se tota conversa est270. Ich überlasse es den Künstlern und weiß nicht, ob sie mit einer so mannigfaltigen kleinlich-verschiedenen und zufälligen Sache zustande kommen werden, die unendliche Verschiedenheit an Gesichtern aufzuschichten, unserer Unbeständigkeit Einhalt zu tun und sie in feste Ordnung zu bringen. Ich finde es nicht nur schwer, unsere Handlungen aneinanderzureihen; sondern ich finde es auch schwer, eine jede für sich selbst durch eine Haupteigenschaft zu bezeichnen. So zweideutig und vielfarbig erscheinen sie in verschiedenem Lichte. Was man an dem Könige Perseus von Mazedonien als etwas Seltenes bemerkt, daß sich sein Geist nie an etwas Gewisses binden ließ, sondern eine jede Lebensart durchirrte, und so abweichende, unbeständige Sitten zeigte, daß weder andere noch er selbst wußten, was für ein Mensch er wäre, das dünkt mich ungefähr auf die ganze Welt zu passen. Besonders kenne ich einen seines Zuschnittes, von welchem sich das, wie ich glaube, noch viel eigentlicher sagen ließe; der keine Mittelstraße kannte, immer von einem Extrem zum anderen überging, durch Veranlassungen, die sich nicht erraten ließen; keinen Weg einschlug, ohne wunderlich davon abzuschweifen und ihm entgegenzulaufen; keine Eigenschaft besaß, von der sich nicht das Widerspiel bei ihm gefunden hätte, so daß das Wahrscheinlichste, was man eines Tags von ihm wird denken können, darin besteht: er affektierte und studierte, sich bekannt zu machen, um nie kennbar zu werden. Man muß ein gutes Gehör haben, um sich freimütig beurteilen zu hören. Und weil das wenige leiden können, ohne empfindlich zu werden, so beweisen diejenigen, welche solches Wagestück gegen uns unternehmen, einen sonderbaren Freundschaftstrieb. Denn es heißt wirklich Liebe zeigen, wenn man unternimmt, jemanden zu beleidigen und zu verwunden, um ihn zu bessern! Ich finde es hart, jemanden zu beurteilen, bei welchem die schlimmen Eigenschaften die guten übertreffen. Plato schreibt demjenigen, welcher die Seele eines anderen untersuchen will, dreierlei Eigenschaften vor: Verstand, Wohlwollen und Dreistigkeit.

Zuweilen fragte man mich: wozu ich wohl dächte tauglich gewesen zu sein, wiefern jemand bedacht gewesen, sich meiner zu bedienen, während ich noch dazu in Jahren war?

Dum melior vires sanguis dabat, aemula necdum

Temporibus geminis canebat sparsa senectus271.

Zu nichts, erwiderte ich; und bedeute mich gern, daß ich zu nichts tauge, was mich einem anderen zum Sklaven macht. Aber ich hätte meinem Herrn seine Wahrheiten gesagt und seine Sitten beleuchtet, wenn er es gewollt hätte. Nicht im allgemeinen, durch Schulgeschwätz, worauf ich mich nicht verstehe und wodurch ich diejenigen, welche solches verstehen, keine wahre Besserung hervorbringen sehe; sondern indem ich solche bei jeder Gelegenheit Schritt für Schritt beobachtet und Stück für Stück einfach und natürlich beurteilt hätte. Ich würde ihm gezeigt haben, wie er in der allgemeinen Meinung stände, und hätte mich seinen Schmeichlern widersetzt. Ich wüßte niemanden unter uns, der nicht weniger wert sein würde als die Könige, wenn er ebenso unaufhörlich von verworfenen Leuten verderbt würde wie sie. Konnte doch nicht einmal Alexander, dieser große König und Philosoph, sich davor beschützen. Ich hätte dazu Treue, Urteilskraft und Freimütigkeit genug besessen. Es wäre ein Amt ohne Titel; sonst verlöre es seine Wirkung und Wohlanständigkeit. Auch ist es eine Rolle, die nicht jedem ohne Unterschied aufgetragen werden kann. Denn die Wahrheit selbst hat kein Vorrecht, zu jeder Stunde und bei allen Gelegenheiten gesagt zu werden. Ihre Anwendung, so edel sie ist, hat ihre Einschränkung und Grenzen. Wie die Welt beschaffen ist, ergibt sich's oft, daß man solche vors Ohr der Fürsten bringt, nicht nur ohne Nutzen, sondern auch mit Schaden, und zwar von Rechts wegen. Und wird man mich nie überreden, daß keine heilsame Vorstellung zur unrechten Zeit gemacht werden könne und daß der Vorteil der Sache nicht zuweilen dem Vorteile der Form nachstehen müsse.

Zu einem solchen Amte würde ich einen Menschen wählen, der mit seinen Glücksumständen zufrieden - Quod sit, esse velit; nihilque malit272 -, und in mittelmäßigem Range geboren wäre. Sonach würde er einerseits nicht fürchten, wenn es das Herz seines Herrn stark und kräftig angriffe, dadurch den Lauf seiner Beförderung zu unterbrechen, und andererseits durch diesen mittelmäßigen Rang desto besser imstande sein, mit allen Arten von Leuten Verkehr zu haben. Ich wollte ferner zu diesem Amt nur einen Mann. Denn, wenn man das Vorrecht einer so offenherzigen Vertraulichkeit auf viele erstreckte, so würde solches eine schädliche Unehrerbietigkeit erzeugen. Ja, auch diesem Mann würde ich die heiligste Treu des Stillschweigens auflegen.

Einem König ist nicht zu glauben, wenn er sich mit der Standhaftigkeit rühmt, womit er, seiner Ehre wegen, den Angriff des Feindes abwarten wolle, und doch, zu seinem Nutzen und seiner Besserung die freimütigen Reden eines Freundes nicht ertragen kann, die weiter nichts tun als seine Ohren berühren, da das übrige ihrer Wirkung in seinen eigenen Händen steht. Es ist aber kein Stand des Menschen, der der wahren und freien Vorstellung so dürftig wäre als der Stand der Fürsten. Sie führen ein öffentliches Leben und sollen die gute Meinung so vieler Zuschauer gewinnen. Weil man aber gewöhnt ist, ihnen alles zu verschweigen, und sie von ihrem Wege abführt, so finden sie sich, ohne es zu wissen, mit dem Hasse und Abscheu des Volkes beladen, und zwar oft durch Veranlassungen, die sie hätten vermeiden können, ohne selbst dabei einmal ihren Vergnügungen Eintrag zu tun, wenn man sie nur zu rechter Zeit gewarnt und aufgerichtet hätte. Gewöhnlich sind ihre Günstlinge mehr auf sich selbst bedacht als auf ihren Herrn. Und dabei befinden sie sich wohl; weil doch, die Wahrheit zu sagen, die meisten Pflichten der wahren Freundschaft gegen einen Fürsten schwer und gefährlich auszuüben sind, so daß dazu notwendigerweise nicht nur viel Abhänglichkeit und Freimütigkeit, sondern auch Mut erfordert wird.

Diese ganze Pastete meines Gekritzels ist endlich weiter nichts als ein Register der Versuche meines Lebens, welches der innern Gesundheit Beispiele genug an die Hand gibt, wenn man die Lehre daraus zieht, das Gegenteil zu tun. Was aber die körperliche Gesundheit betrifft, so kann niemand nützlichere Erfahrungen aufstellen als ich; da ich solche rein zeige, weder durch Kunst oder Meinung verderbt noch geschwächt. Die Erfahrung ist in Ansehung der Arzneikunde eigentlich der Hahn auf seinem eigenen Miste, wo ihr die Vernunft die Herrschaft einräumt. Tiberius sagte: jedermann, der dreißig Jahr gelebt habe, müsse selbst wissen, was ihm heilsam oder schädlich sei, und sich ohne Beistand des Arztes helfen können. Das konnte er vom Sokrates gelernt haben, welcher seinen Schülern riet, das Studium ihrer Gesundheit mit Sorgfalt und als ein Hauptstudium zu treiben, und hinzufügte, es sei unglaublich, daß ein Mensch von Verstand, der auf seine körperliche Bewegung, auf sein Essen und Trinken achtgäbe, nicht besser wissen sollte als jeder Arzt, was ihm gut oder schlecht bekomme. Daher behauptet auch die Heilkunde, sie habe von jeher die Erfahrung zum Prüfstein ihres Verfahrens gemacht. Also hatte Plato recht zu sagen, ein wahrer Arzt müßte notwendig erst alle Krankheiten, die er heilen wolle, selbst gehabt haben, und alle Zufälle und Umstände durchgegangen sein, welche seiner Beurteilung unterworfen werden. Es ist billig, daß er sich krätzig mache, wenn er die Krätze heilen will. Wirklich, nur einem solchen würde ich mich anvertrauen. Denn die anderen führen uns wie jener, welcher Meere, Klippen und Häfen auf den Tisch hinmalt, an welchem er sitzt, und das Modell eines Schiffchens in aller Sicherheit herumspazieren läßt. Bringt ihn zur wirklichen Tat, so weiß er nicht, mit welcher Hand er angreifen soll. Sie machen eine Beschreibung von unseren Krankheiten wie der öffentliche Ausrufer einer Stadt. Er bezeichnet ein verlornes Pferd oder einen Hund von solch und solcher Farbe, solch und solcher Größe, die Ohren so und so gestaltet; aber stellt ihm das Tier vor, so kennt er es doch nicht. Bei Gott, laß mir die Heilkunde eines Tages eine merkliche sichtbare Hilfe leisten, und man soll sehen, wie treu und ehrlich ich ausrufen werde:

Tandem efficaci do manus scientiae273!

Die Künste, welche versprechen, unseren Körper und unsere Seele gesund zu erhalten, versprechen sehr viel. Dafür wüßte ich aber auch nichts, was weniger sein Versprechen hielte. Und zu unserer Zeit beweisen diejenigen, welche von diesen Künsten bei uns Profession machen, weniger tätige Wirkung derselben als alle übrigen Menschen. Man kann höchstens von ihnen sagen, daß sie heilkräftige Kräuter und Tränke verkaufen; daß sie aber Ärzte wären, kann man nicht sagen. Ich habe lange genug gelebt, um von der Gewohnheit Rechenschaft ablegen zu können, die mich bis hieher gebracht hat. Wer sie gleichfalls versuchen will, dem habe ich vorgekostet und bin sein Kredenzer. Hier sind einige Artikel, wie sie mir das Gedächtnis an die Hand gibt. Ich klebe an keiner Gewohnheit, die ich nicht nach den Veranlassungen abgeändert hätte; aber ich zeichne nur diejenigen auf, welche ich am meisten herrschend gefunden habe, denen ich bis auf diese Stunde am treuesten geblieben bin.

Meine Art zu leben ist in gesunden und kranken Tagen einerlei. Ich bediene mich desselben Bettes, halte einerlei Stunde, genieße einerlei Speise und einerlei Getränk. Ich füge dabei nichts hinzu, sondern mäßige mich nur mehr oder weniger nach Beschaffenheit meiner Kräfte und meines Hungers. Meine Gesundheit besteht darin, daß ich in meinem gewöhnlichen Zustand nicht gestört werde. Ich sehe, daß die Krankheit an einer Seite mich daraus versetzt; wenn ich den Ärzten glaubte, so würden die mich auf der anderen Seite davon abkehren, und so wäre ich denn durch Zufall und Kunst völlig aus meinem Weg gebracht. Ich glaube nichts gewisser als dies, daß mir solche Dinge nicht schaden können, an die ich seit langer Zeit gewohnt bin. Es ist die Gewohnheit, welche unserer Lebensart eine Form gibt, wie es ihr gefällt. Sie kann hierin alles. Sie ist der Zaubertrank der Circe, welcher unsere Natur verändert wie er will. Wie viele Nationen, kaum um etliche Schritte weit von uns entfernt, halten die Furcht vor der Nachtluft, die uns augenscheinlich nachteilig ist, für lächerlich, und unsere Landleute und Schiffer lachen gleichfalls darüber. Man macht einen Deutschen krank, wenn man ihm Matratzen zum Schlafen unterlegt, einen Italiener durch Federbetten und einen Franzosen, wenn ihm Vorhänge und Kaminfeuer gebrechen. Der Magen eines Spaniers hält unsere Tafel nicht aus, so wie der unsrige nicht das schweizerische Trinken. Ein Deutscher machte mir zu Augsburg das Vergnügen, die Unbequemlichkeit unserer Kamine mit eben den Gründen darzutun, deren wir uns gewöhnlich bedienen, um ihre Stubenöfen zu verwerfen. Denn in der Tat beschwert diese eingeschlossene Hitze und dabei der Geruch des erhitzten Stoffes, woraus sie bestehen, die Köpfe der meisten Menschen, welche nicht daran gewöhnt sind. Mir nicht. In der Tat mag sich auch diese anhaltende, allenthalben gleich verbreitete Wärme, ohne daß der Glanz der Flamme die Augen blendet, ohne Rauch und ohne die Zugluft, die wir durch die Öffnung unserer Kamine empfinden, in mehr als einer Rücksicht gar wohl mit denselben messen. Warum ahmen wir nicht die römische Bauart nach? Denn man sagt, daß sie vor alters in ihren Häusern von außen und unten einheizten und daß die Wärme durch Röhren innerhalb der Mauern in alle Zimmer geleitet wurde, die geheizt werden sollten, wie ich es beim Seneca, ich weiß nicht wo, ganz deutlich angezeigt gefunden habe. Als der vorbesagte Mann in Augsburg mich die Vorzüge und Schönheiten seiner Stadt rühmen hörte (wie sie es wirklich verdient), begann er mich zu beklagen, daß ich sie verlassen müßte, und die Hauptbeschwerlichkeit, die er mir anführte, setzte er in die Schwere des Kopfs, welche mir anderwärts die Kamine veranlassen würden. Er hatte jemand darüber klagen gehört und meinte, es sei unser Fall, weil er aus Gewohnheit in seiner Heimat dergleichen nicht fühlte.

Alle Wärme, die vom Feuer kommt, schwächt mich und macht mich schläfrig. Dennoch sagte Evenus, die beste Würze des Lebens wäre das Feuer. Ich wähle lieber alle anderen Mittel gegen die Kälte.

Wir fürchten die Neige des Weines; in Portugal liebt man dieses betäubende Getränk und setzt es auf die fürstliche Tafel. In summa: jede Nation hat verschiedene Gewohnheiten und Gebräuche, welche einer anderen Nation nicht nur unbekannt, sondern unerhört und barbarisch scheinen. Was sollen wir diesem Volke sagen, welches keine anderen als gedruckte Zeugnisse annimmt, welches den Menschen nichts glaubt, als was sie aus Büchern beweisen können, auch keine Wahrheit annimmt, wenn sie nicht von hinlänglichem Alter ist? Wir geben unseren Narrheiten eine Würde, wenn wir sie in Formen gießen. Es klingt viel wichtiger, wenn man sagt: Ich habe gelesen, als wenn man sagt: Ich habe sagen gehört. Ich aber, weil ich gegen den Mund eines Menschen nicht leichtgläubiger bin als gegen seine Hand, weil ich weiß, daß man ebenso leichtsinnig schreibt als spricht, und weil ich unsere Zeiten für so gut halte als die vergangenen, führe ebenso lieb einen meiner Freunde an als den Aulus Gellius oder Macrobius; und was ich gesehen habe, ebensogern, als was sie geschrieben haben. Und was man von der Tugend sagt, daß sie deswegen nicht größer sei, weil sie länger ist, das halte ich auch von der Wahrheit, daß sie deswegen, weil sie älter ist, nicht weiser sei. Ich sage oft, daß es platte Torheit ist, die uns nach fremden und schulgerechten Beispielen anjagt. Ihre Fruchtbarkeit ist zu dieser Stunde noch ebenso groß als zu den Zeiten Homers und Platos. Aber suchen wir nicht vielleicht mehr die Ehre der Bekanntschaft mit anderen Schriftstellern als die Wahrheit eines Satzes? Als ob mehr daran läge, unsere Beweise aus dem Laden eines Buchhändlers zu entlehnen, als von dem, was wir in unserm Dorfe sehen und haben können. Oder wir haben wenigstens nicht den erforderlichen Sinn, das, was vor uns liegt, gehörig zu untersuchen, ihm seinen Wert zu geben und solches richtig zu beurteilen, um es zum Beispiel aufzustellen. Sagen wir aber, es fehle uns an gehörigem Ansehen, um unserm Zeugnisse Glauben zu verschaffen, so sagen wir es mit Unrecht. Denn, nach meiner Meinung, können aus den gewöhnlichsten, gemeinsten und bekanntesten Dingen, wenn wir sie ins gehörige Licht zu stellen wissen, die größten Wunderwerke der Natur und die erhabensten Beispiele hergeleitet werden, besonders in Rücksicht auf menschliche Handlungen.

Aber wieder zu meiner Sache. Die Beispiele, welche ich aus Büchern weiß, beiseite gesetzt, und dessen nicht zu erwähnen, was Aristoteles vom Andron, dem Argier, erzählt, daß er die libyschen Sandwüsten durchwanderte, ohne zu trinken, so sagte ein Herr von Adel, der mit vieler Würde verschiedene Posten verwaltet hat, in meiner Gegenwart, er sei von Madrid nach Lissabon im Sommer gereist, ohne zu trinken. Er befindet sich für sein Alter bei außerordentlichen Kräften und hat in seiner Lebensart sonst nichts Besonderes als dies, daß er, wie er mir gesagt hat, zwei oder drei Monate, ja wohl ein ganzes Jahr hinbringt, ohne zu trinken. Er spürt wohl Durst, läßt ihn aber vorübergehen, und meint, es sei ein Bedürfnis, welches sich leicht von selbst stille. Dergestalt trinkt er mehr aus Laune als aus Notwendigkeit oder zum Vergnügen.

Hier noch ein anderes Beispiel. Ich traf vor nicht noch langer Zeit einen der gelehrtesten Männer Frankreichs, unter denen von nicht geringem Vermögen darüber an, daß er in einem Winkel des Saales studierte, welchen man durch eine Tapete abgeschlossen hatte, und um ihn her einen Haufen seiner Bedienten in lauter Ausgelassenheit. Er sagte mir (und Seneca sagte fast dasselbe von sich), er gewönne aus diesem Gepolter und Lärmen den Nutzen, daß er dadurch aufgeschreckt, sich fester und enger in sich selbst zum Nachdenken zusammenzöge und dieses Getöse von Stimmen seine Gedanken nach innen treibe. Als er in Padua studierte, bewohnte er solange ein Studierzimmer, welches dem Geräusche der Glocken und dem Getümmel des Marktes ausgesetzt war, daß er dadurch nicht nur alles Geräusch ohne Nachteil seines Studierens ertragen, sondern sogar Vorteil daraus ziehen lernte. Sokrates antwortete dem Alcibiades, der sich darüber wunderte, wie er das unaufhörliche Gekrächze seiner bösköpfigen Frau ertragen könne: »Es geht mir wie einem, der an das gewöhnliche Gekreisch gewöhnt ist, welches die Räder am Brunnen machen, wenn sie das Wasser heraufwinden.« Mit mir ist es gar anders beschaffen. Mein Geist ist zart und kann leicht in Schwung kommen. Wenn er mit sich selbst beschäftigt ist, bringt ihn das geringste Sumsen einer Fliege aus aller Fassung. Seneca hatte in seiner Jugend sich gar fest an das Beispiel des Sextius gehalten, von nichts zu essen, was einen leiblichen Tod erlitten. Er enthielt sich dessen ein Jahr hindurch, wie er sagt, mit Vergnügen, und änderte dieses Verhalten nur deswegen, damit er nicht in Verdacht geriete, als ob er diese Regel aus irgendeiner neuen Religion entlehnt habe, die solche vorschrieb. Nebenher befolgte et noch die Vorschrift des Attalus, nicht mehr auf weichen Pfühlen zu schlafen, welche sich an den Körper schließen, sondern bediente sich in seinem Alter harter Matratzen, auf denen der Körper keinen Eindruck macht. Was ihm seine Zeit als Härte anrechnet, läßt die unsrige uns als Gemächlichkeit betrachten. Man sehe nur den Unterschied zwischen der Lebensart meiner Hausbedienten und der meinigen. Die Skythen und Indianer sind nicht weiter von meiner Kraft und meiner Form entfernt. Ich erinnere mich, daß ich Bettelbuben von der Gasse genommen habe, um sie zu meiner Aufwartung zu gebrauchen. Diese haben bald darauf meinen Dienst und meine Küche verlassen und meine Livree ausgezogen, bloß um wieder zu ihrer vorigen Lebensart zurückzukehren. Einen fand ich in der Folge, der zu seinem Mahl Luderfleisch vom Schindanger aufsuchte, den ich aber weder durch Bitten noch Drohungen von dem Wohlbehagen abwendig machen konnte, das er an der Dürftigkeit empfand. Die Bettler haben ebensowohl ihre Pracht und Wollüste als die Reichen und, wie man sagt, sogar ihre eigenen Würden und Polizeiordnungen, alles Wirkungen der Gewohnheit. Diese kann uns nicht nur in alle Formen schmiegen, die ihr gefallen (unterdessen sagen die Weisen, sollten wir uns in die beste stellen, und sie wird uns solche alsobald erleichtern), sondern auch zum Wechsel und zur Veränderung, welches das Beste und Nützlichste ihrer Lehrschule ist. Das Beste an meiner körperlichen Beschaffenheit besteht darin, daß ich biegsam und nachgiebig bin. Ich habe Neigungen, die mir eigentümlicher, gewöhnlicher und angenehmer sind als andere; aber ich kann mich ihrer ohne große Anstrengung entschlagen und gleite ganz gemächlich zum Gegenteil über. Ein junger Mensch muß seine Gewohnheiten unterbrechen, um seine Kräfte zu erwecken, sich wenigstens vor Schimmeln und Faulen bewahren; und keine Lebensart ist so kindisch und närrisch als die Lebensart nach Schnur und Uhr:

Ad primum lapidem vectari cum placet, hora

Sumitur ex libro; si prurit frictus ocelli

Angulus, inspecta genesi, collyria quaerit274.

Wenn der Jüngling mir glauben will, so wird er zuweilen sogar ausschweifen. Sonst macht ihn der geringste Hieb über die Schnur unglücklich, und er wird unangenehm und unerträglich im Umgang. Die widerlichste Eigenschaft eines ehrlichen Mannes ist die Verzärtelung und die Gewohnheit an eine gewisse ausschließliche Lebensweise. Ausschließlich wird jede, welche nicht biegsam und gefügig ist. Man muß sich schämen, wenn man aus Unvermögen nicht mitmachen kann oder zu tun wagt, was die Genossen tun können. Laß solche Menschen in der Nähe ihrer eigenen Küche bleiben. Für jedermann ist so etwas unschicklich. Für einen Mann vom Kriegshandwerk aber ist es gar schimpflich und unverzeihlich. Denn ein solcher muß sich, wie Philopoemen sagte, an alle Verschiedenheiten und Ungleichheiten des Lebens gewöhnen.

Gleichwohl, so sehr ich, wie es sich tun ließe, an Verschiedenheit und Freiheit gewöhnt worden bin, habe ich dennoch aus Fahrlässigkeit, da ich älter geworden bin, gewisse Formen angenommen (meine alten Tage leiden keine Erziehung mehr und wollen sich auf nichts anderes mehr einlassen als auf ihre Erhaltung), und die Gewohnheit hat gewissen Dingen, ohne daran zu denken, ihren Charakter so stark eingeprägt, daß ich es Ausschweifung nenne, wenn ich davon abgehen soll. Ich kann nicht mehr, ohne mir wehe zu tun, spät in den Tag hinein schlafen noch zwischen den Mahlzeiten essen, noch frühstücken, noch mich schlafen legen ohne große Zwischenräume, nämlich ungefähr drei Stunden nach dem Abendessen, noch für meine Nachkommenschaft arbeiten, außer vor dem Schlafengehen, noch solches stehend verrichten; noch kann ich ein durchgeschwitztes Hemd auf dem Leibe behalten; noch bloßes Wasser oder unvermischten Wein trinken; ebenso wenig lange mit bloßem Kopfe bleiben oder mich nach der Mahlzeit scheren lassen. Und ich entbehrte ebenso gern des Hemdes als der Handschuhe und des Händewaschens beim Aufstehen als nach Tische, und äußerst notwendiger Bedürfnisse als des Himmelbettes und der Vorhänge. Ich könnte mein Essen ohne Tischtuch zu mir nehmen; aber sehr mit Widerwillen ohne reine Serviette, wie die Deutschen. Ich mache meine Serviette schmutziger wie sie und die Welschen und bediene mich des Löffels und der Gabel sehr wenig. Es tut mir leid, daß man nicht eine Gewohnheit befolgt hat, die ich bei den Königen eingeführt gesehen, daß man bei jedem Gange so wie reine Teller auch reine Servietten auflegt. Wir wissen von dem tätigen Soldaten Marius, daß er mit zunehmendem Alter immer leckerer im Trinken wurde und nie anders als aus seinem eigenen Becher trank. So mag ich gern aus besondern Gläsern trinken und ebenso ungern aus einem solchen, welches der Reihe nach herumgeht, als ich aus der Hand eines anderen trinken würde. Kein Metall gefällt mir so gut als helles, durchsichtiges Glas, welches ja auch meinen Augen ihren eigentümlichen Genuß gewährt. Dergleichen Weichlichkeiten mehr bin ich der Gewohnheit schuldig. Andre hat mir die Natur verliehen; wie zum Beispiel, daß ich nicht mehr zwei volle Mahlzeiten ertragen kann, ohne meinen Magen zu überladen, noch auch mich völlig einer Mahlzeit enthalten kann, ohne Blähungen zu empfinden, einen trocknen Mund zu bekommen oder meinem Appetit wehe zu tun; daß ich nicht lange in der Nachtluft bleiben kann, ohne daß es mir nachteilig werde. Denn wenn ich die ganze Nacht bei dem Herrndienst des Krieges, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, aufsitzen muß, so fängt seit einigen Jahren, nach fünf oder sechs Stunden, mein Magen an unruhig zu werden, ich empfinde heftige Kopfschmerzen und reiche nicht bis zum Tagesanbruch, ohne mich zu übergeben. Wenn die anderen zum Frühstück gehen, so muß ich mich schlafen legen und bin nachher wieder so munter wie vorher. Ich hatte beständig gehört, die Nachtluft träte erst mit Anbruch der Nacht selbst ein; aber da ich seit den letzten Jahren sehr lange und vertraut mit einem Herrn umging, der mit dem Glauben angesteckt war, solche Luft sei am schlimmsten und nachteiligsten, wenn sich die Sonne neige, eine oder zwei Stunden vor ihrem Untergang, weswegen er dieselbe sorgfältig vermeidet und weiter auf die Nacht nicht achtet, so hat er mir beinahe nicht sowohl seine Gründe als seine Empfindung eingeflößt; denn der Zweifel selbst und die Untersuchung macht unsere Einbildung rege und verursacht Veränderungen in uns. Wer solchen Gedanken plötzlich und auf einmal Raum gibt, zieht seinen völligen Untergang auf sich. Ich beklage mehr als einen Mann von Stande, der sich durch die Dummheit seiner Ärzte in früher gesunder Jugend dem Lazarett übergeben hat. Besser wäre es noch, eine Erkältung davonzutragen, als durch Entwöhnung auf zeitlebens des menschlichen Umgangs bei so wichtigen Vorfallenheiten entsagen müssen. Es ist eine schädliche Wissenschaft, welche uns die angenehmsten Stunden des Tages verschreit. Laßt uns unseren Besitz durch die äußerste Anstrengung erkämpfen. Die meiste Zeit härtet man sich ab, wenn man sich durch nichts irremachen läßt, und verbessert seine körperliche Beschaffenheit; wie Cäsar sich dadurch von der fallenden Sucht heilte, daß er nicht darauf achtete und ihr niemals nachgab. Man muß sich die beste Lebensweise vorschreiben, aber ihr sich nicht knechtisch unterwerfen; es sei denn einer solchen, deren Verpflichtung und Beobachtung nützlich ist.

Könige und Philosophen müssen zu Stuhle gehen und die Damen gleichfalls. Das Leben öffentlicher Personen ist an Zeremonien gebunden; mein unbeachtetes einzelnes Leben genießt aller natürlichen Freiheiten. Als Soldat und Gaskognier darf ich auch schon ein Wort mehr sagen. Deswegen will ich auch dieser Verrichtung hier erwähnen. Es ist notwendig, derselben gewisse bestimmte nächtliche Stunden anzuweisen und sich durch Gewohnheit dazu zu zwingen und zu binden, wie ich getan habe; aber nicht wie ich in meinem Alter getan habe, sich an eine gewisse Bequemlichkeit des Orts und Sitzes zu gewöhnen und solche durch langes Verweilen und Weichlichkeit unbequem zu machen. Gleichwohl ist es bei den schmutzigsten Verrichtungen gewissermaßen zu entschuldigen, wenn man darauf mehr Sorgfalt und Reinlichkeit verwendet: natura homo mundum et elegans animal est275. Bei allen natürlichen Verrichtungen mag ich am ungernsten in dieser unterbrochen werden. Ich habe Kriegsleute gekannt, die von der Unordnung ihres Stuhlganges sehr beschwert wurden, indes ich und der meinige uns niemals verfehlen und zu rechter Zeit zutreffen, nämlich beim Aufsteigen aus dem Bett, wenn nicht eine wichtige Beschäftigung oder Krankheit dazwischenkommt.

Ich weiß also, wie schon gesagt, einem Kranken nichts Besseres und mehr Sicheres anzuraten, als daß er sich ruhig bei der Lebensweise verhalte, worin er geboren und erzogen ist. Alle Veränderung, sie bestehe, worin sie wolle, greift an und tut weh. Man bilde sich nur ein, daß die Kastanien einem Perigurdiner oder einem Lucceser schädlich seien, oder Milch und Käse den Bergbewohnern, so wird man ihnen nicht nur eine neue, sondern eine höchst schädliche Diät vorschreiben, eine Veränderung, die selbst einem Gesunden übel bekommen müßte. Man verschreibe einem siebzigjährigen Bretagner Brunnenwasser; man sperre einen seefahrenden Mann ein in eine Badstube, man verbiete einem Bedienten aus Biskaya spazieren zu gehen, man raube ihnen Bewegung und endlich Luft und Licht,

An vivere tanti est?

Cogimur a suetis animum suspendere rebus,

Atque, ut vivamus, vivere desinimus ...

Hoc superesse reor, quibus et spirabilis aër,

Et lux, qua regimur, redditur ipsa gravis276.

Wenn man damit keinen anderen Nutzen schafft, so wird man so viel wenigstens bewirken, daß man die Kranken beizeiten auf den Tod vorbereitet und nach und nach den Gebrauch ihres Lebens untergräbt und abschneidet.

Gesund oder krank habe ich immer gern die Gelüste befolgt, wovon ich mich gedrungen fühlte. Ich räume meinen Begierden und Verlangen ein großes Recht ein. Ich mag nicht gern Übel durch Übel heilen. Ich hasse die Mittel, welche beschwerlicher sind als die Krankheit Wollte ich mich, weil ich mit Steinschmerzen geplagt bin, auch des Vergnügens berauben, Austern zu essen, so erlitte ich zwei Übel statt eines. Die Krankheit zwickt auf einer Seite und die Verordnung auf der anderen. Da wir einmal das Wagestück bestehen, uns zu verrechnen, so wagen wir einmal etwas für das Vergnügen. Die Welt tut das Gegenteil, hält nichts für nützlich, was nicht weh tut, und was leicht wird, ist ihr verdächtig. Mein Appetit in verschiedenen Dingen hat sich glücklicherweise von selbst gefügt und sorgt für die Gesundheit meines Magens. In meiner Jugend fand ich viel Gefallen an scharfen und hochgewürzten Brühen. Da sich in der Folge mein Magen nicht damit vertragen wollte, veränderte sich alsobald auch mein Geschmack. Wein ist dem Kranken schädlich. Auch ist er das erste, womit sich mein Mund nicht vertragen kann und wovor er einen unüberwindlichen Ekel bekommt. Alles, was ich mit Widerwillen zu mir nehme, ist mir schädlich, und nichts ist mir undienlich, was ich mit Hunger und Wohlgeschmack genieße. Ich habe niemals Nachteil von einer Handlung gespürt, die mir viel Wohlbehagen verursacht hatte; und deshalb habe ich auch meinem Vergnügen alle medizinischen Verordnungen bei weitem nachgesetzt und mich von Jugend an -

Quem circumcursans huc atque huc saepe Cupido

Fulgebat crocina splendidus in tunica277 -

ebenso leichtsinnig und unbedachtsam meinen Begierden und Verlangen überlassen wie irgendjemand -

Et militavi non sine gloria278 -,

mehr indessen in der Dauer und anhaltend als durch Heftigkeit des ersten Angriffs:

Sex me vix memini sustinuisse vices279.

Bei alledem ist es, wie ich gestehe, ein Unglaube und ein Wunder, daß ich bei sogar frühen Jahren schon der ersten Neigung dieser Art den Zügel schießen ließ. Der Zufall tat alles dabei. Denn es geschah lange vor der Zeit der Erkenntnis und der Wahl. Ich kann mich selbst nicht einmal so weit zurückerinnern, und man mag mein Geschick sehr wohl mit dem der Quartilla vergleichen, die sich ihrer Jungfräulichkeit nicht mehr erinnern konnte:

Inde tragus, celeresque pili, mirandaque matri

Barba meae280.

Are sens