Es war das Blut eines schwarzen Hundes, der in einer Winternacht von unfruchtbaren Weibern in den Ruinen eines Grabes getötet worden war. Salambo rieb sich damit die Ohren, die Fersen und den Daumen der rechten Hand ein, wobei der Fingernagel ein wenig gerötet wurde, als hätte er eine Frucht zerdrückt.
Der Mond ging auf. In diesem Augenblicke begannen Harfe und Flöte ineinander zu tönen.
Salambo legte ihre Ohrgehänge, ihr Halsband, ihre Armringe und ihr langes weißes Obergewand ab, löste ihre Haarbinde und schüttelte ihr sie umwallendes Haar eine Weile leise, um sich an den Strähnen die Schultern zu kühlen. Die Musik draußen tönte fort: es waren drei hastige wilde Töne, die immer wiederkehrten. Die Saiten der Harfe klangen schrill, die Flöte gurgelte. Taanach schlug den Takt mit ihren Händen. Salambo wiegte sich mit ihrem ganzen Körper und sang Gebete ab, wobei ihre Kleider niederfielen, eins nach dem andern. Einer der schweren Teppiche an der Wand bewegte sich, und über der
Schnur, die ihn trug, erschien der Kopf der Pythonschlange. Langsam glitt sie herab wie ein Wassertropfen, der an der Wand herunterrinnt, kroch zwischen den daliegenden Gewändern hin und richtete sich dann, den Schwanz auf den Boden gestemmt,
kerzengerade in die Höhe. Ihre starr auf Salambo gerichteten Augen blitzten heller denn Karfunkelsteine.
Aus Scheu vor der Kälte oder vielleicht auch aus Scham zögerte Salambo eine Weile.
Dann aber fielen ihr die Befehle Schahabarims ein, und sie ging auf die Schlange zu.
Diese neigte sich herab, legte die Mitte ihres Leibes auf den Nacken der Jungfrau und ließ
Kopf und Schwanz herunterhängen wie ein zerbrochenes Halsband, dessen beide Enden zu Boden fallen. Salambo schlang das Tier um ihre Hüften, unter ihren Arm hindurch, um ihre Knie. Dann faßte sie es beim Kopfe, drückte seinen kleinen dreieckigen Rachen dicht an ihre Lippen und beugte sich mit halbgeschlossenen Augen hintenüber. Das weiße Mondlicht umsickerte sie mit silbrigem Nebel. Die nassen Spuren ihrer Füße glänzten auf den Fliesen. Helle Sterne zitterten in der Tiefe des Wassers. Die Schlange schmiegte ihre schwarzen goldgesprenkelten Schuppen eng an Salambo. Sie keuchte unter dieser schweren Last. Ihre Hüften gaben nach. Sie fühlte sich dem Tode nahe. Der Python streichelte ihr mit dem Schwanzende sanft die Schenkel… .
Plötzlich schwieg die Musik, und das Tier sank zurück.
Taanach trat wieder zu Salambo; und nachdem sie zwei Lampen aufgestellt hatte, deren
Flammen in wassergefüllten Kristallkugeln brannten, färbte sie die Handflächen ihrer Herrin mit Henna, streute ihr auf die Wangen Zinnober, Antimon über die Augenlider, und verlängerte ihre Wimpern mit einem Brei aus Gummi, Moschus, Ebenholz und
zerquetschten Fliegenfüßen.
Salambo saß auf einem Stuhle mit Elfenbeinfüßen und überließ sich der Sorgfalt ihrer
Sklavin. Doch die Hantierungen, der Duft der Parfümerien und der Hunger nach dem langen Fasten gingen über ihre Kräfte. Sie wurde so bleich, daß Taanach innehielt.
»Fahr fort!« gebot Salambo.
Sie nahm sich gewaltsam zusammen und kam allmählich wieder zu sich. Jetzt ward sie
voller Unruhe und trieb Taanach zur Eile an. Die alte Dienerin murmelte:
»Ja, ja, Herrin! Es erwartet dich doch niemand!«
»Doch!« erwiderte Salambo. »Es erwartet mich wohl jemand!«
Taanach fuhr vor Erstaunen zurück, und um mehr zu erfahren, fragte sie:
»Was befiehlst du, Herrin? Denn wenn du fort mußt … «
Da brach Salambo in Tränen aus.
»Du leidest!« rief die Sklavin. »Was fehlt dir? Geh nicht fort! Nimm mich mit! Als du noch ganz klein warst, nahm ich dich an mein Herz, wenn du weintest, und brachte dich mit den Spitzen meiner Brüste zum Lachen. Du hast sie ausgesogen, Herrin!« Dabei schlug sie sich auf ihren vertrockneten Busen. »Jetzt bin ich alt und kann nichts mehr für dich tun! Du liebst mich nicht mehr! Du verheimlichst mir deine Schmerzen! Du verachtest die Amme!« Sie weinte vor Liebe und Ärger, und die Tränen rannen an ihren
Wangen herab durch die Narben ihrer Tätowierung.
»Nein!« sagte Salambo. »Ich liebe dich doch! Sei guten Muts!«
Mit einem Lächeln, das der Grimasse eines alten Affen glich, nahm Taanach ihre Beschäftigung wieder auf. Die Herrin hatte ihr auf Schahabarims Geheiß befohlen, sie prächtig zu schmücken, und so ward Salambo nach einem barbarischen Geschmack geputzt, der eine Mischung von Unnatur und Naivität war.
Über das dünne weinrote Hemd zog sie ein Kleid, mit Vogelfedern bestickt. Ein breiter goldschuppiger Gürtel umschloß ihre Hüften, von dem ihre blauen bauschigen mit
Silbersternen besetzten Beinkleider herabwallten. Dann legte ihr Taanach ein zweites Gewand aus weißer Chinaseide mit grüuen Streifen an. Auf den Schultern befestigte sie ihr ein viereckiges Purpurtuch, dessen Saum von Sandasterkörnern beschwert war. Über all diese Kleider hing sie einen schwarzen Mantel mit langer Schleppe. Hierauf betrachtete sie Salambo; und stolz auf ihr Werk, konnte sie nicht umhin, zu erklären:
»Am Hochzeitstage wirst du nicht schöner aussehen!«
»Am Hochzeitstage!« wiederholte Salambo und verlor sich in Träumereien, indes sie den Ellbogen auf die Stuhllehne aus Elfenbein stützte.
Taanach stellte vor ihr einen Kupferspiegel auf, der so hoch und breit war, daß sie sich vollständig darin erblicken konnte. Da erhob sich Salambo und schob mit einer leichten Handbewegung eine Locke zurück, die zu tief herabhing.
Ihr Haar war mit Goldstaub gepudert, auf der Stirn gekräuselt und floß in laugen Locken, an deren Enden Perlen hingen, den Rücken hinab. Das Licht der Lampe belebte
die Schminke auf ihren Wangen, das Gold auf ihren Gewändern und die Blässe ihrer Haut.
Um die Hüften, an den Handgelenken, Fingern und Zehen trug sie eine solche Fülle von
Edelsteinen, daß der Spiegel wie von Sonnenstrahlen sprühte. So stand Salambo hochaufgerichtet neben Taanach, die sich vorbeugte, um sie zu betrachten, und lächelte über all den Glanz.
Dann ging sie hin und her, damit ihr die Zeit, die ihr noch blieb, schneller vergehe.
Da ertönte ein Hahnenschrei. Schnell steckte Salambo einen langen gelben Schleier auf ihrem Haar fest, schlang ein Tuch um den Hals, fuhr mit den Füßen in blaue Lederschuhe und befahl Taanach:
»Geh und sieh unter den Myrtenbäumen nach, ob da nicht ein Mann mit zwei Pferden
wartet!«